Zwei Städte und den Norden von oben aus dem Flugzeugfenster habe ich bisher von Laos gesehen, aber jetzt will ich doch auch mal ein bisschen was vom Land erleben. Ich möchte irgendwie Richtung Süden, ohne aber eine echte Vorstellung zu haben. Also begebe ich mich auf die mittlerweile recht etablierte Backpackerroute und steuere Thakhet an. In Vientiane werden an jeder Ecke Bustickets angeboten, angeblich viereinhalb Stunden mit dem „VIP-Bus“, das probier ich jetzt mal aus. Inbegriffen ist auch der Transport zur außerhalb gelegenen Busstation und das Ganze geht um 12 Uhr mittags los, das hört sich doch einigermaßen angenehm an. Um 10 vor 12 bin ich am Reisebüro und werde schon energisch vom Fahrer ins Tuktuk gewunken. Nur ich? Habe ich jetzt doch bei der falschen Agentur gebucht und sie verfrachten mich in irgendeinen Schrottbus? Im Laufe der nächsten halben Stunde kurvt der Fahrer durch die Innenstadt von Vientiane und lädt noch so viele Leute einschließlich Gepäck ein, dass es ziemlich kuschelig wird in dem halboffenen Gefährt. Ein letzter Bogen durch die Stadt und direkt vorbei an dem Reisebüro, wo ich vor 30 Minuten eingestiegen bin. Nun ja. Der Fahrer steuert die Hauptstraße an und sobald er sie erreicht hat, gibt er Gas und donnert in heftiger Geschwindigkeit weiter. Ich schaue hinaus und schrecke plötzlich zusammen – der Franzose neben mir hat an die Scheibe des Führerhauses gedonnert und ruft jetzt dem Fahrer zu, er solle langsamer fahren, er habe schließlich Passagiere an Bord. Der Fahrer hält am Straßenrand, dreht sich mit wutverzerrtem Gesicht um und fuchtelt mit einem Schlagstock zu uns nach hinten. Uh, jetzt nur die Ruhe bewahren. Gut, der Franzose hat etwas heftiger an die Scheibe geschlagen als es vielleicht notwendig gewesen wäre, aber so ganz Unrecht hat er nun wirklich nicht. Der Fahrer beruhigt sich nur langsam, fährt dann wieder los, aber zunächst nur in Schrittgeschwindigkeit. Jetzt will er’s uns zeigen, denke ich mir, da klemmt er sich hinter einen Müllwagen und für einige Zeit kommen wir in den Genuss der wenig erbaulichen Gerüche. Nun denn, wenn das seine Rachegelüste befriedigt. Ich bin erleichtert, als wir endlich am Busbahnhof ankommen. Beim Aussteigen schießt der Fahrer auf den Franzosen zu und sagt zu ihm „You come with me!“. Der Franzose ist zum Glück von stattlicher Statur und sieht mit seinen kurzen Haaren und dem Dreitagebart durchaus ein bisschen wild aus, zudem ist er in Begleitung von zwei anderen, dem kann jetzt eigentlich nichts passieren. Ich höre, wie er dem Fahrer versucht klar zu machen, dass er in Sorge war und irgendwie entspannt es sich dann doch, denn ich sehe die drei später im Bus wieder. Hm, aber durchaus eine interkulturelle Begegnung der besonderen Art, leg dich nicht mit einem Laoten an…
Als ich den Bus betrete, muss ich grinsen. So stellt man sich in Asien also einen VIP-Bus vor. Ein Doppeldecker, unten links der Gepäckraum und die Toilette, unten rechts eine Art Partyraum, ein Tisch mit umlaufender Sitzbank, verdunkelten Scheiben, einer Lichterkette und einer Gruppe sehr gut gelaunter junger Amerikaner, die schon vor der Fahrt eine Menge Spaß zu haben scheinen. Später dann dringen immer wieder Jubelschreie von unten zu den Sitzen nach oben und ich meine, den Geruch von Hasch wahrnehmen zu können. Die Sitze oben sind großartig – eigentlich sind es Liegesessel. Sowas habe ich in einem Bus noch nicht erlebt und strecke mich aus. Sehr bequem! Der Bus ist zu etwa zwei Dritteln mit Touristen und zu einem Drittel mit Einheimischen besetzt und macht sich pünktlich auf den Weg. Es sind etwa 300 Kilometer nach Takhet, gut, die Straßen sind in keinem so tollen Zustand, aber das müsste doch in vertretbarer Zeit zu schaffen sein. Sechs Stunden braucht er dann im Endeffekt und es gibt keine Pause. Das kostenlos verteilte Wasser rührt kaum jemand an und auch ich möchte keine Bekanntschaft mit der laotischen Bustoilette machen. Als wir in Takhet ankommen ist es dunkel und ich bin froh, dass ich ein Hotel vorgebucht habe. Am Busbahnhof erwarten uns die Tukutukfahrer. Ich entferne mich erst mal von der Masse, suche die Bahnhofstoilette auf – auch nicht schlimmer als in Deutschland – und schaue auf dem Handy, ob ich vielleicht auch zu Fuß zu meiner Unterkunft gelangen kann – nein, um ein Transportmittel komme ich nicht drumrum. Als ich zur Haltebucht des Busses zurück komme, sind eigentlich alle Passagiere noch da – zusammengequetscht in Tuktuks, deren Fahrer meinen, dass da bestimmt noch jemand reingeht. Ich zum Beispiel. Irgendwie schaffe ich es, zumindest mit dem Oberkörper ins Innere zu gelangen, die Beine müssen draußen bleiben und baumeln dann halt irgendwo über dem Auspuff. Von den Passagieren haben nur ich und ein weiteres Paar bereits eine Unterkunft, die anderen tauschen sich aus über billige Guesthouses und fragen sich gegenseitig, ob sie Backpacker oder Flashpacker seien – also die wirklich billigen Plätze ansteuern oder etwas mehr für ein privates Zimmer ausgeben. Da halten wir an einem stimmungsvollen Kolonialgebäude, vor dem an dunklen Holztischen gut angezogene Menschen beim Wein sitzen – this is your hotel, ruft mir der Fahrer zu. Die anderen gucken mich an – das scheint jetzt weder in die Back- noch Flashpacker-Kategorie zu fallen. Ich zucke die Schultern und lächele fast schon entschuldigend. War übrigens gar nicht teuer, obwohl ich einen eigenen Balkon mit schönem Blick über die Innenstadt habe. Dafür gab’s aber heute morgen kein heißes Wasser…
Die Attraktion von Thakhet ist der „Loop“, eine Rundfahrt von fast 500 Kilometern, die angeblich mit dem Mofa in ein paar Tagen bewältigt werden kann. Jetzt bin ich ja seit Bali kein Mofa-Neuling mehr, aber das traue ich mir alleine nicht zu. Vielleicht mal einen Tagesausflug. Aber dafür ist die Stadt zu unsympathisch und mein Hotel in den nächsten Tagen komplett ausgebucht. Die anderen Unterkünfte in der Stadt haben Bewertungen in der Kategorie „ansprechend“, eine nette Umschreibung für furchtbar, manche haben sogar ein „enttäuschend“, das kann man wahrscheinlich gar nicht ohne den Gebrauch deftiger Schimpfworte übersetzen. Also, ich will den Loop nicht machen, nach einem ersten Rundgang finde ich die Stadt nicht schön, eine nette Unterkunft entdecke ich wahrscheinlich auch nicht – was will ich hier? Eine Nacht mein dank der Liegesitze im VIP-Bus gar nicht so müdes Haupt betten und dann weiter, das entscheide ich rasch. Der sehr nette Rezeptionist verkauft mir lächelnd ein völlig überteuertes Busticket nach Savannakhet für den nächsten Tag, diesmal allerdings in einem Local Bus. Der braucht für die hundert Kilometer drei Stunden, wenn der Bus nicht kaputt geht, sagt er mir so sympathisch, dass ich doch gerne das doppelte zahle, dafür aber von ihm höchstpersönlich zur Bushaltestelle gebracht und mit einem guten Sitz versorgt werde. Ob ich jetzt drei oder sechs Dollar zahle, ist ja eigentlich auch nicht so wild.
Nach einer für die sehr zentrale Lage des Hotels erstaunlich ruhigen Nacht und einem leckeren Frühstück im freundlichen Restaurant des stimmungsvollen Inthira lädt mich mein Fahrer ins leere Tuktuk – und diesmal bleibe ich allein. Der Local Bus sieht nicht so schlimm aus wie befürchtet, ich habe genügend Platz, es spielt einigermaßen dezente laotische Musik (Reiseführer berichten ja gerne von kreischend lautem Getöse) und mein Rucksack ist im Bauch des Busses hinter mehreren Säcken Blumenkohl so gut verstaut, dass ich mir sicher bin, dass ihn niemand klauen wird. Aber es ist doch ein bisschen komisch, auf einmal die einzige Westlerin zu sein. Die Landschaft, die an mir vorüberzieht, ist jetzt nicht so wahnsinnig spektakulär. Felder, Wälder und im Hintergrund seltsam geformte Felsen, aber ich glaube, so unglaublich viel habe ich nicht verpasst, weil ich auf den Loop verzichtet habe. Wobei ich auf dem nicht allein gewesen wäre, heute morgen beim Frühstück konnte ich beobachten, wie größere Mengen von Touristen auf Mofas von dannen zogen. Bye-bye einsames Naturerlebnis.
Der Bus macht eine Pause an einem staubigen Busbahnhof und wird von mehreren Verkäuferinnen gestürmt, die große Holzspieße mit sehr plattgehauenen gegrillten Hähnchen und Eiern anbieten. Selbst wenn ich so ein Hähnchen essen wollte – wie kriegt man das hin? Dabei wäre das doch die ideale Mahlzeit für das gerade erst begonnene Jahr des Feuerhahns, das in Vietiane geräuschvoll gefeiert wurde. Nein, nix da, ich bleibe Vegetarierin.
Eine halbe Stunde zu früh kommen wir in Savannakhet an. Der Bus wird noch viele Stunden weiter fahren und außer mir steigt kaum jemand aus. Die Tuktuk-Maffia steht wieder bereit, ob ich jetzt allein oder mit zehn anderen gequetscht drin sitze – es sind immer 20.000 Kip für die Touristen, etwas über 2 Euro, die Einheimischen zahlen 5.000. Nach kurzer Zeit stehe ich vor den Toren meiner neuen Unterkunft, für 10 Euro die Nacht kriege ich eine eigene Holzhütte mit sauberem Bad, eine äußerst freundliche Begrüßung und zwei Hühner im Garten vor meiner Veranda. Alles macht einen sehr netten Eindruck und ich frage vorsichtshalber schon mal, ob ich etwas länger bleiben kann. Aber erst mal den Ort ansehen. Und ich glaube, ich könnte es hier gefunden haben, das authentische laotische Stadtleben. Aber davon später mehr, wenn sich der Eindruck verfestigt hat. Jetzt habe ich erst mal genug vom Busfahren und freue mich schon auf einen gemütlichen Abend auf der Veranda. Und wehe, die Hühner entpuppen sich als Hähne und fangen mitten in der Nacht das Krähen an. Dann zeige ich ihnen die Photos ihrer gegrillten Kollegen an der Bushaltestelle.