Etwas amputiert fühlt es sich schon an, auf maximal zwei mal drei Wochen Reisezeit im Jahr beschränkt zu sein. Als ordentliche Globonauten brauchen wir das Abenteuer, ein bisher ganz weißer Fleck auf unserer Reisekarte war Zentralasien und hier wird man doch bestimmt sofort in die Exotik gestoßen. Die Seidenstraße, Samarkand, Buchara – Kamelkarawanen mit feinsten Stoffen und duftenden Gewürzen ziehen vor unseren Augen durch die Wüste – da wollen wir hin. Und als wir dann noch hören, dass die Visapflicht für Deutsche im Januar 2019 aufgehoben wurde, ist die Entscheidung für Usbekistan gefallen. So richtig einfach wird es wohl trotzdem nicht, wir lesen von endlosen Einreise- und Zollformalitäten, mitgeführte Medikamente müssten pillengenau angegeben werden und Kreditkarten seien weitgehend unbekannt. Dafür regiert das druckfrische westliche Bargeld – aber bitte makellos und ungeknickt. So bügele ich vor der Abreise nicht nur T-Shirts und Blusen, sondern tatsächlich auch die ein oder andere Dollarnote.
Der Flug ist angenehm. Erst drei Stunden nach Istanbul und nach kurzweiliger Wartezeit im neuen Flughafen noch mal viereinhalb nach Taschkent. Es ist kurz nach Mitternacht und wir machen uns auf was gefasst. Gerne mal zwei Stunden könne die Einreise dauern, hieß es, und die könnten unangenehm sein. Die Schlange an der Passkontrolle ist kurz – dann muss die Bürokratenhölle dahinter auf uns warten. Etwas nervös schaue ich dem Grenzbeamten dabei zu, wie er meinen Pass inspiziert – der schaut mich an und sagt „Chulia Henke – Welcome“. Und schwupps scheine ich drin zu sein in Usbekistan. Während Eric auf die Koffer wartet, schaue ich mich nach den Zollformularen um, allzeit bereit, meine Medikamentenliste zu zücken, aber ich finde nichts. Also spreche ich einen Zollmitarbeiter an, der überreicht mir freundlich und in gutem Englisch zwei Formulare und nachdem Eric unser Gepäck erobern konnte, machen wir uns daran, sie auszufüllen. Aber warum sind wir die einzigen, die hier stehen und eintragen, dass wir Handys und Laptops dabei haben? Da kommt wieder ein freundlicher Beamter vorbei, fragt, ob wir mehr als 5000 Dollar dabei haben, und als wir verneinen schüttelt er den Kopf und sagt „Kein Formular“. Kann denn das jetzt sein? Einreise innerhalb von zehn Minuten? Und keiner will meine schöne Pillenliste sehen? Kurze Zeit später sitzen wir im Taxi und nähern uns im nächtlichen Taschkent unserem Guesthouse. Und liegen eine Stunde nach der Landung in blitzsauberen Betten und träumen uns in tausend und eine Nacht.
Der Tag beginnt mit einem leckeren Frühstück unter Aprikosenbäumen im Innenhof. Unser Gastgeber stattet uns mit allem aus, was der moderne Globonaut braucht, nämlich zwei SIM-Karten mit unendlichen Gigabyte. Nur Geld tauschen, das müssen wir auf der Bank. Er beschreibt uns den Weg und nach einem kurzen Spaziergang durch ein freundliches Wohnviertel mit vielen Maulbeerbäumen stehen wir vor dem Zentralbasar von Taschkent – ein riesiger Kuppelbau mit allem, was das kulinarische Herz oder besser der Magen begehrt – Gemüse und Obst im Überfluss, getrocknete Früchte und Nüsse, Fleisch und Brot. Doch nichts von der Hektik, die wir von anderen asiatischen Großstädten kennen – alles geht in einem angenehmen, freundlichen Tempo. Kein Geschubse, kein Gedränge, ein Mann kommt auf uns zu, gibt uns die Hand, sagt ein paar freundliche Worte und ist wieder verschwunden. Mit etwas Suchen finden wir die Bank. Aber alles was wir über die Annahme von Geldscheinen gelesen haben, stimmt. Eric überreicht mehrere Euroscheine, die beiden Damen am Schalter überprüfen sie peinlichst genau und finden an einem doch tatsächlich einen winzigen Riss an der Ecke. Dafür würden wir 5% weniger kriegen, sagt sie streng. Kurz darauf sind wir Som-Millionäre. Wir bummeln über den Markt zu den gegenüber gelegenen Arkaden. Handwerker präsentieren dort ihre Waren, Möbel, Küchenutensilien und Textilien. Wahrscheinlich sah das vor 100 oder gar 500 Jahren nicht viel anders aus. Langsam werden wir hungrig und stoßen auf ein kleines Straßenrestaurant in den Arkaden, Somsa gibt es hier und essenstechnisch bin ich vorbereitet. Ich liebe die Youtube-Videos von Mark Wiens, der sich durch die Welt reist und isst, I travel for food ist sein Motto, und Usbekistan hat er auch bereist. Die Teigtaschen mit würziger Füllung, die im Lehmofen gebacken werden, hat er besonders gelobt und ja: er hat recht! Der Teig so knusprig, die Füllung so saftig und perfekt gewürzt, und das ganze für weniger als einen Euro das Stück – so gut. Wir streifen weiter durch Taschkent, viele Sehenswürdigkeiten hat die Stadt, die in den sechziger Jahren bei einem Erdbeben zerstört wurde, nicht, aber sie überrascht uns trotzdem. Das gemächliche Tempo, das uns bereits auf dem Markt aufgefallen ist, scheint überall zu herrschen. Taschkent ist sehr großzügig angelegt, breite Boulevards, große Kreisverkehre, immer mal wieder ein Park: Platz scheint hier kein Problem zu sein. Im Gegensatz zu Stuttgart eine Stadt, in der Infrastruktur und Einwohner in einem guten Verhältnis stehen. Die Zerstörungen des Erdbebens haben sie genutzt, um eine Metro zu bauen, ganz nach Moskauer Vorbild mit grandios dekorierten Stationen, und die bringt uns am Abend in die russische Neustadt. Die sowjetischen Monumentalbauten sind sichtbar, aber nicht unangenehm. Wir sind hierher gekommen, um koreanisch zu essen, denn in Usbekistan und besonders in Taschkent gibt es eine große koreanische Community. Der ideale Ort für ein authentisch koreanisches Essen. Wir finden ein hochgelobtes Restaurant, sind ausgestattet mit einer Übersetzungs-App, scheitern dann aber kläglich an der Speisekarte. Koreanische Gerichte, ausschließlich in kyrillischer Schrift, da streikt auch die moderne Technik. Die Kellnerin spricht nur koreanisch und russisch, irgendwann deute ich auf das lecker aussehende Essen auf dem Nachbartisch, Eric tippt einfach so in der Karte herum. Das letzte mal als wir so bestellt haben, es war in Japan, bekamen wir Horumon-Yaki serviert, eine Zusammenstellung furchtbarster Innereien. Hier haben wir Glück, kurze Zeit später sitzen wir vor einem Tisch voller köstlicher Dinge.
Am nächsten Tag bekommen wir einen ersten Eindruck von der Pracht religiöser usbekischer Gebäude. Wir besuchen Khast-Imam, das religiöse Zentrum Taschkents. Atemberaubend und grandios, die Moscheen und islamischen Schulen. Hier lasse ich einfach die Bilder sprechen.
Zum Mittagessen landen wir eher zufällig in einem usbekischen Alltagsrestaurant, sehr gut besucht und ohne jeden Charme. Braucht es aber auch nicht, denn im Mittelpunkt steht Laghman, eine weitere usbekische Spezialität. Hausgemachte Nudeln in einer sensationellen Brühe mit Gemüse und Fleisch (ohne das geht hier nichts), eine leichte Sternanisnote, ziemlich perfekt für etwa zwei Euro.
Was für ein Einstieg in dieses wunderbare Land. Und es wird noch viel besser werden…