Ein kurzer Abstecher nach Los Angeles vor unserem Weiterflug nach Hawaii, das war der Plan. Vielleicht ein gemütliches Abendessen mit Michael und seiner Freundin Tara, früh ins Bett und nach einem opulenten Frühstück auf zum Flughafen. Hatten wir gedacht…
Michael ist der Bruder von Erics Freund Johannes, und lebt seit über 20 Jahren in Los Angeles. Von ihm kam ein paar Tage vorher die Ankündigung, in die Hollywood Bowl zu einer Abba-Show gehen zu wollen. Wir können uns um halb 8 vor der dem Einlass treffen. Ja, warum nicht? Wir hatten zeitlich großzügig geplant, sogar noch einen kurzen Abstecher ins Outlet-Center eingeschoben und es sah alles entspannt aus, doch dann kamen wir ins Verkehrschaos von LA. 60 km vor der Hollywood Bowl fing das Schritttempo an und so kamen
wir erst kurz vor halb 8 an. Um von Michael sofort je ein Schild „We need 1-5 tix“ in die Hand gedrückt zu bekommen. Eine halbe Stunde später hatten wir 11 Gratis-Tickets und einem schönen Abend mit Abba stand nichts mehr im Wege. Die Plätze waren klasse, die Temperaturen sehr mild, das letzte Bier aus unserem Kofferraum schmeckte auch lauwarm, die Leute um uns rum waren gut drauf. Zunächst trat – quasi als Vorgruppe – der Schwulenchor von Los Angeles an und präsentierte die größten Elton-John-Hits – sehr witzig!
Und dann kam Abba, nicht ganz die echten, aber wenigstens aus Schweden und dem Original sowohl stimmlich als auch äußerlich verblüffend ähnlich. Die Stimmung stieg, alles tanzte und sang mit.
Als Elfjährige hatte ich in Hamburg leider viel zu spät erfahren, dass Abba ein Konzert geben, daraufhin meine Eltern angefleht, sie mögen etwas tun, damit ich an Karten für die längst ausverkaufte Show komme. Daraufhin gaben sie tatsächlich ein Inserat im Hamburger Abendblatt auf „Bieten Höchstpreise für Abba-Karten“, aber diejenigen, die sich dann meldeten, hatten so unverschämt Preisvorstellungen, dass ich nie an Tickets kam. Aber jetzt, in der legendären
Hollywood Bowl, in der schon die anderen Idole meiner Jugend, die Beatles, aufgetreten waren, da konnte ich endlich Dancing Queen und Thank you für the music mitsingen, fast textsicherer als alle native singer um mich drum rum.
Berauscht von einem knallbunten und fröhlichen Abend liefen wir durch die Straßen zu unseren Autos. Michael wollte uns noch einen kurzen Eindruck von der Stadt geben, ließ am Rande unseres Spaziergangs kurz durchblicken, dass er sich zu seinem 50. einen Porsche gekauft hätte und bot mir an, ich könne mit ihm fahren. Und so fand ich mich in einem offenen Porsche-Cabriolet wieder und donnerte zu den dröhnenden Bässen von U2 durch die kalifornische Nacht, erntete neidische Blicke, als wir den Hollywood Boulevard vorbei an den Nachtclubs und mondänen Hotels brausten. Jetzt bin ich ja eigentlich nicht leicht zu kriegen mit diesen flotten Flitzern, aber das war schon – sorry – geil!
Erst ging es hinauf auf einen der vielen Hügel, um einen phantastischen Blick über die nächtliche Stadt zu ergattern, beschallt von der Dachterrasse eines sicherlich millionenschweren Häuschens hinter uns, auf der offensichtlich eine Poolparty mit Topblick über LA stattfand. Dann weiter durch die Stadt. Meine anfänglich vielleicht sogar etwas mitleidige Feststellung „Den kannst Du doch hier gar nicht richtig ausfahren“ erwies sich als Trugschluss – man kann… In schneller Folge gab es den Hollywood Boulevard, den Walk of Fame, das Chinese Theatre, die Location der Oscar-Verleihung, die Tophotels Hollywoods („Los, lauft da mal durch“. Haben wir natürlich gemacht), den Sunset Strip, den Rodeo Drive. Michael und ich im Porsche voran, Eric mit unserem treuen Jetta immer hinterher.
Es war schon nach 3 als wir im Büro von Michael ankamen, Airbnb-bedingt war sein Gästezimmer belegt, aber die ziemlich coole Kreativwerkstatt war ein sehr guter Ersatz. Airbed aufgepumpt und nur noch ins Bett fallen.
Um neun wachte ich auf, einigermaßen gerädert und nach dem Blick auf die Uhr mit der Überzeugung, dass es wohl zu spät sei für den Gospelgottesdienst, den Michael uns wärmstens empfohlen hatte. Schade… Da klingelt das Telefon, Anziehen, er ist in 5 Minuten mit Frühstück da und hat ein Auto für uns aufgetrieben, damit wir unseren Mietwagen rechtzeitig abgeben und trotzdem für den Rest des Tages mobil sein können. Also doch Gospelkirche! Kurz nach 10 kommen wir an, werden superfreundlich begrüßt, recht weit vorne in eine der Bankreihen gewunken, der Chor beginnt, dann Kirchen-TV über die beiden großen Monitore, der Pfarrer verkündet Neuigkeiten aus der Gemeinde und bittet alle, die zum ersten Mal da sind, aufzustehen. Tun wir natürlich, zusammen mit einigen anderen, und die Gemeinde begrüßt uns – gesanglich und körperlich, meine Nachbarin umarmt mich, von allen Seiten werden uns Hände entgegen-gestreckt. Und dann ist es fast wie bei Sister Act, der Chor legt eine Meisterleistung nach der anderen hin, die Kirchenältesten, die vor dem Altar sitzen, hält es nicht mehr auf ihren Stühlen, ein alter Mann tanzt wie in Trance, verzückte bis entrückte Blicke der anderen, der Pfarrer swingt mit, Bauch und Herz sind berührt. Der Pfarrer stellt eine Polizistin vor, die als erste schwarze Frau eine Führungsposition in der Polizei von Los Angeles bekleidet, sie findet sehr versöhnliche Worte zu den Übergriffen auf Schwarze durch Polizeibeamte, bezeichnet diese als Chance für einen notwendigen Wandel.
Und dann die Hauptpredigt, der Pfarrer wird immer lauter, redet sich in Rage und wird zum verzückten Rapper, begleitet von Beifallskundgebungen der Gemeinde und des Chors. Zum Ende nehmen sich alle bei der Hand und swingen gemeinsam zum letzten Song des Chors. Eine Umarmung zum Abschied – please com again – und dann ist es vorbei. Ein tolles Erlebnis!
Aber wir müssen weiter, denn Michael hat den nächsten Zeitmarker gesetzt – spätestens um 10 nach 12 bei ihm um das Auto abzugeben. Knapp vorher kommen wir bei ihm an, ich schon in leichter Panik wegen des knappen Zeitfensters und der Aussicht, mit einem fremden Auto allein hinter Eric her Richtung Flughafen fahren zu müssen. Wahrscheinlich habe ich zu viele Nervositätswellen ausgesendet, als wir bei Michael ankommen, hat er den Plan geändert: er fährt mit Eric zum Flughafen, ich darf duschen, im schönen Garten sitzen bleiben und die Beine hochlegen. Ja! Ich beobachte einen Kolibri, der von Blüte zu Blüte fliegt, ein Hörnchen, das über die Stromleitung läuft und genieße eine Stunde Ruhe. Aber dann geht’s zügig weiter, Eric und Michael haben noch eingekauft, wir machen schnell einen Salat und dann fix zurück in unsere Schlafunterkunft, 20 Minuten Packen, dann zurück zu Michael, der wartet schon mit fertigem Cappuccino, dann ab ins Auto Richtung Flughafen. Dort fix eingecheckt, Richtung Gate und schon geht’s los. Puh, LA in 22 Stunden, wir haben mehr gesehen und erlebt als manch Tourist in einer Woche. Danke Michael!