Das Wetter ist ein ganz großes Thema hier, das merkt ihr. Im September scheint das letzte Aufbäumen gegen die anstehende dunkle Jahreszeit stattzufinden und deswegen nutzt jeder die Gelegenheit, die letzten Sonnenstrahlen zu erhaschen. Und so ziehe auch ich durch die Gegend, schaue mir an, was der Reiseführer so anpreist und was ich selber finde, mache Photos und freue mich an ihnen – doch halt, was ist denn das in der Mitte meiner schönen Bilder? Ein schwarzer Punkt! Wie kommt der da hin? Jetzt ist Edinburgh ja eine der führenden Gespensterhauptstädte, eine gewisse Materialisierung verstorbener Seelen also nicht ganz auszuschließen, aber das sieht mir doch eher wie ein gewöhnlicher Dreck aus. Allerdings nicht auf der Linse, sondern eher tief drinnen im Gehäuse. Selbst ist die Frau, denke ich mir, und finde flugs auf Youtube ein Do-It-yourself-Video zur Kamerareinigung. Hier ein paar Schräubchen gelöst, dort ein Schalterchen umgelegt, nochmal Schrauben, kleine Gummistreifen, wieder Schrauben – der Tisch vor dem älteren Photoexperten wird immer voller. Mich ergreift leichte Panik – die Erinnerung an eine Szene vor vielen Jahren in Hamburg. Unsere Heizung fiel immer mal wieder aus, der Brenner war alt, und mein lieber Freund Tom wollte behilflich sein. Also ließ er sich im Heizungskeller nieder, ich kochte inzwischen oben Kaffee und als ich wieder runter kam, saß Tom inmitten der Einzelteile des Brenners und sah wenig glücklich aus. Ich fürchtete Schlimmstes, wenn mein Vater das erfahren würde, und flehte Tom an, schnell alles wieder zusammenzubauen. Ich meine, die ein oder andere Schraube blieb übrig und der Brenner tat weiterhin nicht, ich habe es aber offensichtlich überlebt, doch diese Erfahrung bewahrt mich davor, ähnliches mit meiner Kamera zu versuchen.
Also auf zu John Lewis, einem wirklich gut sortierten Kaufhaus, und nach kurzer Beratung bin ich stolze Besitzerin einer neuen Kamera. Und die muss natürlich sofort ausprobiert werden. Auf den Hausvulkan der Stadt, Arthur’s Seat, wollte ich schon die ganze Zeit und so mache ich mich auf Richtung Holyrood Castle, dem Wohnort der Queen bei ihren Edinburgh-Aufenthalten, in dessen Park der Aufstieg beginnt. Es ist anstrengend – sehr anstrengend. Zum Glück muss ich ja alle paar Meter stehen bleiben, um die Kamera zu testen. Nur deswegen, natürlich 🙂 So schöne Spielereien, ich kann die Landschaft dramatisch und lieblich aussehen lassen, den Kreisverkehr beim Castle der Queen zum Spielzeugland werden lassen und die Panoramafunktion ist auch sehr nett. Also, macht euch ab jetzt auf was gefasst…
Als Kontrast zieht es mich am nächsten Tag Richtung Meer, im Stadtteil Portobello liegen Edinburghs Badestrände und die stahlharten Schotten machen auch vor den herbstlichen Wassertemperaturen nicht halt. Der Ort selber ist trotz seiner Strandpromenade nicht sonderlich hübsch, aber die Strände sind durchaus beeindruckend – immerhin ist man hier fast noch in der Stadt. Es ist Nachmittag, die Kinder spielen in ihren Schuluniformen im Sand, Hunde springen im Meer herum, draußen wird auch gerudert, die Straßencafés sind voll, ganz wie im Hochsommer. Ein echtes Strandleben hätte ich von einer schottischen Stadt wirklich nicht erwartet. Ich setze mich auf die Promenadenmauer, lasse mir die Sonne ins Gesicht scheinen und amüsiere mich mit meiner Kamera. Wenn die Sonne weg ist, und das passiert wolkenbedingt dann doch regelmäßig, wird es wirklich frisch, also schnappe ich nach einiger Zeit mein Fahrrad und mache mich auf den Rückweg. Fahrradfreundlich ist Edinburgh in jedem Fall, trotz vieler Hügel und Kopfsteinpflaster. Ein riesiges Netz gut ausgeschilderter Radwege bringt einen eigentlich überall hin und solltet ihr mal etwas länger in Edinburgh sein, lohnt es sich in jedem Fall, ein Fahrrad zu mieten oder gleich zu kaufen. Gebraucht kann man schon für 75 Pfund ein recht gutes ergattern, mit anständiger Gangschaltung und robusten Reifen (die Kopfsteinpflaster…). Meines ist von Pedal Forth, aber es gibt einige Läden, die gebrauchte Fahrräder verkaufen und später dann auch wieder ankaufen.
Gut, dass ich den Sonnenschein genutzt habe. Am folgenden Tag ist die ganze Stadt in eine graue Suppe getaucht, Nieselregen und Nebelschwaden, dazu frostige Temperaturen, uh. Eigentlich ideales Wetter für den Besuch der düsteren Burg, die über der Stadt thront. Viel sieht man zwar nicht von Edinburgh, aber es geht ja um die Burg und die macht bei diesem Schmuddelwetter einen sehr trutzigen Eindruck. In ihren Gewölben befinden sich eine Reihe von Militärmuseen, auf ihre schottischen Regimenter sind sie stolz, aber für mich ist das eher nichts. Lieber schaue ich mir die Throninsignien und die Gemächer von Queen Mary an und ein echtes Highlight sind die authentisch restaurierten Kriegsgefängnisse in den Katakomben. Irgendwann habe ich genug von der Kälte und Nässe, bibbernd erwerbe ich einen Schottenschal, radeln zurück und lasse den Abend mit einer schönen heißen Schokolade im Bett ausklingen.