Lange ist es her, dass ich in Tübingen meinen Zivildienst leistete. 20 Monate arbeitete ich bei der ESG, der Evangelischen Studierendengemeinde im Schlatterhaus. Das dürfte so in etwa 1988/89 gewesen sein und war eine schöne Zeit, in der ich neben meiner Lieblingstätigkeit, der Stocherkahnbetreuung, unter anderem auch immer wieder Einsätze in der Cafeteria im Untergeschoss hatte. Wenn ich mich recht entsinne, dann hätte ich das offiziell gar nicht tun dürfen, denn, und jetzt kommt’s, das war natürlich politische Agitation. Die subversive Handlung bestand darin, dass ich hier auch Kaffee zubereitete und an die Kundschaft verkaufte, der ideologisch belastet war. Es handelte sich um fair geernteten, vertriebenen und konsumierten Kaffe aus dem revolutionären Nicaragua.
Die ESG hatte hier ein nachgerade heiliges Unterstützerprojekt, das bei den wöchentlich stattfindenden Gemeinderatssitzungen unter den jungen und manchem älteren Studenten, geplant und diskutiert wurde. Einige der Studentengemeinderäte waren sogar schon in Nicaragua gewesen und hatten sich als Erntehelfer eingebracht. Sie schwärmten immer wieder bei Besuchen in meinem Büro ausführlich über Land und Leute und Revolution. In den Fluren des Schlatterhauses, oder war es in der Cafeteria, hingen auch selbstgeschossene Fotos eines Reisenden an der Wand. In meiner Erinnerung waren sie vor allem tropisch üppig grün mit leuchtend hervorstechenden roten Punkten, den Kaffeebohnen.
Wie sehr einige über das Projekt wachten, erfuhr ich dann auch am eigenen Leib. Als ich mit meinem Freund Johannes ein erstes
Workcamp in den Slums Kairos organisierte, da kam eines Tages Tommy zu mir ins Büro und nahm mich zur sehr breiten Brust. Er setzte eine bedeutungsschwere Miene auf und sprach: „Also Du, Eric, dass eines klar ist -das Nicaragua-Projekt, das ist DAS Projekt der ESG. Und das bleibt auch so! Nicht dass Du glaubst, Du könntest hier Dein Ägypten-Projekt einschmuggeln und Nicaragua beiseite drängen.“ -Ähm, das hatte ich mir noch nicht einmal ansatzweise vorgestellt..
Aber die 80er Jahre, die waren natürlich auch eine schwierige Zeit in Nicaragua. Nachdem die Revolution der Sandinisten gegen die Samoza-Diktatur noch 1979 erfolgreich verlaufen war und sie mit Ihrer Partei, der FSLN, die Macht übernommen hatten, versuchte nun die USA, die Festigung der revolutionären Strukturen zu erschüttern, indem sie die paramilitärischen Contras logistisch und finanziell massiv unterstützten. Diese terrorisierten die Bevölkerung und zogen mordend, plündernd und brandschatzend vor allem von Honduras aus durch das Land. Die USA finanzierten die Contras, indem sie während Reagans Präsidentschaft mit ihrem Erzfeind Iran
geheime Waffengeschäfte abschlossen und die Einnahmen daraus dann an die Terroristen, die der US-Präsident Freiheitskämpfer nannte, weiterleiteten. Und da das noch nicht genug Mittel waren, gab die CIA den Contras auch ihren Seegen dafür, dass diese im großen Stil Drogen anbauten und dann in die USA lieferten, wo sie wiederum amerikanische Jugendliche ins Verderben stürzten.
Als der Internationale Gerichtshof in Den Haag die USA wegen militärischer und paramilitärischer Umtriebe in Nicaragua schuldig sprachen und zur Zahlung von mehr als 2,5 Milliarden Dollar verurteilte, konterten die damit, dass Den Haag nicht befugt sei, über die USA zu urteilen. Die
USA hat den Internationalen Gerichtshof bis heute nicht anerkannt und selbstredend auch nie gezahlt… Obwohl es in Nicaragua mittlerweile zu mehreren demokratischen Regierungswechseln kam, bei denen auch viele revolutionäre Reformen rückgängig gemacht wurden, blieben die USA dem Land gegenüber immer distanziert und kritisch.
Und heute? Tja heute gibt es hier im Fernsehen 20.000 amerikanische Sender und in der schönen, von kolonialen Gebäuden geprägten Stadt Granada, in der wir gerade sind, gehören etliche der renovierten Prachtbauten Amerikanern oder anderen Ausländern. Und schon am ersten Tag erlebten wir, wie sich eine Losverkäuferin ganz selbstverständlich über die zurückgelassenen Reste unseres Essens hermachte.
Nicaragua ist heute nach Haiti das ärmste Land Amerikas.
Geändert hat sich in diesem Land wohl eher nur kosmetisch etwas: Die ganz offensichtlich brutalen Diktatoren gibt es nicht mehr.