Nach Jahren der Abstinenz habe ich am 1. August wieder angefangen zu arbeiten und entgegen aller Befürchtungen hat es gar nicht weh getan. Eigentlich lief es am Anfang sogar erstaunlich leicht. Nette Kollegen und meine viel größere Gelassenheit haben den Einstieg deutlich erleichtert. Das Büro kann ich in lockeren acht Minuten mit dem Fahrrad erreichen, ein Blumensträußchen schmückte mein hübsches Arbeitszimmer, die ersten Arbeitstage gingen vorbei wie im Flug, jeden Mittag mit anderen aktuellen oder früheren Kollegen unterwegs.
Klingt zu sehr nach Happy End der Reise? Richtig, denn ganz so einfach ist es dann doch nicht.
Aber trotzdem zunächst die positiven Seiten. Fast ein wenig nach dem Motto „Ist der Ruf erst ruiniert….“ genieße ich eine Aufgabe ohne Führungsverantwortung und zum ersten Mal in meinem Berufsleben mit Teilzeit. Dreieinhalb Tage die Woche gehöre ich dem Job und dreieinhalb Tage mir – und die Arbeitstage begrenzen sich im Gegensatz zu früher tatsächlich auf die Tageszeit. Am ersten „freien“ Freitag beschleicht mich zwar kurz das Gefühl des Schwänzens, aber nein, so wird es jetzt regelmäßig sein. Die Krönung sind die Donnerstag-Mittags-Kinovorstellungen. Während die Stadt schafft, sitze ich mit ein paar versprengten Rentnern und einem Becher Kaffee im fast leeren Kinosaal und reise im „Stern von Indien“ in die Gründungszeit von Indien und Pakistan oder im „Tulpenfieber“ ins Amsterdam des 17. Jahrhunderts. Eigentlich ist das Wetter zu gut, um den frühen Nachmittag im Dunkeln zu verbringen, aber dieses Gefühl, zu normalen Arbeitszeiten im Kino zu sitzen, lässt mich jeden verpassten Sonnenstrahl vergessen.
Und dann die Treffen mit vielen lieben Menschen, die unsere Reise um die Welt verfolgt haben. Die Welt hat sich auch hier weitergedreht, keine Frage, aber es gibt kaum ein Fremdeln, fast so als wäre ich gar nicht lange weggewesen.
Und die ganzen Alltagsdinge, auf die ich lange verzichten musste. Geruhsames Kochen, mit einem guten Hörspiel und einem Gläschen Wein als Aperitif, ein gemütlicher Abend mit Strickzeug vor der Glotze, selten habe ich es so genossen wie jetzt. Sogar ein Wohnungsputz scheint gar nicht mehr so unangenehm wie früher. Meine sportlichen Vorhaben laufen langsam an, eine neue Joggingstrecke ist gefunden und sogar schon zweimal absolviert. Endlich wieder Yoga bei Christine und sogar ein Meditationsworkshop am Wochenende. Viel wollte ich mir nicht vornehmen für die Zeit nach der Reise, im Gute-Vorsätze-und-tausend-Pläne-Schmieden war ich früher Weltmeisterin und deswegen auch permanent mit einem schlechten Gewissen ausgestattet. Jetzt plane ich wenig und kriege trotzdem einiges gebacken.
Aber, ich deutete es schon an, nicht alles ist rosarot. Natürlich vermisse ich das Reisen, wäre ja auch komisch wenn nicht. Keine Woche zurück stand mein neues Reiseziel schon fest, auch wenn ich nicht weiß, wann genau ich es realisieren werde. Mit der Fremdbestimmung, die ich auf Reisen so gar nie spürte, komme ich noch zurecht. Aber meine Neugier ist nicht immer leicht zu bändigen. Eine neue Stadt entdecken, eine exotische Kultur kennenlernen, mit dem Auto durch eine unbekannte Landschaft fahren, einfach den Kopf frei haben, neue Erfahrungen machen, neue Geschmäcker testen, all das macht gerade eine Pause. So schön es ist, die alten Plätze neu zu entdecken oder einfach so zu genießen, wie ich sie immer schon genossen habe – irgendwas fehlt.
Ganz spannend ist es, eigentlich vertraute Situationen als Beobachterin zu erleben. Denn so fühle ich mich noch ein wenig, eine Besucherin, die sich alles erst mal aus der Distanz anschaut. Die lockere Sommeratmosphäre, die noch über der Stadt liegt, und die Menschen zum Genuss verleitet. Die verkleideten Typen, die morgens in die Bürogebäude eilen. Die Gockelei einiger vorwiegend männlicher Kollegen, wenn es um Macht und Profilierung geht. Früher war ich mittendrin, jetzt stehe ich staunend daneben.
Frustration, Demotivation, Ungerechtigkeit – ist es jetzt Zufall, dass ich gerade auf so viele Menschen treffe, die beruflich unglücklich sind oder sind das wohlmöglich mittlerweile keine Ausnahmen mehr? Oder eigne ich mich gerade besonders dafür, mir die Sorgen und Nöte anderer anzuhören?
Und auch meine eigenen Dämonen holen mich immer mal wieder ein, es ist ein Kampf und es wird immer einer sein, aber ich hoffe, ich habe gelernt, sie frühzeitig zu erkennen und dann möglichst schnell zu verscheuchen. Einen wunderbaren Gedanken zu denken, fällt mir nach den zwei Jahren nicht allzu schwer.
Alles in allem überwiegen die positiven Aspekte des Ankommens. Die Welt ist keine andere geworden, nur weil ich sie umrundet habe. Aber ich glaube, ich habe mich ein wenig verändert. Ist es mir früher eigentlich so oft passiert, dass ich mit der Bäckereiverkäuferin neben Geld und Brezeln auch ein paar freundliche Worte wechsele? Dass mir Menschen zulächeln? Nicht unbedingt von selber, sondern weil ich sie angelächelt habe?
Doch ist alles vielleicht deswegen unerwartet einfach, weil ich eigentlich noch gar nicht begriffen habe, dass ich jetzt dauerhaft wieder hier bin? Nicht in einer Woche meinen Rucksack packe und wieder weiter ziehe? Kann man erst nach viel längerer Zeit wirklich beurteilen, ob man wieder angekommen ist? Noch viele Fragezeichen, die ich nach und nach abarbeiten will.
Aber bei einem bin ich mir wirklich sicher:
die Entscheidung für die Reise war die beste meines Lebens. Die Erinnerungen kann mir maximal ein nachlassendes Gedächtnis nehmen und dafür habe ich ja diesen Blog 🙂 Immer wieder blitzen Bilder auf: der frühmorgendliche Strand von Casuarina an der wilden Küste Darwins. Der erste Blick auf den Grand Canyon. Die Delphine vor Pamilacan auf den Philippinen. Die staubigen Straßen und freundlichen Menschen von Bhaktapur in Nepal. Das leuchtende Türkis des Meeres vor Rodrigues.
Es ist nicht vorbei. Die Reise geht weiter. Es muss nicht immer Mauritius oder Nepal sein, auch der Biergarten auf der Karlshöhe oder der Rosensteinpark bieten genügend Platz für Glücksgefühle. Manchmal muss ich noch nicht mal meine Wohnung verlassen, weil schon das Stöbern in alten Kirchenbüchern im Internet eine faszinierende Reise in die Vergangenheit meiner Ahnen beginnen lässt. Aber, ich weiß auch, dass ich irgendwann wieder aufbrechen werde, wenn sich die Gelegenheit bietet. Wenn sie nächsten Monat kommen sollte, diese Gelegenheit, werde ich genauso bereit sein wie in einem oder in zehn Jahren. Einmal an der Welt geschnuppert lässt sie einen nicht mehr los!