Leider, leider gar nicht heiter

20160412-Costa-Rica-Tortuguero-43Zurück in Deutschland und es ist gar nicht spaßig -ausgenommen natürlich das Wiedersehen mit Freunden und Verwandten.
Immer wieder hatten wir uns überlegt, wie es wohl sein würde, wieder in Deutschland anzukommen.
Und nun ist es Realität.

Die Rückkehr nach Hause, in die Gewohnheiten und Routinen, in die Aufgaben und Pflichten, in die Welt der Termine und der Formalismen -sie fühlt sich an, als wäre man zurückgekehrt in den Würgegriff einer Boa Constrictor.
Kommt man ihr zu nahe, schlägt sie blitzschnell zu. Dann umfasst sie einen mit ihrem langsamen aber immer fester werdenden Griff. Sie drückt zu, immer stärker, bis einem die Luft zum Atmen weg bleibt, bis die Sinne benebelt werden und man jeden Widerstand aufgibt.
Dann verschlingt sie einen langsam.
Noch ist man in ihrem Leib als dicker Klumpen zu erahnen. Doch bald schon ist man nicht mehr wahrzunehmen und ist voll und ganz in ihrem Fleisch und Blut aufgegangen, ist Teil ihres Organismus geworden

Es geht zu Ende…

20160730-Portugal-Sintra-01So, Ihr lieben Globonauten-Begleiterinnen und -Begleiter, jetzt ist doch tatsächlich der letzte Abend gekommen und die große Wehmut über uns herein gebrochen. War es nicht erst vorletzte Woche, dass wir in Stuttgart aufgebrochen sind, Eric kurz zuvor mit einem Car2go fast noch einen Unfall gebaut und wir mehr als knapp die S-Bahn zum Flughafen genommen hatten? Morgen geht es zurück nach Stuttgart und wir fühlen uns der Heimat fast so nah wie nach einem „normalen“ Urlaub. Die Termine für die nächsten Tage stehen fest, ein Zahnarzt, der ob meiner provisorischen Füllung aus Costa Rica wahrscheinlich die Hände über dem Kopf zusammenschlagen wird, für Eric stehen Vorstellungsgespräche bei Firmen an und die Kommunikation mit unseren Krankenkassen hat uns in den letzten Wochen schon einen ersten Dämpfer versetzt. Wir kommen in den Sommerferien an und das bedeutet auch, dass viele von euch ihren wohlverdienten Jahresurlaub angetreten haben und nicht da sind. Zu gern würden wir euch alle sofort bei einem großen Fest wiedersehen, aber das normale Leben ist bei euch natürlich weitergegangen uns so werden wir uns in Geduld üben müssen, euch wiederzusehen. Ihr merkt vielleicht, es ist gerade alles andere als einfach.

20160731-Portugal-Sintra-10Die letzten zwei Tage haben wir in Sintra verbracht und dieser Ort ist nicht ganz der ideale, um vom schönen Portugal Abschied zu nehmen -und auch nicht, um die letzten Tage einer wunderbaren Reise zu verbringen. Es ist Hochsaison und zu viele Touristen versperren diesen- und das müssen wir jetzt mal so deutlich sagen – vom Tourismus vollkommen versauten Ort. Überteuert und ohne eine Spur der portugiesischen Herzlichkeit, die wir in Lissabon und Porto so genossen haben. Routiniert werden die Sommergäste hier abgewickelt und die Schönheit des Ortes erstickt im Kommerz.
Trotzdem haben wir heute einen schönen Spaziergang unternommen und uns die beeindruckenden Villen in wunderbaren Parkanlagen angeschaut – von außen, denn wollte man sie alle besichtigen, wäre man locker 100 Euro los und müsste wegen der Warteschlangen zwei Wochen einplanen… Zum Glück versöhnte uns am Abend noch ein wunderbares kleines Restaurant mit der touristischen Welt. Bei gebratenem Octopus, einer Flasche Vino Verde und einem reizenden Kellner, dessen Lieblingsportwein mir den Abend schließlich gar noch versüßte, nahmen wir angemessen unser letztes Weltreise-Abendmahl zu uns.

Und wir haben eine erste Bilanz gezogen. Natürlich war das nach wie vor die allerbeste Entscheidung unseres Lebens, diese Reise zu machen. Wir haben viel aufgegeben, aber das war es wert! Wir haben so viel gewonnen in den letzten 12 Monaten und vielleicht dürfen wir an dieser Stelle mal ein ganz dickes Dankeschön an all die vielen Menschen loswerden, die uns begleitet haben oder erst Begleiterinnen und Begleiter wurden.
Unsere Kolleginnen und Kollegen von der VPV und der DHBW haben uns gezeigt, dass sie gerne mit uns zusammen gearbeitet und uns nicht vergessen haben. Wien war eine wunderbare Adresse für nächtliche Chats- danke Susanne -, meine alten Freundinnen aus Hamburg, Dörte und Babette, ich nenn euch jetzt mal beim Namen, es war toll, wieder so intensiv in Kontakt zu treten! Meine etwas neueren Freunde aus Bad Säckingen, danke, dass ihr immer dabei ward. Wir haben neue Freundschaften geschlossen und ein lieber Gruß geht nach Polen an Zbiegniew, den wir auf den Philippinen kennenlernen durften. Dann waren wir auch so froh über die Begegnungen mit Menschen aus der Heimat, Michael, Coco, Sonja und Jonathan, danke für die tolle Zeit. Ein Riesendankeschön geht an die Unterstützer, Armin, was hätten wir ohne dich gemacht, aber auch Simone war eine große Hilfe. Doofe Schreiben von Krankenkassen, dem Statistischen Landesamt, das plötzlich sein Interesse an meiner Meinung zeigte oder der mehr als nervigen EnBW habt ihr wunderbar gehandelt. Dann die liebe Helene, die den Kontakt in die schöne Pfalz aufrecht erhalten hat und irgendeinen großen Fan scheinen wir in Berlin zuhaben, wie uns die Zugriffsdaten auf unsere Seite zeigen. Unbekannterweise ganz liebe Grüße! So, jetzt komm ich mir fast vor wie bei einer Oscar-Rede und habe bestimmt ganz viele Menschen nicht genannt, über deren Mails und Facebook-Nachrichten ich mich so sehr gefreut habe!

Beim schon genannten wunderbaren Abendessen haben wir mal versucht, die schönsten und eindrücklichsten Erlebnisse zu sammeln, aber es bleiben doch eher nur Bruchstücke.

Die schönsten Orte, die gab es nicht. Alle Orte waren toll! Der erste Blick auf den Grand Canyon und dieser Wahnsinnsstrand in Costa Rica werden wahrscheinlich unsere Hitliste anführen, aber es gab so viel. Die berührendsten Orte, das waren wohl Hiroshima, Christchurch und Kathmandu. So viel Leid und so viel Zuversicht. Die beeindruckendste Essen (für uns ja eine ganz wichtige Kategorie) bestanden aus rohem Fisch: Poke in Hawaii, Sushi in Hiroshima und Kagoshima, das fiel uns spontan ein. Nudeln in Fischsud in Thailand, das gehört sicherlich auch dazu. Die freundlichsten Menschen, die trafen wir an vielen Orten, aber besonders  in Nepal und auf den Philippinen. Die unattraktivsten Städte, da haben wohl Auckland und Bangor in Maine eine gute Chance. Stolz sind wir darauf, uns meistens gut verstanden zu haben und 40 Meter in Costa Rica in die Tiefe gesprungen zu sein. Tolle Naturerlebnisse gab es unzählige, aber die Nationalparks der USA, der Chitwan-Nationalpark in Nepal und P.E.I. in Kanada spielen ganz oben mit.

Zu beklagen sind drei Autoreifen, ebensoviele Zehennägel, mehrere Ladekabel und zuletzt die Sportkamera. Nirgendwo ist uns etwas geklaut worden und die zwei geknackten Kreditkarten führten zum Glück zu keinen dauerhaften finanziellen Schäden. Ganz gute Bilanz.

Wir beenden jetzt die Reise zu zweit. Ich hänge noch ein Jahr dran, also wird es auch weiter Berichte geben. Ihr müsst dann aber mit weniger schönen Photos vorlieb nehmen. Im September geht es los nach Edinburgh, wo ich mir für einen Monat eine kleine Wohnung gemietet habe. Mein großer Vorsatz ist, in dieser Zeit ein Globonauten-E-Book zusammen zu stellen und so gedanklich noch mal alles abzureisen. Und ab Oktober muss es dann in die Wärme gehen und es gibt noch so viele Länder, die ich sehen möchte. Vielleicht habt Ihr ja Tipps für mich!

Also, Ihr Lieben, wir sehen uns. Die Globonauten machen weiter und wir treffen uns entweder demnächst persönlich oder wieder auf dieser Seite!

Harry Porto

20160725-Portugal-Porto-65Jetzt hab ich doch immer gedacht, Joanne K. Rowling habe sich in Edinburgh inspirieren lassen. Die dunklen Gassen am Schlossberg, die Schuluniformen englischer Internate, war doch alles offensichtlich. Aber mitnichten: ein kurzer Gang durch Porto und schon ist klar: hier ist es passiert. Mrs Rowling lebte zwei Jahre in Portugals zweitgrößter Stadt und schrieb hier am ersten 20160729-Portugal-Porto-139Harry Potter-Band. Die Stadt wirbt zwar nicht damit, aber die Stätten der Inspiration sind mittlerweile bekannt – und wissen ihren Status zu nutzen. Die Buchhandlung Livraria Lello e Irmão, deren Treppe wohl die Vorlage zu denen in Hogwarts geliefert hat, verlangt mittlerweile drei Euro Eintritt. Für das Ticket steht man lange an, in der Buchhandlung selber wird gebaut – das sparen wir uns. 20160726-Portugal-Porto-98Deshalb müssen wir und ihr mit einem Link vorlieb nehmen.   Wir gehen lieber ein paar Häuser weiter und finden uns in einem Laden wieder, in dem auch Olivanders Zauberstäbe angeboten werden könnten. Wir spazieren durch steile Sträßlein, die der Winkelgasse alle Ehre machen und an manchen Ecken würde man sich kaum wundern, wenn einem Menschen mit Spitzhüten entgegenkommen würden. Wir schaffen es leider auch nicht, einen Studenten im traditionellen schwarzen Umhang vor die Linse zu bekommen und deswegen gibt es noch mal einen Link zu jemandem, der hier mehr Glück hatte.
20160729-Portugal-Porto-134Porto kommt uns wie die wilde Schwester Lissabons vor. Hier wird zwar wohl viel Geld verdient, aber die Stadt hat nichts von der Aufgeräumtheit Lissabons. Die Häuser klettern die Felsen am Douro windschief empor, kaum eine Straße verläuft für längere Zeit geradeaus und immer mal wieder schlagen einem heftige Gerüche entgegen. Aber Porto ist toll und fast am beeindruckendsten ist es, über die Ponte Dom Luis I in rund 55 Meter Höhe über den Douro hinüber nach Gaia zu laufen. Und nicht nur 20160725-Portugal-Porto-44der tolle, wenn auch schwindelerregende Ausblick ist ein Grund, diese Tour zu machen, sondern auch die Tatsache, dass sich in Gaia die Portweinkeller befinden. Wir besichtigen zwei, Ramos Pinto und Burmester, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Während Ramos Pinto die volle Sinnlichkeit des Porto verkörpert (einschließlich erotischer Wandmalereien) bekommt man bei Burmester deutsche Qualitätsproduktion. 20160725-Portugal-Porto-41Natürlich probieren wir uns durch die Angebote und werden Portweinfans. Besonders lecker ist die Sommervariante Porto Tonic mit Zitrone und Minze und so integrieren wir Portos Vorzeigeprodukt in unseren Tag – besonders abends muss noch ein Gläschen her, weil der Flug von Toronto bei mir immer noch nachwirkt: der fiese Husten lässt sich angeblich besonders gut mit Portwein kurieren.

20160725-Portugal-Porto-73Porto hat aber auch eine kulinarische Sünde, die uns ganz fatal an Poutine in Kanada erinnert: Franceshina. Ein mit diversen Fleischarten und viel Käse gefülltes Sandwich, von Käse ummantelt und mit Soße übergossen. Wer davon nicht satt wird, kriegt noch ein gebratenes Ei obendrauf und Pommes dazu. Nein, diesmal testen wir nicht. Die letzte Poutine ruht noch auf meinen Hüften und hier bekommt man Fisch an jeder Ecke und der ist so viel besser.

20160725-Portugal-Porto-48Wir wollten ja eigentlich noch mehr von Portugal sehen, vor allem die Atlantikküste, aber in Porto lässt es sich so schön faul sein: wir starten spät, bleiben in Cafés oder auch mal auf eine Wasserpfeife P1080677irgendwo hängen und schwups sind wir eine Woche hier. Jetzt wird es wirklich ernst, die Reise ist so gut wie zu Ende. Das soll jetzt wirklich schon ein Jahr gewesen sein? Und am Montag fliegen wir echt nach Deutschland? Es ist schwierig, das sag ich euch, und so richtig unbeschwert sind wir nicht mehr. Aber dazu schreibe ich mal separat was. Noch haben wir einen kurzen Aufenthalt in Sintra vor uns und den werden wir genießen!

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Ein Aufstieg und ein Untergang

20160722-Portugal-Coimbra-86Während meiner ersten Reise nach Portugal hatte ich unter anderem „Nachtzug nach Lissabon“ von Pascal Mercier im Gepäck und es hätte keinen besseren Ort geben können, um dieses Buch zu lesen. Ein Schweizer Lehrer begibt sich auf die Spuren eines portugiesischen Arztes und Philosophen, die ihn nicht nur nach Lissabon, sondern auch nach Coimbra führen. „Er liebte die Biblioteca Joanina in der Universität. Es verging keine Woche, ohne dass er dort war. Und die Sala Grande dos Actos, wo er sein Zeugnis entgegennahm.“ sagt die Schwester des Arztes über ihren verstorbenen Bruder und nicht nur der Lehrer, sondern auch ich beschließe, mir Coimbra einmal anzuschauen.

20160722-Portugal-Coimbra-87Ich bin doch erstaunt, dass ich historische Universitäten immer noch so faszinierend finde, aber Coimbra ist ja auch wirklich historisch und eine richtige Universität. Gegründet im Jahr 1290 thront sie auf dem Alcacova-Hügel über der Altstadt, „die majestätischen Gebäude der Universität, die alles überragen“, um nochmals Mercier zu zitieren. Wir kommen mit dem Tageszug aus Lissabon an und beziehen unser Hotelzimmer mit Blick auf den Mondego, der sich glitzernd und behäbig durch die Stadt zieht, um außerhalb der Stadtgrenzen Fahrt aufzunehmen und sich wild durch die Berglandschaft zu schlängeln. Oder fließt er andersrum? Jedenfalls ist er außerhalb von Coimbra etwas unbändiger. Aber dazu später mehr.

Die schmalen kopfsteingepflasterten 20160722-Portugal-Coimbra-32Gassen der Altstadt Coimbras steigen steil an und winden sich den Berg hoch Richtung Universität. Wir unterbrechen unseren Aufstieg, kaum dass er begonnen hat und besuchen die Igreja de Santa Cruz, eine Kirche aus dem 12. Jahrhundert, 20160722-Portugal-Coimbra-42fliesengeschmückt und mit einer beeindruckenden Orgel. Mehr zufällig entdecken wir hinter einem Nebenraum den Zugang zu einem Kreuzgang hinter der Kirche. Eine kleine grüne Oase inmitten der Stadt, gut versteckt hinterlässt dieser Ort bei uns den Eindruck, als hätten nur wir ihn entdeckt, aber nein, da biegen schon andere Touristen um die Ecke.

20160722-Portugal-Coimbra-49Wir verlassen die Kirche und kommen nicht weit. Direkt daneben finden wir ein Café in einem historischen Kuppelbau. Wir bestellen Cafe com leite und Sandas de queiho, Milchkaffee und Käsebrötchen, und genießen die Atmosphäre. Während die Terrasse voll besetzt ist, haben nur wenige den Weg ins Cafe gefunden und die, die hier sind, scheinen oft zu kommen, um Zeitung zu lesen oder ein Schwätzchen mit dem Kellner zu 20160722-Portugal-Coimbra-72halten. Jetzt wird es aber Zeit, endlich die Universität zu erobern. Noch eine Kirche stellt sich uns in den Weg, als auch diese bestaunt ist, steigen wir die letzten Meter empor und stehen auf dem Hauptplatz mit wunderbarem Blick über Coimbra und der Statue König Joaos III, des Universitätsgründers, in der Mitte. Wir stellen uns am Ticketschalter im neueren Teil der Universität an, nach 20 Minuten haben wir sie und damit vor allem auch den Termin für den Besuch der Bibliothek. Wir kehren zurück in den historischen Teil und wie so häufig, haben sich die juristische Fakultät 20160722-Portugal-Coimbra-81und die Verwaltung hier die besten Plätze gesichert. Die wissen halt, wie’s geht 🙂 Wir besichtigen die repräsentativen Räume und stehen staunend an den Fenstern des Sala grande dos actos, des zentralen Prunkraums, in dem nicht nur Amtsübergaben oder die Eröffnung des akademischen Jahrs stattfinden, sondern auch die Doktorprüfungen und diese offensichtlich ö20160722-Portugal-Coimbra-79ffentlich und fast als touristisches Spektakel. An den Fenstern oben blickt man hinunter in den großen dunklen Saal, in dessen Mitte an einem Tisch eine arme Doktorandin im schwarzen Talar sitzt und auf einer Leinwand  hinter sich ihre Doktorarbeit präsentiert hat. Das Prüfungskommitee, ebenfalls schwarz gewandet, sitzt ihr gegenüber auf einer seitlichen Empore und auf den vielen Sitzbänken hat die Öffentlichkeit Platz genommen, der es wohl eher um den Raum und das Ambiente als die Prüfung geht, denn man sieht die erleuchteten Handydisplays der gelangweilt wirkenden Gruppe bis oben hin leuchten. Einmal drin kommt man (hoffentlich) erst am Ende wieder raus und das offensichtlich medizinische Promotionsthema scheint nicht sehr mitreißend zu sein. Ich habe großes Mitleid mit der Promovendin und hoffe, sie hat alles gut über die Bühne gebracht.

Noch ein Besuch in der Universitätskathedrale, fast hat man sich schon gewöhnt an so viel Pracht, und dann sitzen wir endlich vor der berühmten Biblioteca Joanina und warten auf Einlass.

20 Minuten später stehen wir in der ersten20160722-Portugal-Coimbra-100 der drei großen Hallen, links und rechts Bücherregale, hinter denen angeblich die schädlingsfressenden Fledermäuse schlafen, für die die Bibliothek auch berühmt ist. Photographieren darf man nicht, aber wir sind jetzt mal böse, versichern uns, dass der Blitz abgestellt ist und schießen aus der Hüfte.

Auch im Dämmerlicht ist die Pracht überwältigend, Architektur und Ausstattung spiegeln den Reichtum des damaligen portugiesischen Königreichs wider und lassen die eigentlichen Protagonisten – die Bücher – P1080650fast in den Hintergrund treten. Was für ein Gegensatz zum letzten historischen Büchertempel, den ich besucht habe, die frisch renovierte Anna Amalia Bibliothek in Weimar, deren Rokoko-Pracht in hellen Farben leuchtete und auch den Zugang zu einzelnen Büchern erlaubte. Die barocke Joanina hat in all ihrem Prunk etwas düsteres und die Bücher stehen erst im eher schlichten Untergeschoss im Mittelpunkt. Ein kurzer Abstecher in den Karzer – frisch gestrichen wirken die Zellen nicht unbedingt abschreckend – und dann stehen wir wieder in der immer noch gleißenden Sonne.

Wir sind viel gelaufen in den letzten Tagen und haben viel Stadt gesehen – wie wäre es zur Abwechslung mal mit einem kleinen Ausflug in die Natur. Von unserem Hotelzimmer konnten wir die bunten Boote auf dem Fluss sehen, also google ich nach Kayak und finde sofort eine Tour etwas außerhalb. Treffpunkt morgens um kurz vor 10 in Coimbra, den Rest erledigen sie für uns. Wir leihen uns zwei Fahrräder im Hotel und radeln am nächsten Morgen am Fluss entlang Richtung Ruderclub. Zunächst sind wir die einzigen, die dort warten, etwas später kommen noch zwei Französinnen und ein junges Pärchen mit dazu. Unser Guide lotst uns zu einem kleinen Bus und wir fahren nach Penacova, etwa 20 Kilometer am Fluss entlang ins Landesinnere. Dort angekommen merken wir, dass wir nicht die einzigen sind, die den P1080663Mondego bereisen möchten. An der Ablegestelle warten mehr als hundert Touristen darauf, die Kayak zu besteigen. Hm. Wir schnappen uns einen schnittigen Zweisitzer und paddeln los. Tatsächlich verteilt sich die Masse schnell, der Fluss ist breit und es gibt viele kleine Strände, an denen man anlegen kann. Wir meistern ein kleines Wehr und fühlen uns sehr sicher, ist ja nicht so, dass wir zum ersten Mal kayaken. Wir sind quasi Profis, das dürfte das dritte Mal sein. Vor drei Monaten in Costa Rica. Und davor in P1080657Vietnam. Ist das wirklich schon sieben Jahre her? Aber, gelernt ist gelernt. Der Fluss hat eine gemütliche Strömung, man muss fast nur lenken, kann sich treiben lassen und die spektakuläre Landschaft genießen. Bewaldete Hänge zu beiden Seiten, Ziegenherden und strahlend blauer Himmel. Ab und an eine Stromschnelle, aber wie gesagt – wir können das. Der Fluss fließt plötzlich wieder schnell, das Boot dreht sich quer, neigt sich nach links und schwups liegen wir drin im kühlen Mondego. Ah, wie konnte das passieren? Das Wasser ist P1080674tief, die Schwimmweste hält, eigentlich ist es ja ganz angenehm. Mein Hab und Gut ist in einer Box auf dem Boot wasserfest angeschnallt, meine Schuhe, auf die kann ich zur Not auch verzichten, die müffeln schon seit Costa Rica. Unter mir berührt etwas mein Bein – mein Hut aus Australien dümpelt am Flussgrund. Mein Paddel habe ich auch schnell, das von Eric treibt etwas weiter entfernt, das kriege ich. Eric kümmert sich um das Boot, ich schwimme durch den Fluss zum anderen Paddel und werde rasch weitergetrieben. Ein Guide nähert sich in seinem Kayak, ich hänge mich an sein Boot und er zieht mich an eine seichte Stelle, wo ich auf Eric warten kann. Eigentlich alles sehr lustig und äußerst erfrischend – wenn Eric nicht Minuten zuvor seine Kamera hervorgeholt hätte. Alles findet sich im Boot wieder, sogar die muffeligen Schuhe – nur die Kamera, die darf jetzt für immer im frischen Flusswasser baden. Und sie wird ein langes Leben haben, denn sie ist wasserdicht eingepackt, aber wir werden sie wohl nie wiedersehen. Der erste große Verlust auf der Reise. Zum Glück ist es „nur“ eine Action-Cam, die große Spiegelreflex liegt trocken im Hotel, aber wir schlucken schon. Nun ja, die Fahrt ist weiter toll und ändern können wir es jetzt nicht mehr. Vielleicht sollten wir doch mal einen Kayak-Kurs machen? So einen ganz kleinen? Oder haben wir jetzt unsere Kayak-Taufe erlebt und uns kann nichts mehr schocken?

Jedenfalls gönnen wir uns am Abend auf den Schreck einen Besuch in einem ganz besonderen Restaurant, dem Lingua, das lusophonische Küche anbietet und das musste ich erst mal nachschlagen. Lusophonie, die Bezeichnung für den portugiesischsprachigen Raum. Zu einem Bier aus Mozambique gibt es eine herrlich scharfe Suppe aus Macau und einen Fischtopf mit Reis aus Guinea-Bissau. Zu gern hätten wir auch noch die Geschmäcker von Angola, Brasilien oder der Kapverdischen Inseln probiert, aber nicht mal ein Nachtisch passt mehr rein. Sehnsüchtig blicke ich auf die große Weltkarte an der Wand, die die lusophonischen Länder darstellt und bleibe an einem jungen Staat in Südostasien hängen – Timor-Leste, Osttimor, stand eigentlich auch auf meiner Liste, aber ein Jahr ist einfach viel zu kurz, um alle Traumländer zu besuchen. Na mal sehen, vielleicht beim zweiten Mal!

Was für eine Stadt!

20160716-Portugal-Lissabon-20Es ist ja immer riskant, einen Ort wieder zu besuchen, den man beim ersten Mal absolut beeindruckend fand. Erste Begegnungen sind leider unwiederbringlich und das Gefühl, den Sonnenaufgang über dem Mount Bromo auf Java oder nach einer Wanderung durch die Altstadt die Klagemauer in Jerusalem zu sehen, wird sich in der ersten überwältigenden Intensität wohl nie wiederholen lassen. Auf unserer Reise gab es diese Momente zum Beispiel  beim ersten Blick auf den Grand Canyon und auf die Weite des pazifischen Ozeans auf der Osa-Halbinsel in Costa Rica. Eine Stadt, die mich in den letzten Jahren auf diese Weise fasziniert hatte, war Lissabon, als ich vor drei Jahren das erste Mal hierher kam. Und meine Befürchtung, dass der Zauber beim zweiten Besuch verpuffen würde, war groß. Aber: Lissabon ist weiterhin großartig!

Der Flug von Toronto über Amsterdam nach Lissabon war indisch: die Desorganisation von Jet Airways ist bemerkenswert und ich fände es durchaus liebenswert, wenn sie nicht auch noch mit ihrer Kühltechnik für eine heftige Erkältung bei mir gesorgt hätten. Nach einer kurzen Nacht (Start um halb acht abends, um halb elf gab es nach langem Warten was zu essen, um halb zwölf, als wir endlich schlafen wollten, folgte ich dem Tross der Passagiere und brachte unsere Tabletts selber zurück in die Bordküche) gab es zum Frühstück ein Stück Kuchen und die Frage, was wir trinken wollen. Kaffee, war unsere Bitte. Later, war ihre Antwort. Nach einer kaffeefreien Stunde kam die Ankündigung des Piloten, dass wir bald landen würden. Nach Koffein lechzend ging ich zu den Stewardessen und scheuchte sie auf – bei ihrem Morgenkaffee. Bitte, zwei mal Kaffee! Na gut, sagte der Steward, und brachte uns zwei weniger als halbvolle Becher (wahrscheinlich das, was die Crew übrig gelassen hatte). Incredible India!

Nach einem langen Aufenthalt am Amsterdamer Flughafen erreichten wir am frühen Nachmittag Lissabon. Es ist Ferienzeit und wir sind eindeutig nicht die einzigen, die Portugal erleben wollen. Wir kaufen erst eine Fahrkarte für den Bus in die Stadt (high frequency, heißt es, der Bus kommt in fünf Minuten), reihen uns auch brav in die Warteschlange ein, entscheiden uns nach einer halben Stunde dann aber, unsere Tickets an andere Reisende 20160715-Portugal-Lissabon-03weiterzugeben und ein Taxi zu nehmen. Der Fahrer brettert mit uns durch den dichten Verkehr und nach etwa zwanzig Minuten erreichen wir die Innenstadt. Unser Apartment liegt am „Praca da Figueira“ mitten im Zentrum von Lissabon, fünf Stockwerke ohne Aufzug, mit einem sensationellen Blick über die schöne Stadt. Wenig Schlaf und Zeitumstellung lassen und den frühen Abend verdämmern, aber in Lissabon geht das Leben ja sowieso erst ab 10 richtig los. Wir bummeln durch die Straßen und ich finde meinen Lieblingsort für Ginjinha wieder – der wunderbare Kirschlikör, 20160716-Portugal-Lissabon-42den man eiskalt und randvoll gefüllt für 1,35 Euro kredenzt bekommt und im Stehen vor dem winzigen Ausschank schlürfen kann. Gegen 11 finden wir ein Fischrestaurant und genießen unseren ersten Stockfisch und Oktopus mit wunderbarem Blick auf die Burg von Lissabon. Was für ein schöner Start in diese wunderbare Stadt!

Am nächsten Morgen schlafen wir bis 10, im kleinen Mercado um die Ecke (wenn da nicht die fünf Stockwerke wären…) gibt es alles, was das Herz und der Magen begehrt, und unser Frühstück an der offenen Flügeltür unseres wirklich reizenden Apartments zieht sich zwei Stunden. Und dann los, in die Straßen der Altstadt. Die Sonne brennt vom tiefblauen Himmel, aber der frische Wind vom Tejo macht es trotzdem angenehm. Hinter jeder Ecke finden sich neue wunderbare Orte und ich bin so froh, dass Eric meine Begeisterung teilt.

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Am Abend suchen wir nach einem Restaurant, die Fußgängerzonen sind voll mit Touristenkneipen, aber uns zieht es in die Seitenstraßen. Wir schauen auf die Karte einer kleinen Gaststätte und der Kellner spricht uns an. Sie hätten ein tolles Menü und das Essen sei hervorragend. Also setzen wir uns an einen der zwei Tische auf der Straße, eingerahmt von zwei parkenden Autos, und bestellen das Menü. Der Kellner kommt 20160716-Portugal-Lissabon-47zu uns, so ganz verstehen wir sein Englisch nicht. Er fragt Eric, ob er Photos machen möchte, hier sei nämlich alles irgendwie auch Museum. Eric geht mit ihm rein, ich komme irgendwann hinterher und es stellt sich raus, dass der Kellner aus Nepal kommt. Wir erzählen ihm, dass wir in Nepal waren und es uns so sehr gefallen hat. Die Unterhaltung ist witzig – sein Englisch ist sehr speziell und wir rutschen von einem sprachlichen Missverständnis zum nächsten, haben aber alle viel Spaß dabei. Das Essen, das er zwischendrin serviert, ist eher – tja – interessant. Wahrscheinlich ambitioniert, aber – sorry, ihr freundlichen Menschen – einfach nicht gut. Eric bekommt von Minzlikör grün gefärbten Reis mit gebratenem Lachs und ich einen gewürzlosen Brei aus Stockfisch, Brot und Tomatensoße. Wirklich nicht lecker, aber der nette Kellner macht es wett. Dann kommen seine portugiesische Chefin und der Koch himself, sie wollen wissen, wie es uns geschmeckt hat. Very good, sagen wir schief grinsend, sie sind so nett, was sollen wir sagen? Die Chefin würde sich so gern mit uns unterhalten, aber sie spricht kein englisch und wir leider gar kein portugiesisch. Eric versucht es trotzdem, denn der Nepalese mit dem lustigen Englisch hat ihm erklärt, sie sei eine Sängerin. Oder vielleicht auch was ganz anderes. „You are a singer?“, fragt Eric freundlich. Sie ist etwas pikiert und fragt zurück „Me single?“ Ich kichere vor mich hin, da kommt sie mit ihrem Handy. Der Kellner hat sie in „Google translate“ eingeweiht und jetzt legt sie los. Sie spricht ins Handy und hält mir die Übersetzungen hin. Ihr Vertrauen in Eric hat sie seit der Single-Frage offensichtlich verloren. Sie sprudelt los mit Tipps, was wir uns in Lissabon und Portugal alles anschauen sollen, und meistens verstehe ich auch, was Google mir so übersetzt. Sintra sei toll und Cacais (allein wie sie den Namen des Ortes ausspricht, Cajschcaijsch, macht Lust auf einen Besuch dort) und Fado und und und. Ich muss mindestens noch mal vier Wochen für Portugal einplanen, das hört sich alles so wunderbar an! Sie serviert uns zum Abschied einen hausgemachten Kirschlikör, wir genießen ihn wegen der netten Menschen, aber auch er ist nicht gut. Dieser Ort ist wunderbar, wir würden ihn so gern empfehlen, wenn das Essen nur nicht so schlecht wäre… Sehr beglückt ziehen wir trotzdem von dannen.

Vielleicht schafft es Eric ja noch, einen etwas objektiveren Bericht über Lissabon zu liefern, ihr merkt ja vielleicht, dass ich sehr verklärt bin, aber diese Stadt ist einfach nicht nur einen Besuch wert. Ein ganz schön gelungener Einstieg in den Heimatkontinent!

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Vom Fisch und dem Kellner

20160716-Portugal-Lissabon-17Ganz schön hügelig ist dieses Lissabon. Aber das ist ja für einen Stuttgarter kein Problem. Und genau wie in Stuttgart gibt es hier Stäffele und sogar die Straßenbahnen erinnern an die Modelle, die in meiner frühesten Jugend zuhause ausgemustert wurden. Allerdings sind diese historischen Straßenbahnen komplett überfüllt. Unglaublich viele Touristen stehen Schlange, um eine Fahrt in den Gefährten zu ergattern und wenn sie es dann geschafft habe hineinzukommen, dann stehen sie da wie die Ölsardinen in der Dose.
20160715-Portugal-Lissabon-03Apropos Sardinen. Hier in Lissabon, da gibt es an allen Ecken und Enden Fisch und diesen dazu auch noch sehr lecker gegrillt und nicht in Panade zementiert und mit Mayonnaise wieder geschmeidig gemacht, wie bei uns zuhause oder auch in allen englischsprachigen Ländern dieser Erde. Es liegen hier auch nicht immer Pommes bei, sondern Salzkartoffeln und Gemüse. Also nur zu empfehlen und dazu auch noch recht erschwinglich. Jedenfalls hatten wir auch heute wieder Fisch in einem Restaurant, das zwar bei uns gleich um die Ecke, aber abseits der touristisch stark frequentierten Straßen liegt. Schon bei der Recherche im Internet nach einem guten Fischrestaurant stand da geschrieben, man solle sich nicht vom Äußeren des Etablissements abschrecken lassen. Wohl wahr. Und auch das Innere muss man hierzu zählen, denn vom Fußboden bis an die Decke ist es durchgängig mit schmucklosen weißen Kacheln versehen und erinnert so eher an ein Restaurant wie wir es aus Indien kennen. Sogar die 20160716-Portugal-Lissabon-41Neonbeleuchtung könnten sie sich dort abgeschaut haben. Aber das Essen, das ist wirklich klasse und schließlich ist das die Hauptsache in so einem Restaurant.
Ja, also, Sardinen: Julia hatte welche bestellt und bekam davon gleich fünf auf dem Teller geliefert. Während ich mit meiner einen Dorade dann irgendwann zum Ende kam, lagen bei Julia noch zwei ganze Fische auf der Platte und ich bot an, ihr einen zu filetieren. Ich bin da eigentlich gar nicht so schlecht drin, doch kaum hatte ich damit angefangen das Messer anzusetzen, da kam auch schon der Kellner, ein eher bulliger und griesgrämig dreinblickender Mann, an den Tisch getreten, entschuldigte sich kurz und meinte: no, no, no. Sprachs und nahm mir das Besteck aus den Händen. „May I?“. Aber klar, nur zu. Es ist ja so, dass wir Deutschland ja eher als Fischlegastheniker aufwachsen. Da kann man eine helfende und erklärende Hand schon mal gebrauchen. 20160716-Portugal-Lissabon-29Und so folgte eine Demonstration auf meinem Teller, wie man eine Sardine ordentlich zerlegt. Also schau: Schwanz weg, Kopf weg, Rücken aufgeschlitzt, das eine Filet entfernt, die Gabel in die Gräte nahe dem Rumpfende eingefädelt und zack, weg mit dem Ding. Filets wieder zusammengeklappt und guten Appetit!
Das ganze noch mit der zweiten Sardine auf Julias Teller -sie soll ja auch was lernen.
Ok, das ging wirklich schnell. Mein falscher Ansatz war, Schwanz und Kopf nicht entfernt zu haben. Aber für die nächste Sardine bin ich nun bestens vorbereitet!

Auf in die Alte Welt

20160710-Kanada-Ontario-Ottawa-28Nach über drei Monaten auf dem amerikanischen Kontinent rückt der Abschied unaufhaltsam näher. In drei Stunden geht es zurück nach Europa und zum Glück erst mal ins wunderbare Lissabon. Kanada war eine große Überraschung, mit der großen Weltoffenheit, Toleranz und Gelassenheit der Menschen hatte ich nicht gerechnet. Was denn aus ihrer Sicht der Unterschied zwischen den USA und Kanada sei, hatten wir eine Frau in Quebec gefragt und sie meinte „We don’t shoot each other.“ Ziemlich bezeichnend, dieser Satz.

Das mit der Gelassenheit trifft in einem Punkt allerdings nicht zu und das ist der Straßenverkehr. Auf Geschwindigkeitsbegrenzungen sollte man locker 15% draufschlagen und wer in der Fahrschule gelernt hat, der Abstand zum Vordermann sollte den halben Tacho betragen, der kommt hier nicht durch. Die USA und Kanada bestechen sowieso durch undurchsichtige Verkehrsregeln. Bis heute haben wir nicht verstanden, wie das mit dem rechts abbiegen an roten Ampeln funktioniert. Es scheint grundsätzlich erlaubt zu sein, aber P1080636da gibt es eine Menge Schilder, die das auch wieder einschränken könnten. Könnten, denn wir verstehen sie nicht. Deswegen halten wir eigentlich immer bis wir von hinten angehupt werden. Interessant ist auch die Regelung an Kreuzungen, bei denen jede Richtung ein Stoppschild hat. Da darf nämlich der fahren, der als erster da war. Blöd nur, wenn mehrere Autos da stehen – haben alle ein Stoppschild? Und wer war als zweiter, dritter da? Kompliziert… Aber, sie gehen mit der Zeit. Die gute alte Raststätte, an der man sich die Beine vertritt, hat ausgedient. Text Stops, sind das jetzt, SMS-Schreibstätten. Tja…

Aber zurück zu Kanada. Wir wollten endlich noch mal unser Zelt zum Einsatz bringen und Eric hatte einen schönen und recht einsamen Campingplatz gefunden. Als wir in Syracuse starten, scheint die Sonne und es ist heiß. Wir kommen gut durch, überqueren die kanadische Grenze sehr unproblematisch und fahren weiter Richtung Norden. Als die ersten Regentropfen fallen denken wir uns noch nichts. Die Tropfen verdichten sich und irgendwann pladdert es herab. Als wir am Campingplatz ankommen, hat es unter 20 Grad. Wir fragen die Rangerin, was sie denn so vom Zelten heute hält. „It’s a bit chilly“ lacht sie „but you can try if you want“. Nö, wollen wir nicht, beschließen wir später bei einem warmen Kaffee. Ottawa ist nicht weit und da sind wir auf dem Hinweg nur kurz durchgefahren. Also auf nach Kanadas Hauptstadt. Im „Motel Adam“ IMG_0531(liebe Helene, das Photo haben wir extra für Dich gemacht!) finden wir ein nettes Zimmer und fühlen uns beim Blick aus dem Fenster ins trübe Regenwetter sehr in unserer Entscheidung bestätigt. Unser Motel liegt in Gatineau, direkt gegenüber von Ottawa, nur getrennt durch den Ottawa River und eigentlich mittlerweile mehr ein Stadtteil – aber eben auch in der Provinz Quebec und das heißt: hier ist wieder alles auf französisch. Beim abendlichen Sprint durch den Regen zum benachbarten Schnellimbiss reichen unsere Sprachkenntnisse noch nicht mal zum Pommes-Bestellen, aber wir kommen mit dem netten Mädel, das uns bedient, ins Gespräch. Wir versichern ihr, dass wir eigentlich ein bisschen Französisch sprechen, aber sie sagt selber, dass das kanadische Französisch eine andere Welt ist.

20160710-Kanada-Ontario-Ottawa-15Am nächsten Tag und nachdem sich die Regenwolken verzogen haben, schauen wir uns Ottawa an. Die Regierungsgebäude wirken wie Trutzburgen, die sich aneinandergereiht an der Hauptstraße entlangziehen. Wir besichtigen das 20160710-Kanada-Ontario-Ottawa-19Oberste Gericht Kanadas, bummeln am Parlamentsgebäude vorbei Richtung Fluss und bestaunen den Rideau Canal mit insgesamt acht Schleusen, die alle von Hand betätigt werden müssen. Die Motorboote, die vom Ottawa River in den Kanal fahren, müssen 24 Meter Höhenunterschied überwinden und brauchen anderthalb Stunden Geduld, um von Schleuse zu Schleuse zu tuckern.

Mittlerweile scheint die Sonne wieder durchgehend und jetzt gibt es kein Pardon mehr: es wird gezeltet. Wir fahren zurück zum Murphys Point, ein großer Wald inmitten einer schönen Seenlandschaft, wie man sich Kanada halt so vorstellt. 20160711-Kanada-Ontario-Murpys-Point-04Der Campingplatz ist riesig und von dem kleinen Hügel im Wald, auf dem wir unser Zelt aufbauen, sehen wir keine anderen Menschen. Wir spannen unsere Hängematten auf und die Entspannung könnte so perfekt sein, wenn da nicht… bssss – hunderte von Mücken den Angriff starten würden. Wir sprühen uns ein, ziehen in der Wärme lange Hosen und Pullis an, aber nichts hilft: sie stechen durch Jeans und ungeachtet der 20160711-Kanada-Ontario-Murpys-Point-11Chemiekeulen. Eric sinnt auf Rache und schlägt zu: innerhalb weniger Minuten sind 51 Stechviecher ermordet und werden zur Abschreckung fein säuberlich aufgereiht den Artgenossen präsentiert, aber die sind wenig beeindruckt. Irgendwann geben wir auf und legen uns ins Zelt. Trotz der Widrigkeiten halten wir eine weitere Nacht durch, es ist schön hier und Stiche heilen ja auch wieder ab. Irgendwann. Noch jucken sie jedenfalls ziemlich.

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Zelt und Luftmatratze Nr. 3 auf unserer Reise werden wir diesmal hier lassen, die Heilsarmee im nahegelegenen Örtchen Perth freut sich. Die letzte Nacht verbringen wir in einem Hotel vor den Toren Torontos und dann war’s das mit Kanada. Und Amerika. Auf nach Portugal!

 

Klein New York -Syracuse, NY

Syracuse im Staat New York erinnert in manchen Ecken an ein Klein-New-York aus den 1930er Jahren. Ohne Wolkenkratzer und auf dem absteigenden Ast, hat es zweifelsohne schon einmal bessere Zeiten gesehen.
Von keinem Krieg zerstört, haben aber Stadtväter (und wohl auch Mütter) sowie Spekulanten hier durchaus ganze Arbeit geleistet und sehr viele Schneisen in die Bausubstanz geschlagen. Dort stehen heute dann hässliche Betonklötze oder aber Baulücken, die wohl eher nie geschlossen werden…

Hier aber ein paar Bilder der schöneren Ecken:

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Ein Klavier, ein Klavier

20160705-USA-Massachusetts-Cape-Cod-24Mit Massachusetts habe ich bisher vorwiegend das Klavier von Mutter Berta verbunden. Dass Boston hier liegt, war mir zwar klar, aber ansonsten hatte ich keine echte Vorstellung von diesem Staat. Und eigentlich wollten wir ja auch vorwiegend durch Maine und New Hampshire fahren, um einen Eindruck von den Neuengland-Staaten zu bekommen. Aber irgendwie sind wir rasch in Massachusetts angekommen und wollten endlich mal ein paar Tage an einem gemütlichen Ort bleiben. Die Idee vom hübschen Ferienhäuschen haben wir mittlerweile aufgegeben, der Osten der USA ist teuer und nette bezahlbare Unterkünfte sind rar. Zelten wäre eigentlich ganz nett, aber – wir können es kaum fassen – unser Jahr neigt sich dem Ende zu und zumindest für Eric bedeutet das, sich langsam um einen Job zu kümmern. Ich darf ja zum Glück noch ein bisschen weitermachen 🙂 Also brauchen wir ein paar Tage stabiles und schnelles Internet. Auf Cape Cod finden wir dann eine ganz freundliche Kombination: ein recht hübsches Motel, unweit schöner Strände und mit fixem Internet.

20160705-USA-Massachusetts-Cape-Cod-26Die Ferienzeit in den USA hat begonnen und Cape Cod scheint ein beliebtes Ziel zu sein. Noch ist keine Hochsaison, doch die hübschen Städtchen sind schon quite busy. Aber – wir sind ja zum Arbeiten hier. Erst wird recherchiert, getippt und gemailt, dann gibt es kleine Ausflüge. Die Strände sind besonders im spätnachmittäglichen Licht wunderbar, nicht zum Baden, sondern zum Gucken. Je weiter man läuft desto einsamer wird es – zumindest was Menschen angeht. Im Wasser und auf Sandbänken weiter draußen tummeln sich hunderte von Seehunden! Fasziniert stehen wir am Ufer, da spricht uns eine Amerikanerin an. Ob wir denn schon am Pier beim Fischmarkt waren. Nein, waren wir nicht. Wenn wir die Seehunde ganz nah sehen wollten, sollten wir da hin, sagt sie.

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20160706-USA-Massachusetts-Cape-Cod-45Dann schauen wir uns das am nächsten Tag doch mal an. Ein winziger Fischmarkt und eine Anlegestelle für die Fischerboote. Wir erklimmen eine kleine Holzterrasse, von der man einen Blick direkt auf den kleinen Hafen hat. Ein Boot hat angelegt und die Fische werden ausgeladen. Eine ganz schön blutige Angelegenheit, hunderte von Katzenhaien und Flundern wandern in große Bottiche. Und rund um das Boot tummeln sich die Seehunde, die darauf warten, etwas vom Fang abzubekommen. Geduldig und genussvoll 20160706-USA-Massachusetts-Cape-Cod-58schwimmen sie um das Boot herum, immer mal auf dem Rücken als wollten sie sich die Sonne auf den Bauch scheinen lassen. Und sie werden nicht enttäuscht. Immer wieder werfen ihnen die Fischer etwas zu. Die Möwen, die sich auch gewisse Hoffnungen machen, ziehen fast immer den Kürzeren. Wir hätten gar nicht gedacht, dass es im doch recht touristischen Cape Cod noch so ursprüngliche Orte gibt. Danke an die unbekannte Amerikanerin für ihren Tipp!

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Mehrere Bewerbungen sind geschrieben, erste Kontakte zustande gekommen – jetzt können wir langsam ans Zelten denken. Viel Zeit ist ja auch gar nicht mehr. Also machen wir uns auf Richtung Norden und verlassen Massachusetts. Wirklich schön, dieser Bundesstaat. Wenn’s nicht so teuer wäre, hätten wir sicherlich noch ein paar Tage drangehängt. Aber gemütlich Richtung Toronto fahren hat ja auch was und auf den Thousand Islands im Ontario-See wird sich doch sicherlich ein Inselchen finden, auf dem wir unser Zelt aufschlagen können.

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Travel in Style

20160629-Kanada-Nova-Scotia-Überfahrt-06Und wieder darf unser Auto Boot fahren und diesmal lohnt es sich richtig. Über zwei Stunden dauert die Überfahrt von Digby in Nova Scotia nach St. John in New Brunswick. Das Wetter ist herrlich und so hoffen wir auf schöne Aussichten und vielleicht sogar Wale, aber kaum auf dem Wasser kommen die ersten Nebelschwaden. Wir halten zwar tapfer noch eine Weile durch, lassen uns vom trötenden Nebelhorn etwa fünf Meter neben uns ganz furchtbar erschrecken, aber dann geben wir auf und gehen rein. Und erleben mal wieder, dass es die Kanadier verstehen, es sich so richtig nett zu machen. Eine junge Frau f20160629-Kanada-Nova-Scotia-Überfahrt-04idelt keltische Lieder, auf einem Schild in ihrem Geigenkasten steht „Help me go to Ireland“. Das müsste nach dieser Fahrt gelingen, allen scheint es sehr zu gefallen, eine Großmutter tanzt mit ihrer kleinen Enkelin und der Geigenkasten füllt sich mit Münzen und sogar 20 Dollar Noten. Jetzt einen Kaffee und ein wenig lesen, das wäre doch toll. Mein Reader zeigt akuten Strommangel und Kaffee ist hier bestimmt sauteuer. Da habe ich aber nicht mit den Kanadiern gerechnet, neben zwei kleinen Kinos gibt es hier einen Computerraum und in dem mehrere (natürlich kostenlose) Schließfächer mit Ladekabeln, die auch für meinen Reader passen. Der Kaffee kostet keine zwei Dollar und ist erstaunlich lecker und wir fragen uns mal wieder, warum in Deutschland solche Monopolsituationen immer ausgenutzt werden und schlechte Qualität zu Höchstpreisen verscherbelt wird. Hier scheint man auf seinen Umsatz zu kommen, indem man gute Qualität zu günstigen Preisen anbietet und so viele Kunden anlockt, von denen keiner auf die Idee kommt, sich Butterstullen und Getränke selber mitzubringen.

Die Überfahrt verläuft trotz dicker Suppe unproblematisch und bald fahren wir auf der Küstenstraße Richtung USA. Keine zwei Stunden später sind wir am Grenzübergang, wir werden gebeten, das Auto abzustellen und ins Gebäude zu gehen, dort warten wir kurz und werden befragt. You travel a lot, fragt die Grenzbeamtin und blättert in den Stempeln in unseren Pässen. Wir erzählen ihr von unserer Reise und sie scheint fast ein bisschen neidisch zu werden. Ob wir denn auch im Iran, Irak oder in Syrien waren? Nein, waren wir nicht und zwölf Dollar später gibt’s die Einreisekarte. Als wir sie im Auto angucken, steht da bei Nationalität „Germany (West)“. Oh Leute…

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It’s Maine, aber es ist auch Canada-Day

Wir sind jetzt in Maine und sehen erst mal viel Wald. Unser erstes Ziel ist Bangor, die drittgrößte Stadt von Maine, viel mehr wissen wir aber nicht. Die Hotels in Maine sind teuer und hier hatten wir ein günstiges „Howard Johnson“ gefunden. Das ist dann zudem auch noch ganz nett und so beschließen wir, noch eine zweite Nacht hier zu verbringen und uns Bangor anzuschauen. Nur: da gibt es nichts. Eine merkwürdige Stadt mit noch merkwürdigerer Atmosphäre. Die Innenstadt ist klein, ein paar Backsteingebäude (gut, es gab hier 1911 einen großen Brand und alles wurde in Schutt und Asche gelegt), viel Leerstände und etwas skurrile Läden. Wir betreten ein Sportgeschäft, in dem klassische Musik spielt und sich die wenigen Kleiderständer verlieren, die einzige weit sichtbare Stufe im ganzen Laden ist in Warnfarben abgeklebt und mit mehreren Warnschildern „Watch your step“ versehen – es handelt sich wohlgemerkt nicht um ein Sanitätsfachgeschäft… Die Menschen auf den Straßen sind ziemlich anders, nicht der fröhliche Völkermix, den wir aus Kanada gewohnt sind, alles ein bisschen fertiger. Wir konsultieren dann mal das Internet und das weist als eine der Attraktionen Bangors aus, dass Stephen King hier wohnt und seine Romane häufig in dieser Gegend spielen. Oh ja, Mr. King, da haben sie sich einen ziemlich perfekten Ort ausgesucht.

Wir beschließen, nach Boston zu fahren. Die Hotelpreise sind zwar auch hier wirklich heftig, aber etwas weiter draußen finden wir dann doch etwas, das zwar immer noch teuer, aber verschmerzbar ist. Wir starten für unsere Verhältnisse sehr früh, damit wir noch was vom Tag haben, und fahren an der Küste Maines entlang Richtung Süden. Auf einmal wird es laut im 20160701-USA-Maine-Massachusetts-03Auto, ist das der Wagen neben uns? Er fährt vorbei, aber der Lärm bleibt. Das müssen wohl wir sein. Wir halten auf dem Seitenstreifen und inspizieren unseren treuen Jetta: der rechte Hinterreifen ist aufgeplatzt und platt. Das ist jetzt unsere dritte Reifenpanne. Ein Nagel in Hawaii, die Holzattacke in Neuseeland und warum jetzt dieser Reifen den Geist aufgegeben hat, können wir nicht erkennen. Na klasse, wir haben keine amerikanische SIM-Karte, unsere Notfall-Telefonnummer ist in Kanada und ich hatte mich schon so auf einen gemütlichen Kaffee in Harvard gefreut. Eric findet seine deutsche SIM-Karte, nein, wir wollen nicht wissen, was uns dieser Anruf jetzt kosten wird. Joe wird kommen und uns den Notreifen montieren und dann sollen wir den Wagen tauschen, sagt uns die freundliche Dame. Joe rückt nach einer halben Stunde an, er ist wortkarg und laut Aufschrift auf seiner Baseball-Mütze ein Vietnam-Veteran. Nach zehn Minuten sitzt der schmale Reifen und wir machen uns auf zum nächsten Ort, den uns die freundliche Dame genannt hat, um das Auto zu tauschen. Die sind etwas überfordert, sie gehören zu Enterprise und unser Auto zu Alamo, das hätten sie noch nie gemacht und ob wir nicht weiter in die nächste Stadt zum Flughafen fahren könnten. Machen wir, ist alles in unserer Richtung. Wir haben keine Landkarte, aber den Flughafen können wir gar nicht verfehlen, sagen sie. Portland heißt der Ort und Portland ist etwas ganz besonderes: dort haben sie sich entschieden, ihren Flughafen zu tarnen. Ganz wenig Schilder aufhängen, das kann ja jeder. Aber ihn einfach nicht Airport zu nennen, da muss man erst mal drauf kommen. Portland International Jetport oder abgekürzt PWM. Genial! Und das in einer Stadt, die einen großen Hafen hat. Und Jetty doch Anlegestelle heißt. Aber nicht gut genug gemacht, Portland, wir finden ihn trotzdem, wenn auch erst nach mehreren Anläufen. Leicht genervt treten wir an den Alamo-Schalter und wissen dann sofort wieder, warum dies unsere absolute Lieblings-Autovermietung ist. Der freundliche Mitarbeiter drückt uns erst mal zwei eiskalte Wasserflaschen in die Hand, bedauert uns und verspricht, uns ein „nicer car“ rauszusuchen. Zwei Unterschriften, er drückt uns einen neuen Schlüssel in die Hand und fünf Minuten später stehen wir vor unserem Neuen: ein ganz edler Buick mit weißen Ledersitzen neben dem sich unser Jetta, an dem immer noch der rote Staub von P.E.I. klebt, wie ein Kleinstwagen ausmacht. Na, das ist doch was! Mittlerweile ist es Nachmittag und das mit Boston können wir für heute wohl vergessen. Das Outletcenter an der Grenze zu New Hampshire kommt da gerade recht. Da schlägt das Schwabenherz hoch, komplett neu eingekleidet schwingen wir uns in unsere Edelkarosse und schweben Richtung Hotel. Und die haben sich wohl gedacht, dass zu so einem Auto auch das entsprechende Zimmer gehört, als wir die Zimmertür öffnen, stehen wir zunächst nur im Wohnzimmer unserer Suite. So hatte ich mir meine Weltreise höchstens zu dem Zeitpunkt vorgestellt, als ich noch meinte, sie sei nur durch einen Lottogewinn zu realisieren.

20160702-USA-Massachusetts-Boston-07Und dann kommt am nächsten Tag noch das schöne Boston dazu. Wir haben uns von den Berichten im Internet etwas kirre machen lassen (Don’t even think about driving a car around here, sagt der Lonely Planet). Also fahren wir zu einem Vorortbahnhof, stellen das Auto ab und kommen erneut in den Genuss amerikanischen Organisationstalents. Fahrkartenautomaten – kann man ja mal hinstellen, aber die sollten doch den Experten vorbehalten bleiben. Keine Chance, hier ein Ticket zu lösen. Aber es gibt ja einen Schalter, was sage ich, es sind drei, und die Dame dahinter bedient sie alle! Gab es nicht mal einen alten Rudi Carrell Gag, in dem er sich ständig andere Mützen aufsetzte, um verschiedenste Funktionen abzudecken? So ist es hier und die Lady erläutert an einem Schalter die komplizierten Ticketstrukturen, verkauft dieselben an einem anderen und kassiert am dritten die Parkgebühren ab. Der Verkaufsvorgang vor uns nimmt etwa 15 Minuten in Anspruch, hier darf man es nicht eilig haben. Wir erreichen Boston 20160702-USA-Massachusetts-Boston-30dann in einer knappen halben Stunde und sehen, kaum dass wir den Bahnhof verlassen haben, geordneten Straßenverkehr und ein großes Parkhaus, das unser Auto für 15 Dollar aufgenommen hätte. Wir haben für die Bahntickets fast 30 Dollar gezahlt, dazu wird abends dann noch die Parkgebühr von 7 Dollar kommen und der Zug fährt am Wochenende im Zwei-20160702-USA-Massachusetts-Boston-09Stunden-Takt. Tja, Lonely Planet, die Warnung können wir nicht nachvollziehen. Aber egal, Boston ist toll und als erstes landen wir auf einem Markt mit lächerlich billigem Obst und Gemüse. Wir kaufen „organic strawberries“ für einen Dollar, beobachten Frauen in traditionellen afrikanischen Kleidern, die große Mengen Yamswurzeln kaufen und viele Asiaten, die sich mit frischem Gemüse eindecken. Wir sind mitten im historischen Zentrum, hier verläuft auch der „Freedom Trail“, der uns durch die Geschichte Bostons und der Vereinigten Staaten führt. Oder führen sollte, denn wir müssen unsere touristischen Aktivitäten heute ja für das Viertelfinale unterbrechen. Im Internet hatten wir recherchiert, dass die meisten Sportkneipen in der Hanover Street sind. Dass es sich hierbei auch um Little Italy handelt, merken wir dann erst als wir vor den Restaurants stehen und die vielen Menschen mit blauen Trikots sehen. 20160702-USA-Massachusetts-Boston-25Wahrscheinlich nicht der ideale Ort für das Spiel gegen Italien. Wir finden dann einen irischen Pub, der das Spiel überträgt und haben noch zwei Stunden Zeit. Boston hat ein berühmtes Holocaust-Denkmal, vielleicht etwas absurd, den Besuch dort vor einem Fußballspiel einzuschieben, aber es ist ein Ort mitten in der Stadt und inmitten der Touristenattraktionen, ein sehr lebendiger Platz. Sechs gläserne Türme, in die Nummern eingraviert sind, die die Opfer der Shoah repräsentieren sollen. Man geht in einem schmalen Park durch diese Glastürme hindurch, die auf der Innenseite auch Texte enthalten und am Boden eine Art Zeitleiste. Jeder Turm steht für ein Vernichtungslager und die Texte sind Zitate von Menschen, die Opfer des Holocaust waren. Ein sehr berührender Ort, der vor allem dadurch besticht, dass er sich mitten im Leben befindet. Was mich zudem beeindruckt hat ist der Hinweis in der Zeitleiste, dass die USA bereits 1942 von der Existenz der Vernichtungslager wussten. Eine solch selbstkritische Darstellung hätte ich in einem so patriotischen Land nicht erwartet und ich muss mein USA-Bild wieder einmal korrigieren.

Es ist schwer, nach diesem bewegenden 20160702-USA-Massachusetts-Boston-28Ort an so etwas profanes wie Fußball zu denken. Mir fällt unser erster Abend in Haifa 2013 ein, im Champions League Finale spielten Dortmund und Bayern und die Menschen in den Straßencafés verfolgten das Spiel auf Leinwänden mit großer Spannung. Wir finden unsere irische Kneipe wieder und sind nicht die einzigen Deutschen, die das Spiel sehen wollen. Spannende Spiele sind ja was Gutes, aber das war dann doch etwas viel… Jedenfalls machen wir uns danach langsam wieder auf Richtung Bahnhof und tuckern zurück in unseren Vorort.

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Vor der Harvard Law School – vielleicht färbt ja was ab?

Am nächsten Tag ist Harvard dann für mich ja quasi Pflichtprogramm. Es ist eigentlich genauso, wie ich es mir vorgestellt habe, vielleicht bis auf die vielen Touristen und den sehr großen Anteil von Asiaten. Die Bauten sind absolut beeindruckend, eine gute Atmosphäre und ich bedauere sehr, dass die Bibliothek nicht öffentlich zugänglich ist. Der Durst treibt uns irgendwann in ein Gebäude mit der Aufschrift „Student Center“, wir hoffen hier auf eine Cafeteria (und haben vielleicht so was wie das Clubhaus in Tübingen im Sinn). Wir laufen durch die Flure, die Cafeteria hat zu, klar, ist ja Sonntag. Plötzlich stehen wir in einem riesigen Raum, der wie die Lobby 20160703-USA-Massachusetts-Harvard-07eines Nobelhotels gestaltet ist, Sessel und Sitzgruppen, Kamine. Wir sind in einen Teil der Harvard Law School geraten. Weiter hinten finden sich die Hörsäle, für jeden Studi ein ergonomischer Stuhl, und da kommt mir das Audimax in der Neuen Aula in Tübingen in den Sinn… Schon sehr beeindruckend, was hier möglich ist. Wir finden eine weitere irische Kneipe und leiden mit den Isländern. Aber gut, dass wir sie nicht aus dem Turnier schmeißen müssen. Zu guter Letzt landen wir in einem koreanischen Supermarkt und probieren uns durch die Fertiggerichte. Mit zwei großen Schüsseln Nudeln in Sesamsoße und ein paar Abenteuerbeilagen wie getrocknetem Tintenfisch kehren wir zu unserem Auto zurück, das wir ja auf keinen Fall nach Boston mitnehmen sollten, und fahren zurück in unsere Suite. Ist wirklich eine Reise wert, das schöne Boston!