Plop, machte es in Madrid, als ich ein vermeintliches Steinchen, das wohl irgendwie in die Packung Tropifrutti geraten sein musste, aus meinem Mund zog und auf den Balkon schnippte. Ein Fall für eine Rückrufaktion durch Haribo, scherzte ich, bis Eric meinte, ich solle doch mal meine Zähne untersuchen. Also lutschte ich an jedem Beißerchen entlang und blieb irgendwann mit der Zunge an einem Backenzahn hängen. Das Steinchen war wohl eher eine Zahnfüllung gewesen. Neun Uhr abends in Madrid und noch 12 Stunden bis zum Abflug nach Costa Rica.
Der Versuch, das Problem mit Kaugummi zu lösen, war mehr als untauglich, irgendwann klebten zwar meine Finger, aber die Gummimasse löste sich glatt und geschmeidig in Sekundenschnelle aus dem kleinen Krater in meinem vormals schönen Zahn. Nun denn, mal schauen, was die mittelamerikanischen Zahnärzte so drauf haben.
Zunächst mal nichts. Wir kamen Freitag nachmittags an und am Wochenende sind die Praxen zu. Auch unser Hotel konnte nicht weiterhelfen. Egal, dachte ich, dann halt am Montag, tut ja nix weh. Am Sonntag erfuhren wir, dass der Montag costa-ricanischer Nationalfeiertag ist und wir wollten auf keinen Fall noch länger in der unattraktiven Hauptstadt bleiben. Langsam gewöhnte ich mich an das Löchlein, das würde sicher noch etwas halten. Also, auf in den Dschungel!
Tortuguera liegt auf einer Halbinsel, die auf der einen Seite von der Karibik und auf der anderen Seite von einem Fluß umspült wird. Ein relaxter Ort mit kleinen bunten Häusern, keine Geldautomaten und natürlich kein Zahnarzt. Mittlerweile war’s mir egal.
Doch dann winkte das Schicksal: am örtlichen Supermarkt hing ein Schild, Ortodentista stand drauf und 12. – 14. Abril. Der Zahnarzt scheint in der Stadt zu sein, jetzt gab’s keine Entschuldigung mehr. Ich solle zur Klinik gehen, sagte mir der Kassierer im Supermarkt. Die fand ich neben dem Fußballplatz, ein Warteraum mit vielen Kindern und ein kleiner Schalter, hinter dem der freundliche Organisator saß. Zahnarzttermine gebe es nicht mehr, we are full. Ob ich denn Schmerzen hätte. Nein, sagte ich, ich geh auch wieder, dachte ich. Was denn das Problem sei. Mir ist eine Füllung rausgefallen. Uh, dann würde er mal nachfragen. Tja. Ich saß eine Weile, da winkte er mich zu sich und sagte, ich könnte behandelt werden, ich müsste es aber zahlen. Ja, was denkt er denn, klar, ich erwarte doch nicht, dass sie Touristen umsonst zusammen flicken und außerdem bin ich beim Testsieger auslandskrankenversichert. Erst mal den Pass abgeben, jetzt haben sie mich in der Hand. Ich solle weiter warten. Mach ich, während Eric schon mal meine Kreditkarte aus dem Hotel holt.
Es gibt viel zu gucken, es scheint gerade Kindersprechstunde zu sein, die kleinen Karibikschönheiten flitzen hin und her und scheinen gar keine Angst vor dem Doc zu haben. Ein kleiner blasser Junge wird von seiner noch blasseren Mama hereingetragen, Schweden oder Norweger. Der Kleine ist ein Häufchen Elend, er setzt sich erst mal auf den Boden und ist unglücklich. Herzerweichend! Irgendwann kommt eine Schwester zu mir und kündigt an, dass ich in 30 Minuten dran sei.
Und dann ist es so weit, ich werde in einen Raum geführt, in dem eine Liege steht, rauf da, die Zahnärztin spricht kein Englisch, aber egal. Ich zeige auf den Zahn, sie hakelt drin rum und fängt aufeinmal an, auf ihr Handy einzutippen. Sie wird doch jetzt keine SMS schreiben? Wahrscheinlich rechnet sie aus, was der Spaß kostet. Sie hält mir das Handy hin, ich krame nach meiner Brille, erwarte eine Zahl mit vielen Nullen, aber nein. Google Translate: die Krone sei hin und zudem aus Porzellan, da könne sie nichts machen, steht da auf Englisch. Bissle polieren, mehr sei nicht drin, und irgendjemand soll mir eine neue Krone verpassen. Nein! Füllen, bitte füllen! Ich kenn doch meinen Zahn, den hatte vor Jahren mal ein Zahnarzt trotz Krone aufgebohrt und die Wurzel entfernt. Sein Werk verschloss er mit besagter Füllung, die jetzt auf einem Balkon in Madrid liegt. Und die Konstruktion hielt bis vor wenigen Tagen. Nun gut, sagt die Ortodentista, und ruft ihrer Assistentin irgendwas mit Amalgama zu.
Tage habe ich vor vielen Jahren im Zahnarztstuhl in Tübingen verbracht, um mir das ganze Zeug aus den Zähnen entfernen zu lassen. Jetzt eine ordentliche Portion hineingedrückt, was daneben geht, bleibt im Mund, kein Absauger, kein Becken zum „Spülen bitte“. Und nach zwei Minuten bin ich fertig. Nix essen für eine Stunde, das verstehe ich sogar auf Spanisch. Glücklich verlasse ich das Behandlungszimmer, die Zahnfee kommt noch hinterher und zeigt auf die Toilette: da bitte den Mund ausspülen. Mach ich und denke daran, dass in Deutschland das Abwasser der Zahnarztpraxen als Sondermüll entsorgt wird.
Bei meinem excellent luck lebe ich mit der Füllung und einem leicht erhöhten Quecksilberspiegel noch lange und glücklich. Pura vida, wie der Costa Ricaner sagt!