I don’t understand

Die Zeit in Edinburgh neigt sich unaufhaltsam dem Ende entgegen. Die letzte Woche ist angebrochen und am Freitag geht es erst mal Richtung Brüssel für ein verlängertes Globonauten-Reunion-Wochenende. Und dann mach ich, was ich immer schon mal wollte: Ayurveda in Sri Lanka. Ich bin sehr gespannt und erhoffe mir, neben Erholung, Erkenntnissen, Verjüngung und viel Wärme, endlich die entzündeten Achillessehnen beruhigen zu können. Wollen wir doch mal sehen.

So kurz vor Ende scheint es aber auch der richtige Zeitpunkt zu sein, über ein paar Alltagsbesonderheiten des schönen Schottlands zu berichten. Fangen wir mit dem alleralltäglichsten an, dem Einkaufen.

Die großen Supermärkte scheinen die kleinen Lebensmittelgeschäfte recht erfolgreich verdrängt zu haben. Gemüseläden, Metzger oder selbst Bäcker sind mir nicht in großer Zahl p1000239aufgefallen und meine Hoffnung, auf einem Wochenmarkt frische Lebensmittel zu kaufen, haben sich leider auch nicht erfüllt. Der Samstags-Markt in Leith beherbergt genau einen Obst- und Gemüsestand, alle anderen bieten sehr feine, aber eben doch schon fertig zubereitete Leckereien an – am interessantesten das Schotten-Wrap mit einer Füllung aus Haggis, Würsten und Speck. Nein, hab ich nicht probiert, die vegetarische Variante mit Pilzen und roter Zwiebelmarmelade war auch gut. Da der große Tesco bei mir um die Ecke ist und quasi immer geöffnet hat, bietet sich der Einkauf dort ja an. Erschreckend ist nur die Riesenmenge an Plastik, die sie einem mitverkaufen. Obst, Gemüse, Brot, so gut wie alles ist in Plastikschalen verpackt, dazu die Milch in Plastikcontainern, es ist unglaublich und leider fast alternativlos. Die frischen Produkte darin bergen zudem ein Rätsel – das der Haltbarkeit. Als großer Supermarkt täglich beliefert gehe ich davon aus, das Tesco recht p1000186frische Ware bietet. Wie kann es dann aber sein, das Kartoffeln, Äpfel und Himbeeren das gleiche Haltbarkeitsdatum tragen? Kartoffeln, die angeblich nur noch drei Tage verzehrfähig sind? Ich lagere sie natürlich länger, schon weil ich kein Kilo Kartoffeln innerhalb von drei Tagen esse, und sie selbstverständlich auch an Tag 5 noch gut sind, aber was soll diese kurze Frist? Ein Apfel schmeckt auch zwei Wochen nach dem Einkauf noch wunderbar, obwohl er offiziell seit 10 Tagen abgelaufen ist. Und die Himbeeren? Ich bin es gewohnt, dass die frischen Himbeerschälchen, die ich auf dem Markt kaufe, schon zuhause das ein oder andere verschimmelte Exemplar enthalten – Himbeeren halt. Die britischen Exemplare sind allerdings in ihrer Plastikverpackung noch am dritten Tag ohne sichtbare Sporen-Spuren. Bestrahlung, kommt einem da doch sofort in den Sinn, aber trotz intensiver Googelei fand ich nichts. Zähe britische Wunderbeeren…

Der ganze Verpackungsmüll muss dann natürlich auch wieder entsorgt werden. Und da begegnet einem das nächste Mysterium: das Mülltonnensystem, falls es ein solches überhaupt gibt. Hier in meinem Viertel steht vor jedem vierten Haus ein dunkler Container für Müll, zugänglich für jeden, und da soll der Restmüll rein – denke ich mal. Ganz schön großes Behältnis dafür. An diversesten Stellen findet man spezielle Tonnen – mal für Papier, mal Biomüll, mal Plastik oder Glas. Wo diese Tonnen stehen, ist ein wenig rätselhaft. Bei mir vor dem Haus ist es ein Biomüll. Der heißt hier „Food Recycling“, iiih. Um die Ecke, versteckt in einem Hauszugang, steht eine Plastiktonne, noch weiter die Straße entlang eine für Glas, und zwar farbenunabhängig. Vor dem Tesco allerdings findet man dann aber Container für grünes, braunes und Weißglas. Wollte man hier wirklich korrekt trennen, müsste man sich mit mehreren Tüten bewaffnet auf einen längeren Spaziergang machen und da verstehe ich jetzt, warum die Tonnen für Restmüll die weitaus größten sind. Keiner scheint Lust auf Müllwanderungen zu haben. Schon im angrenzenden Stadtteil scheint es aber anders gehandhabt zu werden: vor den Häusern haben die Bewohner offene Kisten unterschiedlicher Farben abgestellt, die einen gefüllt mit Papier, die nächsten mit Flaschen usw. Die Kisten sind mit der Hausnummer beschriftet, nix mit allgemein zugänglichen Tonnen. Wie die Müllabfuhr dieses System handelt, ist mir unbegreiflich. Es scheint aber so aufwändig zu sein, dass sie auch sonntags ihre Touren fahren und so findet sich in den Restmülltonnen immer zuverlässig Platz für Dinge, die da eigentlich nicht reingehören.

Und noch was im Dunstkreis des Einkaufens: hier scheint jeder sein eigenes Geld p1000395drucken zu können. Dass die Schotten eigene Scheine haben, wusste ich schon. Aber irgendwie sieht es im Geldbeutel immer so aus, als hätte man Währungen aus vielen verschiedenen Ländern drin. Denn nicht nur die Royal Bank of Scotland gibt Scheine heraus – auch die Bank of Scotland und die Clyesdale Bank tun das und so gibt es für jeden Wert vier verschiedene Scheine – ein englischer und drei schottische. Das führt aber wohl auch bei den Schotten selber ab und an zu Verwirrung. Der freundliche Verkäufer im Schuhladen musste erst seine Kollegin fragen, ob mein 20 Pfund-Schein ein echter sei.

Und dann der Verkehr: Dass man hier links fährt, dürfte ja für niemanden eine Überraschung sein. Und so versuchte ich anfangs, auch als Fußgängerin diesem Prinzip zu folgen. Aber nein, hier wird rechts gelaufen. Und natürlich nahm ich auch an, dass es eine entsprechende Regelung „links vor rechts gibt“. Nein, gibt es nicht. Auch nicht „rechts vor links“. Das Prinzip heißt: von wo immer Du kommst, look at me. Gibt es keine Beschilderung, dann muss man sich verständigen. Aber das klappt ganz gut, auch als vermeintlich schwächerer Radfahrer. Die hier sowieso sehr viel mehr Respekt und Vorrang genießen als bei uns. Vor jeder Ampel befindet sich ein breiter Streifen nur für Radfahrer, die bei Rot ganz offiziell an allen Autos vorbeiziehen und exklusiv vor diesen auf Grün warten dürfen. Das wär doch mal was für uns. Die Fußgängerampeln haben, das berichtete ich schon, ja eher symbolischen Charakter. Dafür sind die Radfahrer hier sehr brav, kaum einer überfährt eine rote Ampel und als Verkehrsteilnehmerin, die ernst genommen werden möchte, finde ich das gut. Wären die Hügel und das Kopfsteinpflaster nicht, es wäre ein Radfahrparadies!

Marotten hin oder her, es lässt sich sehr gut leben in Edinburgh. Obwohl, mein Yoga-Lehrer freute sich vorhin schon wieder über den warmen Abend (12 Grad). I don’t understand…

P.S.: Und falls ihr nach Edinburgh kommt und ein eher sportliches Yoga möchtet: ich fühle mich sehr wohl bei Yoga Mix!

Zwei Weltkulturerbe und ein Weltwunder

Im Jahr 1995 wurden die Alt- und die Neustadt p1000281on Edinburgh zum Weltkulturerbe erklärt. Bei der Altstadt mit der Burg und den düsteren Bauten auf der Royal Mile kann man dies auf einen Blick nachvollziehen – die Einzigartigkeit der Neustadt erschließt sich erst, wenn man durch die breit angelegten Straßen fährt oder am allerbesten wahrscheinlich aus der Luft: es ist ein Ensemble, das gar nicht so sehr ein einzelnes Gebäude in den Vordergrund stellt, sondern in seiner Gesamtheit wegweisend für die Architektur der damaligen Zeit war.

p1080825In den dunklen Gassen der Altstadt kann man sich gut vorstellen, dass die Bewohner irgendwann die Nase voll hatten – im wahren Sinne des Wortes. „Gardyloo“ vom französischen „Gardez l’eau“ tönte es abends nach 10 durch die engen Straßen, bevor sich der Inhalt der Nachttöpfe von den Balkonen auf die Straßen entleerte. Übrigens ist das auch der Ursprung des im britischen gebräuchlichen Wörtchens Loo für Toilette. Dass sich die Menschen bessere Wohnverhältnisse wünschten, ist nachvollziehbar und so wurde zwischen 1767 und 1850 die Newtown errichtet, die als Meisterwerk der Städteplanung angesehen wurde. Breite Straßen, viele Grünflächen, prächtige Plätze – vieles ist heute genauso erhalten und man kann sich gut vorstellen, dass es eine Freude gewesen sein muss, der stinkigen Enge der Altstadt zu entkommen und hier ins vornehme Leben einzutauchen.

p1000303Ganz besonders anschaulich wird dies im Georgian House, einem original erhaltenen Prachtbau am Charlotte Square, das dank des Scottish National Trust auch innen epochengetreu ausgestattet wurde. Auf vier Stockwerken fühlt man sich wie im „Haus am Eaton Place“, von den vornehmen Räumen der Herrschaft bis hinunter in die Küche und die p1000298Schlafräume der Diener. Ein gut gemachter Film führt zunächst in die Lebensweise der ersten Eigentümer Anfang des 19. Jahrhunderts ein und der spätere Gang durch die einzelnen Räume ist auch angesichts der sehr bemühten Volontäre, die allesamt ihr reguläres Arbeitsleben bereits hinter sich gelassen haben dürften, ein großes Vergnügen. Das Leben p1000312sowohl der feinen Herrschaften als auch der Bediensteten wird sehr plastisch und wären die Stühle im Haus allesamt nicht mit Disteln bestückt, damit die historischen Stoffe unter der Last müder Besucher nicht leiden, man könnte Stunden hier verbringen und sich in die damalige Zeit zurückversetzen. Obwohl – einen Zufluchtsort haben sie uns gegönnt: unterm Dach gibt es ein Spielzimmer für Kinder und Erwachsene, wobei ich nur letztere dort sah. Und die hatten allesamt großen Spaß daran, kurz in die historischen Kostüme zu schlüpfen, wenn auch meistens recht verstohlen.

Am nächsten Tag scheint die Sonne schon früh und ich will endlich meinen Plan umsetzen und eine etwas längere Fahrradtour machen. Die Brücken über den Firth of Forth habe ich bis jetzt immer nur aus der Ferne betrachtet, aber jetzt muss ich auch mal hin. South Queensferry heißt der Stadtteil, der noch zu Edinburgh gehört, also kann es ja so weit nicht sein. Ist es aber, um es vorweg zu nehmen. Zumindest mit dem Fahrrad. p1000332

Als erstes passiere ich Cramond, wo ich schon mal war und es nicht auf die Insel geschafft hatte, weil die Flut kurz bevor stand. Als ich dort ankomme, ist die Ebbe auf ihrem Höhepunkt, einige Leute sind unterwegs zur Insel und dann sollte ich doch auch die Gelegenheit nutzen. Wunderbare Ausblicke sind die Belohnung für die kurze Wanderung und ich bin wirklich froh, dass ich diesen Ausflug noch eingeschoben habe.

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Und dann weiter Richtung Queensferry. Die p1000377Strecke zieht sich. Die letzten vier Kilometer sind furchtbar anstrengend und wenig schön, bergauf, bergab neben der Schnellstraße, puh… Der Ort selber ist ganz goldig, aber die Attraktion sind die Brücken. Die rote Eisenbahnbrücke, die Forth Bridge, war bei ihrer Eröffnung 1890 die größte ihrer Bauart und wurde doch tatsächlich als achtes Weltwunder bezeichnet. Und seit 2015 ist sie Weltkulturerbe. Und sie hält. Anders als die p1000373zweite große Brücke in Queensferry, die Forth Road Bridge aus den 60ern. Die ist mittlerweile so marode, dass sie immer wieder für längere Zeit gesperrt werden muss und derzeit eine Ausweichbrücke gebaut wird. Trotzdem – die beiden Brücken sind äußerst beeindruckend und man kann bestimmt auch auf die andere Seite radeln, aber mir steht noch ein langer Rückweg bevor und den trete ich lieber mal an. Zum Glück findet sich noch eine anderer Fahrradweg, zunächst immer am Ufer entlang und dann durch das p1000386-1Anwesen Dalmeny des Earl of Roseberry. Und der hat einiges richtig gemacht, nicht nur sein wunderbares Haus inmitten eines Golfplatzes mit Blick auf den Firth of Forth, sondern auch seine ausgedehnten Ländereien, auf denen mir Schafe und Fasanen begegnen, zeugen davon. Der Weg ist wunderschön, aber auch lang und irgendwann taucht endlich mein Tesco auf, in dem ich mich mit der ein oder anderen Süßigkeit eindecke und dann nur noch ins Bett fallen will. Ganz schön anstrengend, diese Weltwunder.

Ankommen

Es ist nicht einfach, nach diesem einjährigen Abenteuer zuhause anzukommen. Aber es geschieht. Langsam aber sicher ist das Gefühl zurück, wieder Alltag zu leben -und es verliert zugleich an Schrecken. Aber es ist ja auch nicht der selbe Alltag wie der, den ich im August 2015 zurückließ.

War nach unserer Rückkehr der Berg an auf uns lauernder Bürokratie noch sehr groß, so arbeiteten wir ihn nach und nach zu einem überschaubaren Hügel ab.
Da war zum Beispiel die in unserer Abwesenheit per Gesetz verschärfte Anmeldeprozedur beim Einwohnermeldeamt. Es wird plötzlich eine Bestätigung des Vermieters darüber verlangt, dass man in der Wohnung auch wirklich leben und nicht nur zum Schein angemeldet sein wird. Der Staat räumt hierfür zwei Wochen ein, egal, ob sich das ganze Land (und damit auch der Vermieter) gerade mitten in den Sommerferien befindet. Und er terrorisiert seine Bürger mit Mahnungen, die er sogar noch vor Ablauf dieser Zweiwochenfrist versendet und und dies tut, obwohl mir zuvor am Telefon eine Verlängerung der Frist eingeräumt worden war. Oder auch die Steuererklärung, die nicht allein durch unser Zutun zum Kampf durch zigfach geänderte Bescheide wurde. Oder das lange Hin und Her mit unseren Krankenkassen. Selbst das simple Beenden des Nachsendeantrags bei der Deutschen Post erforderte zwei Anläufe. Aber Licht am Ende des Tunnels ist in Sicht.
Dass nun dennoch vieles anders ist liegt auch daran, dass Julia wieder in die weite Welt loszog und ich in Stuttgart zurück geblieben bin. Es ist schon eine große Herausforderung für uns beide, nach so langer gemeinsamer Zeit, nun unterschiedliche Wege zu gehen.
Und da ist natürlich auch die Tatsache, dass ich noch nicht wieder im Berufsleben zurück bin, das ja doch den Großteil unseres Alltags ausmacht. Diese Situation bewahrt mir aber nach wie vor den Zustand der Veränderung, der ja auch jeden Tag in der Zeit während der Reise gegeben war.
Bereits von unterwegs hatte ich Kontakte zu Firmen hergestellt, bewarb mich online und führte auch erste Gespräche mit Interessenten. So kam es zum Beispiel aus Toronto zu einem Bewerbungsgespräch mit einer Vermittlungsagentur, welches ich mittels Skype führten. Im  Verlauf der Videokonferenz stellte sich sehr zu meiner Überraschung heraus, dass es sich bei der angebotenen Stelle just um meine ehemalige Position bei meinem alten Arbeitgeber handelte. Die Stellenbeschreibung hatte so perfekt gepasst 😃. Ich musste sehr lachen.
Das Thema Arbeitssuche war also ein sehr bestimmendes in den letzten Wochen, das mir aber glücklicherweise auch so viel positive Resonanz einbringt, dass ich meine Entscheidung, meine alte Stelle für die Chance auf Veränderung aufzugeben, auf das Beste bestätigt sehe. Im Moment mache ich hierbei so schöne Erfahrungen, dass ich sehr freudig den neuen Möglichkeiten entgegen sehe.
Natürlich bin ich wehmütig darüber, dass die 12 Monate ein Ende gefunden haben. Aber ich bin auch sehr glücklich darüber, dass sie fester Bestandteil meines Lebens sind.
Klar ist, dass die Reise noch gar nicht zu Ende ist, denn das Ankommen zuhause gehört genau so zu ihr, wie die Vorbereitungen im Vorfeld.
Tatsächlich wird sie nie ein Ende nehmen, denn sie beeinflusst meinen weiteren Lebensweg sowohl jetzt in der Gegenwart, als auch in der Zukunft.

An afternoon at the park

Edinburgh findet sich regelmäßig in den mittlerweile so beliebten Städte-Rankings: beste Lebensqualität in Großbritannien oder auch Stadt mit dem besten Lebensstandard für Ü50er (ach deswegen). Am Wetter kann’s definitiv nicht liegen, aber ein Grund sind sicherlich die zahlreich vorhandenen grünen Oasen in Form von Parks oder wunderbaren Küstengegenden. Über den Stadtstrand in Portobello habe ich ja bereits berichtet, sehr schön ist auch Cramond mit seiner vorgelagerten Insel. Ein paar Kilometer vom Stadtzentrum entfernt kann man hier ein fast ländliches Schottland erleben und Cramond Island hatte zumindest bei meinem Besuch im wabernden Dunst eine sehr mystische Ausstrahlung.

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Besonders schön sind die überall vorhandenen Parks. Nie scheint man weiter als 200 p1000264Meter von einer Grünfläche entfernt zu sein, Unmengen von Holzbänken laden für eine kurze oder längere Rast ein und werden auch eifrig genutzt. Ein Highlight ist der Royal Botanic Garden, dessen Osteingang praktischerweise ganz in meiner Nähe liegt. Kostenlos wie so viele schöne Dinge in der Stadt wird er eifrig angenommen. Obwohl auch wichtige wissenschaftliche Einrichtung wird für alle etwas geboten: Kinder werden im Obst- und Gemüsegarten bespaßt und mit Pflanzenbau vertraut gemacht, die älteren Ladies treffen sich im Queen Mum-Gedächtnis-Garten, mittendrin in einem hübschen Pavillon findet eine Hochzeit statt und all über all scheint das p1000258Motto „Den Rasen bitte betreten!“. Nun sind es ja auch die letzten Sonnenstrahlen des Jahres, die alle noch tanken wollen, und vor allem beim Inverleith House, wo man einen phantastischen Blick auf die Skyline Edinburghs hat, tobt das Leben. Die einzig freie Bank direkt an einer Gartenmauer, die wohlige Wärme abstrahlt, wollte wohl niemand haben (wen wundert’s, hier hat’s bestimmt 20 Grad), ein perfekter Platz für eine Lesestunde.

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Aber wir sind ja nicht zum Vergnügen hier, die Kamera muss weiter getestet werden, und die bunten Blumen und zahlreich vorhandenen Insekten sind dankbare Photoobjekte. Es ist ein botanischer Garten, ob das jetzt also heimische Pflanzen sind, kann ich maximal bei den rotbäckigen Äpfeln des Obstgartens sicher sagen. Aber interessant ist es allemal. Der Arzneimittelgarten, die ursprüngliche Keimzelle der Anlage, lässt tief in die schottische Seele blicken – die kargen Sträucher und ihre Früchte dienten vorwiegend entweder der Whisky- und Bieraromatisierung oder der Behandlung von Winterdepressionen. Oder wahrscheinlich beidem gleichzeitig…

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Sehr nett anzusehen ist auch das historische p1000240Gewächshaus, das höchste in Großbritannien. Das Innenleben hebe ich mir für einen kälteren Tag auf. Und der wird kommen, die Temperaturen fallen beständig und ich muss mir langsam sehr ernsthafte Gedanken über mein nächstes Reiseziel machen. Und das muss so gelegen sein, dass 20 Grad gerne als unnormal angesehen werden – weil zu kalt…

Der schwarze Punkt

Das Wetter ist ein ganz großes Thema hier, das merkt ihr. Im September scheint das letzte Aufbäumen gegen die anstehende dunkle Jahreszeit stattzufinden und deswegen nutzt jeder die Gelegenheit, die letzten Sonnenstrahlen zu erhaschen. Und so ziehe auch ich durch die Gegend, schaue mir an, was der Reiseführer so anpreist und was ich selber finde, mache Photos und freue mich an ihnen – doch halt, p1080857was ist denn das in der Mitte meiner schönen Bilder? Ein schwarzer Punkt! Wie kommt der da hin? Jetzt ist Edinburgh ja eine der führenden Gespensterhauptstädte, eine gewisse Materialisierung verstorbener Seelen also nicht ganz auszuschließen, aber das sieht mir doch eher wie ein gewöhnlicher Dreck aus. Allerdings nicht auf der Linse, sondern eher tief drinnen im Gehäuse. Selbst ist die Frau, denke ich mir, und finde flugs auf Youtube ein Do-It-yourself-Video zur Kamerareinigung. Hier ein paar Schräubchen gelöst, dort ein Schalterchen umgelegt, nochmal Schrauben, kleine Gummistreifen, wieder Schrauben – der Tisch vor dem älteren Photoexperten wird immer voller. Mich ergreift leichte Panik – die Erinnerung an eine Szene vor vielen Jahren in Hamburg. Unsere Heizung fiel immer mal wieder aus, der Brenner war alt, und mein lieber Freund Tom wollte behilflich sein. Also ließ er sich im Heizungskeller nieder, ich kochte inzwischen oben Kaffee und als ich wieder runter kam, saß Tom inmitten der Einzelteile des Brenners und sah wenig glücklich aus. Ich fürchtete Schlimmstes, wenn mein Vater das erfahren würde, und flehte Tom an, schnell alles wieder zusammenzubauen. Ich meine, die ein oder andere Schraube blieb übrig und der Brenner tat weiterhin nicht, ich habe es aber offensichtlich überlebt, doch diese Erfahrung bewahrt mich davor, ähnliches mit meiner Kamera zu versuchen.

p1000077Also auf zu John Lewis, einem wirklich gut sortierten Kaufhaus, und nach kurzer Beratung bin ich stolze Besitzerin einer neuen Kamera. Und die muss natürlich sofort ausprobiert werden. Auf den Hausvulkan der Stadt, Arthur’s Seat, wollte ich schon die ganze Zeit und so mache ich mich auf Richtung Holyrood Castle, dem Wohnort der Queen bei ihren Edinburgh-Aufenthalten, in dessen Park der Aufstieg beginnt. p1000091Es ist anstrengend – sehr anstrengend. Zum Glück muss ich ja alle paar Meter stehen bleiben, um die Kamera zu testen. Nur deswegen, natürlich 🙂 So schöne Spielereien, ich kann die Landschaft dramatisch und lieblich aussehen lassen, den Kreisverkehr beim Castle der Queen zum Spielzeugland werden lassen und die Panoramafunktion ist auch sehr nett. Also, macht euch ab jetzt auf was gefasst…

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p1000107Als Kontrast zieht es mich am nächsten Tag Richtung Meer, im Stadtteil Portobello liegen Edinburghs Badestrände und die stahlharten Schotten p1000114machen auch vor den herbstlichen Wassertemperaturen nicht halt. Der Ort selber ist trotz seiner Strandpromenade nicht sonderlich hübsch, aber die Strände sind durchaus beeindruckend – immerhin ist man hier fast noch in der Stadt. Es ist Nachmittag, die Kinder spielen in ihren Schuluniformen im Sand, Hunde springen im Meer herum, draußen wird auch gerudert, die p1000118Straßencafés sind voll, ganz wie im Hochsommer. Ein echtes Strandleben hätte ich von einer schottischen Stadt wirklich nicht erwartet. Ich setze mich auf die Promenadenmauer, lasse mir die Sonne ins Gesicht scheinen und amüsiere mich mit meiner Kamera. Wenn die Sonne weg ist, und das passiert wolkenbedingt dann p1000124doch regelmäßig, wird es wirklich frisch, also schnappe ich nach einiger Zeit mein Fahrrad und mache mich auf den Rückweg. Fahrradfreundlich ist Edinburgh in jedem Fall, trotz vieler Hügel und p1000123Kopfsteinpflaster. Ein riesiges Netz gut ausgeschilderter Radwege bringt einen eigentlich überall hin und solltet ihr mal etwas länger in Edinburgh sein, lohnt es sich in jedem Fall, ein Fahrrad zu mieten oder gleich zu kaufen. Gebraucht kann man schon für 75 Pfund ein recht gutes ergattern, mit anständiger Gangschaltung und robusten Reifen (die Kopfsteinpflaster…). Meines ist von Pedal Forth, aber es gibt einige Läden, die gebrauchte Fahrräder verkaufen und später dann auch wieder ankaufen.

p1000130Gut, dass ich den Sonnenschein genutzt habe. Am folgenden Tag ist die ganze Stadt in eine graue Suppe getaucht, Nieselregen und Nebelschwaden, dazu frostige Temperaturen, uh. Eigentlich ideales Wetter für den Besuch der düsteren Burg, die über der Stadt thront. Viel sieht man zwar nicht von Edinburgh, aber es geht ja um die Burg und die macht bei diesem Schmuddelwetter einen sehr trutzigen Eindruck. In ihren Gewölben befinden sich eine Reihe von Militärmuseen, auf p1000184ihre schottischen Regimenter sind sie stolz, aber für mich ist das eher nichts. Lieber schaue ich mir die Throninsignien und die Gemächer von Queen Mary an und ein echtes Highlight sind die authentisch restaurierten Kriegsgefängnisse in den Katakomben. Irgendwann habe ich genug von der Kälte und Nässe, bibbernd erwerbe ich einen Schottenschal, radeln zurück und lasse den Abend mit einer schönen heißen Schokolade im Bett ausklingen. p1000158

 

At home in Edinburgh

Es sind gerade einmal anderthalb Wochen, p1080825-1die ich jetzt in Edinburgh bin und trotzdem kommt es mir so vor, als würde ich schon lange hier leben. Das erste Fremdeln ist zum Glück gewichen und ich entdecke jeden Tag Neues.

Wann fängt man eigentlich an, sich irgendwo zuhause zu fühlen? Wenn man die Straßen seiner Umgebung so ergründet hat, dass einen hinter der nächsten Ecke keine Überraschungen mehr erwarten? Zwar weiß ich immer noch nicht genau, wie mein Stadtteil heißt, aber ich habe ihn nach Süden Richtung Innenstadt, nach Norden und Osten Richtung Meer und nach Westen bis zum Royal Botanic Garden erkundet und jetzt gerade mal nachgeschaut: Canonmills heißt er. Zum Heimischfühlen gehört sicherlich, dass man sich eine gewisse Infrastruktur erarbeitet hat. Mein Tesco um die Ecke versorgt mich an sieben Tagen die Woche bis zehn Uhr abends mit feinen Dingen, noch näher befindet sich mein Yoga-Studio, das mich ganz schön ins Schwitzen bringt und meinen Fahrradhändler kenne ich schon etwas genauer, musste er doch nach wenigen Tagen die Bremsen nachziehen. In der Wohnung habe ich mittlerweile jetzt alle Zimmer in Beschlag genommen. Verbrachte ich die Abende anfänglich vor allem in der Wohnküche, habe ich jetzt auch das Wohnzimmer erobert und mir einen sehr vergnüglichen Abend mit „Last Night of the Proms“ bereitet – da hätte ich ja eigentlich mal dran denken und mich zunächst in London einquartieren sollen, um im Hyde Park dabei zu sein, aber so ist das mit der fehlenden Reiseplanung. Trotzdem macht auch die Fernsehübertragung Spaß und „Jerusalem“ gehört zu den Liedern, die mich zu Tränen rühren, und mitsingen kann ich es natürlich auch 🙂 

Wer hier auf den ersten Blick nicht als Tourist auffallen möchte, der darf erstens nie an einer Fußgängerampel darauf warten, dass es grün wird und zweitens keine temperaturangemessene Kleidung tragen. Alles über 15 Grad scheint hier in die Kategorie Sommer zu fallen, trotz herbstlicher Temperaturen laufen viele Männer in kurzen Hosen durch die Straßen, bei den Frauen scheinen Strumpfhosen was für Schwächlinge zu sein und man möchte warme Decken über die armen Kinder werfen, die barfuß in ihren Kinderwagen herumgefahren werden. Grundsätzlich halten alle die Temperaturen offensichtlich für tropisch – meine Yoga-Gruppe bestaunte die warmen Abende – 21 Grad, das sei „not normal“.

Die Hauptsehenswürdigkeiten der Stadt habe ich fast durch – zumindest von außen. Einen Besuch im Edinburgh Castle und im Schloss der Queen hebe ich mir noch auf, die royale Yacht spare ich mir wahrscheinlich und für eine Gipfeltour zum Arthur’s Seat, dem höchsten p1080885Berg der Stadt, muss ich noch trainieren… Die Scottish National Gallery wird mich sicherlich noch ein paar Mal sehen – viele Museen in Edinburgh sind kostenlos und geben einem so die Gelegenheit, sich bei einem Besuch auf ein paar wenige Ausstellungsstücke zu konzentrieren. Also werde ich mich im Laufe der Zeit von der frühen Renaissance bis zum Impressionismus vorkämpfen und habe so auch einen guten Plan, falls das Wetter wirklich schlecht werden sollte.

Trotz Nieselregens war der Besuch auf dem Calton Hill genau das Richtige, um einen Überblick über die Stadt zu bekommen. Auf der einen Seite erstreckt sich die Neustadt bis hin zum Meeresarm Firth of Forth, auf der anderen Seite blickt man auf den Schlossberg und wieder ein Stück weiter auf den Holyrood Palast mit dem beeindruckenden Arthur’s Seat im Hintergrund.

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Auf dem Hügel selber findet p1080852sich eine Parthenon-Nachbildung, die vor allem Asiaten anzuziehen scheint. Zitternd präsentiert eine Gruppe von Chinesinnen Brautmoden, der Photograph lässt sich Zeit – er hat ja auch eine dicke Daunenjacke an.

Am nettesten ist es aber, zu Fuß oder mit dem Fahrrad einfach mal loszuziehen. Jedes Mal entdecke ich dabei eine nette Ecke – sei es ein hübscher Pub am Meer, viktorianische Häuserensembles in der New Town oder ein verwunschener Park, von denen es hier reichlich gibt.
p1080876-1Sogar das Einkaufen wird hier zum touristischen Erlebnis, das altehrwürdige Kaufhaus Jenners hat sich seine Pracht bewahrt und kombiniert wagemutig BH-Moden vor historischer Glasmalerei. p1080880-1Eigentlich ging ich hinein, um mich ein wenig aufzuwärmen nach einem kurzen Regenschauer und kräftigen Böen. Aber überall pusteten einem Ventilatoren entgegen, denn ich weiß ja jetzt: 21 Grad, das ist nicht normal.

Es geht wieder los

Seit vier Tagen bin ich wieder unterwegs – aber mit einem entscheidenden Unterschied: aus den zwei Globonauten ist eine Globonautin geworden. Ich reise jetzt alleine und das fühlt sich gerade noch sehr fremd an.

Ich habe zehn Monate eingeplant, möchte P1080791weniger Orte ansteuern, dort dafür länger bleiben. Los geht’s mit Edinburgh. In der schottischen Hauptstadt nenne ich für einen Monat eine Wohnung mein eigen, die fast aus einem Film gesprungen sein könnte – in einem etwas fertigen Stadtteil, gegenüber einer Autowerkstatt, Haus an Haus gebaut, betritt man die Nummer 7 und findet sich in einem ziemlich heruntergekommenen Treppenhaus wieder. P1080800Hinter einer Tür im ersten Stock mit unzähligen Schlössern, von denen nur zwei wirklich funktionieren, befindet sich mein Reich: zwei Zimmer, Wohnküche, Bad, grobe Holzdielen, gemütlich eingerichtet und nach hinten raus mit schönem Blick in den Garten. Hier kann man es aushalten, ohne dass einem die Decke auf den Kopf fällt. Am Tag nach meiner Ankunft mache ich mich auf die Suche nach einem gebrauchten Fahrrad und werde schnell fündig: ab jetzt teile ich mir den Flur mit meinem rosa Flitzer. Edinburgh ist hügelig und von hier in die Innenstadt geht es heftig bergauf – aber ein Ziel des ersten Monats ist, etwas fitter zu werden. Das Wetter ist schottisch-durchwachsen, kein Vergleich mit dem Stuttgarter Hochsommer, aus dem ich mich gerade verabschiedet habe. Aber meistens ist es trocken, immer wieder lässt sich die Sonne blicken und dann wird es durchaus warm.

Um die Ecke gibt es einen Tesco und ich bin überrascht über die günstigen Lebensmittelpreise – oder kommt das nur vom Brexit-geschädigten Wechselkurs? Die Leute P1080809sind äußerst freundlich – an der Supermarktkasse gibt es immer einen netten Plausch und auf der Straße wird man sofort hilfsbereit angesprochen, wenn man verloren wirkt. An die Sprache muss ich mich allerdings noch gewöhnen – im letzten Jahr habe ich viel Englisch gesprochen und fand mich eigentlich ganz gut dabei, aber Schottisch ist eine andere Nummer.

P1080814Die Stadt ist noch ziemlich voll mit Touristen. Ich wurde von den Leuten, mit denen ich ins Gespräch kam, abwechselnd für die Wahl meines Reisemonats bedauert (Oh, Du verpasst das Festival) oder beglückwünscht (Sei froh, dass Du den Massen während des Festivals entkommen bist) und mein sonntäglicher Ausflug heute in die volle Innenstadt bestätigt mich darin, dass mir die Festivalzeit zu viel gewesen wäre.

P1080821Ich habe einen Monat Zeit für eine Stadt, die in etwa so groß ist wie Stuttgart und werde es mir leisten, sie ganz langsam und eher nach dem Zufallsprinzip zu erkunden. Wo ich hinkomme, da komme ich halt hin und wo ich es schön finde, da suche ich mir ein Café und genieße es. So wie heute die Princes Street Gardens unterhalb der Burg – die Sonne schien, die Leute machten es sich auf den vielen Bänken mit einem kleinen P1080805Picknick bequem und da saß dann auch ich, um mich für den Aufstieg auf den Burgberg zu wappnen. Oben angekommen beschloss ich dann aber, das Edinburgh Castle an einem anderen Tag zu besichtigen – Menschenmassen drängten sich auf dem Vorhof, auf dem die Tribünen vom Festival gerade noch abgebaut werden. Muss ja auch nicht gerade am Sonntag sein. Auf der Royal Mile, der Prunkstraße der Altstadt, tobte das Leben, ein bunter Mix aus Touristen, Einheimischen, Straßenmusikern und Straßenkünstlern (wobei: ist das eigentlich Kunst, wenn P1080819 (1)ich mich wie Yoda verkleide und scheinbar in der Luft schwebend auf einem Metallgerüst sitze?). In einer Parallelstraße finde ich vor einer Kirche einen weiteren Sonnenplatz, hole mir einen Kaffee aus dem Kirchencafé und habe fast Mitleid mit der Gruppe, die ihrem historische gekleideten Führer hinterherläuft.

Ich bin noch in der Gewöhnungsphase – Alleinreisen hat mir eigentlich immer Spaß P1080802gemacht, ich war in Indien, Thailand und Portugal allein unterwegs, meine Familienforschung hat mich allein durch Ostdeutschland bis nach Polen geführt – aber gerade ist es schwieriger als sonst. Sich ständig auszutauschen, alles gemeinsam zu erleben, das war kennzeichnend für das letzte Jahr. Das wird jetzt anders werden und bietet ja auch die Chancen, die ich ergreifen möchte – in Ruhe über die Erlebnisse der letzten Zeit nachzudenken, das Erlebte zu ordnen, meine schon so lange gehegten Schreibpläne zu verwirklichen. Aber noch ist es schwierig und so bin ich froh über die moderne Technik, die via Facetime und WhatsApp steten Kontakt nach Hause ermöglicht.

Es sind erst vier Tage und es kommt mir schon viel länger vor. Wohin mich dieser Teil der Reise führen wird, weiß ich noch nicht. Ab Oktober wohl ziemlich sicher raus aus Europa, ich will wieder in die Wärme. Und wenn ich ans Essen und an Massagen denke, kommt mir sofort Südostasien in den Sinn. Aber erst mal Schottland. Die Menschen sind freundlich, die Landschaft toll, die Stadt spannend und das Bier lecker. Da wird das Fremdeln nicht mehr lange eine Chance haben.

 

Eine Fahrt durch die Republik

So langsam neigt sich der Heimaturlaub dem Ende zu und ohne einen Ausflug nach Hamburg wäre er nicht vollständig. Also begebe ich mich vertrauensvoll in die Hände des deutschen Fernverkehrs und teste zum allerersten Mal einen Fernbus aus. Frankfurt ist das Zwischenziel und der Preis des Postbus mit neun Euro für die Strecke so unschlagbar, dass ich es wage. Zwar fährt er eine ordentliche Verspätung ein, aber das ist zu Sommerferienzeit auf deutschen Autobahnen kein Wunder, mit dem Auto wäre das genauso passiert. Der Bus ist bequem, der Busfahrer freundlich, das WLAN gut, also durchaus Daumen nach oben. In Frankfurt treffe ich Anke und Sonja und in einer Äppelwoi-Wirtschaft in Neu Isenburg verbringen wir einen lustigen Abend. Dem Kellner falle ich sofort als Touristin auf, weil ich nach Verdünnungsmöglichkeiten für den Apfelwein frage. Er macht deutlich, dass er zwar zu jeder Sprudel-Panscherei bereit wäre, aber der echte Genuss nur in purer Form möglich sei. Gut, dann bitte ein Glas reiner Apfelwein. Es schmeckt erstaunlich gut und ich ordere bald nach. „Oi Schoppe Äppelwoi“ fasst der Kellner zusammen und ich zucke zusammen. Die Einheit „Schoppen“ kenne ich doch aus der Pfalz und die ist gar nicht weit weg. Der Schoppen Wein, den man dort durchaus schon mittags konsumiert, ist ein Riesenwasserglas mit einem halben Liter Füllungsvermögen. Nein, das ist mir zu viel. „Nein, ich hätte gerne noch mal genau so ein Glas Apfelwein“ sage ich dem hessischen Wirt. Nun scheint der Schoppen hier tatsächlich nur ein kleines Glas zu sein (in Abgrenzung zum Bämbel, dem Krug, den wir ja noch von Heinz Schenk kennen) und der Mann fühlt sich wohl von mir in seinem Dialekt korrigiert. Also ruft er seinem Kollegen am Tresen zu „Oi Schoppe Äppelwoi für die Dame, aber auf einem silbernen Tablett.“ Hihi, lustig sind sie schon, die Hessen.

P1080733Am nächsten Tag geht’s dann weiter nach Hamburg mit vollem Programm: nicht nur viele Wiedersehen mit alten Freundinnen, sondern durchaus auch touristische Abstecher. Coco hatte schon vor einigen Tagen angekündigt, dass wir unbedingt an die Elbe müssten und obwohl sich das Wetter weniger einladend gibt, machen wir uns mit Kind und Kegel, also Jonathan und P1080741Hunden, auf Richtung Landungsbrücken, steigen dort auf die Fähre, lassen uns auf dem trüben Aussichtsdeck IMG_0556ordentlich durchpusten, von der Gischt nassspritzen und gehen in Övelgönne von Bord. Am Elbstrand harren einige wackere Urlauber aus, es ist Mitte August, da kann einem so ein bisschen Wind und Wetter doch nichts anhaben. In der Strandperle liegen die warmen Decken bereit und ich hätte früher ja nie gedacht, dass ich freiwillig ein Astra trinken würde. Wie haben die es eigentlich geschafft, von der früher verpönten Billigplörre zum Kultbier zu werden?

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P1080768Die Elbe kriegt noch eine zweite Chance, am nächsten Tag bin ich mit Kati verabredet, sie arbeitet in Altona und der Fluss liegt in unmittelbarer Nähe. Nur hat heute wieder der Sommer IMG_0559begonnen, wir genießen die Sicht vom Dockland, essen leckeren Pannfisch in den Markthallen und bummeln später über den Fischmarkt Richtung Landungsbrücken. Noch eine wunderbare Aussicht von der Dachterrasse des Hard Rock Café – von der Elbe kann man gar nicht genug kriegen.

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Und zum Schluss noch ein schöner Abend mit Babette, seit Jahrzehnten nicht gesehen und dabei waren wir Anfang der 80er gemeinsame Globonauten. Mit ihrem Käfer zu viert von Hamburg nach Südfrankreich zum Zelten, wir hatten eine tolle Zeit.

Wow, kaum sechs Tage unterwegs und so viele nette Menschen getroffen. Aber Schottland rückt näher und langsam sollte ich wieder zurück.

Aber was ist eigentlich mit der Deutschen Bahn los?
Einerseits gibt sie einem nach wie vor dieses mittlerweile doch so vertraute Gefühl, für viel Geld auch viel Reise zu bekommen – ein angeblicher Oberleitungsschaden (in der Bahn App heißt es Weichenstörung) verlängert meine Fahrt. Dafür haben sie für das Ticket doppelt abkassiert – das Buchungsportal brach nach dem letzten Schritt ab ohne eine Fahrkarte auszuspucken: „time out“ – wahrscheinlich war es very busy, mein Konto zu plündern, die Abbuchung erfolgte nämlich postwendend. Schön ist auch, dass ich die Bahn für diese Räuberei auch noch bezahlen musste – die gebührenpflichtige Hotline ist die einzige Kontaktmöglichkeit. Aber, was sind 20 ct für 20 Minuten Entertainment, erst in der Warteschleife, dann mit einer pampigen Mitarbeiterin, die meinen Ärger gar nicht verstehen konnte.
Also, eigentlich alles wie gewohnt, außer… Die Zugbegleiter! Als wären deutschlandweit irgendwelche happy pills verteilt worden.
Schon bei der Hinfahrt fiel die Schaffnerin durch echte Freundlichkeit auf und kurz vor der Ankunft in Hamburg gab’s die Durchsage „Das ICE-Team möchte Adrian in Wagen 4 zum 18. Geburtstag gratulieren.“ Ein Lächeln huschte über die Gesichter der Fahrgäste und Adrian wird auch seinen Spaß gehabt haben.
Und dann die Rückfahrt. Der bestgelaunte Schaffner der Republik schreitet gute Stimmung verbreitend durch die Gänge, wird sogar von einem Fahrgast lobend auf seine Freundlichkeit angesprochen, worauf er entgegnet: Dafür sind wir Deutschen doch weltweit bekannt. Fand ich witzig. Das Highlight ist die Durchsage zum Mittagstisch im Bordrestaurant. „Lassen Sie sich begeistern von unserem kulinarischen Angebot“. Da packt mich schon die Neugier. Jetzt nichts gegen das Bordrestaurant, das ein oder andere heiße Würstchen habe ich da auch schon mal konsumiert, es war ein Würstchen und es war heiß, aber begeisternd wäre jetzt gar nicht das, was ich in einem rollenden Restaurant erwarten würde. Aber nett, dass der Mann offensichtlich von seinem Angebot überzeugt ist. Der Besuch auf der Bordtoilette ist dann allerdings eher entgeisternd und die Verspätung weitet sich wegen weiterer Gründe – technische Störung am Gleis (äh?) – aus. Aber die Mitarbeiter sind gut drauf – und das ist doch auch schon mal was.

Reichlich geschafft komme ich in Stuttgart an und das nächste Mal, Ihr Lieben, melde ich mich wohl schon aus Edinburgh!

Lieblingsorte

Seit 10 Tagen sind wir zurück und wir fremdeln nach wie vor. Treffen mit lieben Freundinnen und Freunden machen es kurzzeitig besser, Begegnungen mit Finanzamt und anderen Behörden schlagartig schlechter. Langsam taste ich mich heran die Heimat und ein sehr gutes Rezept ist es, meine Lieblingsorte aufzusuchen.

Da wäre zunächst einmal Tübingen. Sowieso P1080687schon äußerst pittoresk und allein deswegen immer eine Reise wert, ist die Stadt äußerst zurückhaltend in punkto Veränderungen und so der perfekte Ort, um in Erinnerungen zu schwelgen. Tanja teilt sie mit mir und so machen wir uns auf zu einem wunderbaren Spaziergang durch die Altstadt. Jetzt bin ich zwar P1080688anderthalbmal um die Welt gereist, was ich aber noch nie ausprobiert habe, ist eine Frozen-Yoghurt-Bar, immer verwirrt von diversen Toppings, Soßen und Geschmäckern. Tanja assistiert und das Ergebnis muss natürlich sofort photographisch festgehalten werden. Das Wetter ist klasse, die Neckarfront idyllisch wie eh und je und wie auf Bestellung kommt noch ein Stocherkahn vorbeigefahren.

P1080692An jeder Ecke wartet eine Erinnerung – das In-Café auf dem Marktplatz, das früher das Café Pfuderer beherbergte, in dem ich mit weißer Bluse, schwarzem Faltenrock und weißer Spitzenschürze bedient habe. Immer noch den alten Namen behalten hat die Marktschenke, wo mein Kommilitone Thomas am Zapfhahn stand – seines Zeichens heute Professor in Heidelberg. Das „Prinz Karl“ war unsere Mensa, damals eine echte Bruchbude in einem uralten Innenstadthaus, aber es war meist leerer als die Zentralmensa und im ersten Stock konnte man so gemütlich Kaffee trinken. Das Innenstadthaus ist heute zwar immer noch uralt, aber keine Bruchbude mehr, ein Schild informiert, dass hier Alois Alzheimer als Student wohnte und die Mensa drinnen ist ultramodern. Das „X“ gibt es auch noch, der Schnellimbiss in der P1080690Altstadt, wo man sich abends ein Bier und eine Currywurst holte, um die halbe Nacht auf dem Marktplatz zu sitzen und immer jemanden traf, den man kannte. Mir fällt ein, dass ich damals anfänglich mit ganz ähnlichen Problemen zu kämpfen hatte wie heute – es war 1987 und ich kam aus Israel zurück, wild entschlossen, meine Zukunft jetzt in Angriff zu nehmen und was Vernünftiges zu studieren, aber voller Sehnsucht nach dem Leben im Kibbutz. Anfänglich fühlte ich mich unglaublich einsam – in Israel hatten wir mindestens zu zweit in einem Zimmer gewohnt, das Essen gab’s im Dining Room gemeinsam mit hunderten Kibbutzniks und wann immer man Lust auf ein nettes Gespräch hatte – auf der Wiese vor meinem Zimmer saß immer jemand. Das Fremdeln in Tübingen legte sich aber schnell – nach einer Woche kannte ich schon eine erkleckliche Zahl von Leuten und alles war gut.

Tanja und ich beenden den Stadtrundgang mit einem Kaffee vor der Stiftskirche, auch dort schießen mir wieder Bilder durch den Kopf vom 1.Mai-Singen der Verbindungen – die Gegendemonstration war eine Pflichtveranstaltung. Ob’s das heute überhaupt noch gibt?

Zum Schluss dann noch ein Abstecher in P1080697Südstadt, wo Eric und Tanja gewohnt haben. Das Haus, ein privates Studentenwohnheim, gibt’s noch, es hat zwar ein Vordach und neue Fenster bekommen, aber ansonsten hat sich hier kaum was verändert. Um die Ecke, an der Steinlach, präsentiert mir Tanja einen ihrer Lieblingsorte – hier möchte sie wohnen. Da würd ich glatt mit einziehen – also, hat da jemand ein günstiges Haus zu verkaufen? Wir warten auch noch ein paar Jahre.

In Stuttgart schaut der Sommer jetzt auch P1080712regelmäßiger vorbei und so setze ich mich auf’s Fahrrad, um dem Stuttgarter Westen zu entfliehen. Ist zwar der In-Stadtteil mit lauter hippen Kneipen, aber ich werde dort nicht warm. Mein Lieblingsstadtteil ist Stuttgart-Ost, noch ein bunter Mix aus unterschiedlichen Nationalitäten, Familien und Singles, Anthroposophen und weniger Intellektuellen, aber die Gentrifizierung fängt schon an. Meine alten Strecken funktionieren nicht mehr wie gewohnt, Stuttgart 21 hat den P1080700mittleren Schlossgarten in Schutt und Asche gelegt, Stadtbahnhaltestellen, Durch- und Übergänge sind in riesigen Gruben verschwunden und nur das Planetarium bietet dem Milliardenloch die Stirn. Weiter hinten im Rosensteinpark scheint die Welt noch in Ordnung zu sein. Meine frühere Joggingstrecke war und ist ein Lieblingsort, vorbei am Rosengarten und Schlösschen, P1080705immer an der Wilhelma entlang, wo Eisbären und Kamele gleichgültig herüberblicken und dann links durch die Wiesen. Das Gras steht hoch, die Wildblumen blühen, als Futterwiesen für die Wilhelma ist alles ganz naturbelassen und P1080706man könnte fast vergessen, dass oberhalb am Löwentor der Verkehr vorbeidonnert und unten die Stadt tobt. Doch nur einmal zur Seite geschaut ist man zurück in der Realität. Der amputierte Holzsteg über den Neckar erinnert daran, dass Cannstatt für Fußgänger und Radfahrer hier vom Park aus abgeschnitten ist. Wohin man sich wendet, überall begegnen einem die Wunden der Stadt und eine Heilung scheint in weiter Ferne. Nun ja, an mir lag’s nicht…

P1080717Doch, ich bin ja auch Neuerungen durchaus aufgeschlossen und so komme ich zu einem weiteren Lieblingsort – der Dachterrasse der neuen Stadtbibliothek. Von hier hat man einen wunderbaren Rundumblick über die Stadt und kann die Sonne genießen. Im vergangenen Jahr war ich häufig hier, meist mit einem Buch aus der Bibliothek unter mir oder einmal auch zur P1080721Sonnenfinsternis. Tatsächlich ein gut gelungener Ort, sowohl die Bücherei als auch diese schöne Terrasse. Von außen vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig, zumindest tagsüber, wenn die graue Fassade dem Spitznamen Bücherknast alle Ehre macht. Nachts, wenn das Gebäude blau angestrahlt wird, ist es aber durchaus ein Highlight. Dass sich zwischen Banken und Einkaufszentren tatsächlich ein Ort für die Allgemeinheit durchsetzen konnte, ist erstaunlich.

Und gestern war ich dann endlich an einem ganz wichtigen Lieblingsort: der Yogaschule von Christine. Ich habe auf der Reise ja einige Yoga-Stunden absolviert, in der Altstadt von Chiang Mai, Open Air mit Blick auf tropische Vegetation in Costa Rica, aber nichts war so gut wie Christines Yoga. Also, ist ja alles doch nicht so schlecht in Good old Germany.

 

 

Not so easy

Tja, dass das Nachhausekommen so seine Tücken hat, das hat Eric ja schon beschrieben. Dabei fing alles mit zwei wunderschönen Überraschungen an. Schon am Stuttgarter P1080680Flughafen konnten wir den neuesten und bestimmt am besten gelaunten Moarefi-Spross kennenlernen. Dürfen wir vorstellen: Aaron Moarefi mit Onkel Eric! Seine Eltern Dominik und Sabrina überraschten uns am Flughafen und es war so schön, von bekannten Gesichtern in Empfang genommen zu werden. Während ich dies in vollen Zügen genießen und viel Duzi-Duz machen konnte, bekam Eric den ersten Einblick in die deutsche Dienstleistungskultur: sein Rucksack hatte den Flug verpasst. Das erste und einzige Mal während unserer Reise mit so vielen Flügen und Fluglinien, aber bei einem simplen Direktflug von Lissabon nach Stuttgart mit Germanwings, da klappt es nicht. Kann passieren, aber was nicht passieren sollte, ist eine gelangweilte und in hohem Maße unfreundliche Dame an dem Schalter zu platzieren, wo Kunden eigentlich geholfen werden sollte. Um es vorweg zu nehmen: der Rucksack wurde mit zweitägiger Verspätung dann angeliefert – ohne vorherige Ankündigung und ohne ein Wort des Bedauerns. Na ja, jetzt ist er wenigstens da.

20160802-Stuttgart-Rückkehr-03Und die nächste Überraschung wartete dann an der Wohnungstür auf uns: ein Willkommensplakat, über das wir uns so gefreut haben. Danke Armin, Tine, Emil und Anton! Natürlich ist es toll, die ganzen lieben Menschen wieder zu sehen.

Nur irgendwie sind sie da, die Melancholie und das große Fremdeln. War Stuttgart eigentlich schon immer so grau? Waren die Leute auf der Straße auch früher schon so schlecht gelaunt? Und ging man immer schon so unfreundlich miteinander um?

Es sind ein paar Szenen, die ich ganz bezeichnend finde. Am ersten Morgen gehe ich in den Supermarkt um die Ecke, um für’s Frühstück einzukaufen. Vor mir an der Kasse eine von diesen hippen Heusteigviertel-Ladys, ganz cool und auf dem Band lauter Bioprodukte. Die Kassiererin tippt in ihre Kasse und sagt „9 Euro 20“. Madame zückt ihr Handy, teilt mit, dass sie bald da sei und nestelt nebenher einen zusammengefalteten Schein aus ihrer Jeans. Sie flötet weiter ins Telefon und wirft den Schein auf das Band, er landet zwischen Bioeiern und Direktsaft. Mein Mitleid mit der Verkäuferin ist grenzenlos.

Und ganz schön war heute der Kontakt mit der Autovermietung Buchbinder. Auto mieten war ja fast schon ein Standardvorgang während des letzten Jahres und ich schwärmte bereits von Alamo, die uns mit ihrer Freundlichkeit und Kompetenz wirklich verblüfft haben. Und dann also Buchbinder. Noch gut gelaunt trete ich an den Tresen am Flughafen heran, hinter dem vier Personen sitzen, einer davon im Kundenkontakt. Ich wähle die mittlere Dame, sie guckt kurz auf und sagt, ich solle doch zu ihrer Kollegin nebendran gehen. Gut, mache ich. Diese Dame ist allerdings ins Gespräch vertieft mit – wie ich mithören kann – einer weiteren Kollegin, die gerade Feierabend machen will. Als diese sich dann verabschiedet, wendet sich die Dame endlich grußlos mir zu. Ich schildere ihr mein Anliegen, allerdings klingelt plötzlich das Telefon. Sie macht eine Handbewegung in meine Richtung und vertieft sich in ein längeres Telefonat. Als dieses beendet ist, tritt sie in die Diskussion mit ihrer Kollegin über das Telefonat ein. Ich bin kurz davor, sie zu fragen, ob ich vielleicht später wiederkommen soll, da fängt sie an, in meinen Unterlagen zu blättern, stöhnt und ruft ihrer Kollegin zu „Hast Du noch nen Kleinwagen?“. „Maximal nen Panda“ antwortet diese und meine Ansprechpartnerin sagt streng zu mir „Abholzeit war 12 Uhr“. So ganz langsam vergeht mir die gute Laune, ich werde hier behandelt wie eine lästige Fliege und abgekanzelt wie ein Schulmädchen. „Sie haben also mein bereits bezahltes Auto weitergegeben?“ frage ich und erhalte als Antwort „Das steht so in unseren Bedingungen, können sie nachlesen.“. Offensichtlich findet sich aber noch was. „Telefonnummer?“ fragt sie, weiter ganz Oberlehrerin. „Ich habe derzeit keine Telefonnummer.“ sage ich ihr „Sie erreichen mich am besten per E-Mail.“ „Ich brauche aber eine Telefonnummer.“ „Wofür denn?“ „Damit wir sie erreichen können.“ „Das können Sie per E-Mail.“ „Aber wohnen tun sie hier, oder?“. Vielleicht sollte sie sich mal auf dem Ordnungsamt bewerben. Dann fragt sie nach meiner Kreditkarte, bucht die Kaution darauf, lässt es mich unterschreiben und ich sage „Den unterschriebenen Kreditkartenbeleg geben sie mir aber wieder, wenn ich das Auto zurückgebe.“ „Ne, der bleibt bei uns.“ Bitte? Ich habe im letzten Jahr dutzende solcher Kautionsbuchungen durchgeführt, das machen ja gerne auch die größeren Hotels, und es war jedes mal eine Selbstverständlichkeit, dass der Beleg mir entweder beim Aus-Checken ausgehändigt oder in meiner Anwesenheit zerrissen wurde. Geht’s noch? Jetzt reicht es langsam, pampig kann ich auch. Wir gehen nicht freundlich auseinander und ich frage mich mal wieder, warum ausgerechnet die Personen, die ungern mit Menschen umgehen, einen Beruf mit Kundenkontakt wählen. Wehmütig denke ich an Kanada zurück, eine herzliche Begrüßung, eine freundliche Erklärung, warum man Dinge so oder so handhabt. Willkommen in Deutschland. Wie peinlich, dass dies für einen Ausländer der erste Eindruck sein könnte, den er von unserem Land bekommt.

So, genug lamentiert. Das Auto trägt mich am Wochenende ins Umland, ich werde endlich mal wieder Tübingen besuchen und freue mich schon sehr auf ein Wiedersehen mit Tanja. Und am Sonntag soll das Wetter besser werden. Wahrscheinlich ist Stuttgart gar nicht grau, sondern gerade einfach nur falsch belichtet.