Seit vier Tagen bin ich wieder unterwegs – aber mit einem entscheidenden Unterschied: aus den zwei Globonauten ist eine Globonautin geworden. Ich reise jetzt alleine und das fühlt sich gerade noch sehr fremd an.
Ich habe zehn Monate eingeplant, möchte weniger Orte ansteuern, dort dafür länger bleiben. Los geht’s mit Edinburgh. In der schottischen Hauptstadt nenne ich für einen Monat eine Wohnung mein eigen, die fast aus einem Film gesprungen sein könnte – in einem etwas fertigen Stadtteil, gegenüber einer Autowerkstatt, Haus an Haus gebaut, betritt man die Nummer 7 und findet sich in einem ziemlich heruntergekommenen Treppenhaus wieder. Hinter einer Tür im ersten Stock mit unzähligen Schlössern, von denen nur zwei wirklich funktionieren, befindet sich mein Reich: zwei Zimmer, Wohnküche, Bad, grobe Holzdielen, gemütlich eingerichtet und nach hinten raus mit schönem Blick in den Garten. Hier kann man es aushalten, ohne dass einem die Decke auf den Kopf fällt. Am Tag nach meiner Ankunft mache ich mich auf die Suche nach einem gebrauchten Fahrrad und werde schnell fündig: ab jetzt teile ich mir den Flur mit meinem rosa Flitzer. Edinburgh ist hügelig und von hier in die Innenstadt geht es heftig bergauf – aber ein Ziel des ersten Monats ist, etwas fitter zu werden. Das Wetter ist schottisch-durchwachsen, kein Vergleich mit dem Stuttgarter Hochsommer, aus dem ich mich gerade verabschiedet habe. Aber meistens ist es trocken, immer wieder lässt sich die Sonne blicken und dann wird es durchaus warm.
Um die Ecke gibt es einen Tesco und ich bin überrascht über die günstigen Lebensmittelpreise – oder kommt das nur vom Brexit-geschädigten Wechselkurs? Die Leute sind äußerst freundlich – an der Supermarktkasse gibt es immer einen netten Plausch und auf der Straße wird man sofort hilfsbereit angesprochen, wenn man verloren wirkt. An die Sprache muss ich mich allerdings noch gewöhnen – im letzten Jahr habe ich viel Englisch gesprochen und fand mich eigentlich ganz gut dabei, aber Schottisch ist eine andere Nummer.
Die Stadt ist noch ziemlich voll mit Touristen. Ich wurde von den Leuten, mit denen ich ins Gespräch kam, abwechselnd für die Wahl meines Reisemonats bedauert (Oh, Du verpasst das Festival) oder beglückwünscht (Sei froh, dass Du den Massen während des Festivals entkommen bist) und mein sonntäglicher Ausflug heute in die volle Innenstadt bestätigt mich darin, dass mir die Festivalzeit zu viel gewesen wäre.
Ich habe einen Monat Zeit für eine Stadt, die in etwa so groß ist wie Stuttgart und werde es mir leisten, sie ganz langsam und eher nach dem Zufallsprinzip zu erkunden. Wo ich hinkomme, da komme ich halt hin und wo ich es schön finde, da suche ich mir ein Café und genieße es. So wie heute die Princes Street Gardens unterhalb der Burg – die Sonne schien, die Leute machten es sich auf den vielen Bänken mit einem kleinen Picknick bequem und da saß dann auch ich, um mich für den Aufstieg auf den Burgberg zu wappnen. Oben angekommen beschloss ich dann aber, das Edinburgh Castle an einem anderen Tag zu besichtigen – Menschenmassen drängten sich auf dem Vorhof, auf dem die Tribünen vom Festival gerade noch abgebaut werden. Muss ja auch nicht gerade am Sonntag sein. Auf der Royal Mile, der Prunkstraße der Altstadt, tobte das Leben, ein bunter Mix aus Touristen, Einheimischen, Straßenmusikern und Straßenkünstlern (wobei: ist das eigentlich Kunst, wenn ich mich wie Yoda verkleide und scheinbar in der Luft schwebend auf einem Metallgerüst sitze?). In einer Parallelstraße finde ich vor einer Kirche einen weiteren Sonnenplatz, hole mir einen Kaffee aus dem Kirchencafé und habe fast Mitleid mit der Gruppe, die ihrem historische gekleideten Führer hinterherläuft.
Ich bin noch in der Gewöhnungsphase – Alleinreisen hat mir eigentlich immer Spaß gemacht, ich war in Indien, Thailand und Portugal allein unterwegs, meine Familienforschung hat mich allein durch Ostdeutschland bis nach Polen geführt – aber gerade ist es schwieriger als sonst. Sich ständig auszutauschen, alles gemeinsam zu erleben, das war kennzeichnend für das letzte Jahr. Das wird jetzt anders werden und bietet ja auch die Chancen, die ich ergreifen möchte – in Ruhe über die Erlebnisse der letzten Zeit nachzudenken, das Erlebte zu ordnen, meine schon so lange gehegten Schreibpläne zu verwirklichen. Aber noch ist es schwierig und so bin ich froh über die moderne Technik, die via Facetime und WhatsApp steten Kontakt nach Hause ermöglicht.
Es sind erst vier Tage und es kommt mir schon viel länger vor. Wohin mich dieser Teil der Reise führen wird, weiß ich noch nicht. Ab Oktober wohl ziemlich sicher raus aus Europa, ich will wieder in die Wärme. Und wenn ich ans Essen und an Massagen denke, kommt mir sofort Südostasien in den Sinn. Aber erst mal Schottland. Die Menschen sind freundlich, die Landschaft toll, die Stadt spannend und das Bier lecker. Da wird das Fremdeln nicht mehr lange eine Chance haben.