Ganz schön Glück gehabt, dachten wir. Nachdem wir unseren Mittagsflug von Mumbai nach Ahmedabad verpasst hatten, bekamen wir Tickets für den am Abend und aus lauter Mitleid versorgte uns die freundliche Mitarbeiterin auch noch mit Plätzen am Notausgang mit Superbeinfreiheit. Unser erster Flug mit einer Pilotin, eine kurze Flugzeit und dafür ein recht langes Kreisen über Ahmedabad, der größten Stadt des Bundesstaates Gujarat. Eine normale Landung und dann kommen wir auf der Landebahn zum Halten. Eigentlich rollt man ja in Richtung Terminal und macht Platz für andere landewillige Flugzeuge, aber es ist Abend, vielleicht ist es ein besonders kleiner Flughafen und außerdem ist es Indien. Wir stehen weiter und nichts passiert. Aus dem Fenster sehe ich, wie neben uns ein Feuerwehrwagen auffährt, die Feuerwehrmänner herausspringen und einen Schlauch ausrollen. Dann richtet der Wagen seine Wasserspritze auf dem Dach auf uns. Äh, was ist denn das? Da fühlt man sich ja fast an den Stuttgarter Schlossgarten zu besten S21-Demo-Zeiten erinnert. Da meldet sich die Pilotin. Ein Reifen unseres Flugzeugs sei beim Start geplatzt, keine Aufregung, wir seien jetzt sicher am Boden, aber es würden noch ein paar Sicherheitsprozeduren ablaufen. Ok…. Nach einer Weile zieht die Feuerwehr ab und wir rollen in Zeitlupe von der Landebahn. Das Flugzeug applaudiert. Beim Aussteigen steht die sympathische Pilotin vor der Cockpittür und wir bedanken uns bei ihr. „We are trained for that“, strahlt sie uns an, sichtbar erleichtert. Ein kurzer Blick auf den linken Vorderreifen – ja, der ist sichtbar lädiert. Am nächsten Tag finden wir unsere Landung in den Zeitungen wieder – landesweit. Da kommen wir schon kurz ins Philosophieren über Schicksal und ähnliches – den Flug kurz verpasst, um in einen zu steigen, der notlanden muss. Seit Japan habe ich den kleinen Zettel dabei, den ich in beim Stäbchen-Orakel in einem Tempel gezogen hatte und der mir „Excellent luck“ bescheinigte. Wahrscheinlich brauchte dieser Flug etwas Glück und damit uns als Passagiere.
Jedenfalls geht es positiv weiter – eine angenehme Taxifahrt später stehen wir vor unserem prächtigen Hotel am Rande der Altstadt – das „House of MG“ ist ein wunderbar restauriertes Wohnhaus eines früheren Textilmagnaten – sehr geschmackvoll, sehr exquisit, sehr liebevoll. Im Vorraum unseres Zimmers eine große Schaukel mit bestickten Kissen, im bestimmt fünf Meter hohen Schlafzimmer verliert sich das prächtige Himmelbett fast, der pure Luxus für knapp 70 Euro die Nacht.
Die Altstadt von Ahmedabad gehört zum Weltkulturerbe und unsere Erwartungen sind entsprechend. Allerdings ist Ahmedabad auch die Stadt mit den meisten Motorrädern in Südasien und hat ein heftiges Problem mit der Luftverschmutzung. Unser Rundgang durch das Zentrum ist vor allem anstrengend, es ist heiß und staubig und über allem liegt ständiges Gehupe. Eine touristische Infrastruktur gibt es nicht, das hatten wir erwartet und auch gewollt, uns von einer Weltkulturerbestadt aber doch etwas mehr Information versprochen. So schnell wie möglich tauchen wir ein in die kleinen Gassen der Altstadt, lassen uns treiben und finden zum Glück irgendwann ein kleines Café, dass von den Eigentümern unseres Hotel betrieben wird. Die haben auch einige alte Holzhäuser drumherum restauriert und wir hoffen, dass sie weitermachen damit.
Unser schönes Hotel ist eine Wohltat nach dem staubigen Tag, den traumhaften Innenpool habe ich ganz für mich alleine und danach ab auf die zimmereigene Schaukel.
Gujarat ist die Heimat von Mahatma Gandhi und in Ahmedabad lebte er von 1917 bis 1930. Vom Sabarmati-Ashram aus lenkte er den gewaltlosen Widerstand gegen die britische Besatzungsmacht, von hier startete der berühmte Salzmarsch. Wir lassen uns von einer Autorikscha hinbringen, ein großer Vorteil der Abgelegenheit von den touristischen Routen ist, dass wir bei den Transportpreisen nur ein ganz klein wenig übers Ohr gehauen werden. Der Ashram ist so etwas wie ein nationales Gedenkzentrum mit einer sehr positiven Atmosphäre und einer großen Ausstellung über Gandhis Leben und Wirken. Hier wurde wirklich Weltgeschichte geschrieben, das ist spürbar. Ein friedlicher Ort, für den sich die Reise nach Ahmedabad schon gelohnt hat. Nach informativen zwei Stunden halten wir auf der Straße eine weitere Motorradrikscha an und fahren ein Stückchen vor die Tore der Stadt. Im Örtchen Adalaj steht einer der schönsten und größten Stufenbrunnen Indiens. Mehrere Geschosse tief in die Erde führt dieses imposante Bauwerk bis hinunter zum kühlen Nass, opulent verziert und eine absolute Pracht. Die Anlage entstand am Ende des 15. Jahrhunderts – das so etwas damals möglich war und in seiner ganzen Schönheit bis heute erhalten blieb ist unglaublich. Wir staunen von Stufe zu Stufe, die uns weiter nach unten führt. Götter und Elefanten zieren die Wände, Balkone, Säulen, ein wirkliches Meisterwerk. Und ein perfekter Ort für jeden Indiana-Jones Film. Wirklich beeindruckend.
Den Abend krönen wir mit einem königlichen Essen im Restaurant unseres Hotels. Das „Royal Thali“ besteht aus diversen Köstlichkeiten der Gujarati-Küche, angefangen mit Pani Puri, knusprigen Teigbällchen, die mit gewürztem Kartoffelbrei gefüllt sind, natürlich diverse Gemüsecurrys und dann die Geschmacksexplosion Khadi, einer Soße aus Buttermilch, Kichererbsenmehl und einer sensationellen Würze. Kein Fleisch und nur Wasser dazu, Gujarat ist ein „Dry State“, überwiegend vegetarisch und alkoholfrei. Wir krönen den wunderbaren Abend mit Kaffee und hausgemachtem Eis auf der Dachterrasse mit perfektem Blick auf ein weiteres Festspektakel: heute Abend findet die Muharram-Prozession der Muslime Ahmedabads statt und zwar genau vor unserem Hotel. Bunte Nachbauten des Grabmals eines Märtyrers werden unter lauter Musikbegleitung und leicht martialischen Tanzeinlagen durch die Straßen getragen. Von unserem Logenplatz hier oben ein echter Genuss. Zum Abschluss wird uns noch Pan gereicht, ein Betelpfefferblatt, in das diverse Gewürze verpackt sind. Das langsame Kauen soll eine positive Wirkung auf die Verdauung haben und die brauchen wir nach der Schlemmerei.
Der Tag war toll, aber die Reize Ahmedabads sind damit ausgekostet. Dann schauen wir morgen mal, was der Rest des Staates noch zu bieten hat.