Carnarvon ist ein Städtchen mit 5.500 Einwohnern und ein Zentrum des australischen Gemüse- und Obstanbaus. Es liegt landschaftlich absolut reizvoll an der Mündung des Gascoyne-River in den indischen Ozean und wir kommen zur Mango-Erntesaison, in der die exotische Frucht hier omnipräsent ist. „Woman-Go“ heißt die Damen-Toilette in unserem Hostel und entsprechend „Man-Go“ für die Herren. Bei einer Fahrt durch die Obstplantagen halten wir an einem Hof, an dem Mangos frisch vom Feld verkauft werden, herrlich süß und saftig für einen guten Euro pro Stück und dazu noch ein selbstgemachtes Mango-Eis am Stiel.
Unser Hostel ist eine echte Erfahrung. Untergebracht in einem „Hotel“, wie die traditionellen Pubs hier heißen. Ein riesiges historisches Gebäude, unten der obligatorische Pub mit diversen Nebenräumen, die alle noch mal Platz für komplette Kneipen bieten würden. Im ersten Stock dann die Zimmer, Backpacker-Style halt, kleine Räume mit einem Bett und zusammengewürfelten Restmöbeln, mal einem Schrank, mal einer Kommode, einem Tisch oder einem Sofa. Hier leben vor allem junge Rucksackreisende, die Work and Travel machen und zur Mangoernte nach Carnavon gekommen sind. So klein die Zimmer sind, so riesig die Gemeinschaftseinrichtungen: ein Esssaal mit Bar, eine große Küche, ein Zimmer mit Tischtennisplatte, eins mit einer Ansammlung wackliger Stühle. Alles abgewohnt, aber unerwartet sauber. Der Charme der 50er-80er wabert durch die Räume, eine geschmacklose Zusammenstellung von Möbeln und Dekoversuchen. In einer dusteren Ecke im Gang staubt ein künstlicher Weihnachtsbaum vor sich hin, ktischige asiatische Tänzerinnen zieren das Bücherregal. Ab und an begegnet man jungen Männern unterschiedlicher Nationalität, der eine fast schon zum Aussie mutiert mit kurzen Hosen, Schlapphut und dicken Wollsocken in den knöchelhohen Arbeitsschuhen, der andere trotz langer Haare noch deutlich erkennbar japanisch. Ich scheine der einzige weibliche Gast zu sein, die historischen Damentoiletten und -duschen gehören also mir. Und immer wieder fast schon geisterhafte Geräusche – ein Knarzen hier, eine zuschlagende Tür, wo niemand ist, das Gurren von Tauben unter dem Dach – hier könnte man die Billigversion von „Shining“ drehen. Der Pub schließt um acht, die Eingangstür zum Hostel dann auch und man kommt nur noch über den Hinterhof ins Gebäude. Dieser ist mit Mauern und Stacheldraht gesichert, das Metalltor lässt sich aber unproblematisch öffnen. Das Schild mit dem Hinweis, dass das Grundstück von einem Hund bewacht wird, lässt mich grinsen. Noch nicht mal bei meinen Schmuseversuchen hat er sich großartig bewegt, ein äußerst phlegmatisches Tier, vollkommen ungeeignet für irgendwelche Wachaufgaben. Aber wer soll hier auch schon einbrechen, außer Mangos in der Gemeinschaftsküche lässt sich nicht viel holen.
So ab und an fühle ich mich zurückversetzt in meine Kibbutz-Zeit, unsere Zimmer damals sahen nur unwesentlich anders aus und wir kamen ähnlich verschmutzt von der Arbeit zurück, wie der freundliche Japaner in seiner total versifften Arbeitshose. Aber Eric und ich sind uns einig, dass es toll ist, auch mal das zu erleben. Nach fünf Tagen auf drei verschiedenen Campingplätzen noch dieses, da werden wir unser schon gebuchtes Hotel am Meer um so mehr genießen.
Unser Hostel passt zu Carnarvon: der Ort ist zumindest im Zentrum maximal lieblos gestaltet. Ziemlich erstaunlich, da es sich immerhin um das einzige Städtchen im Umkreis von 200, vielleicht sogar 300 Kilometern handelt. Hier kommen die Leute von den abgelegenen „Stations“ im Outback her, um mal einzukaufen, und was finden sie? Einen (zugegebenermaßen gut sortierten) Woolworth, einen zweiten Supermarkt, einen Baumarkt und ein paar kleine Geschäfte, die einen jetzt wirklich nicht vom Hocker reißen. Dazu vier Autohäuser und zwei Spielhöllen. Recht viele Aborigines scheinen hier zu leben, bisher haben wir sie nur als einigermaßen fertige Typen in Perth erlebt, hier sind es viele Familien, die freundlich grüßen.
Aber drumherum um Carnarvon-City gibt’s dann doch schöne Plätzchen, die zwar keine echten touristischen Highlights darstellen, aber uns einen sehr angenehmen Tag beschert haben: die Bäume hinter der Brücke über den ausgetrockneten Fluss, auf denen hunderte weißer Kakadus saßen und immer wieder in Schwärmen über uns hinwegzogen, der hunderte Meter lange historische Steg, der ins Meer hinausragt und auf dem wir über Mangrovensümpfe und Sandbänke hinaus zu den abendlichen Anglern liefen, die einsame Meeresbucht, in der Kite-Surfer dahinsausten und immer wieder bis zu fünf Meter in die Höhe flogen, das kleine Fischrestaurant im Hafen, in dem wir hervorragenden gegrillten Fisch und einen sensationellen Sonnenuntergang erlebten. Und irgendwie auch der freundliche Pub, in dem wir gerade sitzen, auf der Videoleinwand gibt es die Hits der frühen 80er, und wir kommen uns vor wie in einem gemütlichen australischen Wohnzimmer.
Also, alles in allem, nett hier in Carnarvon und ziemlich ideal für einen ganz entspannten Ausflug ins westaustralische Alltagsleben außerhalb der Großstadt und der Touriorte.