Kinosaki Onsen ist ein kleiner Ort nördlich von Kobe, der schon im Namen trägt, worum es hier in erster Linie geht: um Onsen, also die japanischen Bäder mit dem wohltuenden heißen Wasser.
Und so ist Kinosaki Onsen auch tatsächlich ein wenig wie ein Kurort bei uns. Er lebt vor allem durch den Tourismus, denn Japaner lieben das Bad in den heißen Quellen. Dass man als Unkundiger dabei so einiges falsch machen kann, davon haben wir ja bereits berichtet. Aber wir sind mittlerweile ganz gut darin, uns korrekt zu baden. Die Hauptvoraussetzung, nämlich nicht tätowiert zu sein, die bringen wir ja glücklicherweise sowieso mit.
Als wir nach längerer Zugreise abends im Ort ankamen, wurden wir vor dem Bahnhof gleich von einer jungen Dame abgefangen und dazu befragt, in welcher Unterkunft wir bleiben würden. In jedem anderen Land hätten wir sofort Schlepper dahinter vermutet, die uns irgendetwas andrehen wollen oder uns berichten, dass gerade gestern das Hotel leider abgebrannt sei, sie aber natürlich Ersatz wüssten. Hier in Japan ist ein solcher Gedanke aber komplett abwegig. Also schauten wir, auch wenn es gerade begann zu tröpfeln, auf der Bestätigungsmail nach dem Namen der Unterkunft und teilten ihn ihr mit. Daraufhin erklärte sie uns freudig, wie wir dort hin kommen würden, nämlich in nur fünf Minuten zu Fuß gerade aus, über die Ampel, über den Fluss und dann rechts. Dann drückte sie uns zwei Regenschirme in die Hand und verabschiedete sich. Wir waren baff!
Unsere Unterkunft ist eine traditionelle Pension, also wieder mit Tatamimatten auf dem Boden, zwei Futonmatratzen darauf, Papiertrennwände zur Fensterfront hin und jeder Menge Hausschuhe für verschiedenste Zwecke. So zieht man selbstverständlich die Straßenschuhe unmittelbar nach überschreiten der Türschwelle aus und schlüpft in ein Paar bereitstehende Pantoffeln. Dann gibt es aber auch noch separate Pantoffeln direkt vor den Gemeinschaftstoiletten, denn es wäre ja unhygienisch mit den selben Latschen das Stille Örtchen zu betreten, in denen man im Rest des Hauses unterwegs ist.
Unser Gastwirt versorgte uns zunächst mit einem selbstgebrühten Kaffee und zeigte uns dann unser Zimmer, das ungewöhnlich groß ist, sicher um die 45 qm. Und er brachte uns japanische Kleidung, die aus vier Teilen besteht: Einem langen Gewand, das man um sich wickelt, einem Gürtel, mit dem man dieses umfasst, einer kurzen Jacke mit weiten Ärmeln und einem Paar Socken, das einen separaten Platz für den großen Zeh vorsieht. -Ach ja, dazu gehören dann aber noch zwei weitere wichtige Utensilien: ein kleiner Henkelbeutel, in den man die Dinge verstaut, die man im Bad dabei haben muss, und natürlich Holzflipflops.
Angetan mit dieser Robe ziehen dann abends ca. 90 % der Menschen durch die Straßen des Ortes, gehen essen, einkaufen und besuchen vor dem Schlafengehen ein Onsen . Der Ort ist erfüllt vom Klick-Klack, Klick-Klack der Holzschuhe -fast klingt es ein wenig nach Tischtennis.
Zur Fensterfront haben wir in unserem Zimmer eine sehr nette Sitzgelegenheit und so nutzten wir am ersten Abend nach getaner Badearbeit (das strengt ganz schön an) diesen Kinoplatz für ein Bierchen und einen abendlichen Snack.
Wir saßen also gemütlich und schauten den vorbeiziehenden Menschen von oben zu, als uns plötzlich ein Mensch auffiel, der sich genau gegenüber, auf der anderen Seite des Flüsschens postierte. Es war gegen 21:45 Uhr, dass er uns das erste mal ins Auge sprang, denn plötzlich leuchteten an seiner Weste V-förmig angeordnete rote Lichter auf – das Blinkemännchen war geboren!
Er trägt einen blauen Overall und hat einen weißen Bauarbeiterhelm auf dem Kopf. Wichtig sind auch die weißen Handschuhe und der Zauberstab in der Hand, der auch rot blinken kann. Sofort ist klar: Hier agiert ein Offizieller.
Und so war Julias Freude groß, sah sie doch, dass er Punkt 22:00 Uhr damit begann, die Straße mit Verkehrshütchen abzusperren. „Das ist ja mal klasse, dass die abends dann den Verkehr beruhigen. Ist ja auch eine Bäderstadt.“
Aber halt!
Was ist das?
Da kommt doch tatsächlich ein Kleinlaster angefahren und will noch durch die Absperrung hindurch. Und darf das sogar. Da hat er aber Glück gehabt!
Hm, noch einer – und auch der darf passieren, nur um zu wenden und sofort wieder in die gesperrte Straße einzufahren.
Ein Mann schiebt sich der Szenerie heran und ein Gefährt vor sich her, das eindeutig ein Generator auf Rädern ist und auf dem, aaaaah!, wir sind geblendet!, ein grell weiß leuchtender Ballon erstrahlt, der nicht nur den gegenüberliegenden Schauplatz mit einem synthetischen Licht überzieht. Die Fische im Flüsschen springen unmittelbar darauf an und vollführen Luftsprünge – womöglich hat sich ihnen hier die Möglichkeit für ein abendliches Festessen aufgetan, da sie die verblendet der weißen Kugel überall hin folgenden Motten nur einfach so herunterpflücken müssen.
Innerhalb von fünf Minuten fahren dann noch zwei Bagger auf. Und innerhalb von zehn Minuten ist die Baustelle nicht nur eingerichtet, sondern es wird bereits der Asphalt aufgerissen.
Nichts von wegen Verkehrsberuhigung für den erholsamen Schlaf der Feriengäste – eine Nachtbaustelle wurde uns vor die Nase gesetzt!
Aber wen stört’s? Hätten wir uns zuhause maßlos aufgeregt, so sind wir mittlerweile sehr entspannt und können nur darüber schmunzeln. Unseren Schlaf hat es nicht gestört. Seltsam – doch nur eine Frage der Einstellung?
Jedenfalls haben wir am nächsten Morgen von einem anderen deutschen Tourist beim Frühstück erfahren, dass die Arbeiten bis in den Morgen andauerten.
Was aber erstaunlich ist: Was hier in einer Nacht geschieht, das hätte bei uns sicher zu einer mindestens einwöchigen Baustelle mit allmorgendlichen Behinderungen und Langzeitbelästigung geführt.