Reisen in Corona-Zeiten und auch noch ins Ausland. Muss das sein? Muss nicht, aber kann, finden wir, wenn man sich das richtige Land aussucht und sich an die Regeln hält. Unsere Wahl fällt auf Polen, niedrige Zahlen und doch so nah, dass man zur Not in ein paar Stunden wieder in Deutschland ist. Aber, so ganz geheuer ist es wohl keinem Reisenden in Corona-Zeiten und ich gebe zu, dass ich das Ende unserer Tour und einen ordentlichen Sicherheitsaufschlag abgewartet habe, bevor ich darüber schreibe. Und jetzt ist es eh egal wo man sich aufhält, Stuttgart, Baden-Württemberg und eigentlich ganz Deutschland sind Risikogebiet. Auch in Polen explodieren leider die Zahlen, aber zum Glück erst einige Zeit nach unserer Rückkehr. Also: eigentlich alles richtig gemacht, die große Reisesehnsucht befriedigt und wer weiß, wie lange wir von den Erinnerungen zehren müssen.
Wir haben uns für einen Mietwagen entschieden und unser erstes Ziel in Polen ist Posen. Auf den polnischen Autobahnen fährt es sich wunderbar, sehr wenig Verkehr und so viel stressfreier als in Deutschland. Die Idioten sind – wie so oft – auf den Landstraßen unterwegs und halsbrecherisches Überholen scheint ihr besonderes Hobby zu sein. Aber erst mal egal, unser Apartment in Posen liegt in der Altstadt und hat eine Tiefgarage, die nächsten zwei Tage wird gelaufen. Uns erwartet eine sehr stylische kleine Wohnung, in der wirklich an alles gedacht wurde, vom selbst gebackenen Begrüßungskuchen bis hin zum Corona-Set bestehend aus Masken, Latexhandschuhen und antiseptischer Handcreme. In polnischen Städten ist man mit Ferienwohnungen sehr viel besser bedient als mit Hotels. Sie sind häufig nagelneu, toll eingerichtet und günstig, die Erfahrung hatte ich schon in Krakau und Breslau gemacht und – ich greife dem mal vor – das gilt auch für Torun und Danzig.
Die Altstadt von Posen oder Poznan ist überschaubar und bezaubernd. Auf dem Stary Rynek, dem Alten Markt, steht das beeindruckende Rathaus aus dem 16. Jahrhundert. Eingerahmt wird der prächtige Renaissancebau von Stadthäusern, die meisten mit Cafés, Bars oder Restaurants im Erdgeschoss, die bei fast sommerlichem Wetter und trotz Corona gut besucht sind. Eine schöne Stimmung herrscht auf diesem zentralen Platz der Stadt, viele polnische Touristen scheinen unterwegs zu sein, westliche Sprachen hört man kaum.
Wir drehen ein paar Runden vorbei am quirligen Leben der Stadthäuser, tauchen dann in die Gassen rundum ein und landen schließlich in der „Kirche des heiligen Stanislaus“. Ich liebe die barocke Pracht, Eric sind die wuchtigen rötlichen Säulen, die üppigen Deckengemälde und die vielen verschnörkelten Seitenaltäre fast ein bisschen zu viel. Aber in jedem Fall gibt es hier einiges zu sehen.
Hungrig geworden landen wir in der Nähe der Kirche im Restaurant Szarlotta, eher ein Café, aber trotzdem mit sensationellem Essen. Wir bestellen traditionell, als Vorspeise Tatar und dann Pieroggen mit Ente gefüllt. Was kommt, ist eine kreative Überraschung: ambitioniert und köstlich. Der Tatar wird unter einer Glashaube serviert, die ihn mit Rauch von Apfelbaumholz bedampft und ein tolles Aroma hinterlässt. Die Pieroggen sind sehr lecker, sensationell aber ist der Rotkohl, der sie begleitet, leicht knackig, zimtig und köstlich. Es gibt viele gute Gründe nach Polen zu fahren, das leckere Essen ist eindeutig einer davon.
Die Dominsel, Posens kirchliches Zentrum, nehmen wir uns am nächsten Tag vor. Die gotische Backstein-kathedrale ist beeindruckend, aber wir haben mittlerweile vor allem Essen im Kopf. Im Szeneviertel Srodka direkt hinter der Dominsel genießen wir in dem coolen kleinen Restaurant „Na Winklu“ noch mal köstliche Pieroggen. Himmlischen Kuchen zum Nachtisch gibt es im idyllischen Garten des kleinen Caritas-Cafés „Na Trakcie“, versteckt hinter dem Dom.
Neben all der schönen Historie empfehlen wir aber auch ein modernes Wahrzeichen der Stadt: das Einkaufszentrum Brawowska. Ein ganz und gar gelungener Umbau einer alten Brauerei in ein Einkaufs-, Kultur- und Gastronomiezentrum. Sehr lohnenswert, für Shopping- und Architekturbegeisterte.
Unser Fazit: Ein Besuch in Posen lohnt sich sehr! Und noch ist eine gute Zeit, hierher zu kommen. Overtourism wie in Krakau oder demnächst auch Breslau oder Danzig kennt die Stadt noch nicht, obwohl sie sicherlich kein Geheimtipp mehr ist. In den vielen tollen Cafés und Kneipen kann man wunderbar Zeit verbringen, kulturell ist einiges geboten, insgesamt eine gute Atmosphäre, die wir gerne auch noch etwas länger genossen hätten. Aber Polen hat ja so viel zu bieten.
Wir machen einen kurzen Zwischenstopp in Bydgoszcz oder Bromberg. Ein nettes Städtchen, ein kurzer Bummel, ein schnelles Mittagessen und ein freundlicher Kaffee im Strefa Cafe. Die Überraschung kommt zum Schluss: das Innere der Kathedrale St Martin und Niklas. Von außen ganz klassischer Backsteinbau, wollten sie es drinnen wohl mal anders machen. Poppige Lila-, Pink und Orangetöne machen die Kirche zu einem Erlebnis.
Und dann weiter nach Torun. Schon so lange wollte ich hier her, die mittelalterliche Stadt gehört zum Weltkulturerbe, hier wurden Nikolaus Kopernikus geboren und die Thorner Kathrinchen, kleine feine Lebkuchen, erfunden.
Und Torun ist schön, das Rathaus und der Marktplatz ganz besonders. In den Straßen der Alt- und Neustadt kann man bummeln und sich verlieren, aber diese Atmosphäre von Posen, die Lust macht, die Stadt noch weiter zu entdecken, hat Torun nicht. Vielleicht auch, weil der Tourismus hier voll angekommen ist. Sehenswert ist es aber in jedem Fall. Wir beginnen unseren Rundgang auf dem Marktplatz mit dem schönen altstädtischen Rathaus, davor eine Statue von Kopernikus, Corona-gerecht trägt er Maske, wie so einige seiner bronzenen Kollegen in der Umgebung. Die Häuser rund um den Platz sind reich verziert, in der Hansestadt Torun wurde schon vor 800 Jahren Handel getrieben und die Kaufleute machten es sich schön. Nett spazieren kann man auch außerhalb der imposanten Stadtmauer an der glitzernden Weichsel, auf der die Waren verschifft wurden. So richtig viel Spaß macht es später, im äußerst gemütlichen „Coffee and Whiskey House“ einen gediegenen Cocktail zu uns zu nehmen und uns in den Ohrensesseln fast schon britisch zu fühlen.
Torun ist eine Gründung der Deutschordensritter, von der ehemaligen Burg Thorn sind nur noch Ruinen erhalten, aber den echten Rittertraum kann man im Städtchen Malbork erleben, knappe zwei Stunden weiter nördlich. Die Marienburg ist ebenfalls Weltkulturerbe und ihre Besichtigung eine wunderbare Zeitreise. Im 13. Jahrhundert erbaut war sie nur etwa 150 Jahre Sitz des Hochmeisters des Deutschordens, danach residierten die polnischen Könige hier. Die riesige Backsteinanlage ist ziemlich perfekt restauriert. Ein Audioguide führt uns in die letzten Winkel und es ist großartig. Großartig wiederhergestellt, großartig berichtet und von großartigen Ausmaßen. Wir schreiten in Höfe und Keller, über Zugbrücken, durch Empfangshallen und Kreuzgänge in die Gemäche der Großmeister. Irgendwann ist man rittersatt in dieser riesigen Anlage, aber man sollte trotzdem noch die Kraft aufbringen, über die Brücke ans andere Ufer zu laufen um ein Photo vom Gesamtkunstwerk zu machen.
Wir sind begeistert, aber erschöpft, und fahren ins nahe Elblag, früher Elbing. Eric versucht sich im netten Restaurant an der polnischen Sprache, möchte die gebratene Ente auf polnisch bestellen. Die freundliche Bedienung schüttelt mitleidvoll lächelnd den Kopf, hält jeden Aussprache-Unterricht für sinnlos und einigt sich mit ihm auf „the duck“.
Eine kurze Auszeit an der Ostsee – wir berichten später – und dann kommt Danzig. Wir wussten, dass die Stadt im Krieg stark zerstört wurde. Lohnt sich aber, sagt der Reiseführer. Also mieten wir uns für drei Tage ein weiteres stylisches Apartment auf der Speicherinsel. Das Gebäude ist ganz neu, die vier Speicher gegenüber sind aus dem 17. Jahrhundert und harren noch einer Restaurierung. Charmant, aber verfallen. Na, hoffentlich sieht’s her nicht überall so aus. Wir schlendern Richtung Altstadt. Der erste Blick vom Ufer der Mottlau auf die so sehr historisch wirkende Promenade macht uns sprachlos. Die alten Kontorhäuser, die Altstadtore, die Kirchtürme, die im Hintergrund noch mehr versprechen – was für ein Anblick, stolz, hanseatisch und voller Atmosphäre unter tiefblauem Himmel. Wir überqueren die Brücke und betreten die Altstadt durch das Grüne Tor. Es geht grad so weiter, rechts und links des „Langen Marktes“ perfekt restaurierte Kaufmannshäuser. Das Rechtstädtische Rathaus weiter hinten leuchtet uns entgegen, daneben kann man den backsteinernen Turm der Marienkirche sehen. Danzig ist prächtig!
Wir wollen uns erst mal orientieren, laufen weiter geradeaus bis zum Langgasser Tor – haben wir das alles falsch verstanden und Danzig wurde gar nicht zerstört? Im Torbogen sehen wir es dann aber: rechts und links große Bilder von 1945 – die Altstadt als absolutes Trümmerfeld, viele Häuser bis auf die Grundmauern abgebrannt. 90% der Altstadt waren zerstört und die Polen haben alles wieder aufgebaut, so detailgetreu und geradezu liebevoll, was für eine wunderbare Leistung. Jetzt fallen uns auch die Jahreszahlen an einigen der historisch wirkenden Kaufmannshäuser auf, da steht nicht nur 1775 oder 1809, immer wieder auch 1950 oder noch später. Auch deren Inneres ist bestmöglich restauriert. Wir besichtigen das Rechtstädtische Rathaus mit seinen prunkvollen Sitzungssälen und das originalgetreu eingerichtete Haus der flämischen Kaufmannsfamilie Uphagen. Was für ein Glück, dass das Wetter immer noch mitspielt, Danzig ist ein hervorragender Ort zum Flanieren und Entspannen in Straßencafes.
Die Promenade an der Mottlau ist auf beiden Flussseiten schön, mehrere historische Brücken verbinden die Ufer und dazu noch zwei futuristische: eine riesige Klappbrücke, die sich nur alle halbe Stunde senkt, und eine ovale Drehbrücke. Modernes und Historisches vereinen sich hier ganz selbstverständlich und die Danziger sind noch lange nicht fertig damit. Immer noch wird weiter restauriert, aber auch Neubauten entstehen, und die Kombination ist sehr gelungen.
Am nächsten Tag fahren wir Schiff, in Danzig wurde viel Geschichte geschrieben und auf der Fahrt Richtung Ostsee passiert man die zwei wichtigsten Stationen: die Lenin-Werft, in der die Gewerkschaft Solidarnosc gegründet wurde, und die Westerplatte am Ende der Bootstour. Und dort stellen wir fest, dass wir doch immer noch nicht genug wissen über den zweiten Weltkrieg.
Wo begann er? In Gleiwitz hätte ich gesagt, seit 5.45 Uhr wird zurückgeschossen, das kennt man ja. Nein, es war hier, auf der Danziger Westerplatte, damals eine polnische Exklave in der freien Reichsstadt, die vom Kreuzer Schleswig-Holstein unter Beschuss genommen wurde. Die polnische und deutsche Geschichte sind so eng verwoben, ständig werden wir auf dieser Reise darauf gestoßen, dazu später mehr.
Eine Woche sind wir jetzt unterwegs und haben schon so viel gesehen. Wir brauchen eine Pause von all diesen überwältigenden Eindrücken. Und die Ostsee ist zum Glück gleich um die Ecke. Aber dazu mehr im nächsten Beitrag.