Ganz am Anfang meines Urlaubs hatte ich kurz mal gelinst, wie Valletta so ist. Ein kleiner Abstecher mit der Fähre von den Three Cities, grad mal zwei Stunden Aufenthalt, aber was für ein umwerfender erster Eindruck. Valletta weiß, wie man den Neuankömmling beeindruckt: Die Anfahrt über das Mittelmeer durch den Grand Harbour, der Blick hinauf zur Stadt, die hoch oben in einer Festung thront, ist schon ein Erlebnis für sich. Mit der Fahrt übers blaue Meer ist es dann aber nicht getan. Ein moderner Aufzug trägt Seemann oder -frau 58 Meter in die Höhe und erspart den mühevollen Anstieg vom Hafen in die Stadt. Die Idee entstand Anfang des 20. Jahrhunderts, als auch Aufzüge wie der Elevador de Santa Justa in Lissabon gebaut wurden. Der ursprüngliche Lift von 1905 war bis in die 70er Jahre in Betrieb und wurde erst 2012 durch den heutigen Aufzug ersetzt. In modernen Kabinen saust man in 20 Sekunden hinauf.
Als wäre dies nicht spektakulär genug, begrüßen einen oben die Upper Barrakka Gardens: stimmungsvolle Bogengänge und ein süchtig machender Blick auf die Three Cities und den Grand Harbour. Das wird mein absoluter Lieblingsplatz in Valletta.
Drei Nächte habe ich für Valletta eingeplant. Um eine hatte ich ja schon gekürzt, und weil der Katamaran von Gozo ebenfalls am Fährhafen anlegt, komme ich wieder in den Genuss der spektakulären Anfahrt. Der Marsch zu meiner Wohnung ist nicht ganz ohne, in Valletta geht es steil bergauf und bergab. Mein viel zu schwerer Rollkoffer wirkt hinauf wie Blei, hinab schubst er frech an meinen Fersen. Beim ersten Betreten der Wohnung bin ich kurz enttäuscht: das sollen 60 qm sein? Eine Küche und ein Schlafzimmer, hm. Eine Treppe führt hinunter zum Notausgang, immer gut zu wissen, wohin man flüchten kann, aber dort unten tut sich dann noch etwas auf. Im Gewölbekeller verbirgt sich ein gemütliches Wohnzimmer, angenehm kühl und sehr stimmungsvoll. Hier mag ich bleiben!
Valletta ist die kleinste Hauptstadt in der EU. Die allerkleinste. 80 Hektar, das ist grad drei mal so groß wie der Cannstatter Wasen in Stuttgart oder weniger als ein Viertel meiner Hamburger Heimat Wellingsbüttel. Haste nicht gesehen, stehste schon im Nachbarort Floriana. Aber trotzdem bringen sie das Kunststück fertig, hier 25 Kirchen, diverse Regierungsgebäude, eine Touristenmeile, Museen und ganz normale Wohnviertel unterzubringen. Gut, gibt auch nur 6000 Einwohner 🙂
Trotzdem wirkt die maltesische Hauptstadt erstaunlich großzügig und in drei Tagen wird einem garantiert nicht langweilig. Piraten oder so können mir bei meinen Erkundungen nicht in die Quere kommen, umgeben von diversen Bastionen gilt Valletta als eine der am besten gesicherten Städte der Welt. Und oben drauf ist sie auch noch Weltkulturerbe.
Valletta war außerdem 2018 Europäische Kulturhauptstadt und was das mit Orten Gutes machen kann, habe ich in Hermannstadt erlebt. Viel wurde restauriert, aber nicht alles, und dieser Mix ist einfach spannend. Valletta ist natürlich eine Gründung der Kreuzritter. Nach der großen Belagerung war Birgu nicht mehr standesgemäß und Großmeister Jean de la Vallette gründete 1566 flugs am Ufer gegenüber diese gigantische Ritterburg. Valletta litt heftig unter dem Bombenterror der Deutschen, aber der Wiederaufbau ist sehr gut gelungen. Neues wie das maltesische Parlament passt sich genauso ein wie die restaurierten Paläste der Ritter oder das Fort St Elmo an der nördlichen Spitze der Mini-Stadt.
Ein absolutes Muss ist die St John’s Co-Cathedral, trotz heftiger 15 Euro Eintritt. „Co“, weil der Erzbischof von Malta seinen Sitz gleich noch in einer zweiten Kathedrale in Mdina hat. Bei dieser Pracht könnte ich mich auch nicht entscheiden. Von außen schlicht und vermeintlich unspektakulär eröffnet sich innen eine barocke Pracht, für die man mehrere Stunden mitbringen sollte.
In den landsmannschaftlichen Kapellen der Ritter lassen sich so viele Details entdecken, den Boden des Kirchenschiffs zieren Geschichten erzählende Grabplatten, an den Wänden und der Decke ist kein Quadratzentimeter undekoriert und ein besonderer Genuss ist das riesige Gemälde „Die Enthauptung Johannes des Täufers“ von Caravaggio. Dieses Spiel mit Licht und Schatten ist so eindrucksvoll, perfekt inszeniert in einem Seitenschiff der Kirche. Nicht verpassen sollte man den kurzen Film über Caravaggios Leben, der hinter einem Durchgang gleich rechts vom Eingang des Ausstellungsraumes gezeigt wird. Und auf gar keinen Fall sollte man sich von den Stufen hinauf auf die Galerie schrecken lassen. Der Blick auf den Altarraum und die Möglichkeit, der prächtigen Deckenbemalung ein klein wenig näher sein zu können, lohnt jeden steilen Aufstieg.
Ein Besuch in der Sacra Infermeria, die heute das Mediterranean Conference Center beherbergt, ist ein weiterer Höhepunkt. Das Krankenhaus der Ritter aus dem Jahr 1575 war im 16. Jahrhundert ein internationales Vorbild für moderne medizinische Versorgung. Mit seiner riesigen Halle, dem spektakulären Kellergewölbe und den Seitengängen ist das Gebäude eigentlich schon Attraktion genug. Dazu kommt die Ausstellung „The Knights Hospitallers“ im Keller, die toll gemacht ist und einen anschaulichen Überblick über die Geschichte der Ritter gibt.
Aber dann setzen sie noch mal eins drauf mit „Augmented Reality“. Per Bildschirm entweder des eigenen Handys oder eines Pads zum Ausleihen kann man sich die Ritter in die Räume beamen. Eine sehr nette Spielerei, sehr anschaulich wird einem klar, wie hier gearbeitet, gelebt, gebetet und geheilt wurde.
Und meine letzte Empfehlung ist ein Besuch des Casa Rocca Piccola in der Republic Street. Die Familie de Piro lebt seit Generationen in diesem Haus, hat aber einen Großteil der Räume für Besucher geöffnet. Auf einer freundlichen Führung kriegt man einen intimen Einblick in das Leben der adligen Familie damals und heute. In den üppig dekorierten Räumen kommt man sich fast wie ein Voyeur vor, Familienbilder, persönliche Gegenstände, aber das ist gewollt. Mit großem Stolz präsentieren sie die Einladung der Großeltern zur Krönung der Queen und es stellt sich heraus, dass der freundliche ältere Herr im Innenhof Marquis Nicholas de Piro, selbstverständlich auch ein Malteser Ritter, ist.
Nicht geschafft habe ich es in die Ausstellung des Nationalmuseums MUŻA. Aber kleiner Tipp: das wunderbare Restaurant ist eine Oase, schöne Atmosphäre, anständige Preise, gutes WLAN und kaum Besucher.
Valletta verkraftet den Ansturm der vielen Tagestouristen souverän. Nicht nur die Fähren aus den Three Cities karren halbstündlich Besucherinnen und Besucher herbei. Auch aus dem auf der anderen Seite der Landzunge liegenden Ferienort Sliema strömt es vor allem am späten Nachmittag und stetig spucken große Kreuzfahrtschiffe Gruppen in die Stadt. Die Stimmung in der Fußgängerzone ist trotzdem heiter und entspannt. Die Partyszene kommt nördlich von Valletta auf ihre Kosten, wer hierher fährt, möchte sich einen schönen Abend in mediterranem Flair machen. Zudem gilt Malta noch als eines der schwulenfreundlichsten Länder und ältere gutgelaunte Männergruppen tragen zur gelassenen Atmosphäre bei. Die Freiluftrestaurants lassen Corona vergessen, gutes Essen wird in großen Portionen aufgetischt, der sommerliche Abend beginnt am späten Nachmittag mit einem anständigen Aperitivo und Musik klingt aus allen Richtungen.
Alles in allem: Valletta sollte man unbedingt mehr Zeit als einen kurzen Tagesausflug geben. So viel gibt es zu entdecken, zu essen, zu genießen. Nicht nur die klassischen Touristenattraktionen. Ein paar Schritte neben den Hauptstraßen findet das typisch maltesische Leben statt. Am letzten Abend bummele ich auf der Befestigungsmauer hoch über dem Meer. Unter mir ein Sandplatz, flutlichtbeschienen. Männer werfen mit Kugeln und Zylindern auf einen winzigen Ball. Bocci, ähnlich wie Petanque oder Boccia, wird hier sehr ernst genommen. Fasziniert verfolge ich das Spiel von meinem Logenplatz und leide mit den Grünen, die sich den Roten geschlagen geben müssen. Ist ja fast wie daheim 🙂
Und dann endet alles wie es begonnen hat. In Frankfurt haben alle, aber wirklich alle Züge mindestens 60 Minuten Verspätung. Und ich lerne eine Menge anderer Gründe der Deutschen Bahn kennen. Streckensperrung, technisches Problem eines vorausfahrenden Zuges, verspätete Bereitstellung. Da ich ja eh mindestens eine Stunde auf den Zug nach Stuttgart warten muss, warum kein gepflegtes Bier im Airport Hilton. Ich betrete die noble Eingangshalle, schreite mit meinem verbeulten Koffer zur coolen Bar und stehe in der Schlange. Drei Leute vor mir warten darauf, zu ihrem Platz geführt zu werden, um fünf Euro für ein Bier zahlen zu dürfen. Aber keiner kommt, um uns einen dieser Plätze zuzuweisen. Nach zehn Minuten breche ich das Experiment ab und finde einen fröhlichen City Rewe im Flughafen. Die sind gewappnet, haben sogar einen Flaschenöffner an der Kasse. Den werde ich dann zwei mal brauchen. Aus 60 werden 80 und am Ende 91 Minuten Verspätung. Echt gut, dass ich noch Malta-entspannt bin….
Irgendwann um Mitternacht endet dann diese äußerst überraschende Reise. Was für ein tolles Land. Von dem ich einfach noch nicht genügend gesehen habe. To be continued……