Nun sind sie da, die Lockerungen, und ich gebe zu, der erste Gang heute nach der Arbeit führte mich doch tatsächlich in den Biergarten. Nie hat ein Radler so lecker geschmeckt wie gerade jetzt, ich halte Abstand und mein Radler trägt Maske, also hoffentlich alles gut.
Dieser Genuss lässt mich zurückdenken an Reisen in ein Land, dessen Bier ich sehr liebe, auch wenn ich damit recht allein sein dürfte. Und eines, das sich fast ganz aus den Schlagzeilen verabschiedet hat, nachdem es uns so viel Vergnügen mit seinem putzigen Parlament und dem knuddeligen Mr Speaker bereitet hat: England.
Neben einigen London-Reisen hat es uns bisher zwei mal dorthin gezogen (Wales und Schottland nehme ich natürlich aus). 2007 haben wir das wunderschöne Cornwall bereist und bereits im Jahr drauf das etwas unentdecktere East Anglia.
Cornwall war die Idee unserer Freunde. Sie hatten davon gehört, dass der National Trust historische Häuschen für einen atmosphärischen Aufenthalt vermietet und dass Cornwall sowieso eine der schönsten Ecken Englands sei. Sie machten dann auch gleich Nägel mit Köpfen, mieteten uns ein reizendes Cottage mit schönem Garten und schwups saßen wir schon im Flugzeug nach London. Heathrow im Westen Londons sollte das Ziel sein, wenn man nach Cornwall möchte. Knapp fünf Stunden auf dem Motorway und wir waren in Helston angekommen. Ein weißgetünchtes reetgedecktes Steinhäuschen, in dem wir uns sofort wohl gefühlt haben, war unser für die nächste Woche. Whitstone Cottage ist so perfekt gelegen, dass wir von dort aus die vielen schönen Ecken Cornwalls perfekt entdecken konnten. Hier sollte man vorallem zu Fuß unterwegs sein und die spektakuläre Küste erkunden. Das Meer erinnert oft mehr an die Karibik als an Nordeuropa. Kynance Cove ist das wohl bekannteste Beispiel. Brilliante Türkistöne, feine Sandstrände an den dann doch wieder sehr britischen Steilküsten, saftige Wiesen oben, mediterranes Getümmel unten – es ist wunderschön. Stundenlang kann man auf dem South West Coast Path laufen, die Aussicht ist immer anders spektakulär, die sehr freundlichen Menschen, denen man begegnet, grüßen freundlich und bezeichnen alles als „lovely“.
Immer zum richtigen Zeitpunkt findet sich ein schöner Pub, in dem wir mittags dem Cider (schmeckt wie Apfelsaftschorle, macht aber sehr fröhlich) und abends dem köstlichen britischen Bier frönen – gut, einige meiner Mitreisenden finden eher, dass es abgestanden
schmeckt, but I love it! Einig sind wir uns aber, dass die englische Küche so viel besser ist als ihr Ruf. Wir genießen hervorragenden Stilton Käse, meine Liebe zu Bangers and Mash, würzige Würste mit Kartoffelbrei, wird hier geboren, Scones mit Clotted Cream und Erdbeermarmelade versüßen uns so manchen Nachmittag und irgendwann muss in unserer Cottage-Küche auch ein Hummer dran glauben.
Faszinierend ist in Cornwall auch die Historie der alten Zinnminen. Überall sieht man die Ruinen an der Küste stehen, wildromantisch und fast keltisch sehen sie aus, dabei sind sie gerade erst um die 200 Jahre alt. Manche kann man besichtigen, wie die Geevor Tin Mine in Pendeen, in der wir sicher behelmt die alten Gänge erkunden.
Aber wir wollen natürlich auch ganz alte Historie und davon hat die Gegend auch genug. Steinkreise aus der frühen Bronzezeit gibt es hier, the Hurlers in der Nähe des Bodmin Moors sind so ein Beispiel, wobei die wie große aufeinander getürmte Kieselsteine wirkende Granitformationen Cheesewring fast noch faszinierender sind. Angeblich natürlichen Ursprungs sollen sie sein, aber da hat doch bestimmt ein Riese mitgeholfen.
Wir haben nicht nur unser schönes Cottage beim National Trust gemietet, sondern auch gleich eine Jahresmitgliedschaft erworben und das gibt uns freien Zugang zu vielen historischen Gebäuden und Stätten. Lanhydrock House, ein englischer Landsitz mit entsprechendem Garten drumherum ist nur ein Beispiel. Lohnt sich auf jeden Fall, so eine Mitgliedschaft.
Wir verlassen das schöne Cornwall und machen auf dem Rückweg nach London einen Stopp in der Grafschaft Somerset. Wells mit seiner imposanten Kathedrale aus dem 12- Jahrhundert ist einen Abstecher wert und Bath mit den römischen Badehäusern sowieso. Der Rundgang mit Audio Guide ist klasse gemacht und gibt einen guten Eindruck davon, wie es sich so badete in Aquae Sulis, wie die Stadt ab 47 n. Chr. hieß.
Vor unserem Rückflug am Abend besuchen wir noch Stonehenge. Zuerst bin ich etwas enttäuscht, denn der berühmte Steinzirkel liegt nah der Autobahn und wirkt beim Näherkommen erst mal so gar nicht mystisch. Doch beim Rundgang faszinieren die riesigen Megalithe immer mehr. Es sind mehrere Kreise, die sie bilden, und viel mehr als die astronomischen Ausrichtungen interessiert mich, wie die Menschen der Jungsteinzeit diese Riesensteine hier her transporiert haben. Denn die Dinger kommen nicht aus dem Steinbruch um die Ecke, sondern aus dem 300 km entfernten Wales. Auf alle Fälle ein Ort, der einen gefangen nimmt und ich kann verstehen, was Menschen seit Jahrhunderten hierher zieht.
Das war’s mit dem schönen Südwesten Englands. Und weil es so nett war und das Essen so gut und die Unterkunft so hübsch und – wir geben es zu – weil unsere National Trust Mitgliedschaft ganze zwölf Monate gilt, machen wir uns im Jahr darauf nochmals auf auf die Insel. Diesmal sind wir nur zu zweit und entscheiden uns für den Südosten, der East Anglia heißt. Hierfür fliegt man am besten nach Stansted im Norden Londons. Ein Stündchen nur dauert es mit dem Auto und schon ist man in Cambridge. Ein Muss für Fans alter Universitätsstädte! Jedes einzelne der berühmten Colleges wirkt wie eine ganz eigene kleine Welt der Gelehrsamkeit, die kleinen Cafés in Kopfsteinpflastergässchen und „punting“, das britische Stocherkahnfahren, auf dem Fluss Cam – hier möchte man dringend und sofort noch mal studieren. Wir sehen ein Plakat, das auf ein abendliches Clubkonzert einer mir vollkommen unbekannten Sängerin hinweist. Eric sagt sie was und er fragt, ob ich nicht Lust hätte. Nö, Adele, nie gehört – er triezt mich bis heute damit.
Wir verlassen Cambridge nach zwei Nächten und steuern Suffolk an. Pittoreske kleine Städtchen mit windschiefen Fachwerkhäuschen prägen hier das Bild. Rund um Flatford wandern wir durch die Landschaft, die man wirklich nur als lieblich bezeichnen kann. Hier ließ sich der romantische Landschaftsmaler John Constable inspirieren und die Motive seiner Gemälde existieren heute noch fast so wie damals.
Wir fahren weiter nach Norfolk und statten der Hauptstadt Norwich eine Besuch ab. Wieder eine beeindruckende Kathedrale, diese englischen Städte oder zumindest ihre historischen Altstädte sind eine Pracht. Unser endgültiges Ziel ist aber der kleine Ort Blickling, der eigentlich nur aus dem Herrensitz, ein paar Dorfhäusern und dem Aussichtsturm besteht, den der Earl of Whiltshire – Papa der später kopflosen Anne Boleyn – errichten ließ. Und genau dieser Turm wird für die nächsten Tage unser Domizil sein. In ihm verbergen sich einige sehr stilechte Gemächer, über eine steile Wendeltreppe verbunden, die bis hinauf zur großen Aussichtsplattform führt. Die ganze Pracht gehört nur uns, umgeben von wunderbarer Landschaft und bereits der morgendliche Blick aus der Toilette ist spektakulär.
Eulen kreisen über den Feldern, Rehe schauen vorbei und in jede Richtung kann man spazieren gehen, durch verwunschene Wälder hinüber zum Schloss oder über die Felder ins Dorf, wo wir im Pub „The Bucks Arms“ das weltbeste Apple Crumble genießen. Nachts wird’s etwas spooky in unserem Turm, dann heult nämlich der Wind durch die alten Kamine und doch, ich habe mich ziemlich gegruselt. Aber das gehört ja dazu zu einem stilechten englischen Gemäuer.
Wir machen Ausflüge an die Küste nach Cromer und in die Norfolk Broads, eine Marsch- und Sumpflandschaft durchzogen von Flüssen und Seen, die man mit Hausbooten befahren kann. Weiße Windmühlen und wiegendes Schilf, eine ganz reizende Landschaft.
Schweren Herzens verabschieden wir uns von unserem royalen Turm und treten die Rückreise an. So schön war’s!
Sagt mal, ihr lieben Briten, wollt ihr uns wirklich und ganz ehrlich verlassen? Jetzt habt ihr doch eure Miles und Stones und Pints behalten, euer Pfund und fahren dürft ihr auch auf der linken Seite. Überlegt’s euch doch noch mal. Wir würden euch sogar diesen zerzausten Kasperle verzeihen, den ihr da gewählt habt. We will miss you – for sure!