Naumburg und die karibischen Helferlein

Nein, wir haben Europa immer noch nicht verlassen. Noch nicht mal Deutschland. Aber wenigstens Westdeutschland. Denn wir sind auf dem Weg nach Leipzig und haben einen Stopp in Naumburg eingelegt. Der Sommereinbruch im frühen April beschert uns einen lauen Abend in der komplett erhaltenen und weitgehend perfekt restaurierten Altstadt. Auf dem großen Marktplatz leuchten die bunten Bürgerhäuser mit dem blauen Himmel um die Wette, wir lassen uns das erste Eis der Saison schmecken und genießen in einem kleinen Biergarten ein leckeres Köstritzer Pils und Thüringer Bratwurst – also eigentlich ein Ort zum Wohlfühlen. Aber irgendwas passt nicht. Die Frühlingstemperaturen scheinen bei den vornehmlich jungen Männern die Hormone in Wallung gebracht zu haben und das können sie nur unter Zuhilfenahme ihrer Fahrzeuge verarbeiten – schwere Maschine dröhnen durch die Straßen,  Motoren heulen auf und mit jedem weiteren wrumm aus den Auspuffen scheint die Männlichkeit ihrer Besitzer noch ein paar Zentimeter zu wachsen. Diese Poserei nervt in jeder Stadt, aber vor der Kulisse prächtiger Bürgerhäuser, gemütlicher Cafés und stylischer Weinbars scheint sie besonders absurd. Als würden die Stadt und ihre Bewohner – zumindest die hörbaren – einfach nicht zusammen zu passen. Nun denn, unsere freundliche Pension liegt in einer Sackgasse und wir schlafen ganz himmlisch.

Die Hauptattraktion der Stadt folgt am nächsten Tag – der Naumburger Dom. Weltkulturerbe ist er vor fünf Jahren geworden, eine fast unendliche Geschichte der Antragstellung ging dem voraus und wäre da nicht dieser winzige Karibikstaat gewesen, wer weiß, ob es überhaupt geklappt hätte. Ernsthaft geplant war die Antragstellung seit 1998, 2014 wurde der erste Antrag eingereicht, 2015 abgelehnt, noch mal eingereicht, wieder abgelehnt und als die Hoffnung schon fast erloschen war, kam St. Kitts und Nevis. Die zwei karibischen Inseln mit gerade mal 40.000 Einwohnern hatten einen Änderungsantrag für Naumburg eingebracht, der dann tatsächlich angenommen wurde und endlich war es passiert – der Dom darf sich seit 2018 Weltkulturerbestätte nennen. Und klar durfte eine Delegation aus St. Kitts und Nevis zur Eröffnungssause kommen. Lästereien musste sich Naumburg eine ganze Weile gefallen lassen wegen der karibischen Schützenhilfe, aber egal – der Dom ist grandios und mit oder ohne Titel eine Reise wert.

Berühmt ist er vor allem wegen seiner Stifterfiguren im westlichen Chor – allen voran Ekkehard und und die schöne Uta. Sie wirken ganz modern und sie sind ein Meisterwerk, so wie der ganze Dom. Bildhauerkunst und Architektur verschmelzen, unglaublich, was ein unbekannter Naumburger Baumeister vor hunderten von Jahren geschaffen hat.

 

Was mich aber besonders beeindruckt hat, ist die moderne Kunst, die in das mittelalterliche Bauwerk wie selbstverständlich integriert wurde. Und das schon zu DDR-Zeiten. Ich bin kein großer Fan zeitgenössischer christlicher Kunst und da kommt es meinem Geschmack sehr zugute, dass der Naumburger Dom nicht mehr der Kirche gehört, sondern einer weltlichen Stiftung. Denn die scheinen sehr viel offener mit verschiedenen künstlerischen Ansätzen umzugehen. Für uns folgen zwei äußerst interessante und unterhaltsame Stunden, die wir dann aber wegen der Kälte im Dom – draußen sonnige 25, drinnen frische 10 Grad – beenden.

Da ist zum Beispiel die Glaskunst. Im Naumburger Dom beeindrucken einerseits die über 800 Jahre alten Kirchenfenster im Westchor, andererseits aber auch die in den 2000ern gestalteten Fenster in den Kapellen. In der Elisabethenkapelle taucht man ein in tiefes Rot. Ein bisschen sozialistisch wirken sowohl Motiv als auch Farbe, die sich der Leipziger Maler Neo Rauch ausgesucht hat, aber die Stimmung ist einzigartig.

 

So richtig Spaß machen die Werke des Bildhauers Heinrich Apel. In der Krypta halten eine Engelin und ein huttragender Prophet die Leuchter, die Handläufe rechts und links des Ostchors sind bezaubernd. Bronzene Figuren versuchen auf dem schmalen Pfad ins Paradies den Aufstieg weg vom Teufel, vom armen Sisyphos wissen wir, dass er es mit seinem Felsbrocken nicht schaffen wird, ein vorwitziger Seiteneinsteiger versucht eine Abkürzung, Adam und Eva sind bereits da. Auf der rechten Seite führen kleine Fußabdrücke zu Franz von Assisi, der zu den Vögel, die sich auf dem Handlauf tummeln, predigt.

Beim Altar im Westchor kommen sich Mittelalter und Moderne am nächsten – die Seitenflügel sind die Originale von Lucas Cranach, das zerstörte Mittelteil wurde vom Leipziger Maler Michael Triegel neu gestaltet. Da trifft dann Baseballcap auf Rauscheengel, wie ich das inhaltlich finde, ist egal, denn es ist einfach sehr gut gemacht und eine mutige Entscheidung – Cranach und Triegel ergänzen sich perfekt, das moderne Werk hebt sich auf den ersten Blick überhaupt nicht ab von seinen fünfhundert Jahre älteren Partnern und strahlt mit ihnen um die Wette. Fast hätte die Aufstellung des Altars den mühsam errungenen Welterbetitel wieder verschwinden lassen, aber die Domstiftung hat sich vorerst durchgesetzt – obwohl der Altar den Blick auf die Stifterfiguren ablenkt, steht er da jetzt. Ganz vorbei ist der Streit mit der UNESCO noch nicht, der Entzug des Titels könnte immer noch drohen. Vielleicht fragt ihr einfach mal in der Karibik nach, wie sich das Dilemma lösen lässt.

 

 

 

Andalusische Überraschungen

Es hat doch tatsächlich geklappt. Am französischen Superstreiktag sind wir fast pünktlich sowohl von La Réunion nach Paris als auch ein paar Stunden später weiter nach Málaga gekommen. Und unser Gepäck auch. Was ja mittlerweile keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Auf dem Flughafen von Málaga bekommen wir eine erste Ahnung von den Menschenmassen, die hier Jahr für Jahr durchgeschleust werden: die Autovermietung hat sich voll automatisiert, am Automaten wählt man zwischen drei Wagen und schwupps wird der Schlüssel einschließlich Parkplatznummer ausgespuckt. Keine halbe Stunde nach der Landung sitzen wir schon im Auto und machen uns auf in unser andalusisches Abenteuer.

Der Blick beim Landeanflug – warten hier doch mehr Wunder als geahnt?

Spanien stand bisher auf der Liste der Länder, die ich lieber vermeide, ganz weit oben. Bestimmt nicht wegen der Schönheit des Landes und seiner Kultur, sondern wegen der Touristenmassen. Dummerweise belegt ausgerechnet ein spanisches Ziel einen der ersten Plätze unserer Bucket List: die Alhambra in Granada. Ein Dilemma, das wir endlich lösen wollen. Es ist März und Nebensaison, wir brauchen eine langsame Annäherung an Deutschland und da scheint es uns doch eine gute Idee, noch ein paar Tage in Andalusien zu verbringen, bevor es endgültig nach Hause geht.

Vom Flughafen Málaga starten wir es erst mal in die Berge. In Alhama de Granada haben wir uns im La Maroma eingebucht und das entpuppt sich als perfekter Start für unsere kurze Andalusienreise. Ein wunderschönes Zimmer in einem wunderschönen Haus gegenüber einer wunderschönen Kirche mit Blick ins wunderschöne Tal. Und Touristen scheinen in dem Ort noch Mangelware zu sein. Wir streifen durch die kleinen Gassen, wir brauchen noch Milch und Haferflocken fürs Frühstück, und werden bei einer älteren Dame in ihrem Laden fündig. Wir betrachten den Honig, der auf einem Tresen steht, „natural“ ruft sie durch den kleinen Laden. Und die Beutel mit Mandeln, auch „natural“, fängt sie an zu plaudern, obwohl wir eben nur dieses eine Wort verstehen. Aber das macht nichts, die Atmosphäre ist so herzlich und die Mandeln später so unglaublich lecker, dass uns dieser Laden noch lange in Erinnerung bleiben wird. Auch beim Abendessen in einer Bar am Marktplatz mit Wein, einer Wurstplatte und Oliven setzt sich die Freundlichkeit und Entspanntheit fort. Wir sind noch nie große Olivenfans gewesen, eigentlich gehören sie für mich nach Rosinen zu den Dingen, die ich wirklich nicht essen kann, aber die hier, die sind gut. Beschwingt vom Wein und müde von der durchflogenen Nacht fallen wir später ins Bett und bedauern fast, dass wir nur einen Tag in dem freundlichen Ort verbringen werden.

Aber da wissen wir ja noch nicht, was Andalusien noch so bereit hält. Ohne Reiseführer und ohne eine echte Ahnung von der Gegend steuern wir Córdoba an. In der Altstadt beziehen wir ein echtes Designer-Prachtstück. In einem der vielen Innenhöfe gehört uns für die nächsten drei Tage ein perfekt restauriertes Apartment, das sogar mehrere Architekturmagazine schmückt. Im Hof ein eigener Zitronenbaum, was will man mehr. Dass die Mauren in Granada waren, das weiß ich. Deswegen wollen wir ja auch hin und die wunderbare Architektur wie aus tausendundeiner Nacht genießen. Dass sie auch in Córdoba waren und eigentlich in ganz Andalusien, das war mir nicht klar. Und so beginnt der orientalische Traum für uns recht überraschend bereits jetzt. Die Mezquita-Catedral war früher eine Moschee und auch wenn sie seit über 800 Jahren eine katholische Kirche beherbergt, fühlt man sich hier inmitten einer islamischen Wunderwelt. Die vielen Besucher verlieren sich in dem riesigen Betsaal mit hunderten Säulen, die von Hufeisenbögen überspannt sind. In Halbschatten getaucht findet hier jeder sein Eckchen, vom schnatternden Touristenführer bis zum Andachtsuchenden. Stunden kann man durch die 23.000 qm große Halle schreiten, findet immer wieder neue Blicke und Perspektiven, ein durch und durch großartiges Bauwerk.

Ein schöner Kontrast ist die Schloss- und Gartenanlage Alcázar de los Reyes Christianos, durch die wir am frühen Abend streifen. Vom Schlossturm aus hat man einen Blick in die königlichen Reitställe nebenan, rassige Pferde gehören ebenso zu Andalusien wie die atemberaubende Architektur. Im Garten holt sich Kolumbus den Auftrag zur Entdeckung einer neuen Welt ab.

Zum Sonnenuntergang ist die Römische Brücke the place to be und danach quellen die vielen Straßenrestaurants über von geselligen Menschen. Über allem liegt der Duft der Orangenbäume – was für ein perfekter Ort!Die römische Brücke in Córdoba

Davon wollen wir mehr und so steuern wir als nächstes Sevilla an. Nach dem fast schon beschaulichen Córdoba erwartet uns hier eine brodelnde Großstadt. Dazu passt auch unser Loft, im allerbesten Urban Style industriedesignt wähnen wir uns mitten im Stadtzentrum, um dann aber festzustellen, dass Sevilla eine riesige Innenstadt hat. Und Restaurants, die ganz harmlos daherzukommen scheinen, mit kleinen Tischen auf breiten Bürgersteigen und klassisch wirkenden Tapaskarten. Um uns dann ins Reich der modernen spanischen Leckerstküche zu entführen. Das hatte ich nicht erwartet, aber klar, Iberico-Schinken, Gazpacho und die Inspirationen durch die Mauren mit einer Vielzahl orientalischer Gewürze, all das kommt von hier. Wir schlendern am Ufer des Río Guadalquivir entlang, vorbei an der Stierkampfarena Plaza de Toros – sie tun es leider immer noch, die Spanier – durch das historische Viertel El Arenal bis hin zum Plaza de España. Der riesige Platz wurde 1929 zur Iberoamerikanischen Ausstellung gestaltet. Das gigantische halbkreisförmige Gebäude, das den Platz begrenzt, reich verziert und durchzogen von einem Kanal, auf dem eine Ruderbootpartie unternommen werden kann – ein bisschen erinnert mich das an die künstlichen Welten in Las Vegas, aber hier wirkt es authentisch und begeistert so sehr, dass der Platz gerne auch mal für Hollywood-Produktionen als Kulisse dient.

Nach so viel urbaner Grandeur steuern wir eines der weißen Dörfer Andalusiens  an. Wobei Ronda schon länger kein Dorf mehr ist, die Häuser dafür aber weitgehend weiß und in spektakulärer Lage hoch auf einem Felsen oberhalb einer tiefen Schlucht, die von der Puento Nuevo überspannt wird. Wieder haben wir absolutes Glück mit unserer Wohnung, ein schmales Häuschen am Rande der Altstadt über drei Stockwerke und mit viel Charme. Ronda ist beliebt bei Tagestouristen, die Stadt ist schon in der Vorsaison tagsüber voll. Elektronisch verstärkte Straßenfolklore schallt über das Tal, aber hübsch ist es trotzdem. Am Abend wird alles ein wenig intimer und man findet Platz auf gemütlichen Mäuerchen, um den Sonnenuntergang über dem Tal gemütlich beobachten zu können. Im Restaurant Las Tablas kommt das perfekt gebratene Fleisch auf großen Schieferplatten, aber erinnern werde ich mich vor allem an den New York Cheesecake aus Ziegenfrischkäse – eine echte Genussüberraschung!

Los, alles aufessen!

Und jetzt auf nach Granada! Nicht ganz freiwillig haben wir die Stadt ans Ende unserer Andalusienreise gelegt. Eric kam vor Wochen zum Glück auf die Idee, mal nach Karten für die Alhambra zu gucken. Und siehe da – so gut wie ausgebucht. In der Vorsaison. Die einzigen Karten die wir noch ergattern konnten, gelten für den vorletzten Tag unserer Reise und zwar für 8:30 Uhr. Wie das wohl mit Tickets in der Hochsaison läuft? Zwei Jahre im Voraus buchen?

Auch hier wieder eine schöne Wohnung, mitten in der Stadt, die Kathedrale von Granada gleich um die Ecke und von leckeren Restaurants scheint man in Andalusien ja sowieso nie weiter als 100 Meter entfernt zu sein. Und so schön die Stadt ist – Overtourism ist hier ein Thema. Die Herzlichkeit anderer Städte, die scheint schon etwas verloren gegangen und einer routinierten Professionalität gewichen zu sein. Aber nicht so sehr, dass man sich hier nicht wohlfühlen könnte. Wir laufen durch das Stadtviertel Albacín den Hügel hinauf, orientalisch gestaltete kleine Läden und Restaurants säumen die Gassen, und plötzlich sehen wir sie: die Alhambra auf dem Berg gegenüber. Im Hintergrund die schneebedeckten Hügel der Sierra Nevada. Der Anblick ist atemberaubend, so schön, so ergreifend, weil ich schon so lange hierher wollte. Es gibt einige erste Blicke, die mich weltweit fassungslos gemacht haben, der auf den Grand Canyon, das Taj Mahal, die Klagemauer in Jerusalem und jetzt die Alhambra gehören dazu.Die Alhambra

Am nächsten Tag ist es dann soweit, früh quälen wir uns aus den Betten, lästern auf dem Weg zur Alhambra, dass es eher Panikmache im Internet ist und bestimmt noch Tickets vor Ort erhältlich sind und wir vollkommen umsonst so früh durch die Stadt schleichen. Wir durchqueren das große Eingangstor, laufen durch einen Park, keiner da, wussten wir’s doch. Oben angekommen ist dann aber klar: hier ist bereits was los und Tickets vor Ort, das kann man vergessen. Wir reihen uns in die Schlange der Wartenden, eine Viertelstunde noch bis zur Öffnung und die vielen Absperrungen, die die Massen kanalisieren sollen, geben einen Vorgeschmack auf den Ansturm. Wir sind fast die Ersten, die den maurischen Traum betreten und dem Zauber des Orients erliegen. Die kunstvoll dekorierten Räume, die prachtvollen Innenhöfe mit leise plätschernden Brunnen, das Spiel mit Schatten und Licht, das durch die steinernen Gitter der Fenster fällt, Säulen und Durchgänge – sie haben es sich sehr schön gemacht, die maurischen Herrscher. Die wechselvolle Geschichte der Alhambra lassen wir außen vor – zu schön, zu atmosphärisch ist die Palastanlage, um sich mit den spanischen Königen zu beschäftigen. Unser unfreiwillig frühe Besuch erweist sich als Glück – hinter uns drängen die Massen in die Palastanlage.

Ein langer Spaziergang durch die Gärten der Alhambra, ein Bummel durch die Gassen Granadas, ein letztes spanisches Tapas-Dinner, dann ist er vorbei, der letzte Tag unserer großen Reise. Was wir nicht gedacht hätten: Andalusien hat sich nahtlos in die Highlights unserer Reise eingereiht und Spanien haben wir sicherlich nicht zum letzten Mal besucht – außerhalb der Hauptsaison.

Jetzt steht nur noch Zurückreisen an und das mit gemischten Gefühlen. Natürlich ist da eine gewisse Vorfreude, nicht mehr alle paar Tage zusammenpacken, ständig nach neuen Unterkünften recherchieren zu müssen. Aber die große Freiheit, die täglichen Abenteuer, die vielen Inspirationen, die sind jetzt erst mal vorbei. Vier Monate waren wir unterwegs, für ein Resümee ist es jetzt noch zu früh. Machen wir uns also erstmal auf zurück in die Normalität. Danke für’s Begleiten, Ihr Lieben!

 

Wolkenwanderungen

Nur ein relativ schmaler Streifen Küstenlandschaft umgibt La Réunion. Kaum genügend Platz für die Städte, rasch wird es hügelig und die Straßen steigen steil an. Die Vororte kleben wie kleine Insekten an den Hängen und am Abend funkeln die beleuchteten Wohnhäuser wie ein Schwarm Glühwürmchen, der über der Stadt schwirrt. Die Berge dahinter sind von der Küste aus meist nur schemenhaft und wolkenbedeckt zu erkennen. Aber hier warten die eigentlichen Highlights von La Réunion.

Im bergigen Inneren der Insel gibt es drei Talkessel. Der von Mafate ist nur zu Fuß oder mit dem Helikopter zu erreichen und scheidet für uns damit aus. Wir machen uns erst mal auf zum Cirque de Cilaos. Hierher führt die „Straße der 400 Kurven“ und diese Zahl ist sicherlich nicht übertrieben. Fast senkrecht türmen sich die üppig grünen Berge vor uns auf, Wasserfälle stürzen ins Tal hinunter und die Straße windet sich mal rechts, mal links und oft so steil, dass nur der erste Gang hilft. Furchtbar sei es, auf La Réunion zu fahren, diese engen Kurven, ungeduldige Einheimische, tiefe Gräben am Straßenrand, schreiben die Reiseführer. Aber wahrscheinlich sind wir mittlerweile abgehärtet, es fährt sich erstaunlich gut und auf deutschen Straßen geht es wesentlich ungeduldiger zu. Kein Grund also, die spektakulären Blicke, die sich nach jeder Kurve auf’s Neue bieten, auszulassen.

Wir haben ein kleines Häuschen in einem abgelegenen Dorf am Rande des Talkessels in Palmiste Rouge gemietet. Es regnet als wir ankommen, aber das scheint hier normal zu sein. Ohne Schirm gehen wir ab sofort nicht mehr aus dem Haus und Wolken werden unsere ständigen Begleiter der nächsten Tage. Es gibt tolle Wanderwege auf La Réunion, so grün, so viele Wasserfälle, so viele Überraschungen, wenn sich die Wolken plötzlich verziehen und den Blick auf Gipfel und Täler freigeben.

Für viele Wanderabenteuer muss man sehr fit und sehr trittsicher sein – und zumindest ich bin das nicht. Noch nie bin ich gerne von Stein zu Stein über Flüsse gesprungen oder endlos bergauf gestiegen. Ich bin eine Flachländerin, das ist sogar genetisch bewiesen. Anders die Réunionaisen. Über die Insel rennen ist hier Nationalsport. Beim Grand Raid spurten sie jedes Jahr 165 Kilometer bergauf bergab quer durch die Insel, fast 10.000 Höhenmeter überwindend. Der Beste in unter 15 Stunden, aber zu den Top 100 gehört man auch mit 50 Stunden. Diagonale des Fous, Diagonale der Verrückten, nennt man den Lauf auch, an dem 1350 Einwohner von La Réunion und 1000 von außerhalb teilnehmen. Und weil dafür natürlich auch trainiert werden muss, überholen uns immer mal wieder Sprinter, die über die Flüsse springen als wärs nix. Mein Neid ist ihnen sicher. Wir jedenfalls wandeln auf einigermaßen ebenen Strecken und drehen halt wieder um, wenn’s zu steil oder zu nass wird.

Etwas gefälliger kommt dann der Cirque de Salazie daher, wo man ebenfalls sehr schön wandern kann, dessen Attraktion aber auch die hübschen kreolischen Dörfer mit ihren bunten Holzhäusern sind. Hell-Bourg ist ein solches Exemplar, es wird auch als das schönste Dorf Frankreichs bezeichnet. Die Grand Nation ist ja mit etlichen hübschen Städtchen gesegnet, ob Hell-Bourg da jetzt so ganz besonders raussticht, glaube ich zwar nicht, aber der Ort mit seinen schönen Häusern und umgeben von riesigen Wasserfällen ist durchaus eine Reise wert.

   

Das hätte dann alles sehr harmonisch sein können, wenn booking.com ein wenig verlässlicher wäre. In der absoluten Einsamkeit haben wir ein Häuschen gebucht, die Anfahrt ist anstrengend, Google kennt nicht immer einen gut befahrbaren Weg, aber gen späteren Nachmittag schaffen wir es dann. Voller Vorfreude auf ein kühles Bier, ein selbstgekochtes Abendessen und eine Waschmaschine kommen wir an. Doch was sind das für Handtücher auf unserer Veranda? Unsere schöne kleine Villa ist bereits belegt. Und zwar eindeutig durch einen Fehler von booking.com. Nachdem wir zwei mal aus der Hotline fliegen, bietet man uns eine Unterkunft, für die wir etwa zwei Stunden fahren müssten als Alternative an. Die wahrscheinlich vor allem deswegen noch zu haben ist, weil sie mit „Sehr schlecht“ bewertet ist. Mehr Unterstützung gibt’s nicht von dem Reiseportal, das in den vergangenen 100 Tagen recht gut an uns verdient haben dürfte. Auf die Schnelle und in der beginnenden Dämmerung finden wir ein Zimmer, zu dem wir dann etwa eine Stunde unterwegs sind – über dustere, enge, kurvige Straßen. Nie im Leben wären wir freiwillig in der Dunkelheit durch diese Berge gefahren. booking.com interessiert so was aber nicht, maximal zahlen sie uns ein paar Euro die Nacht, wenn es etwas teurer wird, aber bitte nicht zu teuer. Und eine Entschädigung für Ärger, Angst und Aufwand? Doch nicht bei booking.com. Die streichen zwar gerne eine ordentliche Provision pro Buchung ein, aber wenn sie ihre Kunden in Schwierigkeiten bringen, dann herrscht ganz schnell das große Schweigen am Ende der Hotline. Nun denn, wir sind um eine Erfahrung reicher.

Nach der Erfahrung mit booking.com brauchen wir erst mal ein Bier.

Was jetzt noch fehlt ist der Grund für all diese Berge und Täler – der Vulkan Piton des Neiges.  Im Regen und Nebel fahren wir die Straße hinauf, die Wolken verschwinden und ein tiefblauer Himmel bietet unglaubliche Aussichten auf die Gipfel. Hier lässt es sich unproblematisch lange am Kraterrand laufen, mit immer schöneren Aussichten und steigender Begeisterung. Eine Landschaft wie aus Jurassic Park, diese glücklichen Réunionaisen!

Und dann nehmen wir den direkten Kraterbereich in Angriff. Der Vulkan gehört zu den aktivsten weltweit, etwa ein mal pro Jahr bricht er aus, aber gerade ist er ruhig. Über eine Mad-Max-ähnliche Piste gelangt man an den Rand des Kraters, von dem aus mehrere Wanderungen möglich sind. Nach einem ersten Versuch, auf einsamen Wegen am Kraterrand entlang zu laufen, entscheiden wir uns für die weniger einsame Variante: den Abstieg über eine lange Treppe hinunter in den weitläufigen Kessel. Bei strahlendem Sonnenschein kommen wir unten an, in der Ferne sehen wir aber schon die Wolkenwand, die sich rasch nähert. Innerhalb kurzer Zeit sind wir in Dunst eingehüllt und ich fühle mich doch sehr an den Nebel des Grauens in „The Fog“ erinnert. Die Wolken ziehen so schnell weiter, wie sie gekommen sind, wir leben noch und machen uns an den nicht ganz unanstrengenden Aufstieg zurück zum Parkplatz.

Für uns war der Vulkan ein harmloses touristisches Abenteuer. Was der Feuerberg anrichtet, kann man eindrucksvoll im kleinen Örtchen Sainte-Rose besichtigen, der 1977 vom Lavastrom verschüttet wurde. Die Kirche, die aus dem Lavafeld freigeschaufelt wurde, trägt heute den Namen Notre-Dame-des-Laves.

Und das war es jetzt schon mit Frankreichs kleinem Paradies im Indischen Ozean. Ausgerechnet am Tag des Generalstreiks gegen die Rentenreform machen wir uns auf zurück nach Europa. in La Réunion sind sie zum Glück viel zu entspannt, um die Flugzeuge ins Mutterland nicht abheben zu lassen. Ob es von Paris aus für uns dann weitergeht, das wird sich zeigen. Jedenfalls war La Réunion eine tolle Entdeckung, exotisch und doch so vertraut, so anders als Mauritius und mit den schönsten Wolken der Welt!

 

 

Département 974 – Frankreichs Paradies

Nur 25 Minuten Flugzeit von Mauritius entfernt liegt Europa. Ein Eiland mitten im indischen Ozean, gerade mal so groß wie das Saarland, aber Teil Frankreichs. La Réunion heißt die wilde Schöne im tiefblauen Meer, auf die wir Anflug nehmen. So nah an Mauritius und doch so anders – eben noch die strahlenden Türkistöne der Westküste bei Mahébourg, jetzt hohe wolkenverhangene Berge und ein Blick auf Europas teuerste Straße. Die Nouvelle Route du Littoral spannt sich entlang der Küste über das Meer, knapp 9 Kilometer der geplanten 12,5 sind fertig und die Gesamtbaukosten werden auf 2,5 Milliarden Euro geschätzt. Im Vergleich zu manch einem Tiefbahnhof fast ein Schnäppchen.

Tschüß Mauritius
Bonjour La Réunion

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wir zücken nach drei Monaten erstmals wieder unsere Euros, legen deutsche SIM-Karten in die Handys ein und fühlen uns in unserem kleinen Apartment unterm Dach fast ein bisschen wie in einer freundlichen Mansardenwohnung in Paris. Die Hauptstadt von La Réunion heißt Saint-Denis, ein fröhlicher Mix aus kreolischen Villen, einem schönen Park, gemütlichen Cafés und einer Fußgängerzone, in der wir das Bummeln durch die Geschäfte genießen. Wären da nicht das wilde Meer und die schroffen Berge im Hintergrund, das könnte auch Südfrankreich sein.

Saint-Denis

Was in La Réunion sofort auffällt, ist der Kulturmix, der die Geschichte der Insel widerspiegelt. Wie Mauritius war Réunion bei Ankunft der Europäer unbesiedelt. Die weißen Eroberer brachten Sklaven aus Madagaskar und Ostafrika ins Land und warben später Menschen aus Indien und China als billige Arbeitskräfte an. Was daraus entstand, ist ein Happy End, eine echte multikulturelle Gesellschaft, wie wir sie so noch in keinem anderen Land erlebt haben. Fast jeder Mensch hier scheint Afrika, Europa und Asien in sich zu tragen. „Als identitätsstiftend für alle Réunionaisen wird heute die als Métissage bezeichnete Vermischung und das friedliche Zusammenleben aller Bevölkerungsgruppen betrachtet.“, schreibt Wikipedia, und das bringt es sehr gut auf den Punkt.

Die Fröhlichkeit und Vielfältigkeit der Menschen spiegelt sich wieder in ihren entspannten Städten. Dabei ist das Paradies nicht frei von Problemen, hohe Arbeitslosigkeit, europäische Preise bei geringerem Verdienst, all das macht Réunion zu schaffen. Doch die Menschen scheinen das Leben hier trotzdem zu genießen, zwischen Bergen und Meer, zwischen Europa, Afrika und Asien.

Ein entspannter Abend am Strand von Saint-Pierre

Die gemeinsame Sprache ist, wie in vielen Ländern mit Sklaverei-Geschichte, Kreol. Aber anders als auf Mauritius ist das Kreol in La Réunion sehr nah am Französischen, also für uns einigermaßen verständlich. Englisch wird – ganz wie in der kontinentalen Grande Nation – eher schlecht gesprochen und verstanden. Aber mit unserem bisschen Schulfranzösisch und einigen dann doch recht gut englisch sprechenden Einheimischen kommen wir durch.

La Dodo lé la – Der Dodo ist hier. Das war einmal, er lebt nur noch im Inselbier Bourbon weiter.

Ein ganz besonders netter Ort ist Saint-Pierre im Süden der Insel. Weder Hauptstadt noch mit spektakulären Stränden versehen, herrscht hier eine besonders entspannte Stimmung. Eine Promenade nebst Leuchtturm am Meer, ein freundlicher Stadtstrand, das ehemalige Fischerdörfchen Terre Saint – perfekt für ein Bier bei Sonnenuntergang -, eine Menge guter Restaurants und nicht zuletzt eine phantastische Stadtwohnung – hier kann man es aushalten. Im Le Caritologue genießen wir ein hervorragendes kreolisches Buffet, fast gegenüber im Afrik N Food begegnen wir zum ersten und sicher nicht letzten Mal der senegalesischen Küche – den Erdnusseintopf Mafe müssen wir unbedingt zu Hause nach kochen. Und unser Apartment mit Outdoor-Wohnzimmer und tropischer Bepflanzung würde ich trotz vergnügter Nachbarschaft mit entsprechender Geräuschkulisse jederzeit wieder mieten.

An der Promenade von Saint-Pierre

Die Städte auf La Réunion sind aber sicherlich nicht die Hauptattraktion der Insel. Und wer endlos lange Sandstrände möchte, wird besser auf Mauritius fündig. Auch sorglos ins blaue Meer eintauchen, könnte auf La Réunion unerfreulich enden – nirgendwo sonst auf der Welt ist die Gefahr eines Haiangriffs höher. Die eigentlichen Attraktionen von La Réunion liegen im Inneren der Insel. Und darüber berichten wir später.

Im Kegel der Ungewissheit

Uff, das ist grad noch mal gut gegangen. Für uns und für Mauritius. Der Übeltäter, der uns bedrohte, heißt Freddy und ist ein ausgewachsener Zyklon. 

Ich hätte ja eigentlich ein klein wenig sensibilisiert sein müssen. In Darwin geriet ich rund um Weihnachten 2016 mitten in die Zyklonsaison, im folgenden April war sie bei meinem ersten Mauritius-Besuch noch nicht vorbei. Beides mal hatte ich Glück, aber gepustet hatte es schon heftig. Und jetzt ist Februar, zwar sieben Jahre später, aber mein Gedächtnis offensichtlich kurzlebig.

Wenigstens beobachten wir Freddy schon, als er noch weit weg über dem indischen Ozean seine Kreise zieht. Und wir lernen, dass wir uns im „Kegel der Ungewissheit“ befinden. Dieser für uns ganz neue Zustand beschreibt das Gebiet, in dem’s gefährlich werden kann, aber nicht muss. Mauritius liegt zwar am unteren Rand, aber immerhin noch drin, in diesem Kegel. Hui.

Entstanden ist Freddy Ende Januar vor Nordaustralien und seither donnert er Richtung Afrika. Dass ein Zyklon den gesamten indischen Ozean überquert, ist erst vier Mal passiert. Zeit und Strecke genug, um zu einem wahren Monstersturm heranzuwachsen. Mauritius ist zwar winderprobt, aber der letzte wirklich üble Zyklon zog vor fast 20 Jahren über die Inseln. Von Tag zu Tag wächst die Sorge, dass Freddy in seine Fußstapfen treten könnte.

Wir haben uns deshalb für eine stabile Ferienwohnung entschieden – übrigens die allerallerschönste, in der ich je gewohnt habe. Wenn schon Untergang, dann wenigstens stilvoll. Von unserem großen Outdoorwohnzimmer blicken wir direkt auf’s Meer. Damit die coole Möblierung bei starkem Regen nicht nass wird, kann man unseren Terrassentraum mit einem großen Rolladen verschließen. Und hier wird mein englischer Wortschatz um den Begriff „Cyclone Bars“ erweitert, mit denen man den Rolladen mit langen Metallstangen so verstärkt, dass ihn auch starker Wind nicht in die Knie zwingt. Unser Vermieter Maurice rückt gleich mit Verstärkung an, um sie anzubringen. Er würde das zum ersten Mal machen, wäre bisher einfach noch nie notwendig gewesen.

Vier Mann gegen den Zyklon
Die Cyclone Bars stehen
Alle Schotten dicht

Der freundliche Wachmann klärt uns dann über die Warnstufen auf – 1 und 2 noch ganz ok, ab 3 in der Wohnung bleiben und bei 4 das Bett nicht verlassen. Angekündigt ist jetzt Stufe 3. Dann gehen wir doch besser noch mal einkaufen. Auf die Idee kamen andere allerdings auch. Auf dem Parkplatz des großen Supermarktes ist die Hölle los, drinnen um so mehr, superlange Schlangen vor den Kassen. Aber das ist Mauritius. Die Entspanntheit, Freundlichkeit und Fairness verlieren die Menschen auch beim Warten nicht – geschlagene anderthalb Stunden standen wir und alle anderen an, aber niemand verlor die Fassung oder versuchte sich vorzudrängeln. Trotz des Andrangs waren die Supermarkt-Regale erstaunlich gut gefüllt. Nur bei den überlebenswichtigen Pains au chocolat entstand ein Engpass. Aber zu denen hatten wir zum Glück gleich am Anfang gegriffen 🙂 Panic Buying stand am nächsten Tag in der Zeitung. Die netteste Panik, die ich je erlebt habe und weit entfernt von den Kämpfen an leeren Klopapierregalen in deutschen Supermärkten. 

Und dann geht’s los mit Freddy. Als wir am Montagmorgen aufwachen, weht schon eine steife Brise. Aber nicht steif genug, um nicht runter zum Strand zu gehen und einen Blick zu werfen auf das wilde Meer. Wo an den Tagen zuvor ein paar unschuldige Wellen so weit entfernt brachen, dass sie gar nicht erst in Strandnähe gelangten, brodelt und tost es jetzt. Drei- und vierreihig türmen sich die Wellen hintereinander auf, erst dunkelflaschengrün und dann in hellem Türkis brechend. Jedem Surfer würde es in den Fußsohlen jucken, eigentlich eine Pracht und zum Glück noch in der Ferne. Aber es bläst weiter, die Gischt sprüht Richtung Land, der Himmel wird dunkler und die Sturmböen heftiger.

Eine Frau trotzt der steifen Brise

Wo vorhin noch Strand war, schwappt jetzt Wasser. Unsere Häuser stehen immer noch zwei Meter über dem Strand und unsere Wohnung liegt sowieso nach hinten versetzt und im ersten Stock, aber jetzt gehen wir doch lieber. Freddys Weg können wir live im Internet verfolgen und weit weg ist er nicht mehr. Also rein in unser Urlaubsparadies, rauf auf’s Sofa, während der Sturm am großen Rolladen zerrt und die Cyclone Bars ächzend Widerstand leisten. In Florida habe ich vor vielen Jahren mal einen Wirbelsturm erlebt, dann die tropischen Regenstürme in Darwin und ich geb’s zu, bei Sturmflut sind mein Vater und ich früher durchaus gerne an den Hamburger Hafen gefahren. Aber ein echter Zyklon, davon war ich bisher weit entfernt.

Regen prasselt, der Wind heult in allen Tonlagen, das Meer donnert, das wird doch hoffentlich alles halten? So spannend ich das alles bisher fand – ein bisschen unwohl wird mir schon. Wenn jetzt doch der Rolladen oder ein Fenster zu Bruch geht? Das Meer bis ans Haus schwappt? Der Strom ausfällt? Die Straßen unpassierbar werden? Oder gar Menschen zu Schaden kommen?

Am frühen Abend ist dann klar: Freddy ist weitergezogen, ohne sich an Land zu trauen. Jetzt muss erst mal Réunion bangen und dann vor allem Madagaskar – die trifft es immer. Ein paar überflutete Straßen, überschwemmte Hotelanlagen und umgeknickte Bäume – nichts, was nicht schon am nächsten Vormittag wieder aufgeräumt ist. Wird noch etwas dauern, bis sich das Wetter endgültig beruhigt, aber passieren kann jetzt nichts mehr. Die Erleichterung merkt man allen an. Und ich nehme mir jetzt fest vor, die Zyklonsaison künftig bei der Reiseplanung zu berücksichtigen. Hätte ja auch ganz anders ausgehen können.

Nachtrag:
Freddy hat sich erst am 15. März aufgelöst. Kein Zyklon vor ihm hat länger gewütet. Madagaskar, Mozambique und Malawi wurden gleich zwei mal heimgesucht. 500 Tote und Zehntausende Obdachlose. Wir haben wirklich Glück gehabt.

Mauritius – da bin ich wieder

Ich weiß, ich werde wiederkommen, schrieb ich im April 2017 kurz bevor ich Mauritius verließ. Sechs Wochen war ich damals allein durch Mauritius und Rodrigues gereist. Und hatte so geschwärmt, dass Eric darauf bestand: die Erholung nach sieben Wochen namibischem Staub und Sand soll in Mauritius stattfinden.

Es ist ja immer so eine Sache, die Orte, an denen man Wunderbares erlebt hat, noch mal zu besuchen. Die ganzen schönen Erinnerungen, was passiert mit ihnen, wenn sich auf dem einstmals endlos weiten Meer plötzlich Ausflugsschiffe tummeln, zum früher einsamen Dörfchen eine brandneue Schnellstraße führt oder die herzlichen Menschen von damals heute mufflig daherkommen. Das ist alleine schon schwer zu verkraften, aber potenzieren tut es sich, wenn man angetreten ist, das schöne Land jemand anderem zu zeigen. Der sich im schlimmsten Fall insgeheim fragt, was denn hier eigentlich so toll sein soll.

Eric ging dieses Risiko mit Ägypten ein – in den frühen Neunzigern reiste er mehrmals und für viele Wochen dorthin. Aber Glück gehabt, Ägypten war toll, für ihn und für mich.

Und jetzt also „mein“ Mauritius. Schon nach der Ankunft bin ich etwas nervös, was soll ich Eric zeigen? Unser erstes Ziel Mahébourg schläft nach wie vor seinen gemütlichen Dornröschenschlaf und hoffentlich küsst es so bald niemand wach. Mir fällt recht schnell wieder ein, was ich damals so toll hier fand, diesen bröckelnden Charme, die Gemächlichkeit, die Geduld, mit der die Fischer den ganzen Tag bis zum Bauch im Wasser der türkisblauen Lagune stehen und angeln. Aber findet Eric das ebenso charmant? Doch, tut er!

Köstlich wie eh und je – Dhal Puri auf dem Markt in Mahébourg

Das Meer ist nach wie vor die Hauptattraktion von Mauritius, diese unglaublichen Farben, sie sind noch da.

Blick aus unserem Fenster in der Auberge SeaFever

Die Bilder des japanischen Ölfrachters Wakashio, der 2020 vor Mahébourg und dem wunderschönen Strand von Point D’Esny auf das Riff auflief, die verzweifelten Versuche der Mauritier, das Öl zu stoppen, mit bloßen Händen und ihren abgeschnittenen Haaren gegen die Pest anzukämpfen, hat mich damals so sehr berührt. Das Wasser ist wieder klar und die Strände strahlend weiß wie eh und je, aber die Menschen werden diesen Schock wohl nie vergessen. Und er hat zu einem neuen Bewusstsein geführt: junge Menschen engagieren sich aktiv für den Umweltschutz und selbst in Kinderbücher hat die ökologische Katastrophe Einzug gehalten.

Wir entscheiden uns, es ein wenig anders zu machen als ich vor sechs Jahren. Ich war damals mit dem Bus unterwegs, sehr gemächlich und entspannt, aber eben auch ohne die Möglichkeit, einfach mal spontan anzuhalten und die einsameren Gegenden zu erkunden. Deswegen mieten wir uns nach ein paar Tagen in Mahébourg ein Auto und fahren die Ostküste hoch.

Doch vor dem Strandspaß wird’s erst mal Ernst: Beim leider gar nicht so leckeren Hühnercurry beißt Eric auf einen Knochen und ein Stück Backenzahn verabschiedet sich aus seinem Mund. Zum Glück ist der Tipp unserer Hotellady ein sehr guter: Dr. Jayseery entpuppt sich als junger, freundlicher und äußerst kompetenter Zahnarzt, der den lädierten Zahn wunderbar restauriert. So viel Professionalität wurde mir bei meiner verlorenen Plombe in Costa Rica nicht zuteil – obwohl die Füllung jetzt schon seit mehreren Jahren hält. Unserem Kayakabenteuer steht jetzt nicht mehr im Weg und vorbei an affenbesetzten Felsen paddeln wir zum Grand Riviere South East oder einfach nur GRSE Wasserfall.

Und dann passiert doch, was ich befürchtet hatte. Die Île aux cerfs war 2017 eines meiner absoluten Highlights, ein Inseltraum, den ich fast allein für mich hatte, mit endlosen einsamen Stränden. Unglaublich, wie sich das in ein paar Jahren ändern kann. Zudem ja zwischenzeitlich auch noch eine längere touristische Covid-Pause herrschte. An einstmals menschenleeren Stränden Liegen und Sonnenschirme, auf dem türkisfarbenen Meer drängeln sich die Ausflugsboote und allein ist man hier nirgendwo mehr. Wunderschön ist es immer noch, aber die Magie von damals, die ist verschwunden. War es ein Fehler, hierher zu kommen? Nein, war es nicht. Irgendwann überwiegt bei mir die Freude, diesen Ort einmal für mich allein gehabt zu haben.

Immer noch toll – Île aux cerfs

So richtig wohl und zuhause fühlen wir uns dann aber an einem gar nicht so spektakulären Strand in Poste Lafayette – in das Eastern Blue Apartment würde ich sofort für immer einziehen. Da kann man sogar einen ordentlichen Zyklon überleben, aber davon später mehr.

Eastern Blue Apartment – würde mir das bitte jemand kaufen?

Weniger Glück mit der Unterkunft haben wir auf der Halbinsel Le Morne, klein und etwas muffig ist das Apartment hier, dafür sind die Strände in der Nähe einfach unglaublich – die große Attraktion sind die Kitesurfer, die über die Wellen fliegen.

Ein ganz besonderes Erlebnis ist für mich die Begegnung mit den Aldabra-Riesenschildkröten. Im La Vanille Nature Park versucht man, die ausgestorbenen Riesenechsen zu züchten und wieder heimisch werden zu lassen. Schon 2017 hatten mich die wunderbaren Tiere auf Rodrigues verzaubert – und hier ist es genauso. Diesmal sogar unbegrenzt, damals war das Erlebnis zeitlich limitiert. Und sie schmusen doch so gerne 🙂

Und was ist jetzt so ganz besonders toll an Mauritius, frage ich mich zum Schluss. Natürlich das Meer in all seinen Farben, die wogenden Zuckerrohrfelder, die bizarren Felsen, die kreolischen Villen wie die wunderbare Maison Eureka.

Maison Eureka

Aber am allertollsten ist die freundliche Gelassenheit der Menschen, der Mix von Völkern und Religionen, die in großer Toleranz miteinander auf dieser wunderschönen Insel leben. Einfach eine durch und durch gute Stimmung auf Mauritius, das macht den Zauber aus. Das ist das, was mich 2017 und auch heute fasziniert hat. Und deswegen: ich weiß, ich werde wiederkommen!

No’burg

Normalerweise planen wir unsere Reisen ja wenig und spät – für das südliche Afrika hatten wir aber eine grobe Route im Kopf. Von Namibia gen Süden Richtung Kapstadt und dann die Garden Route entlang.  Wir hatten sogar einen Reiseführer für Südafrika eingepackt. Aber – wir haben es gelassen und unser Visum in Namibia ausgereizt bis zum letzten Tag.

Tschüss wunderschönes Namibia!

Warum nicht ins schöne Südafrika? Ganz ehrlich – uns war von Tag zu Tag unwohler. Je mehr wir uns mit dem Land beschäftigt haben, je mehr Namibier und auch Südafrikaner uns darüber erzählt haben, desto mehr wuchsen unsere Vorbehalte. Vor allem, weil wir uns in Namibia einfach immer sicher gefühlt haben, sogar als uns der echte oder vermeintliche Polizist ins Hotel geleitete. Und Südafrika? Die Top three der Tipps lauteten: Um Gottes Willen nach Sonnenuntergang nicht anhalten an roten Ampeln – die Räuber lauern nur drauf. Auf gar keinen Fall durch bestimmte Wohngebiete fahren (aber was, wenn uns das Navi da hin führt?). Und ja nicht abends durch die Straßen laufen. Nein, das wurde uns irgendwann zu viel. Den endgültigen Ausschlag gaben dann aber die Meldungen über „Load Shedding“. Wir hatten bisher immer gedacht, das sei ein ausschließlich nepalesisches Phänomen, dieses täglich stundenweise Abschalten der Elektrizität. Aber Südafrika toppt hier alles. Seit Jahren und mittlerweile 12 Stunden am Tag kein Strom. Und jetzt haben sie sogar den Katastrophenzustand ausgerufen, wegen dieses selbstgemachten, auf Korruption und Missmanagement beruhenden Desasters.

Im Etosha-Nationalpark treffen wir ein älteres südafrikanisches Ehepaar, die uns noch mehr über ihr Land erzählen. Dass keines ihrer Kinder die Chance hätte, in ihrer Heimat zu studieren, weil nur noch eine winzige Zahl von Weißen an den Universitäten angenommen würde. Manch einer reibt sich vielleicht die Hände, bätschi-bätsch, während der Apartheid war’s grad andersrum, aber macht das ein Land auf Dauer zukunftsfähig? 

Sie berichten von 70 km langen LKW-Staus in ihrer Heimatstadt ganz im Osten Südafrikas, weil die Bahnstrecke gesprengt wurde, um den Fuhrunternehmern mehr Geld in die Kassen zu spülen. Warnen eindrücklich vor Johannesburg. Fragen uns, ob man das mit dem im Oktober 2022 erschossenen deutschen Touristen im Krüger Nationalpark in Deutschland mitgekriegt hätte. Und grämen sich, als wir sagen ja, das war in allen Zeitungen. 

Farmer Jansen in der Kalahari berichtet ähnliches, sein Sohn musste nach „Jo’burg“ reisen und Papa ist in Sorge. Jo’burg scheint ein echtes No’burg zu sein. Blickt man in die einschlägigen Reiseforen, machen sich die angeblichen Südafrikaprofis über alle Bedenken lustig. Bauer Jansen, der selbst länger in Südafrika lebte, sagt, die würden sich nur deswegen sicher fühlen, weil sie einfach nicht wüssten, welche Gefahren um sie herum existieren.

Wie dem auch sei, uns hat es Südafrika verleidet. Nach den wunderschönen Erfahrungen und Erlebnissen in Namibia soll die Erinnerung perfekt bleiben. Also fliegt Südafrika vorerst von unserer Liste. Bis auf eine Nacht. Denn ohne Stopover kommen wir nicht weiter und das verruchte „Jo’burg“ ist einfach die Drehscheibe hier. Also suchen wir nach einem flughafennahen Hotel mit Abholservice. Und finden es mit dem wirklich sehr empfehlenswerten One O Eight Boutique Hotel, das unseren Abstecher zu einem luxuriösen Vergnügen zum Schnäppchenpreis macht. 

Der ultrakurze Eindruck, den wir von  Südafrika bekommen, ist ein ganz und gar positiver. Eine sehr humorvolle Crew auf unserem kurzen Flug mit South African Airways, hervorragendes Essen, eine wirklich witzige Chauffeurin, eine perfekte Unterkunft (mit Generator) und das beste Frühstück unserer Reise. Also, wenn sie wenigstens das mit dem Strom in den Griff bekommen, dann machen wir vielleicht noch mal einen Anlauf.

Kurzer Kleiderwechsel oder Fake? 🙂

Eigentlich unfassbar, dass sich Namibia seit der Unabhängigkeit von Südafrika so viel besser entwickelt hat als das Mutterland der Apartheid. Die die Südafrikaner natürlich auch nach Namibia exportiert hatten. Nah ist die einstige Besatzungsmacht noch immer: der namibische Dollar ist an den südafrikanischen Rand gekoppelt und überall in Namibia kann man mit beiden Währungen zahlen. Ein Großteil der Produkte in namibischen Supermärkten stammt, wenn die Waren nicht aus Deutschland kommen, aus Südafrika. Aber alles in allem hatten wir den Eindruck, dass sich Namibia emanzipiert hat vom südlichen Nachbarn und selbstbewusst einen eigenen Weg eingeschlagen hat, der eben nicht auf Korruption und Klüngelei aufbaut. Die Grundversorgung scheint hier gut zu funktionieren, Nachhaltigkeit wird groß geschrieben und zumindest Farmer Jansen ist sehr glücklich, dass sich seine Vorfahren irgendwann aus Südafrika verabschiedet und ihr Glück in Namibia gesucht und gefunden haben. Da können wir ihn gut verstehen.

Traumhaftes Namibia

Namibia ist spektakulär. Die Weite, die Landschaft, die Tiere. Die Menschen sind entspannt und freundlich, man fühlt sich willkommen und sicher, das Essen ist klasse und selbst die hinterste Toilette im abgelegensten Nationalpark ist sauberer als ihr Pendant an einer deutschen Autobahn. Und nirgendwo auf der Welt haben wir so oft so traumhaft übernachtet. Ohne dafür ein Vermögen hinzulegen.

Den allergrößten Wow-Effekt erlebten wir in der Vingerklip Lodge: die an den Berg gebauten Chalets mit großen Terrassen bieten einen sensationellen Blick. Auf die Tafelberge, auf die Felsnadel, die der Lodge den Namen gibt, und auf das Tal, das der meist ausgetrocknete Ugab-Fluss gegraben hat. Als Zugabe ein Wasserloch, an dem sich Kudus, Springböcke und Zebras treffen. Selten hat mich ein Hotelzimmer beim Betreten sprachlos gemacht und noch nie haben wir mit solch spektakulärer Aussicht übernachtet. Gut essen kann man dort auch, aber ganz einzigartig wird es, wenn man den Tafelberg neben der Lodge besteigt und das Abendessen im Eagles Nest Restaurant genießt. Was für ein Blick über das Tal!

Ein Drittel unserer Nächte in Namibia haben wir im Zelt verbracht. Ich schwärmte ja bereits. Zumindest ich war bisher nicht unbedingt der ultimative Camping-Fan, obwohl wir in Australien, Neuseeland und den USA schon tolle Zelterlebnisse hatten. Aber das Campen in Namibia ist damit nicht zu vergleichen. Nirgendwo sonst haben wir so komfortabel, so spektakulär und so einsam gezeltet. Und das fast immer. Ein Highlight war unser letzter Zelteinsatz im Mountaincamp von Namibgrens – Openair-Toilette und -Dusche in die Felswand eingebettet, das Zelt in einem geschützten Unterstand, kaum dass wir da waren, tobten Paviane von einem Felsen zum anderen. Und dann wurde uns noch ein frischgebackenes Holzofenbrot bis ans Zelt geliefert. Der Abschied fiel sehr schwer.

Unser schönes Zelt durfte in Namibia bleiben, der sehr nette Jugenddiakon der Evangelischen Kirche von Windhoek hat sich darüber gefreut und wir sind wirklich neidisch auf die Abenteuer, die es noch erleben wird.

Wem Zelten zu unbequem ist, der sollte es mal mit Camping2Go der namibischen Hotelkette Gondwana Collection probieren. Ein perfekt ausgestattetes riesiges Zelt mit großem Bett, tollem Badezimmer, riesiger Outdoorküche – ich wollte da nicht mehr weg. Eigentlich waren wir ins abgelegene Palmwag gekommen, um Waldelefanten zu sehen, die regelmäßig die Lodge durchqueren. Aber – kein Elefantenglück in Namibia. Doch das Luxuszelterlebnis zum Schnäppchenpreis von knapp 80 Euro war den langen holprigen Anfahrtsweg auch ohne Dickhäuter wert.

Auf den Gästefarmen in Namibia kann man eine Menge Geld loswerden. Pro Nacht werden in den luxuriösen Lodges schon mal mehrere hundert Euro fällig. Aber selbst wenn sie schmerzhaft teure Zimmer anbieten – oft haben sie auch noch einen Campingplatz, der einen die schöne Farm genießen lässt ohne ein Riesenloch in die Reisekasse zu reißen. Zwischen 10 und 15 Euro pro Nacht und Person zahlt man für den maximalen Campinggenuss und die schöne Umgebung kriegt man ja eh gratis dazu.

Aber es gibt auch eine große Zahl von Gästefarmen, in denen sich Otto Normalreisender ein Zimmer leisten kann. Die Jansen Kalahari Farm wird uns wegen der freundlichen Giraffen und der großen Liebe ihres Eigentümers zu seinem Land in Erinnerung bleiben. Seit vielen Generationen gehört die Farm seiner Familie und seine Augen blitzen immer noch, wenn er von seinen Tieren, seinem Land spricht. Bei einem Farmdrive, bei dem wir ganz namibisch auf der Ladefläche seines Pickups stehend Richtung Dünen fuhren, gab er uns einen Überblick über seine schöne Farm. Rinder, Ziegen, Springböcke, ein bisschen Gemüse und etwas Tourismus – das ist hoffentlich das Überlebenskonzept. Du wirst nicht Farmer, um reich zu werden, sagt er uns, sondern um das Glück zu haben, auf diesem Land arbeiten zu können. Auch wenn es sehr hart sein kann. Die Dürre 2019 war furchtbar und verlustreich. Und kaum war sie überstanden, kam Corona und der gerade etablierte Tourismus auf der Farm brach zusammen. Es muss die ganz besondere Liebe zu  dem Land sein, die ihn trotzdem weitermachen lässt. Wir fahren schwungvoll auf eine der roten Dünen der Kalahari, mittlerweile steht die Sonne tief. Wir steigen vom Pickup, der Farmer zaubert einen Tisch mit Tischdecke hervor, eine Platte mit köstlichem Fingerfood, Wein und Bier. Die perfekte Ausrüstung für einen perfekten Sundowner.

Die Rivercrossing Lodge bei Windhoek könnte mit ihrer Lage hoch in den Bergen und mit wunderschönem Blick ein weiteres Highlight sein, würde unten im Tal nicht lautstark an einer neuen Umgehungsstraße gebaut werden. Genossen haben wir es trotzdem. Aber hier ging unsere Reise durch ein Land, das uns begeistert hat, leider auch zu Ende.

Mit ein wenig zeitlichem Abstand merken wir jetzt, welch tiefe Eindrücke die Erlebnisse in Namibia bei uns hinterlassen haben. Zwei weitere Länder haben wir seither bereist, die vor Schönheit nur so strotzen, aber wir sind immer noch gefangen von Namibia, der Natur, der Weite, dem Gefühl der Freiheit, das man hier ganz besonders stark empfindet.

Und dabei sind wir kaum eingetaucht in die Gesellschaft des Landes, hatten wenn überhaupt überwiegend Kontakt mit der weißen Bevölkerung. Ein Township zu besuchen oder eines der Himba-Dörfer rund um Uis, eine Herero-Siedlung – das ist eine Art Tourismus, vor der wir zurückschrecken. Es gab die kleinen Eindrücke, wie der fast skurrile Anblick der barbusigen Himba-Frau, die im kleinen Supermarkt von Uis ihren Einkaufswagen durch die Regalreihen schob. Aber zu Gesprächen kam es selten. Irritiert hat uns der schwarze Polizist, der uns bei einer Routineverkehrskontrolle stoppte und während wir noch nach dem Führerschein kramten, meinte, wir sollten weiterfahren, „Leute wie ihr haben einen Führerschein.“ Womit er weiße Leute meinte. Sehr genossen haben wir unseren Nachmittag in Otjiwarongo, nach dem überwiegend „weißen“ Windhoek gab uns diese fröhliche Stadt mit einem hohen schwarzen Bevölkerungsanteil die Gewissheit, dass wir uns mitten in Afrika befinden.

Doch auch wenn unsere kulturellen Eindrücke sich weitgehend auf deutsche Kolonialromantik in Swakopmund und Kolmanskoop beschränkten, wir haben den Eindruck, dass in Namibia eine Gesellschaft entstanden ist, die funktioniert mit ihren vielen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen. Die die durch Südafrika aufgezwungene Apartheid Schritt für Schritt hinter sich lässt. Eine freundliche und offene Gesellschaft, die Namibia neben den unglaublichen Naturwundern zu einem perfekten Reiseziel macht.

Iss Dich glücklich in Namibia

Abenteuer haben wir erwartet, Natur und Tiere und fremde Kulturen, bei unserem ersten Ausflug ins südliche Afrika. Kulinarische Erwartungen hatten wir keine und sind wahrscheinlich deswegen so begeistert von den Genüssen, die uns die namibische Küche beschert hat. Und für ein paar Wochen vergesse ich mal, dass ich eigentlich kein Fleisch esse.

Das Zauberwort in Namibia lautet Braai, die namibische Variante des Grillens. Selten mit Kohle, vor allem mit Holz werden die überall anzutreffenden Grillstellen befeuert. In den Supermärkten sind leckerstem Grillgut lange Kühltheken gewidmet und auf vielen Campingplätzen stehen gut befüllte Tiefkühltruhen, wo man für ein paar Euro kiloweise Braii-Fleisch oder köstliche Boerewoers, eine besonders herzhaft gewürzte Grillwurst aus Wild, kaufen kann. Auf dem traumhaften Zeltplatz in Palmwag hätte man sich  Knoblauchbaguette, Kartoffelsalat und Fleisch zum Selbergrillen bis ans Zelt liefern lassen können, in der mindestens genauso schönen Kronenhof-Lodge bekamen wir die Boerewoers zum Selberbrutzeln als Gastgeschenk in die Hand gedrückt.

Kein Campingspaß ohne Braii
Ein Potije

Im Feuer kann nicht nur gegrillt, sondern auch gekocht werden. Und dafür braucht man einen Potjie, einen dreibeinigen gusseisernen Topf, den man direkt in die Glut stellen kann. So zaubern die kochkundigen Namibier fernab ihrer Küchen Ragouts und Eintöpfe, deren köstliches Aroma wir ab und an beim Campen erschnuppern konnten. Selber rangewagt haben wir uns nicht, obwohl sogar unser Reiseführer das Rezept für ein Potije-Curry enthält.

In Namibia dreht sich alles ums Fleisch. Wild und Rind stehen an erster Stelle und übertreffen wahrscheinlich jedes Biosiegel Europas um ein vielfaches. Das zarte Antilopenfleisch von Oryx, Kudu oder Eland sind ein absoluter Genuss, immer perfekt gebraten oder gegrillt, und mit ideal abgestimmten Gewürzen hält man sich hier nicht zurück.

Richtung Küste gibt’s dann Fisch und die Austern aus der Walvis Bay werden immer mal wieder als die besten der Welt bezeichnet. Für mich sind sie das, cremig, mit einem unglaublichen Aroma, das nicht vom Meerwasser übertüncht wird. Wirklich ganz hervorragend! Kabeljau in allen Variationen, roh und hauchdünn als Carpaccio, leicht mehliert gegrillt, gebraten oder gekocht: jedesmal wow! Swakopmund ist ein wunderbarer Ort, sich durch das atlantische Angebot zu schlemmen und besonders gefallen hat es uns im The Tug direkt am Meer und im Fish Deli, das zudem den besten Kartoffelsalat südlich von Hamburg serviert.

Die perfekten Austern

Namibische Portionen sind riesig, darauf muss man sich einstellen. Schon ein Frühstücks-Omelett „mit allem“ ist eine echte Herausforderung, mit Gemüse, Speck, Boerewors, Käse und und und. Riesige Steaks füllen den Teller mehr als aus, manch eine Nacht wurde durchaus beschwerlich wegen der zuvor genossenen Köstlichkeiten. Zumal auch die Palette der Nachtische nicht zu verachten ist. Das nationale Dessert „Malva Pudding“ ist ein in Sirup getränkter Kuchen und wird immer noch von einer Kugel Eis, Vanillesauce oder Sahne begleitet. Dagegen wirkt ein „Dom Pedro“ zunächst eher harmlos, entpuppt sich dann aber als ein äußerst gehaltvolles (und deswegen himmlisches) Glas voller geschmolzenen Vanilleeises mit Likör und Sahne.

Eine weitere echt namibische Spezialität ist Biltong, Streifen getrockneten Fleisches, in verschiedensten Geschmacksrichtungen. Ganz Namibia scheint Biltong zu kauen wie bei uns Kaugummi. Supermärkte, spezielle Biltong-Kioske und Farmen übertreffen sich mit den köstlichen Snacks und auch wir haben fleißig mitgekaut.

Biltong – ich werd’s vermissen

Die nationale Beilage ist Mielie Pap, ein polentaähnlicher Maisbrei, mal leicht flüssig, mal fest, aber wir haben es nur einmal probiert. Das dafür in einem der spektakulärsten Restaurants Namibias auf dem Gipfel eines riesigen Steilfelsens, im „Eagles Nest“ der Vingerklip Lodge, mit gigantischem Blick über eine atemberaubende Canyonlandschaft.

Abendessen-Blick auf das Ugab-Tal

Und mit „Rock Shandy“ habe ich leider erst etwas spät das perfekte Getränk für laue Sommerabende gefunden. Die Mischung aus Zitronenlimonade, Mineralwasser und Angostura Bitter ist einfach köstlich und fast besser als ein frisch gezapftes Hansa Bier. Das aber auch sehr zu empfehlen ist.

Rock Shandy Fan

Heimwehkranken Österreichern kann ich die namibische Variante des Almdudlers ans Herz legen: der Farmdudler ist durchaus lecker. Und auch die deutsche Seele muss nicht darben, jeder Supermarkt bietet verschiedene Vollkornbrote an und selbst auf eine reichliche Auswahl an Rotkohl und Sauerkraut muss man südlich des Äquators nicht verzichten.

Trotzdem möchte ich die Spaghetti mit rotem Pesto, die wir an manch einem sternenhellen Abend auf unserem Gaskocher in der Wildnis kochten, auf keinen Fall missen. Wahrscheinlich schmeckt es deshalb so gut in Namibia, weil in dieser wunderbaren Natur einfach alles so viel besser ist!

 

Am wilden Südatlantik

Wer Badeurlaub sucht, der ist in Namibia nicht gut aufgehoben. Trotz einer mehr als 1700 Kilometern langen Küstenlinie am Südatlantik. Aber das Meer ist hier wild und vor allem eisekalt. Mehr als 17 Grad Wassertemperatur kann man selbst im Hochsommer nicht erwarten, denn der Benguelastrom sorgt für unterkühlten Nachschub direkt aus der Antarktis. Dazu kommen hohe Wellen und starke Strömungen. Das heißt selbst für den Touristenort Swakopmund mit hübschen Stränden: besser nur auf’s Meer schauen. Aber das kann trotzdem ein durchaus spektakuläres Erlebnis sein.

Der Atlantik bei Swakopmund – Achtung brrrrr

Erst mal muss man allerdings überhaupt in die Nähe des Atlantiks kommen. Im Norden Namibias lässt schon der Name der weitgehend unzugänglichen Skelettküste nichts einladendes erwarten. Im Süden macht das Sperrgebiet immer noch seinem Namen alle Ehre – da kommt keiner rein, weder Diamantendiebe noch unschuldige Touristen. Bleibt eigentlich nur ein schmaler Zugang bei Lüderitz und die Gegend um Swakopmund und Walvis Bay.

Abendstimmung in Swakopmund

Wir stoßen auf dem Weg vom Landesinneren nach Swakopmund das erste Mal bei Henties Bay auf die Küste, biegen hier jedoch zunächst in entgegengesetzter Richtung nach Norden ab. Unser Ziel ist das „Cape Cross Seal Reserve“. An der brandungsumtosten Felsküste tummeln sich zehntausende von Pelzrobben und weil wir endlich mal die richtige Jahreszeit gewählt haben, besteht ein gr0ßer Teil von ihnen aus hinreißenden Robben-Babies. Als wir die Autotüren öffnen, schlägt uns Lärm und vor allem Gestank entgegen. So spektakulär diese Masse von wunderschönen Tieren ist – es ist eine Herausforderung für die Sinne. Wir laufen über Stege zum Ufer, links, rechts und unter uns liegen Robben, die den Schatten der Holzkonstruktion suchen, es fiept und brüllt und stinkt, aber es ist phantastisch. Im Meer sind tausende von Elternrobben auf Fischfang, sie gleiten elegant durch die Wellen. Zurück an Land folgen sie dem Gebrüll ihres Nachwuchses, um ihre Beute in die hungrigen Münder zu verstauen. Doch nicht allen gelingt das – an vielen Stellen muss man dann leider auch den Anblick toter Robbenbabies ertragen. Trotzdem: ein wildes, ein tolles Erlebnis!

Swakopmund haben wir gleich zweimal angesteuert – ein erfrischendes Städtchen mit gutem Essen und interessanter Geschichte, sehr geeignet, um nach vielen Kilometern auf staubigen Straßen ein bisschen Seeluft zu schnuppern.

Der Nachbarort Walvis Bay gewinnt keinen Schönheitspreis, viel Hafen, viel Industrie. Da wundert es doch sehr, dass sich ausgerechnet hier Flamingos angesiedelt haben. Bis zu 50.000 sollen es sein, die das mittelschöne Meer mit rosa Tupfen dekorieren.

Ein letztes Mal sehen wir das Meer in Lüderitz. Ein nettes Städtchen, sehr abgelegen am Rande des Sperrgebiets und wieder mit einer deutschen Vergangenheit, die man hier nicht erwartet.

In Lüderitz legen die Kreuzfahrtschiffe an, eine kleine AIDA dümpelt im Hafen und für ein paar Stunden scheint sich die Bevölkerungszahl des Ortes zu verdoppeln. Im Restaurant werden wir gefragt, wann denn unser Schiff ablegt, damit das Essen rechtzeitig auf den Tisch kommt. No ship, we have a car, antworten wir und als wir gemütlich aufgegessen haben, ist der Spuk auch schon vorbei. Weg ist sie, die AIDA. Welchen Eindruck von Namibia kann man kriegen, in den paar Stunden und in der Masse? Ich bin einfach nicht für Gruppenreisen gemacht, das wird mir mal wieder klar. Aber, muss ich ja auch nicht. Und die Kreuzfahrer müssen nicht mit einem Small car über staubige Straßen rattern und im Zelt schlafen. Also, alles gut. Dann tschüß, schöne Küste, für die einen geht’s weiter in den nächsten Hafen, für uns zurück in die Wüste.