… was Guten Morgen Chiang Mai heißt. Auf hebräisch. Mehr dazu später.
Jedenfalls kam ich heute morgen superpünktlich um viertel nach sieben am Bahnhof von Chiang Mai im Norden Thailands an. 13 Stunden brauchte der Zug von Bangkok, aber es waren äußerst komfortable Stunden im Schlafwagen, 2. Klasse, Ladys Car. Als ich einstieg war es noch ein normaler Großraumwagen, links und rechts des Mittelgangs jeweils zwei Sitze gegenüber. Als wir nach etwa einer dreiviertel Stunde Bangkok verlassen hatten, kam die Schaffnerin und baute uns einen großen Schlafwagen. die Sitze wurden zu einem Bett ausgezogen, darauf eine Matratze, ein blütenweißes Laken, Kissen und Decke, darüber wurde ein weiteres Bett heruntergeklappt, das über eine Leiter zu erreichen war. Tja, wer zu spät bucht kriegt die schlechten Plätze, ich hatte schon vor Wochen mein Ticket im Internet bestellt und kam in den Genuss des unteren Luxusbetts, fast so breit wie ein Doppelbett, Ablagen über dem Kopf- und Fußende, hoch genug, um sich gemütlich hinzusetzen und vor allem mit Fenster. Und einem Vorhang, so dass es wirklich kuschelig war. Anfangs fürchtete ich noch den Kälteschock, aber zum Glück stellten sie die Klimaanlage über Nacht ab. Und so streckte ich mich wohlig aus, las noch ein wenig und ließ mich in den Schlaf schaukeln. Gut, so richtig durchschlafen war schwierig, auch Damen schnarchen, aber ich wachte gegen fünf dann doch erstaunlich ausgeschlafen auf. Um halb sechs schritt die Schaffnerin durch den Gang, wünschte uns auf Thai und Englisch einen guten Morgen und verwandelte alles diesmal in einen Speisewagen. Die Betten wurden weggeklappt und stattdessen ein Klapptisch hervorgezogen, auf dem mit kurz darauf das am Abend bestellte Frühstück serviert wurde: Kekse, eine Banane, Orangensaft und Kaffee. Und kaum war dieses verzehrt fuhren wir auch schon in Chiang Mai ein. Eilig hatte ich es nicht, aus dem Bahnhof herauszukommen. Sicherlich würden Unmengen von aufdringlichen Taxifahrern und Hotelschleppern auf uns warten, so hatte ich es von unserem letzten Aufenthalt in Chiang Mai vor etwa 25 Jahren in Erinnerung. Aber, es hat sich viel getan. Zwar der ein oder andere mit einem Hotelschild oder der Taxi-Frage, aber alles recht entspannt und so kam ich unproblematisch auf den Bahnhofsvorplatz zu den Sammeltaxis, die einen für 50 Baht, etwas mehr als ein Euro, zum Hotel bringen. Klappte alles hervorragend, nur einchecken konnte ich zu der frühen Stunde noch nicht. Aber das war egal, ich wollte vor allem einen weitern Kaffee. So ließ ich das Gepäck im Hotel und spazierte durch die noch leeren Straßen der Altstadt, fand ein nettes Café mit gutem Cappuccino und dann ein Yogastudio. Deswegen bin ich ja her gekommen, ich muss dringendst was für meine Fitness tun. Auf einer Tafel stand, dass sie um 10:30 Uhr eine Yogastunde anbieten. Perfekt, das ließ genügend Zeit für einen weiteren Kaffee. Kurz vor halb elf war ich dann wieder dort und genoss nicht ganz unanstrengende anderthalb Stunden bei Tomer, einem Israeli. Wo wir wieder bei Boker Tov wären. Irgendwie wurde ich ganz heftig daran erinnert, dass ich mir vor dreißig Jahren ja schon mal einen langjährigen Traum erfüllt habe und nach dem Abi nach Israel gegangen bin. In Vor-Internet-Zeiten ein echtes Wagnis damals, ich kam mir so viel weiter von Zuhause weg vor, ein Brief dauerte drei Wochen, Telefonieren konnte sich niemand leisten und zu meinem Geburtstag bekam ich ein Telegramm… Es war ein unglaublich tolle Zeit damals und das hebräisch gefärbte Englisch des Yoga-Instruktors versetzte mich kurz zurück in meine Kibbutz-Zeit. Und da fiel mir ein, dass ich beim Ausmisten in Vorbereitung unserer Weltreise einen Text gefunden hatte, den ich vor dreißig Jahren Jahren über meinen Job im Kuhstall im Kibbuz Hefzi-Bah geschrieben habe. Und den könnt Ihr lesen, wenn es Euch interessiert, hat ja auch was mit der großen weiten Welt zu tun:
Der Wecker kommt gar nicht erst zum Klingeln. Ein kurzes Klicken bevor das Summen einsetzt und ich habe ihn bereits wieder abgestellt. Ich setze mich in meinem Bett auf, es ist dunkel. Vorsichtig taste ich mich zur Tür hinter der sich ein kleiner Verschlag befindet, betätige den Lichtschalter, ein kurzer Blick zu Katja – sie schläft, hat noch vier Stunden Zeit. Fast geräuschlos öffne ich die Tür, Licht dringt in unser Zimmer, ich blinzele, ein leises Klopfen ist zu hören. Kakerlaken, ich habe mich an sie gewöhnt. Wasser ins Gesicht, kurzes Zähneputzen, pass auf, dass du auf der Toilette nicht wieder einschläfst. Nur mit einem Slip bekleidet komme ich ins Zimmer zurück, gehe zu der anderen Tür und betrete den Vorraum. Im Schrank wühle ich nach einem sauberen Hemd, die kurze Hose vom Vortag liegt noch in der Ecke. Der BH strömt einen warmen Tiergeruch aus. Barfuß gehe ich auf den kühlen Steinfliesen ins Zimmer zurück. Das Haarband, die Zigaretten, verdammt, wo ist der Schlüssel? Nach kurzer Zeit finde ich ihn, befestige ihn mit einer Schnur an meiner Hose, wieder in den Vorraum, leise öffne ich die Tür nach draußen, sie knarrt, Tür ist fast zu viel gesagt – aneinander gehämmerte Holzlatten mit Vorhängeschloss. Auf der Treppe stehen meine Gummistiefel. Ich fahre mit der Hand hinein, darauf gefasst, eine verirrte Kakerlake zu finden. Nur ein bisschen Dreck, ich ziehe sie an, sie sind warm. Die drei Stufen hinunter, keine hat die gleiche Höhe wie die andere, drei Schritte durch … Vorgarten ist wirklich zu viel gesagt. Es raschelt – Chico. Der kleine schwarze Hund begleitet mich über das abgetretene Gras zu der kleinen Straße. Das Tor ist halb geschlossen. Der Mann in dem kleinen Häuschen nickt mir zu, Boker tov, ich stehe auf der breiten Straße. Der Kibbutz hinter mir schläft. Über die Straße gelange ich auf einen breiten Weg, unbefestigt, kleine Schlaglöcher, staubig. Chico läuft vor mir her, immer darauf bedacht, sich den dampfenden massigen Tieren nicht zu sehr zu nähern. Ich erreiche den flachen weißen Bau am Ende des Weges, schiebe die große Tür auf und betrete den Gang. Licht an, über mir ist das aufgeregte Trippeln der Ratten zu hören. Links der große Tank. Die Stufen hinauf, den Gang entlang, ein paar Stufen hinunter, alles ist still. Links das Armaturenbrett, Knöpfe und hebräische Schriftzeichen. Ich weiß, welche Schalter ich zu betätigen habe. Das Stampfen der Wasseranlage beginnt. Durch den Melkstand, ein paar Stufen hinauf gelange ich zur Waschanlage. Die Tore sind geschlossen. Ein Tor öffnen, ein anderes schließen. Die Betonrampe mit ihrer Auflage aus getrockneten Tierexkrementen hinunter. Ein überwältigender Blick: im Vordergrund die Ställe, dahinter das Land. Die Stelle, an der die Sonne in einer Stunde aufgehen wird, lässt sich erahnen. Es ist bereits warm oder angenehm kühl im Vergleich zur Hitze des Tages, der folgen wird. Es ist still. Ich liebe diesen Moment. Später werde ich in einem französischen Film etwas über die blaue Stunde hören – so stelle ich sie mir vor. Ich öffne das Gatter, betrete die Koppel, versinke bis zu den Knöcheln in dem, was noch nicht getrocknet ist. Die Tiere liegen dicht zusammen gedrängt, einige stehen gemächlich auf. Sie dampfen. Ein liebgewordener Geruch steigt mir in die Nase. Ich stakse durch den Morast bis ans Ende der Koppel. Meine Stimme durchbricht die Ruhe des Morgens. Yalla, Heia. Ich rede mit ihnen, klopfe ihnen auf die Flanken, sie sind feucht und warm, ein paar Haare bleiben an meinen Händen kleben. Ich will freundlich sein zu ihnen, ich werde nie die großen Augen des Tieres vergessen, das in der Waschanlage zusammenbrach und starb. Es war nass und kalt gewesen, ich hatte es am Morgen getreten, ungehalten darüber, dass es mich um meinen Kaffee brachte. Das letzte, was es fühlen sollte, waren meine Tritte und die Enge der Waschanlage. Der verdrehte Kopf lag den ganzen Morgen lang auf einem Sprinkler, die offenen Augen waren von seinen Artgenossen zugeschissen worden. Es war nicht meine Schuld, aber ich fühlte mich verantwortlich. Ein Traktor kam gegen Mittag und zerrte es an den Hinterbeinen fort. Es endete als Dünger auf den Feldern.
Alle Tier der ersten Gruppe haben die Koppel verlassen und bewegen sich träge auf das weiße Gebäude zu. Sie machen nie Probleme, anders als die aus der dritten, die ständig beweisen müssen, dass Amnons ausbruchsichere Kuhgitter für sie kein Hindernis darstellen. Die Waschanlage ist erreicht, ich schließe das Gatter hinter dem letzten Tier, öffne das andere und gehe zurück in den Melkstand. Die Wasseranlage läuft noch. Ich betätige einen Schalter ein auf Rollen laufendes Gatter drängt die Tiere zusammen, ich stelle die Sprinkler an.
Die Küche ist genauso neu wie das restliche Gebäude. Ein ungemütlicher Raum mit einem großen Tisch, Herd, Kühlschrank, ein paar Arbeitsplatten, eine Spüle. Bilder an den Wänden, doch der Raum wirkt kahl. Ich setze Wasser für Kaffee auf, suche im Schrank nach Keksen. Einen gehäuften Löffel türkischer Kaffee pro Tasse, kochendes Wasser darüber, ich stelle die beiden Tassen auf den Tisch. Schritte sind zu hören, auf einmal steht Ed in der Tür, groß, massig, wilder Bart. Boker tov Julia, schallt es durch den Raum. Er setzt sich, zieht eine Packung Time aus der Brusttasche, zündet sich eine Zigarette an und schlürft geräuschvoll den starken heißen Kaffee. Auch ich nehme einen Schluck, zünde mir eine Zigarette an, es dreht mir fast den Magen um, aber nach ein paar Züge genieße ich es. Wir reden wenig. Das Rauschen der Wasseranlage hat aufgehört. Ed erhebt sich, wir spülen die Tassen und gehen den Gang hinunter zum Melkstand.