Travel in Style

20160629-Kanada-Nova-Scotia-Überfahrt-06Und wieder darf unser Auto Boot fahren und diesmal lohnt es sich richtig. Über zwei Stunden dauert die Überfahrt von Digby in Nova Scotia nach St. John in New Brunswick. Das Wetter ist herrlich und so hoffen wir auf schöne Aussichten und vielleicht sogar Wale, aber kaum auf dem Wasser kommen die ersten Nebelschwaden. Wir halten zwar tapfer noch eine Weile durch, lassen uns vom trötenden Nebelhorn etwa fünf Meter neben uns ganz furchtbar erschrecken, aber dann geben wir auf und gehen rein. Und erleben mal wieder, dass es die Kanadier verstehen, es sich so richtig nett zu machen. Eine junge Frau f20160629-Kanada-Nova-Scotia-Überfahrt-04idelt keltische Lieder, auf einem Schild in ihrem Geigenkasten steht „Help me go to Ireland“. Das müsste nach dieser Fahrt gelingen, allen scheint es sehr zu gefallen, eine Großmutter tanzt mit ihrer kleinen Enkelin und der Geigenkasten füllt sich mit Münzen und sogar 20 Dollar Noten. Jetzt einen Kaffee und ein wenig lesen, das wäre doch toll. Mein Reader zeigt akuten Strommangel und Kaffee ist hier bestimmt sauteuer. Da habe ich aber nicht mit den Kanadiern gerechnet, neben zwei kleinen Kinos gibt es hier einen Computerraum und in dem mehrere (natürlich kostenlose) Schließfächer mit Ladekabeln, die auch für meinen Reader passen. Der Kaffee kostet keine zwei Dollar und ist erstaunlich lecker und wir fragen uns mal wieder, warum in Deutschland solche Monopolsituationen immer ausgenutzt werden und schlechte Qualität zu Höchstpreisen verscherbelt wird. Hier scheint man auf seinen Umsatz zu kommen, indem man gute Qualität zu günstigen Preisen anbietet und so viele Kunden anlockt, von denen keiner auf die Idee kommt, sich Butterstullen und Getränke selber mitzubringen.

Die Überfahrt verläuft trotz dicker Suppe unproblematisch und bald fahren wir auf der Küstenstraße Richtung USA. Keine zwei Stunden später sind wir am Grenzübergang, wir werden gebeten, das Auto abzustellen und ins Gebäude zu gehen, dort warten wir kurz und werden befragt. You travel a lot, fragt die Grenzbeamtin und blättert in den Stempeln in unseren Pässen. Wir erzählen ihr von unserer Reise und sie scheint fast ein bisschen neidisch zu werden. Ob wir denn auch im Iran, Irak oder in Syrien waren? Nein, waren wir nicht und zwölf Dollar später gibt’s die Einreisekarte. Als wir sie im Auto angucken, steht da bei Nationalität „Germany (West)“. Oh Leute…

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It’s Maine, aber es ist auch Canada-Day

Wir sind jetzt in Maine und sehen erst mal viel Wald. Unser erstes Ziel ist Bangor, die drittgrößte Stadt von Maine, viel mehr wissen wir aber nicht. Die Hotels in Maine sind teuer und hier hatten wir ein günstiges „Howard Johnson“ gefunden. Das ist dann zudem auch noch ganz nett und so beschließen wir, noch eine zweite Nacht hier zu verbringen und uns Bangor anzuschauen. Nur: da gibt es nichts. Eine merkwürdige Stadt mit noch merkwürdigerer Atmosphäre. Die Innenstadt ist klein, ein paar Backsteingebäude (gut, es gab hier 1911 einen großen Brand und alles wurde in Schutt und Asche gelegt), viel Leerstände und etwas skurrile Läden. Wir betreten ein Sportgeschäft, in dem klassische Musik spielt und sich die wenigen Kleiderständer verlieren, die einzige weit sichtbare Stufe im ganzen Laden ist in Warnfarben abgeklebt und mit mehreren Warnschildern „Watch your step“ versehen – es handelt sich wohlgemerkt nicht um ein Sanitätsfachgeschäft… Die Menschen auf den Straßen sind ziemlich anders, nicht der fröhliche Völkermix, den wir aus Kanada gewohnt sind, alles ein bisschen fertiger. Wir konsultieren dann mal das Internet und das weist als eine der Attraktionen Bangors aus, dass Stephen King hier wohnt und seine Romane häufig in dieser Gegend spielen. Oh ja, Mr. King, da haben sie sich einen ziemlich perfekten Ort ausgesucht.

Wir beschließen, nach Boston zu fahren. Die Hotelpreise sind zwar auch hier wirklich heftig, aber etwas weiter draußen finden wir dann doch etwas, das zwar immer noch teuer, aber verschmerzbar ist. Wir starten für unsere Verhältnisse sehr früh, damit wir noch was vom Tag haben, und fahren an der Küste Maines entlang Richtung Süden. Auf einmal wird es laut im 20160701-USA-Maine-Massachusetts-03Auto, ist das der Wagen neben uns? Er fährt vorbei, aber der Lärm bleibt. Das müssen wohl wir sein. Wir halten auf dem Seitenstreifen und inspizieren unseren treuen Jetta: der rechte Hinterreifen ist aufgeplatzt und platt. Das ist jetzt unsere dritte Reifenpanne. Ein Nagel in Hawaii, die Holzattacke in Neuseeland und warum jetzt dieser Reifen den Geist aufgegeben hat, können wir nicht erkennen. Na klasse, wir haben keine amerikanische SIM-Karte, unsere Notfall-Telefonnummer ist in Kanada und ich hatte mich schon so auf einen gemütlichen Kaffee in Harvard gefreut. Eric findet seine deutsche SIM-Karte, nein, wir wollen nicht wissen, was uns dieser Anruf jetzt kosten wird. Joe wird kommen und uns den Notreifen montieren und dann sollen wir den Wagen tauschen, sagt uns die freundliche Dame. Joe rückt nach einer halben Stunde an, er ist wortkarg und laut Aufschrift auf seiner Baseball-Mütze ein Vietnam-Veteran. Nach zehn Minuten sitzt der schmale Reifen und wir machen uns auf zum nächsten Ort, den uns die freundliche Dame genannt hat, um das Auto zu tauschen. Die sind etwas überfordert, sie gehören zu Enterprise und unser Auto zu Alamo, das hätten sie noch nie gemacht und ob wir nicht weiter in die nächste Stadt zum Flughafen fahren könnten. Machen wir, ist alles in unserer Richtung. Wir haben keine Landkarte, aber den Flughafen können wir gar nicht verfehlen, sagen sie. Portland heißt der Ort und Portland ist etwas ganz besonderes: dort haben sie sich entschieden, ihren Flughafen zu tarnen. Ganz wenig Schilder aufhängen, das kann ja jeder. Aber ihn einfach nicht Airport zu nennen, da muss man erst mal drauf kommen. Portland International Jetport oder abgekürzt PWM. Genial! Und das in einer Stadt, die einen großen Hafen hat. Und Jetty doch Anlegestelle heißt. Aber nicht gut genug gemacht, Portland, wir finden ihn trotzdem, wenn auch erst nach mehreren Anläufen. Leicht genervt treten wir an den Alamo-Schalter und wissen dann sofort wieder, warum dies unsere absolute Lieblings-Autovermietung ist. Der freundliche Mitarbeiter drückt uns erst mal zwei eiskalte Wasserflaschen in die Hand, bedauert uns und verspricht, uns ein „nicer car“ rauszusuchen. Zwei Unterschriften, er drückt uns einen neuen Schlüssel in die Hand und fünf Minuten später stehen wir vor unserem Neuen: ein ganz edler Buick mit weißen Ledersitzen neben dem sich unser Jetta, an dem immer noch der rote Staub von P.E.I. klebt, wie ein Kleinstwagen ausmacht. Na, das ist doch was! Mittlerweile ist es Nachmittag und das mit Boston können wir für heute wohl vergessen. Das Outletcenter an der Grenze zu New Hampshire kommt da gerade recht. Da schlägt das Schwabenherz hoch, komplett neu eingekleidet schwingen wir uns in unsere Edelkarosse und schweben Richtung Hotel. Und die haben sich wohl gedacht, dass zu so einem Auto auch das entsprechende Zimmer gehört, als wir die Zimmertür öffnen, stehen wir zunächst nur im Wohnzimmer unserer Suite. So hatte ich mir meine Weltreise höchstens zu dem Zeitpunkt vorgestellt, als ich noch meinte, sie sei nur durch einen Lottogewinn zu realisieren.

20160702-USA-Massachusetts-Boston-07Und dann kommt am nächsten Tag noch das schöne Boston dazu. Wir haben uns von den Berichten im Internet etwas kirre machen lassen (Don’t even think about driving a car around here, sagt der Lonely Planet). Also fahren wir zu einem Vorortbahnhof, stellen das Auto ab und kommen erneut in den Genuss amerikanischen Organisationstalents. Fahrkartenautomaten – kann man ja mal hinstellen, aber die sollten doch den Experten vorbehalten bleiben. Keine Chance, hier ein Ticket zu lösen. Aber es gibt ja einen Schalter, was sage ich, es sind drei, und die Dame dahinter bedient sie alle! Gab es nicht mal einen alten Rudi Carrell Gag, in dem er sich ständig andere Mützen aufsetzte, um verschiedenste Funktionen abzudecken? So ist es hier und die Lady erläutert an einem Schalter die komplizierten Ticketstrukturen, verkauft dieselben an einem anderen und kassiert am dritten die Parkgebühren ab. Der Verkaufsvorgang vor uns nimmt etwa 15 Minuten in Anspruch, hier darf man es nicht eilig haben. Wir erreichen Boston 20160702-USA-Massachusetts-Boston-30dann in einer knappen halben Stunde und sehen, kaum dass wir den Bahnhof verlassen haben, geordneten Straßenverkehr und ein großes Parkhaus, das unser Auto für 15 Dollar aufgenommen hätte. Wir haben für die Bahntickets fast 30 Dollar gezahlt, dazu wird abends dann noch die Parkgebühr von 7 Dollar kommen und der Zug fährt am Wochenende im Zwei-20160702-USA-Massachusetts-Boston-09Stunden-Takt. Tja, Lonely Planet, die Warnung können wir nicht nachvollziehen. Aber egal, Boston ist toll und als erstes landen wir auf einem Markt mit lächerlich billigem Obst und Gemüse. Wir kaufen „organic strawberries“ für einen Dollar, beobachten Frauen in traditionellen afrikanischen Kleidern, die große Mengen Yamswurzeln kaufen und viele Asiaten, die sich mit frischem Gemüse eindecken. Wir sind mitten im historischen Zentrum, hier verläuft auch der „Freedom Trail“, der uns durch die Geschichte Bostons und der Vereinigten Staaten führt. Oder führen sollte, denn wir müssen unsere touristischen Aktivitäten heute ja für das Viertelfinale unterbrechen. Im Internet hatten wir recherchiert, dass die meisten Sportkneipen in der Hanover Street sind. Dass es sich hierbei auch um Little Italy handelt, merken wir dann erst als wir vor den Restaurants stehen und die vielen Menschen mit blauen Trikots sehen. 20160702-USA-Massachusetts-Boston-25Wahrscheinlich nicht der ideale Ort für das Spiel gegen Italien. Wir finden dann einen irischen Pub, der das Spiel überträgt und haben noch zwei Stunden Zeit. Boston hat ein berühmtes Holocaust-Denkmal, vielleicht etwas absurd, den Besuch dort vor einem Fußballspiel einzuschieben, aber es ist ein Ort mitten in der Stadt und inmitten der Touristenattraktionen, ein sehr lebendiger Platz. Sechs gläserne Türme, in die Nummern eingraviert sind, die die Opfer der Shoah repräsentieren sollen. Man geht in einem schmalen Park durch diese Glastürme hindurch, die auf der Innenseite auch Texte enthalten und am Boden eine Art Zeitleiste. Jeder Turm steht für ein Vernichtungslager und die Texte sind Zitate von Menschen, die Opfer des Holocaust waren. Ein sehr berührender Ort, der vor allem dadurch besticht, dass er sich mitten im Leben befindet. Was mich zudem beeindruckt hat ist der Hinweis in der Zeitleiste, dass die USA bereits 1942 von der Existenz der Vernichtungslager wussten. Eine solch selbstkritische Darstellung hätte ich in einem so patriotischen Land nicht erwartet und ich muss mein USA-Bild wieder einmal korrigieren.

Es ist schwer, nach diesem bewegenden 20160702-USA-Massachusetts-Boston-28Ort an so etwas profanes wie Fußball zu denken. Mir fällt unser erster Abend in Haifa 2013 ein, im Champions League Finale spielten Dortmund und Bayern und die Menschen in den Straßencafés verfolgten das Spiel auf Leinwänden mit großer Spannung. Wir finden unsere irische Kneipe wieder und sind nicht die einzigen Deutschen, die das Spiel sehen wollen. Spannende Spiele sind ja was Gutes, aber das war dann doch etwas viel… Jedenfalls machen wir uns danach langsam wieder auf Richtung Bahnhof und tuckern zurück in unseren Vorort.

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Vor der Harvard Law School – vielleicht färbt ja was ab?

Am nächsten Tag ist Harvard dann für mich ja quasi Pflichtprogramm. Es ist eigentlich genauso, wie ich es mir vorgestellt habe, vielleicht bis auf die vielen Touristen und den sehr großen Anteil von Asiaten. Die Bauten sind absolut beeindruckend, eine gute Atmosphäre und ich bedauere sehr, dass die Bibliothek nicht öffentlich zugänglich ist. Der Durst treibt uns irgendwann in ein Gebäude mit der Aufschrift „Student Center“, wir hoffen hier auf eine Cafeteria (und haben vielleicht so was wie das Clubhaus in Tübingen im Sinn). Wir laufen durch die Flure, die Cafeteria hat zu, klar, ist ja Sonntag. Plötzlich stehen wir in einem riesigen Raum, der wie die Lobby 20160703-USA-Massachusetts-Harvard-07eines Nobelhotels gestaltet ist, Sessel und Sitzgruppen, Kamine. Wir sind in einen Teil der Harvard Law School geraten. Weiter hinten finden sich die Hörsäle, für jeden Studi ein ergonomischer Stuhl, und da kommt mir das Audimax in der Neuen Aula in Tübingen in den Sinn… Schon sehr beeindruckend, was hier möglich ist. Wir finden eine weitere irische Kneipe und leiden mit den Isländern. Aber gut, dass wir sie nicht aus dem Turnier schmeißen müssen. Zu guter Letzt landen wir in einem koreanischen Supermarkt und probieren uns durch die Fertiggerichte. Mit zwei großen Schüsseln Nudeln in Sesamsoße und ein paar Abenteuerbeilagen wie getrocknetem Tintenfisch kehren wir zu unserem Auto zurück, das wir ja auf keinen Fall nach Boston mitnehmen sollten, und fahren zurück in unsere Suite. Ist wirklich eine Reise wert, das schöne Boston!

 

 

 

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