Distanzlos

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Eine Stunde noch und unsere Malaysia Airlines Maschine wird in Kathmandu landen. Gerade überfliegen wir Bangladesh, eigentlich auch eines meiner Ziele auf der Reisewunschliste bevor wir von zuhause aufbrachen.
Aber im Moment ist uns eigentlich eher nach einem ruhigen und geordnetem Ort zumute.
Ich gebe es zu: Kathmandu und Nepal überhaupt, werden dieser Sehnsucht garantiert nicht gerecht. Als wir uns die letzten Tage darüber Gedanken machten, wohin wir in der uns so offen stehenden Welt als nächstes reisen werden, da kamen in der Tat ernstgemeinte Überlegungen zu Italien auf. Vielleicht ist es ja so, dass wir anstrengende Länder doch eher in Einmonatdosen bewältigen? Unsere Reisen können ansonsten sehr gerne nach Indien, Sulawesi oder Kambodscha führen. Aber klar -nach vier Wochen hatte man wieder sein geregeltes Zuhause.

Und jetzt? Jetzt landen wir gleich in Nepal,
Schon im Flieger stellen wir einen Wandel fest. Außer uns sind vielleicht gerade einmal noch fünf andere Westler an Bord. Der Rest sind auffallend kleine und braungebrannte, sehr dünne Menschen, die einem, sagen wir mal recht eigenwilligen Modetrend folgen: T-Shirt, enge und am Hintern tief sitzende Jeans über spindeldürren Beinen, Kunstlederjacke und Baseballcap.
Sie haben alle Freude daran, die Klingeltöne ihrer Handys laut abzuspielen und unterhalten sich im Flieger von Reihe zu Reihe geradewegs so, als kommunizierten sie von Berggipfel zu Berggipfel.
Mein Nebensitzer ist auch einer von ihnen. Als wir auf die Startbahn zurollten, da hantierte er noch mit seinem Handy herum und hatte das Tischchen noch im Einsatz. Der Steward forderte ihn auf, dieses nach oben zu klappen. Beim ersten Mal fühlte er sich nicht angesprochen und beim zweiten Mal war zu erkennen, dass er gar nicht wusste, was der Herr von Malaysia Airlines von ihm wollte. Er sah ihn fragend und treuherzig in die Augen und versuchte sein Glück, indem er ihm die Zeitschrift entgegenstreckte, die er auf der Ablage deponiert hatte. Vergebens -der Uniformierte gab wieder Laute von sich, die er nicht verstand. Ich schritt ein und übernahm für ihn das Einklappen des Tischchens. Ab da schien ich der wissende Onkel zu sein, denn als später die Einreisekarten ausgeteilt wurden, die man vor der Landung ausgefüllt haben muss, da wandte er sich an mich und stellte nun mich vor das Problem, vor dem kurz zuvor er selbst noch stand: er redete auf mich ein, mit dem Zettel gestikulierend. Ich schloss, dass er nicht verstand, wo er was einzutragen hatte. Leider konnte ich ihm da ja nicht weiter helfen. Doch redete er noch immer auf mich ein. Ich vertiefte mich in den Zettel und als ich ihn wendete, da sah ich, dass das ganze auf der Rückseite in nepalesisch geschrieben war. Also nahm ich ihm sein Blatt aus der Hand und wendete es -und schon legte er los.
Wenig später offenbarte sich, dass er wohl noch nie geflogen war. Mal abgesehen davon, dass er sowieso auf meinem Platz saß, erschloss sich ihm auch das Entertainmentsystem nicht. Bis er sich gegen später bei mir abschaute, wo in der Armlehne die Kopfhörer eingesteckt werden, hatte er sie nur als Ohrwärmer oder als Schallschutz aufgesetzt.
Einen Film zu starten., das war ihm aber dann wohl doch nicht gelungen, denn immer wieder überbrückte er die in einem Flieger ohnehin geringe Distanz und streckte interessiert seinen Kopf in meinen Monitor.
Gegen später gab er auf und schloss die Augen. Klein gebaut, stellt es für ihn kein großes Problem dar, es sich in seinem Sitz gemütlich zu machen. Aber offenbar muss Körpernähe her. Also drückte er sein Schienbein an meine Wade und schlief ein. Körperkontakt ist ja doch in viel mehr Ländern üblich als man denkt. Ich hielt dagegen und wich nicht aus, doch störte ihn dies nicht. Aber ich spielte mit und sah es als eine Art Eingewöhnungsphase für das, was da auf mich wartet.
Das Landemanöver ist in vollem Gange. Längst wurden alle aufgefordert sich zu setzen, anzuschnallen und alle elektronischen Geräte abzuschalten. Die Stewardessen und ihre männlichen Kollegen wirken ein wenig verzweifelt. Schnell eilen sie durch die Reihen und fordern die Passagiere mehrfach auf, sich anzuschnallen. Immer wieder müssen sie dafür entsprechende Gesten machen, da sie in ihrem Englisch nicht verstanden werden und die Menschen offenbar nicht wissen, dass das normal ist. Schnell rennt einer noch auf die Toilette -husch, ist er ihnen entkommen.
Die Landung wird denn auch ein wenig holprig und während wir noch in voller Fahrt sind, hört man massenhaft das Klickgeräusch sich öffnender Sicherheitsgurte -zwei Minuten am Platz festgebunden zu sein, das war den meisten dann offenbar doch zu lange.
Ich bin gespannt auf Kathmandu.
Wir fahren mit dem Bus über das Rollfeld und werden in das Ankunftsgebäude geleitet. Wir sind darauf vorbeireitet, dass es bei dieser Einreise zu Komplikationen kommen könnte, denn wir haben tatsächlich kein gültiges Weiterflugticket bei uns. Unsere Versuche vom Vorabend, die scheiterten einmal mehr an der zusätzlich eingebauten, unsäglichen Verifizierung der Kreditkarteninformationen über die Seiten der Kreditkartenbetreiber und so war uns nichts anderes übrig geblieben, als uns eines Tricks zu behelfen. Eine Fluglinie bot eine Möglichkeit an, einen Flug jetzt zu buchen und dann innerhalb 24 Stunden in einem der Partnerbüros zu bezahlen. Es war klar, dass wir das gar nicht schaffen würden, doch was wir durch dieses Vorgehen erhielten, das war eine Buchung, die 24 Stunden aufrecht erhalten wurde und dann verfallen würde. Und dadurch hatten wir ja immerhin etwas in der Hand, auch wenn auf dem Schreiben vermerkt war, dass der Flug nach Ablauf der Frist verfallen würde.
Das zweite Thema war das Visum. Wir hatten zwar gelesen, dass es bei der Einreise über den Flughafen in Kathmandu direkt beantragt werden könne, man solle aber ein aktuelles Passbild und viel Zeit mitbringen.
Beides erwies sich als absolut problemlos. Keiner wollte dieses Mal etwas von einem Weiterflug wissen (vielleicht auch, weil er im System vermerkt war?) und die Einreise war äußerst unkompliziert und schnell über di Bühne gegangen. Als Ausländer wurden wir an einen Automaten verwiesen, an dem ein Mann stand. Ihm reichte man seinen Reisepass, den er dann in den Automaten einscannte. Die Felder, die er dort nicht auslesen konnte, die trug man schließlich selbst über eine Tatstatur in das Gerät ein. Über eine Web-Cam wurde noch ein undeutliches Foto geschossen und als Dankeschön druckte der Automat einen Beleg mit allen Informationen aus. Sodann begab man sich an Schalter zwei, an dem die Visumgebühr in Dollar beglichen wurde und schließlich zu Schalter drei, an dem dann der Grenzbeamte saß und alles schön abstempelte. Alles zusammen dauert (mitten in der Nacht) vielleicht fünfzehn Minuten. Das war’s!
Unsere Unterkunft hatte uns davon überzeugt, dass es besser sei, sich von einem Fahrer am Flughafen abholen zu lassen, der weiß, wo das Gueshouse zu finden ist. Und so hatten wir das erste Mal in unserem Leben das Vergnügen, die Reihen der vor der Ankunft Wartenden abzuschreiten und nach einer Person mit einem Schild mit unseren Namen darauf Ausschau zu halten. Den fanden wir schnell und schon saßen wir in seiner wackeligen Kiste, unterwegs auf unebenen Straßen in Richtung Innenstadt. Er erklärte die langen Reihen von Bussen, die überall an den Straßenrändern zu sehen waren. Nepal hat nach dem Erdbeben im vergangenen Frühjahr nun schon seit Monaten mit einer menschengemachten Katastrophe zu kämpfen. Nach langer Zeit wurde vor kurzem eine neue Verfassung verabschiedet, an deren Ausarbeitung sich besonders stark auch die indische Regierung eingebracht hatte. Leider fühlen sich nun aber nichtsdestotrotz Volksgruppen an der Grenze zu Indien nicht genügend repräsentiert und so starteten sie immer wieder Generalstreiks, die auch die Wege zu den Grenzen mit Indien blockierten. Da dies über mehrere Monate erfolgte, ist die Versorgungslage Nepals extrem angespannt. Nepal ist ein Binnenland und hat zwei große Nachbarn, über die ein Großteil der Versorgung des Landes mit wichtigen Gütern erfolgt. Das Erdbeben hat die Versorgungswege nach China zerstört und die Streiks jene nach Indien unpassierbar gemacht. Die Folge sind unter anderem eine Benzinknappheit. Unser Fahrer erklärte, dass sich die Situation bereits wieder entspannt habe, da die Streikenden ihre Aktionen circa zwei Wochen zuvor beendet hätten. Die Autoschlangen seien vor kurzem noch viele Kilometer pro Zapfsäule gewesen und die Preise für den Sprit horrend.
Als wir schließlich am Guesthouse ankamen, da war es in den Straßen stockdunkel und ruhig. Wir stiegen aus dem Wagen und standen vor einem Haus, dessen Fassade mit Holzbalken gegen einen drohenden Einsturz abgestützt werden. „Here is your guesthouse“, sagte der Fahrer und fügte hinzu, wir könnten unbesorgt sein. Zwar habe es erst vor fünf Tagen ein Nachbeben von einer Stärke über fünf gegeben und er sei, beim Versuch das Haus zu verlassen, wie betrunken hin und her getaumelt. Doch geschehen sei nichts. Und außerdem: Dieses Haus mit den Balken, das sei es nicht. Wir standen vor einem großen alten Tor, das eher der Eingang zu einem Tempel zu sein schien. Das Tor war verschlossen und so telefonierte der Fahrer mit den Betreibern des Guesthouses. Hinter dem Tor sei ein großer Platz, erzählte er uns beim Warten. Das sei gut für uns, denn wenn die Erde bebt und unsere Unterkunft einstürze, dann hätten wir da einen Raum, um ein Zelt aufzuschlagen. Very funny unser Fahrer…
Schließlich öffnete sich das Tor und wir werden über den fußballfeldgroßen Platz, der nahtlos von Häusern umbaut ist, zu unserem Zimmer geführt. Alles sehr sauber und nett und dafür geeignet, unmittelbar in den Schlaf hinüber zu gleiten.

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