Wir sind seit fünf Tagen in Kathmandu, besser gesagt in Patan. Dieser einst selbstständige Ort vor den Toren der Hauptstadt bildet nunmehr mit ihr zusammen eine Doppelstadt, aber immer noch mit ganz eigenem Charakter. Nachdem wir einen ersten Ausflug nach Thamel, dem Touristenzentrum von Kathmandu unternommen haben, sind wir sehr froh über die Lage unseres Guesthouse im aufregenden Patan.
Aber auch das Umland bietet einige Sehenswürdigkeiten und nachdem wir erste Bekanntschaft mit dem öffentlichen Nahverkehr gemacht haben, trauen wir uns jetzt auch zu, das fünf Kilometer entfernt liegende Pashupatinath zu besuchen. Ausgestattet mit einer Anfahrtbeschreibung unseres Gastgebers starten wir zunächst zu Fuß auf der Hauptstraße Richtung Ringstraße, auf der die Busse fahren. Busfahren in Nepal ist etwas sehr Spezielles. Sie sind alt, verbeult und meistens heillos überfüllt. Häufig sind es „Mikrobusse“, kleine für etwa 15 Personen ausgelegte Fahrzeuge, die man hier aber locker mit der doppelten Zahl Menschen füllt. Ein Fahrer steuert stoisch durch den chaotischen Verkehr, der „Schaffner“ hängt meistens außerhalb des Busses in der Tür, brüllt den Wartenden am Straßenrand das Ziel zu, bekommt von den Fahrgästen einen Zuruf, wenn sie aussteigen wollen, haut dann wie wild von außen an die Bustür als Signal für den Fahrer, kassiert ab und sorgt dafür, dass jeder Quadratzentimeter des Busses mit Passagieren gefüllt wird. Wenn man nicht am Anfang der Route einsteigt und so vielleicht einen Sitzplatz ergattert, verbringt man die Fahrt irgendwie stehend und bei unserer Größe mit eingezogenem Kopf, überzeugt, dass der Bus jetzt voll ist. Doch der Schaffner lässt weiter anhalten, wenige steigen aus, mehr wieder ein. Als erste aufs Dach klettern, schreitet der Fahrer ein, in die offene Tür hängen, o.k., aber runter vom Dach.
Wir erreichen Pashupatinath, schaffen es, den Bus zu verlassen und gehen einen breiten Weg, der bald von vielen bunten Verkaufsbuden gesäumt ist, weiter, bis wir zum Eingang kommen. Wir gehen davon aus, dass wir hier einen wichtigen Hindutempel zu sehen zu bekommen, sehen und riechen aber gleich hinter dem Eingang im Zentrum der großen Anlage mehrere Verbrennungsghats.
Vor drei Jahren waren wir in Varanasi, der heiligen indischen Stadt am Ganges, in der Leichenverbrennungen stattfinden. Einigermaßen indienerfahren hatte uns Varanasi trotzdem außergewöhnlich berührt. Der Schmutz, die Menschen, die in dem ganzen Dreck auf der Straße dahinvegetieren und nur zum Sterben gekommen sind, die aus unserer westlichen Sicht unwürdigen Bestattungszeremonien, bei denen herumlaufende Ziegen den Toten die Blumenkränze vom Hals fressen, Hunde gern mal ihr Beinchen heben und die eigentliche Verbrennung ohne sichtbare Anteilnahme der Angehörigen vonstatten geht.
Die Szenerie hier ist insofern ähnlich, als dass direkt am Fluss, der zu dieser Jahreszeit kaum Wasser führt und voller Müll ist, Treppen, die sogenannten Ghats, nach oben zu den eigentlichen Verbrennungsstätten führen. Auf rechteckigen Steinemporen wird Holz aufgeschichtet, darauf kommt der in orangefarbene Tücher gehüllte Leichnam und darauf wieder Holz und Reisig. Der älteste Sohn, nur mit einer Hose bekleidet, umschreitet dann den Scheiterhaufen und setzt ihn in Brand. Stundenlang brennt das Feuer dann, betreut von einem weißgekleideten Kremateur, bis nur noch Asche übrig ist, die in den Fluss geschüttet wird. WIr beobachten drei Männer, die etwas unterhalb eines Ghats für die höheren Kasten im Fluss stehen und die Schlacke untersuchen – wir hoffen, sie haben nur etwas verloreen, fürchten aber eher, dass sie nach Schmuck oder Goldzähnen suchen. Affen turnen am Fluss, irgendetwas scheint auch für sie abzufallen. Die Trauergemeinden gehen für unsere Begriffe würdiger mit der Zeremonie um, sie sitzen still dabei, einigen Männern werden die Haare bis auf einen winzigen kleinen Zopf am Hinterkopf geschoren. Gegenüber der Ghats auf der anderen Seite des Flusses befinden sich Terrassen, die gut besucht sind. Es scheinen fast Familienausflüge zu sein, Menschen haben sich niedergelassen, Getränke werden verkauft und den Verbrennungen zugeschaut. Es ist einfach eine ganz andere Welt, die wir nie verstehen werden und deswegen auch nicht beurteilen wollen. Durch Varanasi sind wir vorbereitet und erleben das Ganze nicht als verstörend. Immerhin ist es das große Ziel eines jeden Hindus, an einer besonders heiligen Stelle verbrannt zu werden, und wer das in Varanasi und hier in Pashupatinath schafft, kann sich im Himmelreich glücklich schätzen.
Nach zwei Stunden haben wir uns die Anlage angeschaut und die Atmosphäre verdaut. Wir machen uns zu Fuß auf zum nächsten Ziel, einer riesigen Stupa etwa 2 km von hier entfernt. Wir laufen durch staubige Straßen, finden zwischendurch ein nettes Restaurant mit köstlichen Momos und kommen erst am späteren Nachmittag in Boudha an. Gleich am Eingang sehen wir: die Stupa wird renoviert, die Spitze ist abgebaut, der Putz abgeschlagen, so ein Pech. Als wir dann aber den Platz um die Stupa betreten, sehen wir, dass die eigentliche Attraktion hier die Menschen sind. Der Platz ist von Häusern umrundet und um die Stupa bewegt sich ein steter Zug von Menschen in vorwiegend tibetischer Kluft, die im Uhrzeigersinn um das Heiligtum herum laufen, heilige Verse murmelnd. Zwei tibetische Tempel direkt am Platz kommen mit ihrer ganzen tibetisch-buddhistischen Schönheit daher, riesige bunte Gebetstrommeln, farbenprächtig geschmückte Buddhastatuen und das Gefühl, überall herzlich willkommen zu sein. Gesänge einer Gruppe von Nonnen locken mich in einen Tempel, ich setzte mich hinein und höre ihnen eine Weile zu. Alles etwas anders als bei den Hindus, die keine Andersgläubigen in ihre Tempel lassen. So viele interessante Menschen, viele lassen ihre Gebetsmühlen kreisen, vor allem die alten Frauen mit ihren freundlichen sonnengegerbten Gesichtern und ihrer tiefen Spiritualität beeindrucken mich. Nur zwei Kilometer entfernt hat sich hier eine andere Welt aufgetan. Fasziniert drehen wir ein paar Runden um die Stupa mit, verabschieden uns dann aber, weil ja noch der Rückweg ansteht. Vorbei an einem Nobelhotel und angrenzendem Elendslager finden wir die Ringstraße wieder. Hier fahren leider nicht alle Busse zu unserem Ziel, also springen wir auf jeden herannahenden Bus zu, brüllen „Patan?“ und beim fünften Bus haben wir Glück. Der Schaffner nickt, wir ergattern zwei Sitzplätze ganz hinten, entgehen so auch dem einsetzenden Regen und sind nach einer halben Stunde zurück in unserem Stadtteil. Nach einer leckeren Nudelsuppe laufen wir durch den Regen zu unserem Guesthouse und fallen ins Bett. Dieser Tag muss erst mal verarbeitet werden.
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