Hier soll er also her kommen, der Fürst der Finsternis. Aus dem dunklen Transylvanien,in dem leicht tumbe Hinterwäldler ihrem Aberglauben frönen, so dachte sich das Bram Stoker Anfang des 20. Jahrhunderts. Der Ire Stoker war selber nie in Rumänien, dafür hat er zumindest die Landschaftsbeschreibungen gut hinbekommen. Dracula selber oder sein Schloss entspringen ausschließlich der Phantasie des Autors und taugen daher eigentlich nicht für Pilgerstätten.
Bram Stokers Buch soll nach der Bibel das meist gelesene Buch der Welt sein – nur in Rumänien erschien es erst nach 1989 und war bis dahin dort vollkommen unbekannt. Die ersten ausländischen Vampirtouristen kamen Mitte der 60er Jahre und trafen auf erstaunte Rumänen. Es dauerte einige Jahre, bis man auf die touristische Steilvorlage einstieg und dann doch noch ein mögliches historisches Vorbild fand: Fürst Vlad III. Draculea, auch genannt Vlad der Pfähler.
Und so gibt es für Dracula-Fans zwei Sorten von Zielen: die, an denen Vlad III. lebte und solchen, die den von Stoker beschriebenen Orten ähnlich sehen. Und eigentlich vermischt sich mittlerweile alles.
Der Hauptanziehungspunkt ist das Schloss Bran südwestlich von Brasov. Dieser Ort wurde von der Regierung einfach mal als Dracula-Schloss präsentiert als sich die Fragen der Vampirtouristen häuften. Und die waren so begeistert von dem Ort, dass sie gerne glaubten, dieser sei das Vorbild für den Dracula-Wohnsitz gewesen.
Mittlerweile ist Bran eine der Hauptattraktionen in Rumänien, was nicht nur eine Flut von Reisebussen und -gruppen, sondern auch Dracula-Schnickschnack aller Art und unverschämte Preise bedeutet. Für das Vierfache normaler Eintrittspreise schiebt man sich durchs volle Schloss, das allerdings wirklich nicht nur eindrucksvoll gelegen, sondern auch sehr schön restauriert ist. Eigentlich ist es zu hübsch für den dunklen Ort, den Stoker beschreibt, aber glauben kann man durchaus, dass sich hier wunderliche Dinge zugetragen haben.
Wenn ich schon auf dem klassischen Touripfad wandele, dann richtig, denke ich mir und buche ein Zimmer mit Blick auf’s Schloss. Die Aussicht ist famos und als sich dann auch noch ein heftiges Gewitter nähert, wäre es fast etwas gruselig, wenn da nicht die Massen von Menschen und Souvenirständen wären. Ich denke an die Kirchenburgen oder die Deutschordens-Ritterburg Rasnov, die ich am Tag zuvor besichtigt habe und bin rückwirkend sehr dankbar, dass ich diese Orte fast für mich alleine hatte.
Ich habe mich durch die 500 Seiten Dracula gequält, nur Anfang und Ende spielen in Rumänien, der Rest in England, wo sich der Fürst der Finsternis eine Weile durchbeißen muss (got it? durchbeißen? lustig?). Die Dialoge ziehen sich ziemlich und der Gruselfaktor hält sich in Grenzen – wahrscheinlich weil man die Geschichte ja sowieso kennt. Zu Beginn reist Jonathan Harker über Budapest nach Klausenburg, da habe ich auch eine Nacht verbracht. Dann fährt er einen ganzen Tag mit dem Bummelzug bis Bistritz. Das sind etwas über 100 km und viel schneller fahren die Züge heute auch nicht. Für die Strecke Hermannstadt – Kronstadt, etwa 150 km, war ich mit dem Zug jedenfalls vier Stunden unterwegs. Nach Bistritz hab ich es nicht geschafft, da trennten sich also Jonathan Harkers Wege und meine. Dafür hab ich mir aber Draculas Geburtsort angeschaut.
Auf meiner Rundfahrt durch Rumänien habe ich in Sighisoara, deutsch Schäßburg, Station gemacht und da war nun tatsächlich Vlad der Pfähler zugange. Zumindest wurde er hier 1431 geboren, keiner weiß genau wo, aber ein Haus hat sich einfach mal zum Dracula-Geburtshaus ernannt. Hier gibt es auch das vermeintliche Geburtszimmer zu besichtigen, das spare ich mir. Vlad selber ist per Büste neben der großen Kirche von Schäßburg verewigt. Als Fürst der Walachei ließ er gerne mal seine Feinde auf Pfähle aufspießen, war damit aber wohl kaum grausamer als andere Herrscher dieser Zeit, das Quälen war damals gängige Politik. In der Zitadelle von Schäßburg kommt dieser ganz sanfte Grusel schon eher zum Tragen, insbesondere am Abend, wenn die Tagestouristen weitergefahren und die Altstadtgassen stimmungsvoll beleuchtet sind. Natürlich wird auch hier versucht, Dracula zu vermarkten, aber auf eine deutlich unaufdringlichere Weise und mit einem Augenzwinkern. Im „Scary Burger“ auf der Burgmauer genehmige ich mir einen leckeren Käsekuchen, der mit blutroter Erdbeersoße beträufelt ist und mein Besuch auf dem dortigen Friedhof hat absolut nichts mit Vampiren, sondern lediglich mit meinem Interesse für die deutsche Vergangenheit der Stadt zu tun.
So richtig wollen die Rumänen nicht mitziehen mit dem Dracula-Kult. Wahrscheinlich ist es ihnen einfach zu blöd, dass ihr schönes Land hauptsächlich mit einem Blutsauger assoziiert wird. Ab und an finden sich kleine Remineszenzen, wie in der Gothic-Ausstellung im Keller des Bruckenthal-Museums in Hermannstadt – allerdings mit der klaren Ansage, dass es sich hierbei um romantisierende Fiktion handelt. Gut so, dass sie nicht drauf einsteigen. Entsprechende historische Orte hätten sie genügend und ich stelle mir mit Grauen vor, was ein findiger Dracula-Tourismusmanager hier alles verhunzen könnte.
Fährt man nur wenige Kilometer aus Bran heraus, beginnt die absolute Idylle, hübsche Bauerndörfer an steilen grünen Hängen und Wälder, aus denen Hänsel und Gretel hervorspringen könnten. Ich steige aus und laufe ein wenig an einem Bach entlang. Vollkommene Einsamkeit, wie idyllisch. Dann kommt mir aber wieder Bram Stokers Roman in den Kopf, Wölfe spielen hier ja eine große Rolle, aber noch mehr denke ich jetzt an die Bären, die in der Region Brasov heimisch sind. Ich würde ja zu gerne mal welche sehen, aber vielleicht doch eher nicht allein in freier Wildbahn, also Rückmarsch zum Auto.
Ich habe gelesen, dass es im Nachbarort ein Bärenprojekt gibt und da fahre ich hin. Libearty ist einer der Plätze, die einen erst traurig machen, dann aber sehr glücklich zurücklassen. Bären geht es nicht sonderlich gut in Rumänien, Tanzbären sind das Stichwort und das Halten von Bären in viel zu kleinen Käfigen zur Belustigung von Restaurantbesuchern schien zumindest früher gängig zu sein. In Zarnesti ist ein kleines Paradies für diese Tiere entstanden, die man nicht mehr auswildern kann. Eine Privatinitiative hat hier auf über 70 Hektar eine neue Heimat für die Bären geschaffen. Das ist kein Zoo, erläutert das Schild am Eingang, deswegen ist das Reservat auch nur drei Stunden am Tag geöffnet und kann nur unter mit einer Führung betreten werden. Die Geschichten gequälter Tiere sind furchtbar und nicht alle haben sich ganz erholt. Ein kleiner Bär liegt dicht am Zaun und lutscht lautstark an seiner Pfote. Das macht er, weil er zu früh von seiner Mutter getrennt wurde, er imitiert das Nuckeln. Ein anderer Bär fängt sofort wenn er Menschen sieht an, sich im Kreis zu drehen – Folge seines Tanzbärendaseins. Die meisten Tiere jedoch scheinen ihr neues Leben sehr zu genießen. Es ist ein warmer Tag, auf dem Gelände wurden mehrere Teiche und kleine Seen angelegt und laden zum großen Bärenbaden ein. Durch das hohe Gras tollt eine kleine Gruppe und verschwindet dann im Wald, großes Bärenglück. Ein toller Ort und wer einmal in der Gegend ist sollte es auf keinen Fall versäumen, bei Libearty vorbei zu schauen!
Meine Zeit in Rumänien geht langsam zu Ende. Das Donaudelta schaue ich mir ein anderes Mal an, es ist doch komplizierter als ich dachte, dorthin zu kommen. Ich nehme mir lieber noch mal Zeit für zwei ganz außergewöhnliche Kirchenburgen in Tartlau und Honigberg nördlich von Brasov. Anders als die Kirchenburgen zuvor waren dies richtige Wohnanlagen mit Zimmern in der Wehrmauer. In Friedenszeiten dienten sie Lagerzwecken, rückten die Türken näher, zog die Dorfbevölkerung ein und verteidigte die Burg standhaft. In Tartlau gibt es über 100 dieser Zimmer, feinsäuberlich durchnummeriert und über Holzleitern und -stege zu erreichen. Das ist schon sehr beeindruckend, aber ganz besonders ist, dass noch der gesamte Wehrgang unter dem Dach der Mauer erhalten. ist Und zack geht sie wieder los, die Zeitreise. Hier oben im Halbdunkel auf dem sandigen Boden zu laufen, die Muster, die das Sonnenlicht durch die Schießscharten auf die Wand zeichnet, die gedämpften Stimmen der Leute im Innenhof, da ist man schon ganz schnell zurück im 14. Jahrhundert, als diese Anlage gebaut wurde. Ziemlich magisch hier oben!
Der Wehrgang in Honigberg ist nicht komplett erhalten und auch die Zahl der Wohnungen innerhalb der Burgmauern ist deutliche geringer als in Tartlau, dafür haben sie aber eine ganz reizende Kirche, in der gedämpfte Orgelmusik vom Band noch mehr Atmosphäre schafft. Was gleich auffällt ist, dass ein Teil des Kirchengestühls aus rohen Balken ohne Lehne besteht. Das sind die Sitze der Frauen, unverschämt, denke ich mir, lese dann aber, dass es sich mit den riesigen Rückenschleifen der tradtionellen Trachten so viel bequemer sitzen lässt. Na gut…. Auch diese Kirche ist wie in Brasov mit vielen orientalischen Teppichen geschmückt. Richtig gemütlich hier. Ich besteige zum letzten Mal einen uralten Kirchturm. Das ist wahrscheinlich die nicht ganz befriedigte Grusellust, wieder sind die Treppenstufen extrem holprig, wackelig und fast im Dunkeln. Aber ich muss da rauf! Ich stolpere ein wenig durch das Dachgestühl, tauche unter den drei großen Glocken hinweg und mache mich dann langsam auf den Rückweg. BUMMMM! Gut, dass ich mich mit beiden Händen am Geländer festgehalten habe, eine der Glocken schlägt die Viertelstunde und ich erschrecke mich furchtbar. Ok, genug des Adrenalin-Kicks, jetzt reicht es mit Dracula, alten Gemäuern und wilden Tieren. Ich fahre zurück nach Hermannstadt und mache mir noch eine ruhige Woche in Straßencafés und auf den schönen Plätzen der Stadt.
Und da bin ich nun, genieße das südländische Flair im Wiener Ambiente und bereite mich so ganz langsam auf meine Rückkehr nach Deutschland vor. Noch genau ein Monat, dann ist sie vorbei, meine große Reise. Die vielen Gedanken, die mir dazu durch den Kopf schießen, muss ich noch ordnen. Aber bei einem bin ich mir schon mal sicher: auch Rumänien war ein Highlight der Reise.