Leipzig!

Was für eine gute Entscheidung, meine Auszeit in Leipzig einzuläuten. Erst mal Ankommen im Rumkommen, das war mein Ziel, und dabei habe ich fast zufällig meine neue Lieblingsstadt entdeckt!

In Leipzig stimmt für mich alles: die freundliche „Senfbude“, in der nicht nur ein kleines Apartment, sondern auch eine dreibeinige Schmusekatze und ein Fahrrad auf mich warten. Das frühlingshaft warme Wetter. Die entspannte Atmosphäre. Und jeden Tag eine neues Abenteuer.

Ich wohne in Stötteritz im Südosten der Stadt in einer alten Senffabrik. Umgeben von Datschen in üppig grünen Gärten geht es hier ruhig und entspannt zu. Trotzdem ist man mit dem Fahrrad in einer Viertelstunde in der Stadt. Schon beim Ankommen war das riesige Völkerschlachtdenkmal nicht zu übersehen. Hier will ich meine Entdeckungstour starten und schwinge mich am nächsten Tag auf’s Fahrrad. Die Anlage ist riesig, pompös, wilhelminisch. Und trotzdem faszinierend. Für das Innere braucht man zunächst einmal Kondition – insgesamt 500 Stufen bis ganz hinauf zur Kuppel. Es gibt zwar einen Fahrstuhl, aber der ist den Leuten vorbehalten, die nicht so gut zu Fuß sind, und zu denen möchte ich noch nicht gehören. Eine Pause lege ich schon im ersten Stock ein: eine Filmpräsentation zeigt die Ereignisse von der Völkerschlacht 1813 über Bau und Einweihung des Denkmals hundert Jahre später bis heute. Kraft tanken für den weiteren Aufstieg, der auf der Aussichtsplattform mit grandiosem Blick in 91 Meter Höhe endet. Erst nach dem Weg hinunter schaue ich mir Krypta und Ruhmeshalle genauer an. Die riesigen Steinfiguren im Halbdunkel, der sphärische Chorgesang, allein die Atmosphäre beeindruckt. 

Aber jetzt ist Zeit für etwas Sonne, auf dem benachbarten Südfriedhof lässt es sich in Ruhe flanieren. Die Familiengräber der Baedekers und Ullsteins stimmen mich ein auf die Buchstadt Leipzig. Und welcher Ort kann danach passender sein als die Deutsche Nationalbibliothek, die ich eher zufällig entdecke. Kaum bin ich drin, haben mich die sehr freundlichen Mitarbeiter schon mit einem (kostenlosen!) Leseausweis versorgt. Ich durchstreife die original restaurierten Lesesäle und recherchiere nach Literatur für meine Familienforschung. Am nächsten Tag macht mir eine Bombe einen Strich durch die Rechnung – bitte sofort die Bibliothek verlassen, Weltkriegsbombe auf dem Gelände der gegenüberliegenden Alten Messe. Die Entschärfung in der Nacht war erfolgreich, einen Tag später darf ich wieder rein.

Aber zunächst einen Besuch in der Innenstadt. Ich starte meine Tour am Marktplatz, das alte Rathaus leuchtet in der Sonne, Naschmarkt, Auerbachs Keller, dann weiter zur Nikolaikirche – hinter jeder Ecke erwartet mich Geschichte und Kultur. Bach, Mendelssohn Bartholdy und Goethe, Handel, Messe und Bürgertum, die friedliche Revolution – überall finden sich ihre Spuren in der Stadt. Die vielen Passagen laden dazu ein, die berühmten Höfe zu entdecken – schöne Restaurants, viel Jugendstil, Ruhe in der quirligen Stadt. 

Weiter zum Bahnhof, einem ganz besonders gelungenen Beispiel für die Restaurierung eines Kopfbahnhofs. Viel Licht und Luft im Inneren, in den grandiosen Wartesälen der wahrscheinlich schönste Starbucks. Hat 250 Millionen Euro gekostet, Stuttgart, nicht 9 Milliarden. Schön und funktionell ist es obendrein.

Dann der Augustusplatz. Das Gewandhaus atmet wuchtige DDR-Architektur, hat aber sicherlich eine grandiose Akustik. Der neobarocke Mendebrunnen davor lässt erahnen, dass hier vieles verloren ging, durch Krieg oder Sozialismus. Ein sehr trauriges Beispiel findet sich vor dem modernen Gebäude der Universität: ein kleines bronzenes Modell der Universitätskirche, 1240 geweiht. Die hatte den Krieg fast unbeschadet überstanden, stand dann aber dem Sozialismus im Weg. Am 30. Mai 1968 wurde sie gesprengt. Der ultramoderne Neubau hinter dem Modell neigt sich leicht zu der Seite, in der die Kirche einsackte. Auch im Inneren hat man sich an einer modernen Interpretation der Rekonstruktion versucht und ich finde, sie ist gelungen.

Leipzig ist ein idealer Ort zum Fahrradfahren, flach mit häufig breiten Straßen, wenig aggressiven Autofahrern und einer ganz hervorragenden Infrastruktur, die Radfahrer und Fußgänger Ernst nimmt. Eigene Ampeln, Beschilderung, Erklärung, warum an dieser Stelle Vorsicht oder sogar ein Absteigen notwendig ist. Und siehe da, wenn man alle Verkehrsteilnehmer gleichberechtigt behandelt, dann benehmen sie sich auch. Der coole Hipster-Radler hält an der roten Ampel, die flippige Studentin steigt an der Baustelle ab und schiebt ihr Rad kurz. Natürlich gibt es auch hier den wütenden Kampfradler, der sich an nichts hält, aber im Großen und Ganzen geht es auf den Straßen friedlich und entspannt ab. Und weil Radeln hier so viel Spaß macht, erkunde ich auch noch das Waldstraßenviertel und die schönen angrenzenden Parks, bis ich mich im Stadtteil Gohlis vor einem Rokokoschlösschen wiederfinde. Im dazugehörigen Lustgarten kann man den Tag wunderbar bei einem Gläschen Wein ausklingen lassen und herausfinden, dass so die Sommerfrische reicher Leipziger Bürger vor zweihundert Jahren aussah. Auf dem Rückweg durch das Rosental tauchen plötzlich die Giraffen des Leipziger Zoos auf ihrem Weg ins Nachtquartier auf. Ein netter Abendgruß.

Und was war noch? Orgelvesper in der Nikolaikirche, sehr schön! Der Marzipantraum Leipziger Lerche im Café Riquet, sehr lecker! Eine Gose, säuerlich-salziges Bier, gebraut im Bayerischen Bahnhof, sehr interessant! Der botanische Garten der Universität, sehr idyllisch! Die komplett erhaltenen Straßenzüge mit feinster Gründerzeitarchitktur, sehr beeindruckend! Und die Begegnung mit einem bisher unbekannten Verwandten, sehr bewegend! Ahnenforschung bringt die Menschen zusammen, sehr wichtig!

Am letzten Tag dann noch ein Highlight: eine Kanalrundfahrt durch Plagwitz, einem ehemaligen Industrieviertel. Ich habe Glück und ergattere am freundlichen Bootsverleih Klingerweg einen Platz im „Eisvogel“ und verbringe die Wartezeit im gegenüberliegenden Clara-Zetkin-Park auf einer duftigen Frühlingswiese. Wir tuckern anderthalb Stunden durch die lauschigen Kanäle und bestaunen das, was am Ufer geboten wird. Der Umbau des einstigen Industrieviertels ist sehr gelungen – fantastische Wohnungen mit Blick auf die idyllischen Wassersträßchen, Restaurants, eine Slackline über das Wasser, Menschen, die einfach nur die Schönheit genießen – wow!

Nach einer Woche habe ich das Gefühl, bei Weitem nicht alles gesehen zu haben in dieser wunderschönen Stadt. Ich war in keinem einzigen Museum, habe nur einen kurzen Eindruck von den vielen Parks bekommen, habe den Thomanerchor und das Gewandhausorchester nicht gehört. So viel Kultur, so viel schöne Architektur, so viele Parks, so eine entspannte Atmosphäre. Wer weiß, vielleicht lande ich ja eines Tages für längere Zeit in Leipzig. Vorstellen könnte ich es mir.

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