Back to the roots

Ich habe lange überlegt. Hatte täglich ein neues Ziel im Visier, von Sao Tomé und Principe über die Kapverden, die Azoren bis nach Portugal. Doch noch mal zurück nach Asien oder gar Australien? Malta war noch eine Idee oder Albanien, aber letztendlich ist es dann Rumänien geworden. Und das ist eigentlich auch sehr logisch, denn ich bin in Rumänien entstanden.

Meine Eltern wählten für ihre Hochzeitsreise Mamaia an der Schwarzmeerküste inklusive Abstecher per Schiff in die Türkei. Es gibt Bilder meiner Mutter aus dem Sommer 1964 im Basar von Istanbul, das muss damals die Krönung der Exotik gewesen sein. Ihr Schiff übers Schwarze Meer hieß Transylvanien und genau dort sei ich gezeugt worden. Deswegen hätte ich auch so spitze Eckzähne, hieß es. Also ist Rumänien doch ein wunderbares Ziel für das Ende meiner großen Reise.

Aber es gibt auch noch einen anderen Grund für dieses Reiseziel. Ich will mich meinen Vorurteilen stellen. Und ich gebe es ganz offen zu: ich habe heftige Vorurteile gegenüber Rumänen. Mein Rumänienbild ist geprägt von Bettlern in der Königstraße mit vorgetäuschten Behinderungen und deren Schlaflagern im Schlossgarten. Ein wenig auch von den Rumäniendeutschen, die ich früher gerne mal unter revisionistischen Generalverdacht stellte. Also, auf nach Rumänien!

Ich wähle für den Anfang die „Light-Variante“ und fliege nach Hermannstadt. Oder Sibiu. Es scheint kein politisches Geschmäckle zu haben, für welchen Namen man sich entscheidet, die Stadt führt beide Bezeichnungen stolz. Nach zwei Stunden Direktflug von Stuttgart lande ich im Zentrum Siebenbürgens oder eben auch Transylvaniens. Die freundliche Frau an der Flughafen-Bushaltestelle schenkt mir das Kleingeld für den Bus, nach kurzer Zeit steige ich am Rande der Altstadt aus und tauche bei strahlendem Sonnenschein in die Fußgängerzone ein. Es ist Sonntag, die Geschäfte haben trotzdem fast alle geöffnet, die Straßencafés sind gut besucht und nach kurzer Zeit finde ich das Haus, in dem sich meine Ferienwohnung befinden muss. Die Bäckerin im Erdgeschoss spricht weder deutsch noch englisch, bedeutet mir aber irgendwie, ich möge eine halbe Stunde warten. Also setze ich mich ins nächste Straßencafé und bestelle wunderbare kleine Pfannkuchenröllchen mit Quark gefüllt, die in einer Milch-Honig-Soße baden. Ziemlich guter Start. Später dann treffe ich auf meine Vermieterin, sie spricht gut deutsch und führt mich in einem Hinterhof eine uralte Holztreppe hinauf zu einer verglasten Holzveranda – das gehört jetzt alles mir für die nächsten vier Tage. „Siebenbürgische Klassik“ heißt das Apartment und wird dem Namen mehr als gerecht. Stilvoll renoviert, blitzsauber, mittendrin und doch durch die Lage im Hinterhof ganz ungewöhnlich still, eine Wohltat nach kreischenden Kindern und Nachbarn mit nervigen PS-Vorlieben in Stuttgart.

Hermannstadt ist ein kleines Juwel. Aus der Zeit gefallen ist ja so eine Formulierung, die gerade recht häufig verwendet wird. Hier passt es wirklich. Fast die gesamte historische Bausubstanz ist erhalten und seit Sibiu 2009 europäische Kulturhauptstadt war, ist vieles wunderbar restauriert. Aber auch die leicht verfallenen Hinterhöfe und Nebenstraßen sind eine Schau. Anders als in Krakau, wo der „Shabby Chique“ kultiviert wurde, wirkt hier alles sehr authentisch. Ein historisches Gesamtkunstwerk. Und jede Ecke ist anders. Der grandiose Große Ring, der riesige Platz im Herzen der Stadt, erinnert an Wien, die Wohnhäuser mit ihren pittoresken Innenhöfen an die Pfalz oder Lothringen und das bunte Dach der riesigen evangelischen Stadtkirche an Burgund. Ein paar Meter weiter fühlt man sich in die Zeit der mittelalterlichen Zünfte zurückversetzt. Die Museen sind voll von bestens erhaltenen Exponaten ab dem 14. Jahrhundert, die es anscheinend so reichlich gibt, dass sie gerade mal durch eine einsame Kordel von den neugierigen Besuchern abgetrennt werden. Wen es jucken sollte, mal über das Gemälde eines alten Meisters aus dem 15. Jahrhundert zu streichen, this is the place. Hab ich natürlich nicht gemacht…

   

Die Altstadt innerhalb der drei Befestigungsringe ist fast komplett erhalten und wirkt wie ein riesiges lebendiges Museum, das aber vor allem von jungen Leuten bevölkert wird. „Jung seit 1191“ steht auf der Broschüre des Touristikbüros und der Spruch passt wirklich. Auch hier scheint es eine ganze Menge ausländischer Studenten zu geben, Deutsche, Balten, Amerikaner sehe und höre ich. Die Lebensart ist schon ein wenig mediterran, halb 10 abends ist eine gute Zeit zum essen gehen, Kinder toben in den Wasserspielen des „Großen Ring“, man trifft sich, flaniert. Der Tourismus hat auch Hermannstadt erreicht, aber in einer viel dezenteren Art als in Krakau. Deutsche mit rumänischen Wurzeln besuchen die alte Heimat, für Amerikaner erfüllt sich hier der Traum von mittelalterlicher Kopfsteinromantik, Rucksackreisende freuen sich an den günstigen Preisen und sogar die ersten Chinesen sind schon da. Die Stadt setzt auf Kultur, Jazz- und Theaterfestivals, in der reizenden kleinen Philharmonie, zum Teil untergebracht im dicksten aller Stadttürme, kann ich für 2,20 Euro in der ersten Reihe sitzen und einem beschwingten Geigenkonzert lauschen.

Hermannstadt ist eine Gründung deutscher Siedler aus dem 12. Jahrhundert mit großer Handwerkertradition, die man im Museum bewundern kann. Die deutschstämmigen Einwohner haben die Stadt 1989 zum großen Teil verlassen. Von ursprünglich mehreren 100.000 Deutschstämmigen in Siebenbürgen vor dem 2. Weltkrieg (die Zahlen variieren) sind heute noch gerade mal 13.000 übrig. Aber dazu demnächst einmal.

Man hat die Tradition der Wandergesellen wiederbelebt und so ist Hermannstadt heute auch ein Ziel von Handwerksburschen auf der Walz. Die Weltkriege hinterließen keine Spuren, der Kommunismus trug insofern zum Erhalt bei als das nichts abgerissen und nichts kaputtsaniert wurde und so ist die historische Bausubstanz noch fast komplett erhalten. Und was noch nicht renoviert ist, scheint zumindest schon auf der Warteliste zu stehen. Denn die Stadt ist für rumänische Verhältnisse wohlhabend, eine Reihe großer Firmen aus dem Westen hat sich angesiedelt, die Arbeitslosigkeit ist gering und auf dem Weg vom Flughafen in die Stadt leuchten mir Kaufland, Lidl und Hornbach entgegen.

Trotzdem gibt es auch noch die eher verfallenen Ecken in Sibiu, die deswegen aber nicht weniger reizvoll sind als der prunkvolle Rest. In der Unterstadt schlummern noch einige architektonische Highlights und der Markt von Sibiu gibt mir einen ersten Vorgeschmack auf das ländliche Rumänien – zu gerne würde ich die Menschen photographieren, was für Charaktere! Hier werden die Erdbeeren kiloweise verkauft (für 2 Euro…), eine alte Frau präsentiert Becher mit Walderdbeeren, Holunderblüten und Kamille sind im Angebot.

Als Rumänien Mitglied der Europäischen Union wurde, habe ich den Kopf geschüttelt. Wie kann man nur, dieses rückständige Land, was haben wir uns da ans Bein gebunden. Auch das eines meiner vielen Vorurteile. Jetzt sitze ich im Straßencafé in Hermannstadt und freue mich, diese wunderbare Stadt so unproblematisch besuchen zu können. Hier ist es, das „alte Europa“ in all seiner Pracht, so traditionell und doch so modern. Morgen werde ich weiter ziehen. Ich habe für zwei Wochen ein Auto gemietet und bin so gespannt auf das ländliche Rumänien. Das wird vollkommen anders werden als hier in der Stadt, davon bin ich überzeugt. Aber ich ahne bereits: meine Vorurteile werden diese zwei Wochen wahrscheinlich nicht überleben.

 

Polnischer Soulfood

Krakau ist schon lange kein Geheimtipp mehr. Der zentrale Platz Rynek mit den Tuchmacherhallen, der Marienkirche und dem hoch aufragenden Rathausturm ist auch bei schlechtem Wetter gepackt voll von Menschen. Die Straßencafés, die den riesigen Platz säumen, sind zu jeder Tageszeit gut besetzt, eine Menge trinkfreudiger Engländer fangen schon früh am Tag an, das günstige und gute polnische Bier zu genießen und dazu kommen noch jede Menge ausländische Studenten. Außerdem scheint gerade die perfekte Zeit für Schulausflüge aller Art zu sein. Allein ist man hier nirgendwo.
Dieses internationale Flair spiegelt sich auch in der Restaurant-Szene wieder. An jeder Ecke ein italienisches Restaurant, Asiaten und natürlich die unvermeidlichen Trendrestaurants der hippen Stadtjugend. Vegetarisch oder gar vegan zu essen, wäre hier für mich überhaupt kein Problem. Aber ich will gerade nicht….
Denn hier gibt es schließlich und in erster Linie polnische Küche. Und die dreht sich fast ausschließlich um Fleisch. Und füllt neben dem Magen auch die Seele. Denn die polnische Küche ist eine absolute Heimwehküche. Soulfood vom feinsten.
Leber mit Apfel, Zwiebel und Kartoffelbrei ist die Offenbarung des ersten Abends in einem kleinen Restaurant mit rotkarierten Tischdecken und einem Ambiente wie in Omas Küche. Man bestellt am Tresen und räumt sein Geschirr selber ab, das verstärkt den familiären Eindruck. 20 Zloty, keine 5 Euro, zahle ich für das köstliche Lieblingsgericht meiner Kindheit. Inklusive „Kompot“, Saft von eingelegtem Obst, hier ein Standardgetränk.
Am nächsten Tag traue ich mich an Bigos, den Albtraum eines jeden konsequenten Vegetariers, was ich offensichtlich seit Überschreiten der Grenze nicht mehr bin. Ein Eintopf aus Speck, Rinder- und Schweinefleisch mit Weißkohl, Sauerkraut und geräucherten Würstchen, dazu wieder Kartoffelbrei. Oh, welch Hochgenuss! Weißkohl und Sauerkraut, das mag ich doch eigentlich gar nicht, aber ich muss meine Geschmacksvorlieben offensichtlich noch mal überprüfen. So aromatisch, so perfekt gewürzt, der Wirt guckt etwas irritiert, als ich nach dem ersten Löffel ein lautes „Mmmmh“ von mir gebe.
In Polen wird viel Suppe gegessen und weil ich mich ja einmal am Tag dem Kartoffelbrei- und Megafleisch-Genuss hingebe, versuche ich es mittags mal mit einer Kartoffelsuppe in einem Traditionslokal, das schon seit über hundert Jahren die hungrigen Mägen füllt. Der Teller ist randvoll und die Suppe strotzt vor Fleisch, Speck, Pilzen und Kartoffeln. Der Versuch einer kleinen Mahlzeit schlägt also fehl, pappsatt, aber glücklich mache ich mich auf die Suche nach einem gemütlichen Café. Dort preisen sie ihre heiße Schokolade an, der Reiseführer schwärmt auch davon, ein Tässchen kann ja nicht schaden. Was ich dann bekomme, ist eine kleine Mahlzeit für sich. Aber es hat mich ja niemand gezwungen, die große Tasse zu nehmen. Und noch extra Sahne dazu zu bestellen. Jedenfalls ist es unglaublich köstlich, dickflüssige Schokolade, viel geschmeidiger als das puddingartige Zeugs in Madrid, ein ganz feiner Geschmack und danach ist mir furchtbar schlecht. Aber es war so gut…
Eigentlich wollte ich heute nichts mehr essen, aber gen Abend stellt sich dann doch noch Appetit ein. Genau richtig für eine weitere polnische Erfindung: Zapiekanki, mit Käse überbackene Pilzbaguettes, die man in besonders großer Auswahl gleich bei mir um die Ecke an einem überdimensionierten Kiosk bekommt. Etwa 10 Stände bieten ihre Kreationen an, und man kann noch lauter Extrabeläge dazu ordern. Ich bleibe beim Klassiker mit Schnittlauch, ein riesiges Baguette mit sahnigen Pilzen und viel Käse für 8 Zloty.
Auffällig ist, dass die Liebe für die heimische Küche generationsübergreifend zu sein scheint. In den einfachen Restaurants mit deftiger polnischer Küche speisen hippe Youngster, Geschäftsleute, alte Menschen. Auch auf dem Platz um den großen Kiosk mit den Pilzbaguettes scheint sich ein Querschnitt der polnischen Gesellschaft wiederzufinden. In den gemütlichen Cafés ist kein Durchschnittspublikum auszumachen, immer findet man alt und jung. Das war uns schon in anderen Ländern, allen voran Australien, aufgefallen, in Deutschland scheinen sich die Generationen kulinarisch viel weniger zu mischen.
Noch nicht erwähnt habe ich die ebenfalls superköstlichen Pierogi, gefüllte Teigtaschen mit Hackfleisch, Kraut oder Kartoffeln. Gekocht oder gebraten ein Genuss, ich ertränke sie an einem Buffet noch in cremiger Pilzsauce, passt wunderbar. Pilze müssen in Polen sowieso sein, ob in der Suppe, auf dem Baguette oder eben als Sauce.

Und dann die Kuchen. Selten habe ich so guten Apfelkuchen gegessen und zum Glück kommen sie hier nicht auf die Idee, die Köstlichkeit durch Rosinen zu ruinieren. Dafür lieber ein wenig dicke Vanillesahne, das passt doch viel besser. Was mich wirklich sehr wundert ist, dass die meisten Polen und vor allem Polinnen durchaus schlank sind. Auch die, die sich in den Restaurants der deftigen Küche mit ihren ordentlichen Portionen hingeben. Aber wahrscheinlich essen die nur ein mal am Tag. Und verzichten auf die wunderbare heiße Schokolade. Ich jedenfalls werde übermorgen weiterrollen. Zwar ist mittlerweile sogar das Wetter gut geworden, aber meine Hosen spannen und ich habe genügend Tiere für die nächsten zwei Jahre verspeist. Ethisch vollkommen verwerflich, aber soo lecker….

Und mein Fazit: Krakau ist eine tolle Stadt, die alle Sinne anspricht und sehr berührt. Aber: Krakau ist furchtbar voll und wirkt dadurch touristischer als es eigentlich ist. Die Reise lohnt sich, man muss sich aber auf die Massen einstellen. Einer der Gründe, warum ich es gelassen habe, einen Abstecher nach Auschwitz zu machen, so sehr es mich interessiert hätte. Makabre Plakate preisen den Besuch zum Schnäppchenpreis an, das muss ich nicht haben.
Ich habe lange nicht alles gesehen in dieser schönen Stadt. Die Wawelsburg kam viel zu kurz, da Vincis Dame mit dem Hermelin habe ich verpasst und keinen Ausflug in die Vororte gemacht. Sollte sich der Krakau-Hype irgendwann mal legen (und wer weiß, vielleicht machen auch wir es den Engländern nach dem Brexit etwas ungemütlicher mit Billig-Saufreisen auf den Kontinent…), komme ich in jedem Fall wieder her. Oder wenn ich Heimweh nach dieser unglaublich leckeren Leber im Kuchnia Domowa bekomme….

Nicht dass ihr glaubt, ich wäre einen ganzen Monat in Krakau gewesen. Mich hat es wieder nach Hause gezogen und ich habe zwei Heimatwochen eingelegt. Und dabei etwas für mich Komisches erlebt: ich war erschöpft vom Reisen. Nicht das Genervtsein, mich um ein Hotel für den nächsten Tag oder eine Zugverbindung kümmern zu müssen. Sondern eine echte Unlust, wieder aufzubrechen. Sogar eine Unlust, weiter über meine Reise zu berichten.
Dann bleib doch einfach da, sagte Eric. Aber zu wissen, dass ich nur noch ein paar Wochen habe, bevor mir die Arbeit Grenzen setzen wird, hat mich doch wieder fort getrieben. In ein sehr schönes Städtchen. Aber davon später. Ihr könnt ja schon mal raten, wo ich gerade bin 🙂

 

Frösteln in Krakau

Mindestens 25 Grad war eigentlich die Grundbedingung für mein nächstes Reiseziel. Nach leichtem Schneefall in Stuttgart und Schmuddelwetter in Hamburg hat sich dann aber einiges relativiert und so bin ich seit Freitag in Krakau. Schon mein lieber Professor Mincke in Göttingen schwärmte vor 25 Jahren von der Stadt und wem immer ich sagte, dass ich hinfliege, der war zwar noch nicht da, kannte aber irgendjemand, der schon hier und hinterher begeistert war.

Ich habe eine kleine Wohnung am Rande des In-Viertels Kazimierz. Das Apartment ist bezeichnend für das, was ich von Krakau bisher gesehen habe – ein verfallenes Haus mit einem gruselig-heruntergekommenen Treppenhaus, doch sobald man die Wohnungstür öffnet, ist alles gut: frisch renoviert, stylisch und mit allen Bequemlichkeiten. Und vor allem mit einem riesigen Kachelofen, der mich zum Schwitzen bringt – alles besser als diese blöde Kälte.

Drinnen alles gut

 

Um die Ecke liegen unzählige Cafés und Restaurants, von denen viele dem Prinzip meines Hauses folgen – außen pfui, innen hui. Kazimierz ist das ehemalige jüdische Viertel der Stadt, wobei man das „ehemalig“ irgendwann wahrscheinlich streichen kann. Restaurierte Synagogen an jeder Ecke, Restaurants mit klassisch-jüdischem Essen und traditioneller Klezmer-Musik, daneben hippe Bars mit israelischen Tapas und hebräischem Rap – hier tobt die Szene. Von den einen kritisiert als jüdisches Disneyland ist dieser Ort für mich voller Optimismus und Leben. So könnte es an vielen Stellen in Europa aussehen, wenn es den Holocaust nicht gegeben hätte. Für die vielen israelische Touristen ist es wahrscheinlich eine neue und schöne Erfahrung, dass an einem jüdisch geprägten Ort in Polen nicht der Tod sondern das Leben im Vordergrund steht.

Die Alte Synagoge bildet das Zentrum von Kazimierz, sie wird heute als beeindruckendes Museum des jüdischen Lebens in Krakau genutzt. In der Izaak-Synagoge erlebe ich ein wunderbares Klezmer-Konzert, die Kupa-Synagoge mit ihrer bunten Decke ist heute wieder als Gotteshaus voll in Betrieb. Im gemütlichen Café Cheder wird der schwarze Kaffee mit Kardamom in orientalischen Kännchen serviert. Und an jeder Ecke wird die jüdische Kultur zelebriert und gefeiert – ohne die sonst übliche Polizeibewachung und nationenübergreifend, denn Kazimierz ist eine der Hauptattraktionen der Stadt.

  

 

25% der Krakauer waren Juden und prägten die Stadt über Jahrhunderte bis die Deutschen 1939 in Polen einmarschierten. Die jüdische Bevölkerung musste 1941 ihre Häuser in Kazimierz räumen und in das Ghetto Podgorze auf der anderen Weichselseite übersiedeln – in eine drangvolle Enge, katastrophale hygienische Verhältnisse, eines Großteils ihres Besitzes beraubt. Der Stadteil Podgorze wird heute durch seinen günstigen Wohnraum in den heruntergekommenen Häusern zum Studentenviertel. Aber obwohl man vom früheren Ghetto nicht mehr viel sieht, scheint der Horror immer noch durch die Straßen zu wabern. Auf dem großen Platz, auf dem früher Selektionen und Appelle stattfanden, stehen 70 überdimensionierte Stühle als Symbol dafür, was die Deportierten hinterlassen hatten. Die Apotheke an der Ecke des Platzes enthält ein beeidnruckendes Museum – der Apotheker war der einzige Nichtjude im Ghetto, er schmuggelte Nachrichten nach draußen, bewahrte Wertgegenstände für die Ghettobewohner auf. Podgorze ist ein furchtbarer Ort, der lebendige Optimismus von Kazimierz ist hier nicht zu spüren. Alles wirkt für mich noch um so bedrückender, weil ich gerade „Das Mädchen im roten Mantel“ von Roma Ligocka lese, die ihre Kindheit im Ghetto verbrachte.

Über die Straße gelangt man zur Fabrik von Oskar Schindler, die heute ein weiteres beeindruckendes Museum enthält. Dargestellt wird die komplette deutsche Besatzungszeit, nicht nur die Vorgänge um „Schindlers Liste“. Das sehr aufwändig gestaltete Museum musste sich ebenfalls den Vorwurf der Disneysierung gefallen lassen, die vielen Nachbauten Krakauer Straßenszenen trugen sicherlich dazu bei, aber hier wird in sehr anschaulicher Art Interesse und Betroffenheit erzeugt. Die Ausstellung ist riesig und voller Besuchergruppen, nicht immer bleibt Zeit und Gelegenheit, die vielen Exponate auf sich wirken zu lassen, aber irgendwann habe ich sowieso genug. Was die Deutschen nicht nur den Juden, sondern allen Krakauern angetan haben, die brutalen Perversionen, die mit Namen wie Amon Göth oder Hans Frank verbunden sind – die Stadt hat so sehr gelitten. In Mauritius oder Laos sagten mir die Menschen häufig, Deutschland sei das beste Land auf der Welt. Hier bin ich wieder mal an einem Ort, an dem ich mich fast schäme, die ausgehängten Plakate im Original lesen zu können. Froh bin ich, als am Ende der Ausstellung das Leben und die Taten von Oskar Schindler geschildert werden.  „Schindler zeigt uns, dass jeder Deutsche damals eine Wahl hatte.“, sagt die Museumsführerin zu der Gruppe hinter mir. Ein großes Thema, zu dem ich mir wahrscheinlich nie eine abschließende Meinung bilden werde, aber wieder was zum Nachdenken. Und ein Ansporn, in meiner Ahnenforschung noch tiefer zu graben.

Nach diesen bewegenden Eindrücken muss ich zurück nach Kazimierz, einem Ort des Triumphes. Ihr habt es nicht geschafft, die jüdische Kultur und ihre Menschen auszurotten. Ihr habt eure Taten nicht geheim halten können. Und ihr habt dafür keine Anerkennung, sondern abgrundtiefe Verachtung geerntet. In Krakau liegen Trauer und Hoffnung nah beieinander.

Es gibt noch so viel zu entdecken in dieser Stadt. Die Altstadt, die Wawel-Burg, die Kirchen und Klöster und die hervorragende Küche. Aber davon später mehr.

Praxistest

Die Welt ist doch ein bisschen kleiner als man immer denkt. Morgens um halb acht setze ich mich im immerwarmen Mauritius ins Flugzeug. Über Stunden hinweg sehe ich die Wüste Afrikas unter mir, schaue die ziemlich enttäuschende Verfilmung von „Girl on the train“ und werde dann von einem spektakulären Blick auf die schneebedeckten Alpen begrüßt. Das mit dem Schnee hätte ich Ernst nehmen sollen…

     

Ich habe noch fast vier Monate Zeit, warum jetzt Deutschland werdet Ihr Euch vielleicht fragen. Bissle Heimweh und weil es gerade gut passte! Meine nächsten Ziele habe ich häufig dadurch gefunden, dass ich geschaut habe, welche günstigen Weiterflüge es gibt. Einfach in der Flugsuchmaschine „Flexibel“ in das Feld „Ziel“ eingeben und schon wird mir der Strauß meiner Möglichkeiten aufgezeigt. La Reunion hatte ich frühzeitig ausgeschlossen, Madagaskar schweren Herzens auch, aber ich bin nicht auf Katastrophentourismus aus. Und dann war da noch Südafrika, tagelang habe ich mit mir gerungen, schon die Löwen und Giraffen des Krüger-Nationalpark vor mir gesehen, dann aber doch einen Rückzieher gemacht. Kein einfaches Land für alleinreisende Frauen, später mal. Und dann war da dieser supergünstige Flug nach Deutschland, warum Eurowings eine Direktverbindung von Mauritius ausgerechnet nach Köln eingerichtet hat, bleibt ein Rätsel, aber der Preis ist unschlagbar.

Am frühen Abend lande ich also im Frühling in Deutschland und alles ist schlagartig so vertraut als sei ich kaum weggewesen. Eric holt mich ab, er und ich haben uns seit November nur über Bildschirme gesehen, aber wir fremdeln kaum. Auf dem Parkplatz will ich zunächst die Fahrertür öffnen – einfach zu lange in linksfahrenden Ländern gewesen. Wir düsen über die Autobahn, überall blüht es, hab ich mir doch eine gute Zeit für einen kurzen Heimaturlaub ausgesucht. Die Pfalz ist unser erstes Ziel, morgen wird Charlotte, Schwester unseres Patenkindes, konfirmiert und das ist doch ein schöner Anlass, die Tropen hinter sich zu lassen. Und der Palmsonntag zeigt sich vorbildlich, die Sonne lacht, wir sitzen im knospenden Garten, der Pfälzer Wein ist lecker und das Essen um so mehr – ein toller Start! Auch Stuttgart ist im Frühlingsrausch, alle wollen die Sonnenstrahlen erhaschen, in den Cafés kann man draußen sitzen, aber ich fröne einem besonderen Hochgenuss: Wäsche waschen. Seit Monaten kamen meine Sachen nicht mehr in den Genuss von Waschgängen, die länger als eine halbe Stunde dauerten. Die ganze Welt scheint amerikanisch zu waschen, kurz, kalt und dafür mit viel Bleichmittel. In Asien kam dann noch die ein oder andere Handwäsche mit dazu, die vielen T-Shirts den Rest gegeben hat. Meine neu gekauften Klamotten dürfen jetzt ihre erste Begegnung mit einem soliden deutschen Buntwaschgang genießen.

Die Tage gehen unglaublich schnell vorbei, hier ein Kaffeetrinken mit einer lieben Freundin, da ein Bummel durch die Fußgängerzone. Besonderen Spaß macht der Großeinkauf im Drogeriemarkt: nirgendwo auf unserer Reise waren Drogerieprodukte so billig wie in Deutschland, das fällt mir jetzt erst auf. Aber der Kulturschock hält sich merkwürdigerweise wirklich in Grenzen, die Leute kommen mir nicht unfreundlich vor, die Stadt sehr vertraut, nur beim Essen muss sich mein Magen erst mal wieder an Vollkorn und Co. gewöhnen. Was mir aber ziemlich deutlich wird:
 das Arbeiten rückt näher und ich kann es mir noch nicht richtig vorstellen, jeden Tag von morgens bis abends in einem Büro zu sitzen und das zu tun, was andere mir vorgeben. Das wird eine echte Herausforderung werden und ich versuche, das Thema erst mal zu verdrängen.

Wirklich nett ist es, mal wieder ganz normale Alltagsdinge zu tun: kochen, ja sogar putzen macht Spaß, ein fauler Fernsehabend, Frühstück im Bett, mit dem Fahrrad durch die Stadt fahren. Spaziergänge durch Stuttgarts Weinberge und eine Ausstellung über japanisches Essen salbt die wunden Globonauten-Seelen. Es könnte alles so schön sein, wenn der Himmel nicht mit jedem Tag grauer werden würde. Stell Dir vor, die Zeitung behauptet, es würde schneien in Stuttgart, sage ich am Ostersonntag zu Eric und der lacht „pah, vielleicht irgendwo im Schwarzwald.“.

Jetzt ist er da, der Schnee. Nicht auf dem Feldberg, sondern rund ums Neue Schloss. Ich kann es nicht fassen. Ich hätte meine Vermieterin Guilmette aus Rodrigues her schicken sollen, ihr Traum ist es, einmal Schnee anzufassen. Ich jedoch hasse es. Ich muss hier wieder weg. Dieses Land ist zu kalt für mich. „Sucht oder Flucht“ fragte meine Freundin Kati als ich berichtete, demnächst wieder aufzubrechen. Sucht, antwortete ich tief überzeugt. Das hat sich geändert. Jetzt ist es eindeutig Flucht. Ich habe die Flugsuchmaschine schon wieder mit dem Ziel „Flexibel“ gefüttert und alles unter 25 Grad wird aussortiert. Noch ein paar lustige Abende mit Freunden und dicken Pullovern, dann muss ich unbedingt wieder los!

Auf nach Mauritius!

Und jetzt heißt es Abschiednehmen. Wieder einmal und diesmal wird es besonders schwierig. Es waren sechs Wochen auf diesen wunderschönen Inseln und ich habe bei weitem noch nicht alles gesehen. Aber es muss ja auch noch was übrig bleiben für das nächste Mal :-

Dass ich mein Herz voll und ganz an Rodrigues verloren habe, habt ihr ja wahrscheinlich gemerkt. Aber auch Mauritius ist einfach einmalig, es gibt so viel zu sehen und zu tun, das wunderbare Meer und die Traumstrände, die sattgrünen Zuckerrohrfelder, tolle Museen und der bunte Völkermix – alles Gründe, unbedingt mal herzukommen.

Bevor ich nach Maurtius kam hatte ich die Vorstellung einer mondänen Trauminsel mit luxuriösen Anlagen, die dem Nicht-Pauschalreisenden mit normaler Urlaubskasse verschlossen bleiben. Als ich diesen unschlagbar günstigen Flug von Malaysia nach Mauritius fand, fing ich an, mich über Hotelpreise zu informieren und siehe da – hier gibt es so ziemlich alles, von der einfachen Herberge für 15 Euro bis zum Luxusbungalow für 1500 Euro die Nacht. Mauritius ist sehr erschwinglich und hat ein Riesenangebot an Ferienwohnungen und Villen. Die Märkte quellen über vor frischem Obst und Gemüse, frischen Fisch kriegt man direkt vom Boot und die Supermärkte sind erstaunlich gut bestückt. Mit Französisch kommt man perfekt durch, mit Englisch sehr gut, ich habe mich immer sehr sicher gefühlt und hygienisch ist hier alles unbedenklich. Also, wie wäre es mal mit einem Urlaub auf Mauritius?

Die Insel ist überschaubar, aber trotzdem stellt sich natürlich die Frage, wo man sein Lager aufschlagen soll. An verschiedenen Stellen, wäre mein Tipp, vorallem, wenn man öffentliche Verkehrsmittel nutzen möchte. Mahébourg bietet sich für den Anfang an, hier ist er Flughafen, es geht entspannt zu und trotzdem hat man die Traumstrände von Blue Bay und Pointe D’Esny (mein eindeutiger Favorit) gleich um die Ecke. Die Ostküste von Mauritius ist deutlich weniger touristisch als der Norden und Westen, und ein paar Tage in Trou d’eau douce im Osten, von wo aus man die atemberaubend schöne Insel Ile aux cerfs erreichen kann, sind sicherlich kein Fehler. Pamplemousses im Inselinneren mit seinem wunderbaren botanischen Garten und dem tollen Zuckermuseum ist besonders gut vom Westen oder Norden aus zu erreichen. Einen großen Bogen würde ich um die Touristenhochburg Grand Baie machen. So grand ist die Bucht nicht, dafür aber vollgebaut und teuer. Für einen Abstecher in den Westen empfiehlt sich Trou aux biche, der Strand ist hübsch, schöne Tagesausflüge, zum Beispiel ans pittoreske Cap Malheureux im Nordensind mit dem Bus schnell gemacht. Und: hier gibt es die schönen Sonnenuntergänge am Strand, die einem im Osten verwehrt bleiben.

Die Hauptstadt Port Louis sollte man sich angucken, vor allem die schöne Markthalle, die charmant bröckelnde Chinatown, das Weltkulturerbe Aapravasi Ghat und das reizende Postmuseum. Wer will, kann sich die blaue Mauritius für einen heftigen Eintrittspreis im Pennymuseum auch im Original anschauen. Ich hab’s gelassen und wurde von meinem Wirt mit einem „Well done“ dafür bedacht.

Der Südwesten lockt mit dem entspannten Surferörtchen Tamarin und bei „Chez Jacques“ paart sich ein großartiges Backpackerfeeling mit exzellenter Küche. Die Salinen sind sehenswert und das dort gewonnene Fleur du Sel hervorragend.

Wer es etwas mondäner möchte, geht ins benachbarte La Preneuse, von dort aus starten auch die Delfintouren. Jeden Morgen kommt ein großer Schwarm in die Bucht und scheint sich in keiner Weise daran zu stören, dass sofort eine Armada von Booten mit verzückten Touristen herbeieilt. Das besondere hier ist, dass man von den Booten aus ins Wasser springen und mit den Tieren schwimmen kann. Es ist nur eine kurze Zeit, denn die Delfine sind schnell, aber lang genug, um diesen magischen Moment voll auszukosten. Die Tourveranstalter achten auch einigermaßen darauf, dass nicht zu viele Leute gleichzeitig im Wasser sind.  Zwei mal springe ich hinein, schwimme kurz mit ihnen an der Oberfläche, sie sind drei, vier Meter weg von mir, dann tauchen sie ab und ich sehe sie unter mir im tiefblauen Wasser. Wirklich ein schönes Erlebnis, trotz der vielen Boote und delfinhungrigen Menschen.

In La Preneuse gibt es ein weiteres reizendes kleines Museum in einem ehemaligen britischen Befestigungsturm, dem Martello Tower. Eine private Initiative hat den Turm instand gesetzt und man bekommt einen tollen Eindruck von der Zeit, als die Eroberer über’s Meer kamen.

Von Tamarin aus kann man ewig am Strand Richtung Norden laufen, ein schöner Strand reiht sich an den nächsten. Das exklusive Wolmar hat wahrscheinlich den schönsten und das nette an Mauritius ist, dass zwar die Hotelanlagen den betuchten Gästen vorbehalten sind, nicht aber die Strände davor. Ob man jetzt 15 oder 1500 Euro pro Nacht zahlt – liegen tut man am selben Strand. Ich spicke dann doch mal kurz in eine der Nobelanlagen – man muss einigermaßen selbstverständlich auftreten und eine existente Zimmernummer parat haben, die man den Sicherheitsleuten nennen kann, dann ist ein kurzer Spaziergang kein Problem. Das Maradiva Villas Resort and Spa ist ein absoluter Traum – aber nie im Leben würde ich dafür 1000 Euro die Nacht hinlegen. Acht Stunden geschlafen und schon sind über 300 Euro weg – nö!

Weiter oben kommt dann Flic en Flac, eine weitere Touristenhochburg und für mich einer der unangenehmsten Plätze auf Mauritius. Ich kann gar nicht sagen, was ich so negativ an dem Ort mit dem netten Namen finde, die wilde Bebauung, die partyversprechenden Restaurants? Jedenfalls ist man hier vom Zauber der Insel am weitesten entfernt, trotz langem Sandstrand und schöner Lagune.

Um den Süden richtig zu genießen, sollte man sich ein Auto mieten, was ich nicht getan habe. Die Küste ist spektakulär, das Inland sicher auch, aber hier wird es schwieriger mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Wenn man mobil ist, dann ist La Gaulette ein toller Ort und die Marisa Residences ein weiterer Ort, an dem man sich unglaublich wohl und willkommen fühlen kann. Drei herrlich entspannte Tage habe ich an dem traumhaften Pool verbracht und im wohl bequemsten Bett meiner Reise geschlafen. Die Besitzerin Helen lebt in England, wir standen aber die ganze Zeit über per WhatsApp in Kontakt, herzliche Fernbetreuung und die Zimmer fühlen sich auch ein wenig wie ein sehr gemütliches britisches Bed and Breakfast an.

Gris Gris im Süden darf ich nicht vergessen mit dem wilden Meer. Das Busfahren durch die Zuckerrohrfelder. Den kleinen Markt von Mahebourg mit leckeren Rotis, gefüllten Pfannkuchen mit scharfem Chili. Und so viele andere schöne Orte.

Mauritius ist ein so lohnendes Urlaubsziel und ich kann es wirklich nur empfehlen. Aber – sorry, liebes Mauritius – am allerschönsten ist Rodrigues. Der Abschied wird ein schwieriger werden, aber ich weiß, ich werde wiederkommen!

 

Nichts zu tun auf Rodrigues…

… sagte man mir bevor ich hier her kam. Drei Tage, das reiche für die Insel. Maximal.
Eigentlich sollte man andere tatsächlich davon abhalten, hierher zu kommen – es ist nämlich ohne Übertreibung einer der schönsten Orte der Welt! Und das auch, weil der Massentourismus die Insel glücklicherweise noch nicht gefunden hat und sie hoffentlich auch nie finden wird.

Anderthalb Stunden Flug von Mauritius entfernt ist hier alles anders: die Menschen, die Vegetation, das Tempo. Hier dominieren die Kreolen, 97% der knapp 40.000 Einwohner sind Katholiken und alles fühlt sich viel mehr nach Afrika an. Industrie gibt es keine in Rodrigues, man versorgt sich aus dem eigenen Garten, Fischfang und ein wenig Tourismus sind die Haupteinnahmequellen. Rodrigues gehört zwar zu Mauritius, ist aber autonom. Eine Regionalversammlung lenkt die Geschicke der Insel und das tun sie sehr behutsam. Umweltschutz wird groß geschrieben, schon im Flugzeug wird darauf hingewiesen, das Plastiktüten verboten seien, auf einem der Berge drehen sich Windräder.

   

Meine Vermieterin hat einen Fahrer geschickt, mit einem geländetauglichen Pickup kurven wir in einer halben Stunde einmal quer durch die Insel – hoch und runter schlängelt sich die Straße durch kleine Ortschaften. Es ist sieben Uhr abends und Rodrigues scheint schon ins Bett gegangen zu sein. Der Fahrer lässt sich über Mauritius aus – alles viel zu hektisch dort. Das höre ich in den nächsten Tagen eigentlich ständig, die Menschen genießen die Abgelegenheit und Ruhe. Man kennt sich auf Rodrigues, es muss immer Zeit sein für ein kleines Schwätzchen und die Menschen lieben ihre Insel.

In meinem Guesthouse erwarten mich meine Wirtin Guilmette und zwei junge Hebammen aus Lyon, die zur Zeit in Mayotte leben und einen Kurzurlaub eingeschoben haben. Mit Erstaunen höre ich, dass Mayotte – zwischen Madagaskar und dem afrikanischen Festland gelegen – zur EU gehört. Anders als La Reunion aber scheint das französische Mutterland die Insel vergessen zu haben. Beatrice und Johanna erzählen von hoher Kriminalität, großer Wasserknappheit und einem dramatischen Problem mit Flüchtlingen von den nahen Komoren. An den folgenden Abenden berichten sie dann aber auch von einer atemberaubenden Unterwasserwelt, Delfinschwärmen und regelmäßigen Walsichtungen.
Im Guesthouse, das gerade mal drei blitzsaubere Zimmer hat, trifft man sich abends zum Ti Punch, einem starken Gemisch aus Zitrone, braunem Zucker und Rum. Danach wird gemeinsam gegessen und was Guilmette so auftischt ist köstlich. Fast alles kommt aus ihrem eigenen Garten und der Fisch aus der nahegelegenen Bucht – so lecker…
Das Guesthouse liegt direkt an der Straße – uh, denke ich am Anfang, merke dann aber, dass hier tagsüber alle Viertelstunde mal ein Auto vorbeikommt und ansonsten eher die Ziegen die Fahrbahn bevölkern – wie eigentlich überall auf Rodrigues. Nachts hört man ausschließlich das Rauschen des Meeres und ab und an das Quieken der Fledermäuse.

Wie nah ich am Strand bin, merke ich erst am nächsten Morgen. Direkt hinter dem gegenübergelegenen Nadelwald ist eine wunderbare Bucht. Und daneben noch eine. Und dann noch eine. Es hört nicht auf. Bunte Fischerboote dümpeln in der Lagune, die Strände sind menschenleer, ab und an schaut eine Kuh oder eine Ziege vorbei, in der Ferne brechen sich die Wellen am Riff – Wahnsinn.

 

Aber die Küste kann auch wilder sein. Ich wandere Richtung Süden zu weiteren einsamen Traumbuchten. Hier ist die Lagune schmaler, so dass die Wellen mit Wucht auf das vulkanische Gestein donnern und wunderbare Orte erschaffen haben. Ich sitze Stunden da, schaue auf’s Meer und kann die Schönheit der Natur nicht fassen.

  

Am Samstag ist Markt in Port Mathurin, mit etwa 6500 Einwohnern der größte Ort von Rodrigues. Ich setze mich in den Bus und tuckere entspannt der Hauptstadt entgegen. Trotz früher Stunde ist der Bus gut besetzt und angekommen in Port Mathurin wird mir dann auch klar, worum es hier geht. Natürlich gibt es Obst und Gemüse zu kaufen, aber die Hauptsache scheint zu sein, sich zu treffen. An den Marktständen geht gar nicht viel über die Theke, dafür wird überall ein Schwätzchen gehalten. Ich streife durch die Souvenirläden, es gibt einige davon, auch wenn ich meist die einzige Kundin bin. In einem Laden komme ich mit dem betagten Besitzer ins Gespräch, er ist vor 10 Jahren von Mauritius hierher geflüchtet, Herzinfarkt, Krebs, er wollte Ruhe. Seit er hier sei, ginge es ihm hervorragend, sagt er, und fragt mich, ob ich etwas Zeit hätte. Klar, habe ich und er greift zum Telefon. Er habe einen guten Freund hier, Hans-Otto aus Deutschland, der würde sich bestimmt sehr freuen, mal ein Schwätzchen auf deutsch zu halten. Er reicht mir den Hörer und ich plaudere eine Weile mit Hans-Otto, der unverkennbar aus Bremen kommt und gerade seinen 80. Geburtstag auf der Insel gefeiert hat. Auch er schwärmt von der Gelassenheit und Freundlichkeit der Menschen und ja, so kurz ich hier bin, ich kann es sehr gut verstehen.

Meine Wirtin Guilmette meint nach zwei Tagen, jetzt sollte ich doch mal etwas mehr von der Insel sehen und organisiert als erstes einen
Bootsausflug zur nahegelegenen Ile aux Cocos. Einen schönen Strand und ein paar Seevögel gäbe es da – auch wieder so eine maßlose
Untertreibung. Wir fahren über eine Stunde durch die seichte Lagune und müssen dann noch mal ein ziemliches Stück durch das flache Wasser waten. Schon dabei wird klar – die Insel gehört den Seeschwalben und die sind vollkommen furchtlos. Die Begegnung mit den Vögeln ist für mich so einmalig und wunderbar, dass ich darüber sogar das Baden vergesse. Nur ein, zwei Meter über oder neben mir fliegen sie, schneeweiße Feenseeschwalben mit schwarzen Augen und Schnäbeln. Elegant-graue Noddiseeschwalben zeigen ihre Flugkünste und das alles vor türkisfarbenem Wasser und dem strahlenden Blau des Himmels. Ich bin wie verzaubert, ein wirklich einmaliges Erlebnis.
  

  

Und dann kommen mir meine balinesischen Mopederfahrungen wieder zugute. Guilmette hat einen weißen Scooter für mich organisiert und ihre Tourenvorschläge führen mich zu weiteren traumhaften Orten. Das Fahren ist sehr angenehm – die Straßen sind komplett leer und wenn mal ein Auto vorbeikommt grüßt man sich freundlich. Die Höchstgeschwindigkeit auf Rodrigues ist 50 – und schneller geht es eigentlich auch nicht bei den vielen Kurven und dem bergigen Gelände.
Ich fahre zunächst durchs Inland, hügelig, mal grün, mal eher karg, viele Gemüsegärten und sehr viele Schafe und Ziegen. Dann biege ich ab in Richtung Küstenstraße und es geht erst mal steil bergab. Und plötzlich strahlen mir leuchtende Farben entgegen, ein unglaubliches Türkis, tiefes blau, intensives flaschengrün, immer changierend im Wechsel von Sonne und Wolken und ich kann es nicht fassen. Ich halte an, laufe über eine Wiese, an Kühen vorbei, die der Anblick vollkommen kalt lässt, und stehe staunend vor dieser unfassbaren Schönheit. Kein Photo kann das strahlende Leuchten des Meeres wiedergeben und ich bin tatsächlich so ergriffen, dass ein paar Tränen kullern.
             

Ich fahre den Berg hinunter bis zur Küste und sehe ganz in der Ferne die bunten Segel der Kitesurfer. Richtig, das hatte ich gelesen, Mouruk ist ein Mekka der Kitesurfer-Szene. Die bunten Drachen am strahlend blauen Himmel, auch wieder so ein Gänsehautmoment.


Weiter geht es zum Francois Leguat Schildkrötenreservat. Schon in Mauritius gab es diese tollen Projekte, die sich bemühen, die ursprüngliche Fauna und Flora der Insel wiederherzustellen. Rodrigues war vor Ankunft der Siedler von tausenden Riesenschildkröten besiedelt, die die menschliche Gegenwart nicht lange überlebt haben. Die damalige Art ist ausgestorben und Ziel des Projektes ist, ähnliche Arten wieder anzusiedeln. Und das ist ihnen zumindest im Park phantastisch gelungen. Hunderte von Aldabra-Riesenschildkröten leben in einer Schlucht, die dreimal am Tag besucht werden darf. Und worauf sind die großen Tiere besonders scharf? Streicheleinheiten! Von allen Seiten eilen sie in erstaunlichem Tempo heran und verlangen, am Hals gekrault zu werden. Was für ein Erlebnis! Ich gebe alles, so viele wie mögliche faltige kühle Hälse zu tätscheln. Bei einigen Tieren bleibe ich länger – dieser weise Schildkrötenblick ist wirklich berührend und irgendwann müssen sie auch für ein paar Selfies herhalten. Aug in Aug, Nas an Nas mit einer Riesenschildkröte, wer hätte das gedacht?

Zurück geht es immer an der Küste entlang, die Ausblicke sind atemberaubend, der Fahrtwind superangenehm, was für ein Erlebnis. Guilmette hat heute draußen gedeckt, wir essen Tintenfischcurry unterm Sternenhimmel und die Welt ist in Ordnung.
Hätte ich den Rückflug nicht schon gebucht, ich würde noch ein paar Wochen hier bleiben. Was für ein wunderschöner Ort, was für herzliche Menschen. Hoffentlich bleibt das Gerücht, hier gäbe es nichts zu tun, noch ganz lange bestehen!

 

P.S. Wer Lust bekommen hat auf das wunderbare Rodrigues, dem lege ich Guilmettes Guesthouse „Le Macoua“ in Pointe Coton sehr ans Herz. Ihr erreicht sie unter lemacoua@gmail.com. Ich habe mich selten so wohl und willkommen gefühlt wie dort!

Exil in Mauritius

Mauritius vereint heute alle Annehmlichkeiten, die sich Touristen wünschen: Traumstrände, warmes Klima, üppige Natur und eine gute Infrastruktur. Man kann sich gar nicht vorstellen, dass irgend jemand keine Freude daran hat, in diesem Land zu leben.

Aber das war nicht immer so. Dazu gehört zuerst die Geschichte der Sklaverei oder auch der „indentured workers“, Vertragsarbeiter vor allem aus Indien, an die im einzigen Weltkulturerbe von Mauritius, dem Aapravasi Ghat in Port Louis, erinnert wird. Ein wieder mal hervorragendes Museum stellt die Geschichte der Einwanderer und ihr hartes Leben in den Zuckerplantagen dar und erinnert mich sehr an das Auswanderermuseum BallinStadt in Hamburg oder das Gegenstück Ellis Island in New York.
Das Vertragsarbeitermodell, von den Briten als „Great Experiment“ bezeichnet, löste die Sklaverei ab. Die Arbeiter waren formal freie Menschen, wirtschaftlich jedoch komplett von ihren Arbeitgebern abhängig. Ihre Lebensbedingungen waren hart, aber ein Großteil dieser Menschen entschied sich nach Ablauf der Verträge in Mauritius zu bleiben. 70% der Mauritier sind Nachfahren der Vertragsarbeiter, so hart die Bedingungen damals auch für die Menschen waren, sie kreierten mehr oder minder eine neue Gesellschaft. Insofern hat die Erinnerungsstätte von Aapravasi Ghat etwas Hoffnungsvolles und Positives.

     

Ganz anders eine menschliche Tragödie, die sich hier vor über sechzig Jahren abgespielt hat. Wieder einmal werde ich von unserer Geschichte eingeholt.

1940 nutzten Juden aus Europa die letzten Möglichkeiten, ihrer Verfolgung durch Flucht zu entgehen. Fast alle Länder der Welt waren ihnen mittlerweile verschlossen, auch Palästina war damals keine legale Alternative mehr, da die britische Mandatsregierung rigide Einwanderungsquoten für jüdische Flüchtlinge festgelegt hatte. Trotzdem machten sich aus Mitteleuropa immer wieder Schiffe auf den Weg, das Heilige Land zu erreichen. Auf überladenen, hochseeuntauglichen Schiffen, all ihren Besitzes von den Deutschen beraubt und unter katastrophalen hygienischen Verhältnissen dauerte die Reise häufig Wochen und Monate. Im Hafen von Haifa angekommen war die Unsicherheit nicht zu Ende – die Briten ließen sie nicht ins Land. Einige Schiffe wurden zurückgeschickt, die Menschen fuhren in ihren sicheren Tod.
Nach der Explosion eines dieser Schiffe vor der damals palästinensischen Küste wurden die Passagiere der dort ankernden Schiffe zwar an Land gelassen – aber sofort in Internierungslager gebracht. Und wie löste die damalige Kolonialmacht das Dilemma? Sie schickte die Flüchtlinge weiter in ihre Kolonien. Am 26.12.1940 erreichten 1581 Juden vorwiegend aus Österreich und Deutschland Mauritius – abgeschoben aus Palästina, das sie nach unglaublichen Entbehrungen endlich erreicht hatten. Sie kamen umgehend in ein Internierungslager in Beau Bassin, Männer und Frauen strikt getrennt und auch hier wieder unter unglaublichen hygienischen Bedingungen. Typhus, Malaria, Polio, im ersten Jahr auf Mauritius starben über 50 Menschen. Die Überlebenden wurden bis Kriegsende hier interniert, ohne Anklage, ohne Aussicht auf ein Ende der Gefangenschaft. Im Laufe der Jahre entwickelte sich ein kultureller Mikrokosmos im Lager, es gab eine Lagerzeitung, die Häftlinge richteten eine Schule ein und verschiedene kleine Handwerksbetriebe. Fernab Europas hatten sie meist keine Nachrichten von ihren Familien, konnten nur ahnen, was sich in Deutschland abspielte und sahen sich noch dem Vorwurf ausgesetzt, ihnen ginge es im Vergleich zu Häftlingen in Konzentrationslager doch gut.
Nach Kriegsende durfte ein Teil der Menschen doch noch nach Palästina ausreisen und gäbe es nicht einen jüdischen Friedhof in Mauritius und das Engagement einiger Organisationen und Autoren, wäre ihr Schicksal wohl vergessen. In St. Martin, einem kleinen Ort an der Westküste von Mauritius, liegt der gut gepflegte jüdische Friedhof und ein Gang durch die Gräberreihen lässt mich erschauern: in der Exotik der Insel treffe ich auf Grabsteine wie den von Edith „Ditta“ Eisler aus Wien, der die Aufschrift „Du bist immer bei uns, Ditterle“ trägt. Ich bleibe an diesem Text hängen und merkwürdigerweise berichtet die freundliche Dame im nebenan gelegenen Museum später über genau diese junge Frau. Ditta starb im Lager auf Mauritius mit zwanzig Jahren an Polio, sie war Musiklehrerin, einer ihrer Schüler aus Wien besuchte den Friedhof Jahrzehnte später und berichtete über sie.
Seit drei Jahren gibt es das kleine Museum neben dem Friedhof und dort wird versucht, an die Menschen zu erinnern und ihre Lebenswege nachzustellen. Mich spricht der Vorsitzende des mauritisch-israelischen Freundschaftsvereins an, auf seinem T-Shirt prangt Bethlehem, und er berichtet ein wenig von den Feierlichkeiten, die hier jedes Jahr abgehalten werden. Am Shoah-Gedenktag heult wie in Israel die Sirene, um für eine Minute innezuhalten und sich der Opfer zu erinnern. Der Mann ist kein Jude, ihm ist es einfach nur wichtig, den Ort als würdige Gedenkstätte zu erhalten.

Wer sich für die Geschichte der in Mauritius internierten Juden interessiert, dem kann ich das Buch „Exil in Mauritius 1940 – 1945“ von Ronald Friedmann empfehlen, das in seinem ersten Teil vor allem auch die Flucht per Schiff aus Europa beschreibt, es ist herzzerreißend, was diesen Menschen widerfahren ist.

Jetzt wisst ihr ja wahrscheinlich, dass ich eine ganz besondere Beziehung zu Israel habe, aber nicht nur deswegen möchte ich diesen Beitrag auch dafür nutzen, auf eine besondere Art von Antisemitismus hinzuweisen, eigentlich davor zu warnen, weil er sein Gift sogar in meinem Freundeskreis versprüht. Über die antijüdische Gesinnung der rechten Dumpfbacken wundert man sich ja wenig. Was ich aber seit Jahren beobachte, sind die Entwicklungen in Kreisen der sogenannten Verschwörungstheoretiker, häufig intellektuelle Menschen, die offensichtlich gar nicht merken, vor welchen Karren sie sich da spannen lassen. Die „Protokolle der Weisen von Zion“ ist ein nicht tot zu kriegendes Verschwörungskonstrukt, wonach die Juden danach streben, die Welt und die Weltfinanzen zu kontrollieren. Dieser Tradition folgend gehört zum Repertoire eines Verschwörungstheoretikers, die Rothschilds, seit neuem auch Leute wie George Soros für alles Übel in der Welt verantwortlich zu machen. Kondensstreifen am Himmel? Laut Verschwörungstheoretikern sind das Zeichen dafür, dass wir alle versprayt werden, um uns gefügig zu machen. Und wer sind die Verantwortlichen dafür? Natürlich Juden.
Eine kleine Gruppe harmloser Spinner? Sollte man meinen, so ist es aber leider nicht. Die Bücher von Jan van Helsing, der dies propagiert, waren vor 20 Jahren Bestseller in der esoterischen Szene, die AfD gewährt Verschwörungstheoretikern Unterschlupf, der Kopp-Verlag in Rottenburg verdient sich mit rechtsesoterischer „Literatur“ eine goldene Nase. Und selbst in unserem Freundeskreis gibt es Anhänger dieses abstrusen Antisemitismus. Deswegen berührt es mich vielleicht auch besonders, Menschen, die ich kenne und die ich für intelligent und tolerant halte, sind Anhänger solcher „Theorien“ und fallen damit auf die gleichen Strategien rein, die vor über sechzig Jahren schon mal zur Katastrophe geführt haben. Wahrscheinlich würden sie sich nicht mal als antisemitisch bezeichnen und merken trotzdem nicht, dass ihnen das altbekannte Schema „Schuld sind die Juden“ ins Hirn gepflanzt wird. Die Leute, die so große Angst vor Manipulation durch vermeintliche Geheimverbünde haben, sind sich in keiner Weise bewusst, dass sie längst auf den Kurs rechter Gruppierungen eingeschwenkt und bereits in hohem Maße manipuliert sind. Und die Rechten reiben sich die Hände.
So Ihr Lieben, sorry, dass es jetzt mal etwas politischer wurde, aber das war mir wichtig. Auch weil wir dieses Jahr wählen. Und ich hoffe, dass auch bei uns die Vernunft siegt.

Es grünt so grün

 

Fast pünktlich zum St. Patrick’s Day soll es jetzt mal um die wunderbare Natur auf Mauritius gehen – auch wenn die eigentlich alles andere als natürlich ist. Die sattgrün wogenden Zuckerrohrfelder, die Palmen – alles gehört hier eigentlich nicht her. Es waren die Holländer, die diese Pflanzen auf die Insel brachten und das Gesicht des Landes damit für immer veränderten.

Möchte man einen Eindruck von der Vegetation vor Ankunft der Holländer bekommen, bekommt man den auf der Île aux Aigrettes vor der Westküste. Die Mauritian Wildlife Foundation hat diese Insel vor einigen Jahren erworben und konsequent alles entfernt, was nicht schon vor 400 Jahren dort war. Die ursprüngliche Vegetation vor allem aus Ebenholzbäumen hat dann dazu geführt, dass sich eine Reihe bedrohter Vogelarten dort wieder angesiedelt hat. Auch etwa vierzig Riesenschildkröten bevölkern die kleine Insel und ein Aufzuchtprogramm trägt dazu bei, ihren Bestand zu sichern. Das Projekt finanziert sich unter anderem durch geführte Touren und die sind nicht zuletzt wegen der Schildkröten sehr empfehlenswert. In durchaus beachtlichem Tempo kreuzen sie immer wieder unseren Weg und lassen sich gerne kraulen. Ein tolles Erlebnis.

Unwiederbringlich verloren ist der Dodo, eines der Wappentiere von Mauritius. Dieser
flugunfähige Vogel lebte bis zur Ankunft der Europäer im Paradies: keine natürlichen Feinde, dementsprechend auch keine Notwendigkeit zu fliegen oder die Eier besonders zu schützen. Die Holländer brachten Hirsche auf die Insel und vertrieben sich die Zeit mit Jagen – und schon war’s um den armen Dodo geschehen. Trotzdem wird sein Andenken als eigentlicher Ureinwohner von Mauritius hochgehalten – von Holz- und Plastiknachbildungen in Souvenirshops bis hin zu netten Anekdoten. Die hier fand ich im Zuckermuseum von Pamplemousses:

Der Botschafter der Sowjetunion  während der Debatte der Vereinten Nationen über die Unabhängigkeit von Mauritius 1966:
„Es ist skandalös zu sehen, dass Länder wie Mauritius immer noch Kolonien sind und ihre Ureinwohner von Kolonialmächten wie dem Vereinigten Königreich ausgenutzt werden.“
Antwort des britischen Botschafters:
„Was Mauritius angeht muss ich zugeben, dass die Situation sogar noch schlimmer ist als sie mein verehrter Kollege beschrieben hat. Die Ureinwohner wurden nicht nur ausgenutzt, sondern sie wurden von den Kolonialherren getötet und aufgegessen, da die einzigen Ureinwohner von Mauritius die Dodos waren.“

Das eigentlich fremde Zuckerrohr prägt neben den wunderbaren Stränden und dem türkisfarbenen Wasser das Bild der Insel. Alles was nicht bebaut ist, scheint hier Zuckerrohr zu sein. Aus dem Busfenster kann man es fast greifen und ein Besuch im Zuckermuseum „L’Aventure du Sucre“ ist da natürlich Pflicht, zumal sich doch mal der ein oder andere regnerische Tag einschleicht. Wie alle Museen, die ich bisher hier besichtigt habe, ist auch dieses wieder unglaublich gut gemacht und beantwortet in einer ehemaligen Zuckerfabrik wahrscheinlich jede Frage, die je über Zucker gestellt wurde. So viele Informationen kann ich nicht aufnehmen, aber durch die Halle zwischen den alten Maschinen herumzuschlendern, an denen ein karamellier Duft hängt, macht sehr viel Spaß. Die anschließende Zuckerverkostung ist toll, so viele verschiedene Sorten und von meinem Favoriten „Light Muscovado“ nasche ich gleich dreimal.

Der Ort Pamplemousses hält aber noch eine Attraktion bereit: der älteste Botanische Garten in der südlichen Hemisphäre. 1770 angelegt ist er vor allem durch die riesigen Seerosen bekannt und bei einem langen Spaziergang durch schattige Alleen vorbei an Teichen voller wunderschöner Wasserlilien kann man sehr gut einen gemütlichen Nachmittag verbringen. Um dann danach im Café Wiener Walzer gegenüber auf ein Stückchen Käsekuchen einzukehren. Hinter der anglikanischen Kirche. Wenn’s nicht so heiß wäre, könnte ich fast glauben, zurück in Good Old Europe zu sein.

  

Die ganze Pracht der mauritischen Vegetation lässt sich auch auf den Märkten erahnen. Jede Stadt scheint eine Markthalle zu haben und die in der Hauptstadt Port Louis ist ganz besonders stimmungsvoll. Exotische Obstsorten kennt man ja mittlerweile, aber beim Gemüse stehe ich oft staunend vor den Auslagen. Habe ich das hier schon gegessen, diese stachelig gebogenen Gurken oder grünschillernden Tomaten? Chilis gibt es in allen Größen und Farben und die grüne Chilisauce hier ist wirklich ein Erlebnis, scharf, aber doch mit einem ganz fruchtigen Eigengeschmack.

    

Zu jedem Markt gehören auch Essensstände, frischer geht’s dann wohl kaum. Besonders lecker ist der indische Fastfood, Rotis, in die alle möglichen Soßen und Salate eingerollt werden. Etwas Chili drauf für die typisch mauritische Note und hmmmm. Auf dem Fleisch- und Fischmarkt nebenan geht’s zwar blutig zu, aber frisch ist auch hier alles und kein Vergleich mit den schwülen, fliegenumschwirrten Fleischmärkten Asiens.

    

Und zum Schluss ein kleines Rätsel. Selbst wenn ich eine Gemüsesorte auf dem Markt mal erkannt habe, die Pflanze, an oder auf der sie wächst, ist dann doch eine Überraschung. „Look! You know what this is?“ fragt mich der Taxifahrer, als wir an einem Feld mit Büschen vorbeifahren. Er hält an und biegt die Zweige auseinander. Hättet Ihr’s gewusst?
   

 

Glückliche Hirsche

Wir müssen dann auch mal über Strände reden und über das Meer. Denn Mauritius ist ja schließlich eine Insel und nur wegen der schönen Zuckerrohrfelder würden nicht so viele Touristen herkommen. Ein paar erste Eindrücke hatte ich ja schon in Mahébourg, die Blue Bay und Point D’Esney sind sehr schön, aber jetzt bin ich ein Stück weiter Richtung Norden gefahren. In Trou D’Eau Douce würden sich wahrscheinlich nur Fischer tummeln, wäre da nicht eine Insel, auf der die Holländer vor vielen Jahrhunderten Hirsche ausgesetzt haben und die deswegen heute Île aux cerfs, Insel der Hirsche, heißt. Von denen ist keiner mehr übrig, aber was müssen sie für ein Leben gehabt haben damals. Denn das Eiland, zu dem man vom Festland in etwa einer Viertelstunde mit dem Motorboot hinbrausen kann, befriedigt so ziemlich jede Phantasie vom Strandparadies. Die Farben des Meeres, dieses Türkis, dieses Blau, die sanft darauf schaukelnden schneeweißen Katamarane, menschenleere Strände – das kann man eigentlich gar nicht beschreiben, deswegen lasse ich hier mal die Bilder sprechen.

      
      

Die Insel inszeniert sich gut – kommt man an der kleinen Anlegestelle an, sieht es erst mal aus  wie in einer x-beliebigen Touristenhochburg. Liegestühle, ein Restaurant, kleine Läden und Stände für „Action“: Bananaboat und dieses ganze Zeugs, dessen Reiz ich noch nie verstanden habe. Doch einfach nur ein Stück weiter an der Küste entlang ist man fast allein. Und kann auch nach Stunden des Starrens aufs Meer immer noch nicht fassen, wie die Natur solche Farbe zustande bringt. Vor lauter Starren bringe ich dann allerdings ein kräftiges Knallrot auf Schultern und Rücken zustande, dieses Opfer muss man bringen…

Mauritius hat mit der Gestaltung der Insel so ziemlich alles richtig gemacht, finde ich. Das einzige Hotel auf der Insel ist weit weg, an ihrem äußersten Zipfel, und weitere werden nicht folgen wegen eines Bauverbots. Es sind lediglich kleine Boote, die an der Insel anlegen, die Action konzentriert sich auf einen Punkt, es gibt drei Restaurants, die sich wunderbar in die Natur einfügen, Strand und Wege werden ständig gereinigt. Und in der Inselmitte befindet sich ein riesiger Golfplatz, der von Bernhard Langer angelegt wurde. Ökologisch gesehen war die Rodung der Waldfläche wahrscheinlich kein
Hit, aber ich habe das Gefühl, die exklusive Golfanlage trägt dazu bei, dass weitere Sünden unterbleiben. Wer so viel für’s Golfen zahlt, der will eine saubere, unverbaute Umgebung und von der profitieren dann wieder alle. Trotzdem komisch, man liegt am wunderbaren Naturstrand, geht kurz durch’s Nadelwäldchen und steht plötzlich auf englischem Rasen und sieht die Golfwägelchen fahren. Trotzdem verkraftet die Insel jeden Tag durchschnittlich fast 1000 Besucher, denen man unproblematisch entkommen kann.

Nach zwei Tagen stetig errötenden Starrens muss ich mir heute eine Pause gönnen. Jetzt ist auch Wochenende und da kommen zu den vielen ausländischen Touristen noch die einheimischen, da schwinge ich mich lieber in den Bus und mache einen Ausflug in den botanischen Garten. Aber vielleicht hänge ich noch ein paar Tage hier dran. Von der Île aux Cerfs kann man eigentlich nie genug kriegen.

 

Hands off Diego Garcia

Die Cyclongefahr für Mauritius scheint gebannt – Enawo ist weiter Richtung Westen abgedriftet und hier regnet es lediglich ein bisschen mehr als sonst. Für Madagaskar ist die Gefahr allerdings noch lange nicht vorbei und ich hoffe das Beste.

Bei der Beobachtung des Cyclon auf den Wetterseiten im Internet wurde mir erst klar, wie groß die Republik Mauritius eigentlich ist. Nicht nur die Hauptinsel und das 600 km östlich gelegene Rodrigues (mit einem Abstecher dorthin liebäugle ich noch) gehören dazu, sondern zum Beispiel auch die 1000 km nördlich gelegenen Agalega-Inseln. Und fragt man einen Mauritier, wird er immer auch die Chagos-Inseln und besonders Diego Garcia nennen. Die Amerikaner würden die Insel nicht zurückgeben, sagte mir meine Vermieterin in der letzten Unterkunft. Dann sah ich in Mahébourg ein Wandgemälde, „Hands off Diego Garcia“ und „Retour Nou Diego Garcia“ steht darauf und ich fing an, im Internet zu lesen.

Die Amis haben in dieser Sache zwar eine Menge Dreck am Stecken, aber es sind vor allem die Briten, die sich hier mit einer unfassbaren Aneinanderreihung übelster Taschenspielertricks seit Jahrzehnten über alles hinwegsetzen, was man von einem Rechtsstaat eigentlich so erwartet.

Ausgangspunkt des Ganzen war, dass die Amis einen militärischen Stützpunkt im Indischen Ozean wollten und die Briten baten, ihnen einen zu verschaffen. Anfang der 60er Jahre verhandelte man bereits darüber, Mauritius in die Unabhängigkeit zu entlassen, da gründeten die Briten flugs noch BIOT, das British Indian Ocean Territory und gliederten die Chagos-Inseln, die zuvor zu Mauritius gehörten, ein. Und behaupteten dann noch, die Inseln seien unbewohnt, dabei lebten auf Diego Garcia seit Generationen etwa 1200 Menschen. Und dann ging’s los mit den Unglaublichkeiten: man stellte die Lebensmittellieferungen auf die Insel ein, verwehrte verreisten Insulanern die Rückkehr und wer dann immer noch da war, dem zeigte man, was passieren würde. Die Briten vergasten vor den Augen der Insulaner alle Haushunde auf der Insel und 1971 wurden die letzten Menschen, die trotzdem geblieben waren, deportiert. Ohne echte Unterstützung fristen sie bis heute in Slums auf Mauritius oder den Seychellen, seit einigen Jahren auch in England (denn wenigstens entschied ein Gericht, dass sie britische Staatsangehörige seien) ein tristes Leben. Viele starben und sterben immer noch an „Sagren“, einem kreolischen Begriff, der so viel wie tiefe Trauer bedeutet.

Die Briten verpachteten die Insel dann an die Amerikaner, die dort eine riesige Militärbasis mit über 3000 Soldaten entstehen ließen, von der aus Angriffe im Golfkrieg und auf Afghanistan geflogen wurden. Und auf der sie ein 2003 enttarntes Geheimgefängnis a la Guantanamo betrieben. Der Pachtvertrag lief Ende letzten Jahres aus, die Insulaner hofften erneut, aber es gibt eine Verlängerungsoption für weitere 20 Jahre.

Wandgemälde in Mahébourg

Die Chagossianer kämpfen mit allen rechtsstaatlichen Mittel, um in ihre Heimat zurückkehren zu können. Im Zuge von Gerichtsprozessen tauchten Unterlagen der britischen Regierung mit heftigsten rassistischen Formulierungen – die Einwohner wurden als Tarzans und in Anspielung auf Robinson Crusoe „Freitags“ bezeichnet, so sieht das Empire also seine Bürger. Britische Gerichte haben festgestellt, dass die Vertreibung illegal war, den Chagossianern ein Recht auf Rückkehr zugesprochen, aber kaum war das geschehen, griff die britische Politik in die Trickkiste: Gutachten, wonach die Ansiedlung entweder unmöglich oder zu teuer sei, ein spezielles Dekret der Queen, das die Gerichtsentscheidung aussetzte und zuletzt die Krönung der Bauernschläue: die Insel wurde 2010 zum Marineschutzgebiet erklärt, kein Fischfang, keine Siedler. Das deckte dann glücklicherweise Wikileaks auf, es gibt eindeutigen Schriftverkehr, dass dieser Schritt nur zum Ziel hatte, die Inselbewohner an der Rückkehr zu hindern. 2015 erklärte ein Gericht die Einrichtung des Marineschutzgebietes für illegal, aber was kümmert’s die Briten. Im November letzten Jahres erklärten sie erneut, dass sie eine Rückkehr der Chagossianer nicht zulassen würden.

Mauritius startet jetzt einen neuen Anlauf, die Angelegenheit vor ein internationales Gericht zu bringen. Das scheint den Briten so gefährlich, dass Boris Johnson kürzlich Indien bat, auf Mauritius einzuwirken. Man betrachte das Vorhaben, den Internationalen Gerichtshof anzurufen, als eine „unangemessene Inanspruchnahme des Gerichts“ und dies würde „einen unwillkommenen Präzedenzfall für andere bilaterale Diskussionen“ darstellen.

David gegen Goliath, die Wucht zweier Weltmächte gegen 1200 Menschen und jetzt auch Mauritius. Ich finde so etwas immer zum Verzweifeln, der Rechtsstaat ist hier keinen Pfifferling wert, Briten und Amerikaner führen sich schlimmer auf als die damaligen Kolonialmächte. Die Insulaner, die sich an alle internationalen Spielregeln halten, deren Kampfmittel gewaltlose Demonstrationen und Gerichtsprozesse sind, Mauritius, das nicht mal über ein Militär verfügt, und dagegen dann die Briten und Amerikaner, die einfach alles ignorieren, was ihnen nicht in den Kram passt. Ist ja nicht ganz überraschend, hier aber so unerträglich offensichtlich. Ich drücke Mauritius die Daumen, bringt es vor ein internationales Gericht und macht es so öffentlich wie möglich. Den Briten und Amerikanern wird zwar immer etwas einfallen, um hier nicht nachgeben zu müssen, aber man sollte es ihnen wenigstens nicht allzu leicht machen.

P.S.: Wen das Ganze interessiert, dem empfehle ich sehr die preisgekrönte Dokumentation „Stealing a Nation“ auf Youtube: https://www.youtube.com/watch?v=0zhGvId4fcc

Update: Falls Ihr das Anliegen der Chagossianer unterstützen möchtet: Ich habe bei der UK Chagos Support Association nachgefragt und die haben mich auf diese Petition verwiesen: https://www.change.org/p/boris-johnson-mp-allow-and-support-the-chagossian-people-to-return-to-their-homeland