Nach wie vor sind wir überwiegend Corona-brav, haben mittlerweile eine kleine Kollektion bunter Masken und uns im Homeoffice gut eingerichtet. Die Geschäfte sind langsam wieder offen, aber so richtig Spaß macht das Bummeln auf der Königstraße nicht. Und wir haben ja eigentlich eh alles und was noch fehlte, haben wir bestellt. Doch gestern überfiel sie uns plötzlich, erst ein leichtes Kribbeln, dann ein wachsendes Bedürfnis, ah – wir wollen shoppen – da war sie, die Konsumlust! Und da wir einem guten Schnäppchen nie abgeneigt sind, stand das Ziel schnell fest: Metzingen oder mittlerweile „Outletcity“, und ohne Schweizer, Franzosen und Chinesen müsste es da doch nachgerade leer sein. War’s nicht ganz, aber wir waren erfolgreich und es machte Spaß, wir geben es zu. Das wäre jetzt aber wirklich kein Grund, einen Globonautenbeitrag zu füllen. Unbedingt berichten wollen wir von unserer anschließenden Wanderung, weil auch die so schön war, dass wir sie mit euch teilen möchte.
Nur eine knappe Viertelstunde von den Konsumtempeln Metzingens entfernt findet sich auf dem Weg nach Kohlberg der Parkplatz Raupental. Dort geht es dann erst mal fast alpin nach oben auf einen riesigen Vulkanschlot mit dem freundlichen Namen Jusi. Der Aufstieg ist nicht ganz ohne, aber es lohnt sich!!! Der Blick vom Gipfel – eigentlich ist es eher ein Hochplateau, auf dem es sich gut rasten lässt – ist phänomenal. Schwarzwald, Tübingen, Stuttgart, der Hohenneuffen, die Alb – alles in einem Rundblick vereint.
Hat man sich hier sattgesehen – und das kann dauern – führt der Weg weiter in den Wald hinein und dort erst mal steil bergab. Eher rechts halten, bis man durch die Bäume Dettingen im Tal sieht und dann wiederum rechts am Waldrand entlang. Wir lassen uns an einem Holztisch mit Bänken und einer weiteren sehr hübschen Aussicht nieder. Ein älteres Wandererpärchen kommt dazu, wir unterhalten uns nett, dann klären sie uns auf über 5G und Corona. Noch nicht mal im Idyll ist man sicher vor den Verschwörern… Wir laufen hinunter ins Dorf Kappishäusern, überqueren die Straße von Metzingen nach Kohlberg und tauchen wieder in den Wald ein. Noch ein Anstieg, diesmal heißt der Berg Florian. Kreative Namensgebung hier. Wer den erneuten Gipfelsturm in Angriff nimmt, der wird auch belohnt: eine Ziegenherde grast rechts von uns und das tun sie wohl immer, denn sie gehören dem Albverein und machen das professionell – ihr einziger Job ist es, die steilen Hänge abzuweiden.
Noch einen heftigen Anstieg an der Weide hoch, dann haben wir Florian, den zweiten Vulkanschlot erklommen und auch von hier hat man einen herrlichen Blick. Zurück zum Auto sind es noch etwa zwei Kilometer und leider öffnet der Biergarten am Sportplatz, den wir auf dem Rückweg passieren, erst am Montag. Noch so ein wirklich empfehlenswerter Ausflug – mit Picknickdecke und Vorräten kann man hier locker einen ganzen Tag verbringen. Oder aber wie wir zuvor dem Hugo in Metzingen einen Besuch abstatten. Aber Jusi und Florian reichen eigentlich vollkommen.
Israel war immer schon ein ganz besonderer Sehnsuchtsort für mich. Bereits in der Schulzeit beschloss ich: da muss ich hin. Wie es damit genau anfing kann ich gar nicht sagen, ich weiß nur, dass das Buch Exodus von Leon Uris und die Verfilmung mit Paul Newman eine Rolle spielten. Nach dem Abi quälte ich mich durch drei Monate in einer uralten Konservendosenfabrik in Altona, um mir das Geld für den Flug zu verdienen und am 11.11.1984 war es soweit: ich startete mit meiner Freundin Katha nach Tel Aviv. Wir waren beide 19 und uns schwebten harte Arbeit auf den Feldern und abendliche Volkstänze inmitten glücklicher Kibbutzniks vor – so wurde es dann eindeutig nicht. Es war ein Abenteuer in Vor-Internet-Zeiten, wer damals Europa verließ, der war richtig weg. Briefe dauerten drei Wochen, telefonieren ging nur im absoluten Notfall und dass wir doch einige Tagesreisen von zuhause weg waren merkten wir, nachdem wir uns entschieden hatten, den Rückweg mit Schiff und Bus zu meistern. Aber wir waren ja zu zweit und hatten eine unvergessliche Zeit. Wir arbeiteten in Großküchen, pflückten Zitronen, betreuten alte Menschen, schrubbten Böden und melkten Kühe. Wir wohnten in klapprigen Hütten zusammen mit jungen Leuten aus der ganzen Welt und wir hatten den Spaß unseres Lebens. Im April 1985 kehrten wir nach Deutschland zurück und starteten im Jahr darauf noch mal – vier Wochen in den Semesterferien waren geplant, ich blieb dann aber sieben Monate und verliebte mich so sehr in meinen Job im Kuhstall, dass ich ernsthaft überlegte, für immer im Kibbutz zu bleiben.
Die israelischen Gemeinschaftssiedlungen waren der Versuch einer sozialistischen Gesellschaft – allen sollte alles gehören, jeder musste jeden Job machen, die Kinder wurden gemeinschaftlich erzogen und lebten außerhalb der Wohnung ihrer Eltern im Kinderhaus, gegessen wurde gemeinsam im zentralen Speisesaal. Geld bekam man für seine Arbeit nicht, dafür das Rundum-Sorglospaket: Haus, Essen, medizinische Versorgung, Betreuung im Alter, Bildung, Freizeitvergnügen. Wünsche darüber hinaus wurden erfüllt, wenn es die Gemeinschaft so beschloss.
Volontäre wie Katha und ich gehörten zum Kibbutzleben dazu. Für sechs Stunden Arbeit an sechs Tagen in der Woche bekamen wir freie Unterkunft und Verpflegung, Arbeitskleidung, eine Guthabenkarte für den winzigen Kibbutzladen, die ich vorwiegend in Schokolade und Aprikosenjoghurt investierte, ordentlich Zigaretten und das wöchentliche Highlight: die Disko. Es war eine sehr unbeschwerte Zeit mit Leuten aus allen Ecken der Welt, wir waren alle um die 20 und voller Neugier auf das Leben. Noch heute, ein bisschen wiedervereint in Facebook-Gruppen, schwärmen wir von den damaligen Zeiten und fast alle sind sich einig: it was the best time of my life.
Ein Jahr war ich insgesamt in Israel und als ich 1987 nach Hause zurückkehrte, hätte ich nicht gedacht, dass ich das Land erst fast 30 Jahre später wieder besuchen würde. 2013 war es dann soweit: Eric und ich flogen für 10 Tage nach Israel und so skeptisch er anfangs war: das Land hat ihn fasziniert. Aber auch ich hatte Bedenken: all die schönen Erinnerungen, was wäre, wenn es sich so verändert hat, dass ich „mein Israel“ gar nicht mehr wiederfinde? Wieder mal zu viel Sorgen gemacht: die Zeit dort war toll, obwohl das Kibbutzleben wie ich es kannte tatsächlich nicht mehr existiert.
Wir landeten in Tel Aviv, mieteten uns am Flughafen einen kleinen gelben Flitzer und fuhren direkt nach Haifa. Ein beschwingter Frühlingsabend, in den vollen Straßencafés waren Fernseher aufgebaut, das Champions League Finale stand an, Bayern München spielte gegen Borussia Dortmund. Undenkbar wäre das in den 80er Jahren gewesen, Israelis, die öffentlich deutschen Vereinen zujubeln. Damals war die Generation der Holocaustüberlebenden noch sehr präsent, vor allem in Haifa, und wir vermieden es, außerhalb des Kibbutz laut deutsch zu sprechen. Das hat sich vollkommen gewandelt, viele junge Israelis finden das heutige Deutschland cool und die Auswandererzahlen vor allem nach Berlin belegen das.
Am nächsten Morgen ging es einmal um die Bucht herum nach Akko. Die uralte Hafenstadt war zu Kibbutz-Zeiten ein sehr beliebtes Ausflugsziel bei uns: mit einer Flasche Wein den Sonnenuntergang auf der Festungsmauer mit Blick auf das Meer zu genießen gehörte zum Pflichtprogramm jedes Volontärs. Und weil in Israel ja nichts wirklich weit entfernt ist, schafften wir es danach noch, mit dem letzten Bus in den Kibbutz zurückzukehren. Der Zauber der orientalisch geprägten Altstadt nimmt Eric und mich sofort wieder gefangen. Die verwinkelten Gassen der Basare, die grandiose mittelalterliche Zitadelle und das strahlend blaue Mittelmeer – ein toller Ort.
Natürlich war ich neugierig, ob es meinen Kibbutz noch gab. Oder besser gesagt meine beiden, denn 1985 waren wir in Yif’at und 1986 in Hefzi-Bah im südlichen Galiläa. Vor allem der Spaziergang durch Hefzi-Bah ist dann ein sehr emotionaler. Der Kibbutz hat sich privatisiert, die alten Gemeinschaftseinrichtungen verfallen so stilecht als hätte das jemand extra für mich arrangiert. Ich laufe durch den bröckelnden Speisesaal, die Dekorationen vom Abschiedsfest hängen noch. Hier im Innenhof saß ich und putzte Gemüse, da vorne am Eingang musste ich meine Kuhdung-klebrigen Gummistiefel erstmal gründlich reinigen, bevor ich speisesaalfähig war. Rechts durch die große Tür haben wir uns in die Kühlräume geschlichen, kurz schmecke ich Weißbrot mit Margarine, damals fand ich’s lecker. Hier war das Zentrum des Kibbutz, hier tobte das Leben, jeder kam mindestens zum Mittagessen und blieb eine Weile, die meisten in blauer Arbeitskleidung. Da vorne war unser Tisch, der Tisch der Volontäre. Es war laut und fröhlich hier, eben ein bisschen jedermanns Ess- und Wohnzimmer. Und jetzt ist dieser Ort für den Abriss vorgesehen. Unsere Unterkünfte sind schon seit vielen Jahren verschwunden. Nur der Kuhstall – mein Kuhstall – ist noch voll in Betrieb. Um halb vier morgens ging’s los, hatte ich mich erst mal aus dem Bett gequält war es wunderbar, die kühle Morgenluft, die dampfenden Kühe, der starke türkische Kaffee und die erste Zigarette dazu, Radio Jordan, Broadcasting from Amman (zwar Feindessender, aber mit guter Musik) spielte laut im Melkstand. Ich bin froh, dass ich Eric das alles zeigen und kurz noch mal abtauchen kann in diese aufregende Zeit damals.
Wir übernachten in der Nähe im Hotel des Kibbutz Ein Harod , der nicht nur nette Unterkünfte, sondern auch ein sensationelles Olivenöl bietet, von dem ein kleiner Kanister in unser Reisegepäck wandert. Zum Abendessen fahren wir nach Beit She’an, im Shipudei Hakikar kommen zu den bestellten Grillspießen noch mehr als ein Dutzend Schälchen mit köstlichen Beilagen, den übervollen Tisch haben wir bis heute nicht vergessen.
Und dann auf nach Jerusalem. Der Weg führt durch die Westbank, karge Wüstenlandschaft und so ganz wohl fühlen wir uns nicht. Jerusalem ist in meinem Sehnsuchtsland Israel meine Sehnsuchtsstadt. Die Faszination, die von der Altstadt ausgeht, kann man kaum beschreiben. Jeder Quadratzentimeter hier ist Geschichte, uralte und aktuelle. Und dabei bin ich noch nicht einmal sonderlich religiös, aber allein schon die Ergriffenheit der Menschen aus aller Welt in der Grabeskirche, die sich auf den Salbungsstein Jesu stürzen, ihn berühren wollen, ist etwas ganz besonderes. Der Anblick der Klagemauer jagt mir genauso wie vor 30 Jahren einen Schauer über den Rücken, die Vielfalt der Menschen, die Symbolik des Ortes, diese ganz besondere Stimmung. Und darüber thront der Felsendom, zentraler Ort für Muslime, in seiner ganzen Pracht und Schönheit.
Der Nahostkonflikt hat auch Jerusalem seit damals verändert, der reglementierte Zugang zum Tempelberg, die Mauer, die wir auf der Fahrt hierher passiert haben, das gab es in den Achtzigern noch nicht. Muss man sich positionieren, wenn man Israel besucht? Nein, muss man nicht, finde ich. Denn ich muss mich auch nicht positionieren, wenn ich Dubai besuche oder die Türkei oder Myanmar oder China. Oder die USA. Ich finde nicht alles gut, was die Israelis machen, aber das trifft genauso auf die Palästinenser zu. Das mag mal meine Position sein.
In der Altstadt kann man tagsüber wunderbar in einem der vielen kleinen Cafés etwas abseits der geschäftigen Basarstraßen sitzen. Eric gönnt sich die ein oder andere Wasserpfeife, ich sauge die Atmosphäre ein. Am Abend leeren sich die tagsüber so belebten Gässchen und Plätze allerdings rasch, die Restaurants und kleinen Läden schließen, in den dunklen Sträßlein kann man sich jetzt fast verirren. Wir laufen hinüber in die Neustadt, die vor allem mit gutem Essen überrascht, hippe kleine Restaurants mit ungewöhnlichen Crossover-Kreationen, in denen man gerne lange sitzen bleibt.
Am nächsten Tag besteigen wir den Ölberg, vorbei am Garten Gethsemane, der russischen Kirche und den vielen Gräbern. Der Blick hinüber auf die Altstadt ist von hier oben am schönsten, Jerusalem of Gold, hier leuchtet es uns entgegen.
Wir machen einen Tagesausflug weiter in den Süden ans Tote Meer und nach Masada. Zu Kibbutz-Zeiten hatten wir am Fuße der Felsenfestung übernachtet, um den Berg früh morgens zu erklimmen wegen des schönen Sonnenaufgang über der Judäischen Wüste. Heute erklimmen wir ihn immer noch zu Fuß, aber zu zivileren Zeiten. Es ist heiß und staubig, wir sind fast allein auf dem Weg, denn es gibt auch eine bequeme Seilbahn, aber das ist gegen unsere Globonautenehre. Die Palastfestung von König Herodes war um 74 n. Chr. in den jüdischen Kriegen Zufluchtsort für hunderte Rebellen. Die Römer belagerten die Festung und bauten eine Rampe, um das Hochplateau zu erobern. Als sie es endlich geschafft hatten, hatten sich die Menschen in der Wüstenfestung umgebracht.
Von hier oben hat man einen grandiosen Blick über das Tote Meer. Der Salzsee macht seinem Namen alle Ehre und stirbt mangels Wasserzufuhr vor sich hin. Viel größer habe ich ihn in Erinnerung und die trügt mich tatsächlich nicht: seit den Achtzigern ist der Wasserpegel jedes Jahr um einen Meter gesunken und damit fehlen jetzt fast 30 Meter. Ein Bad in der Salzlake ist natürlich trotzdem Pflicht, genauso wie das Schlammbad davor, und es ist noch genauso faszinierend wie damals: man geht hier einfach nicht unter. Am tiefsten Punkt der Erde, 420 Meter unter dem Meeresspiegel. Den Spaß am Umhertreiben im öligen Nass beeinträchtigt höchstens die Angst, das supersalzige Zeugs ins Gesicht und vor allem in die Augen zu bekommen.
In weniger als zwei Stunden sind wir zurück in Jerusalem. Und am nächsten Morgen brauchen wir gerade mal eine Stunde nach Tel Aviv. Unser letzter Tag ist angebrochen, in der Nacht fliegen wir zurück nach Deutschland. Tel Aviv gehörte früher nicht zu meinen Favoriten, ich fand es hektisch und laut, aber hin musste man immer mal wieder, sei es zum Einkaufen, ins Kino gehen oder für das phänomenale Konzert der Waterboys in einem winzigen Klub mit anschließender Übernachtung am Strand. Aber – wow Tel Aviv, du bist toll geworden! Die Stadt hat sich auf ihr kulturelles Erbe besonnen und viele der über 4000 Bauhaus-Gebäude instand gesetzt. Wir streifen durch die „Weiße Stadt“ bis uns nach Erholung zumute ist – und der lange Stadtstrand ist einfach der perfekte Ort für ein Sonnenbad, ein kühles Bier und eine Abschiedswasserpfeife. Nur noch ein paar Stunden, dann geht’s zurück. In einem Hinterhof finden wir ein Restaurant, dass zuvor wohl eher eine Garage war, davor Tische und Stühle, im allerbesten Popup-Stil. Sehr cool, sehr hip und auch sehr lecker. Ein schöner Ausklang einer Reise in meine Vergangenheit. Hat’s dir gefallen, frage ich Eric, und er nickt. Das hätte er nicht erwartet, sagt er. Ein tolles Land und eine außergewöhnliche Stimmung. Jetzt nicke ich, glücklich und erleichtert. Ja, Israel war und ist faszinierend und auch wenn das jetzt sehr kitschig klingt: es wird immer einen großen Platz in meinem Herz haben.
Wir sind wirklich brav, was das Virus angeht. Wir nutzen keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr, wenn wir zufällig Freunde treffen, halten wir eher drei Meter Abstand und Masken haben wir natürlich auch schon. Wir halten uns fit und drehen regelmäßig eine Runde durch den Park, spazierender- oder joggenderweise. Aber den teilen wir mittlerweile mit so vielen Menschen, dass der entspannte Walk eher zum stressigen Slalom wird. Und Globonauten sind wir ja schließlich auch noch. Also, raus aus der Stadt, wenigstens für ein paar Stunden. Ein Auto haben wir seit unserer Reise nicht mehr, Car-Sharing ist eine gute Alternative, die wir bisher sorglos in Anspruch nahmen. Jetzt ziehen wir mit einer Flasche Badreiniger – killt 99,9 % aller Viren und Bakterien – und einer Rolle kostbaren Küchenpapiers los und beginnen unseren Trip mit einer ausgiebigen Putzorgie. Aber egal, Mrs. Teilzeit und Mr. Kurzarbeit haben keine Zeitdruck. Nach einer halben Stunde über die leere Autobahn haben wir die Großstadt hinter uns gelassen und parken im idyllischen Bissingen an der Teck. Eric hat eine Route ausgesucht, die am Fuß der Alb startet – hochfahren kann ja jeder (wir geben zu: die letzten zwei Wochenenden haben wir das auch gemacht). Für alle, die nicht mit der Schwäbischen Alb vertraut sind: sie wächst sehr plötzlich aus der lieblichen Landschaft empor. Wikipedia beschreibt es treffend: Die Alb ist eine Hochebene, die nach Nordwesten durch einen sehr markanten Steilabfall begrenzt wird. Oder aus Bissinger und damit auch aus unserer Sicht: einen sehr markanten Steilanstieg. Wir lassen das Dorf hinter uns und laufen durch duftige Frühlingswiesen. Die Obstbäume rechts des Weges sind in voller Blüte, was für eine Pracht. Links beginnt der Wald, in den dann bald auch unser Weg abzweigt. Und dann geht’s hoch. Und zwar richtig. Der schmale Weg schlängelt sich in Serpentinen hinauf. Uns kommen einige verwegene Mountainbiker entgegen – das würde ich mich nicht trauen. Einmal vom Weg abgekommen geht es steil hinab – wer da fällt, der stürzt richtig ab. Als wir endlich oben sind, haben wir 400 Höhenmeter gemeistert und könnten es sogar beweisen, der moderne Globonaut misst ja jeden seiner Schritte elektronisch. Die Hochebene, die uns erwartet, ist weit und karg, Gras und Felsen, aber mit spektakulärem Blick hinunter ins Tal und zur Burg Teck. Hier weht ein kühler Wind, aber die Sonne scheint trotzdem fast sommerlich vom knallblauen Himmel. Eine kurze Pause auf einer Bank, dann weiter. Jetzt läuft es sich einfach, kaum noch Höhenunterschiede, fast gemütlich. Wir finden ein schönes Plätzchen und packen unsere Vorräte aus – auf Wegzehr in einem netten Landgasthof kann man in diesen Zeiten ja leider nicht bauen. Aber wir sind gut präpariert und eine halbe Stunde später wohlig satt. So ein Radler dazu wäre allerdings echt nett gewesen…
Durch das idyllische Tal mit Kühen im Hintergrund dringt nerviges Getöse – Motorräder. Warum bitte können dieseDinger nicht mit Elektroantrieb fahren? Die Typen
drauf können sich auch gerne Kopfhörer mit „sportlichem Sound“ aufsetzen. Wir jedenfalls laufen entlang des Tals bis zum Biohof Ziegelhütte. Normalweise bestimmt ein äußerst idyllischer Stopp, der kleine Hofladen ist geschlossen, bietet aber in keimfreien Zeiten Kuh- und Ziegenkäse und selbstgebackene Kuchen. In der Ferne grasen die Milchproduzenten, wir aber biegen nach links ab und machen uns an den Abstieg. Der führt wieder durch einen Wald und die Zipfelbachschlucht hinunter. Wie perfekt, dieser Name. Wie im alleridyllischten Märchen schlängelt sich der Fluss hinunter ins Tal, mal schmal in seinem Bett, mal in viele kleine Wasserfälle geteilt und ab und an überquert von kleinen Holzbrücken. Würzig duftender Bärlauch wächst rechts und links, weiter unten blüht er weiß und wo bleibt jetzt bitte Schneewittchen? Am Ende der Schlucht wartet das fast ebenso idyllische Dörflein Hepsisau, das ich bisher nur aus Erzählungen einer Studienfreundin kannte. Bei ihr klang es doch eher wie „abgelegenes Kaff“, ein so hübsches Örtchen hätte ich nicht erwartet. Vor dem Backhaus lassen wir uns am Dorfbrunnen nieder, Radler, jetzt wäre der perfekte Zeitpunkt für ein Radler! Corona sagt nein und so laufen wir weiter durch’s Dorf zurück Richtung Bissingen. Gelbe Rapsfelder, dazwischen ein paar Reiterinnen – ist Stuttgart wirklich nur 30 km entfernt? Kurz entsteht die Idee, hier nach einem Häuschen Ausschau zu halten, dann hätten wir eine Stadtwohnung und ein Landidyll. Als wir zum Schluss noch auf eine Schafherde treffen, verfestigt sich der Plan. Und nachdem wir in Bissingen noch den Landmetzger besucht haben, sind wir uns eigentlich sicher. Jetzt müssen wir nur noch das kleine einsame Holzhäuschen finden, inmitten einer Blumenwiese, aber bitte mit perfektem Internet. Wer einen Tipp hat, bitte melden!
P.S. Wer diese schöne Wanderung auch machen möchte: Es waren insgesamt etwa 15 km mit heftigen An- und Abstiegen, in Bissingen/Teck Richtung Dorfweiher, weiter aus dem Ort hinaus, dann links hoch in den Wald Richtung Breitenstein (der Weg heißt hier „hochgehadelt“), oben angekommen links dem roten Dreieck folgen, durch den Biohof Ziegelhütte, dahinter links die Straße runter und in der Linkskurve ab in die Botanik ins Zipfelbachtal bis hinunter nach Hepsisau, von dort links halten Richtung Bissingen.
Die kleine Lockdown-Erinnerungsreihe geht weiter und zwar mit einem Land, das wir so häufig wie kein anderes besucht haben: Malaysia. Ich habe mich beim Schreiben mit Wonne in unseren Erlebnissen verloren und bin von einer fantastischen Erinnerung in die nächste gerutscht. Aber leider gibt es nur wenige Bilder, die die Pracht wiedergeben, denn damals haben wir noch Dias gemacht und von denen ist leider nur ein kleiner Teil digitalisiert. Also müsst ihr mir jetzt vor allem glauben!
Zu Beginn war es alles andere als Liebe auf den ersten Blick. Es war unsere dritte große Reise Mitte der 90er Jahre, wir hatten zuvor das damals noch so freundliche Venezuela und später dann Thailand bereist. Dort hatten wir unsere Liebe für Südostasien entdeckt und waren neugierig auf ein Land, das noch etwas abseits der klassischen Backpackerrouten lag.
Lonely Planet hat uns durch viele Länder der Welt ziemlich zuverlässig begleitet, aber bei unserem ersten Ziel in Malaysia lag er vollkommen daneben mit seinem superauthentischen Unterkunftstipp. Das vermittelte uns leider eine völlig falsches Bild der eigentlich total spannenden Hauptstadt. Unser „Homestay“ war ein winziges Zimmerchen in einer Privatwohnung inmitten einer Hochhaussiedlung, weit ab der nächsten Metrostation und ohne jeden Charme. So spulten wir in ein paar Tagen ein Mindest-Besuchsprogramm ab und fühlten uns insgesamt so wenig wohl, dass wir „Kay El“ auf dem Rückweg vermieden. Die Liebe auf den zweiten Blick bei unseren nächsten Aufenthalten saß dann aber: Kuala Lumpur – nein, wirklich jeder dort nennt es KL – ist eine tolle Stadt, die für jeden etwas zu bieten hat. Der morbide Charme der Shophouses in Chinatown, die glitzernden Malls und die Zwillingstürme der Petronas Towers in KLCC (keiner sagt hier Kuala Lumpur City Centre), der koloniale Bahnhof, die quietschbunten indischen Tempel (unser Favorit ist der Sri Mahamariamman Tempel in Chinatown) und sogar ein paar Naturparadiese in der Großstadt, allen voran der Schmetterlingspark – das kriegt man hier alles und mit der futuristischen Metro ist es auch meist gut zu erreichen. Und man kann einer der eigentlichen Attraktionen Malaysias hier besonders frönen: dem Essen. Die Stadt ist voll von Hawker Centern, große Essensmärkte, bei denen man an diversen Ständen einen so unfassbar leckeren Überblick über den ethnischen Mix Malaysias bekommt. Ich schwärmte schon in dem Beitrag über Georgetown davon und muss es jetzt nochmal betonen: die malaiische, chinesische und indische Küchen verbinden sich in Malaysia zur kulinarischen Perfektion. Und weil sie so gerne gut essen, findet man in Großstädten wie KL auch fast jede andere Küche der Welt. Als Sushi bei uns noch kaum zu kriegen waren, schlugen wir uns dort die Bäuche voll, wir luden uns den Tisch voll mit marokkanischen Vorspeisen, unser Alltime-Favourite bleibt aber trotzdem ein ganz einfaches Roti Canai, Pfannkuchen mit Curry.
Malaysia ist ein Vielvölkerstaat. Die Hälfte der Einwohner sind Malaiien, fast ein Viertel Chinesen, 10 % gehören zu den indigenen Gruppen und 7% sind Inder. Und dieser Mix macht sich nicht nur beim Essen bemerkbar, sondern überall in Architektur und Alltagsleben. Und es ist ein islamisches Land, aber wir haben es immer als gemäßigt empfunden. An der Ostküste geht es deutlich traditioneller zu als im Westen, trotzdem ist es auch hier eines der wenigen islamischen Länder der Welt, in dem ich mich als Frau stets sicher gefühlt habe. Und Malaysia kann mit zwei vollkommen unterschiedlichen Landesteilen aufwarten: dem Festland, mit Thailand im Norden und Singapur im Süden, zwischen Adamanensee und indischem Ozean gelegen, und den beiden Bundesstaaten Sarawak und Sabah auf der Insel Borneo, die sich Malaysia mit Indonesien teilt.
Erst einmal zum Festland. Die klassische Route führt von KL aus nach Norden über die Teeplantagen der sehr britischen (und damals sehr kühlen) Cameron Highlands zur Insel Penang mit ihrer Hauptstadt Georgetown. Ich war 2016 ja noch mal ein paar Tage dort und verlinke hier auf meinen Bericht. Kultur, tolle kleine Cafés und gutes Essen gefällig? Ab nach Georgetown!
Wir reisten dann weiter nach Kota Bharu an der Ostküste. Der Ort ist mir als wenig spektakulär und tatsächlich eher dreckig in Erinnerung. Ich weiß nur noch, dass wir mit dem Zug fuhren und viele Stunden Verspätung hatten. Immer wieder standen wir längere Zeit, um den Gegenverkehr durchzulassen, aber es war vergnüglich und wir unternahmen einige kurze Spaziergänge, bevor uns das Tröten des Zugs wieder zurückrief. Kota Bharu bietet den Zugang zu den Inseln des Ostens und wir entschieden uns für die Perhentians. Sie waren schon damals nicht mehr ganz unentdeckt, trotz beschwerlicher Anreise mit Bus und kleinem Boot. Aber sie kamen unserer Vorstellung von einer Trauminsel relativ nah. Wir hatten eine recht komfortable Hütte in der Nähe des Strandes, hinter uns begann der Dschungel und abends zogen die Affen über uns hinweg und warfen kleine Stöckchen auf das Wellblechdach unserer Unterkunft. Zum Frühstück gab es die unfassbar leckeren Roti, Pfannkuchen, die aus einem zähen fettigen Teig dünn gebraten und mit gesüßter Kondensmilch oder einem leckeren Curry serviert werden. Eric aß dort sein erstes und wahrscheinlich auch letztes Taschenkrebscurry, es war zwar köstlich, aber er musste sich dem Tier, dass in Soße schwamm, mit den Fingern nähern und es gab eine ziemliche Sauerei. Oder eher Krebserei. Ein paar Jahre später, als die Perhentians dann schon voll vom Tourismus entdeckt waren, fanden wir eine weitere Trauminsel an der Ostküste, Lang Tengah, und verbrachten auf diesem kleinen Juwel eigentlich mehr Zeit unter als über Wasser, tauchend und schnorchelnd. Das Korallenriff war direkt vom Strand aus zu erreichen, man watete ein paar Meter durch’s flache Wasser, umgeben von kleinen Riffhaien und ersten bunten Fischen, tauchte dann ab und war im Unterwasserparadies. Einen Neoprenanzug konnte man sich im warmen Wasser sparen, T-Shirt und Tauchjacket drüber, das reichte vollkommen. Bunte Korallen, noch buntere Fische und meine Angst vor Muränen habe ich dort schnell abgelegt. Der Traumstrand dürfte auch heute noch einer sein, das wunderbare Korallenriff wurde leider ein Opfer von El Nino….
Ist man erst mal an der relativ untouristischen Ostküste und hat sich sattgebadet, bietet sich eine Busfahrt der Kontraste ganz hinunter in den Süden an. Ich meine, wir fuhren die 700 Kilometer in zwei Etappen, mit einem Aufenthalt in Kuantan. Bis auf die vorgelagertem Inseln – weiter unten komm noch das wahrscheinlich etwas bekanntere Tioman – findet man relativ wenige Reisende hier. Wir schaukelten in unserem Bus durch Kampungs – Gemeinschaftssiedlungen aus Holzhäusern – immer wieder liefen Affen über die Straße, hier geht es sehr traditionell und sehr islamisch zu. Und plötzlich tauchten in der Ferne die glitzernden Hochhäuser Singapurs auf, unser staubiger Bus fuhr in das futuristische Gebäude des Grenzübergangs Woodlands und wir waren in der Hightech-Zivilisation angekommen. Malaysia war damals schon hochpreisiger als andere südostasiatische Länder, Singapur toppte das noch und so übernachteten wir dort in einem fensterlosen Zimmerchen außerhalb der Innenstadt. Aber: es hat sich gelohnt. Gerade auch weil der Gegensatz zur ländlichen Ostküste Malaysias so schrill war. Wir zogen durch die Shopping Malls, gönnten uns einen Singapore Sling im Innenhof des berühmten Raffles-Hotel und schlemmten uns durch Hawker Center. Was uns immer in Erinnerung bleiben wird, ist ein Besuch im Nachtzoo. Erst nach Sonnenuntergang öffnet der die Pforten und durch ein besonderes Spiel mit Licht und Schatten hat man den Eindruck, in der nächtlichen Landschaft direkten Kontakt mit den Tieren zu haben. Die Absperrungen sieht man kaum, die Tiere sind sehr aktiv und wir hatten das Gefühl, von der puren Exotik umrundet zu sein. Wir verließen Singapur schweren Herzens mit dem Zug nach Malakka, eine damals noch etwas vor sich hindämmernde historische Perle an der Westküste Malaysias, die mittlerweile sicherlich ihre volle kolonialen Pracht entfaltet hat. In Seremban verbrachten wir unsere letzte Nacht, KL umgehen war ja immer noch unsere Devise.
Eine klassische Umrundung Festlandmalaysias hatten wir damit geschafft und das anfängliche Unbehagen Schritt für Schritt abgelegt. Nicht so voll wie Thailand, immer wieder sehr ursprünglich, sensationelles Essen, erstaunlich einfach zu bereisen und mit spektakulärer Natur – das waren die Eindrücke, die wir von unserer ersten Malaysia-Reise mitnahmen.
Es folgten in den kommenden Jahren noch vier weitere – auch weil wir den Sprung vom Festland nach Ostmalaysia auf die Insel Borneo wagten. In der freundlichen Hauptstadt des Bundesstaates Sarawak, Kuching, kann man locker ein paar Tage verbringen. Man muss es auch, denn Reisen in Sarawak sind nicht ganz einfach und viele Wege führen dann doch immer wieder nach Kuching zurück. Aber die hübsche Promenade am Fluss, die schönen ethnologischen Museen und das leckere Essen (unser Favorit war das Open Air Restaurant auf dem Dach des großen Parkhauses in der Innenstadt mit einer Riesenauswahl merkwürdigen Seegetiers) machen es zu einem Vergnügen. Und dann diese besondere Atmosphäre – man spürt einfach, dass hinter Kuching das abenteuerliche Borneo beginnt, Dschungel, Tiere und das Land der Ureinwohner.
Unseren ersten Dschungelausflug unternahmen wir in den Bako Nationalpark. Keine Busstunde und einen schönen Bootstrip von Kuching entfernt liegt für mich das Paradies. Bako ist anstrengend, bei Hitze und extremer Luftfeuchtigkeit verlangen einem die Trails durch den Dschungel einiges ab, literweise Wasser und Essen muss man mitschleppen, auf den Wanderwegen ist man allein – also zumindest sind keine Menschen dort 🙂 Deswegen kommen zum Glück immer noch relativ wenige Touristen hierher und übernachten tun wegen der Nähe zu Kuching noch weniger. Die kleinen Hütten sind ziemlich basic, das Essen auch, Proviant sollte man sich aus Kuching mitnehmen und nachts muss man sich darauf gefasst machen, dass eine Horde Borneobartschweine um die Hütten wandert und die Wege aufwühlt – ach, und von Kokosnüssen sollte man sich auch nicht erschlagen lassen.Die Wanderwege durch den Park bieten allerdings unfassbare Natur- und Tierbegegnungen, die jeden Liter Schweiß wert sind. Es sind vor allem die Nasenaffen und fleischfressende Pflanzen, die besonders faszinieren. Und von beiden bekommt man reichlich zu sehen. Aber auch dieses Gefühl, wirklich ganz allein im Dschungel zu sein, macht sehr sehr glücklich. Mich zumindest. Ich werde nie das Gefühl vergessen als ich nach unserer ersten Übernachtung schwersten Herzens auschecken wollte, eher beiläufig meinte, eine weitere Nacht könnten wir ja wohl nicht bleiben und der Ranger meinte, er könne ja mal telefonieren. Die Übernachtungen waren damals kompliziert, man musste schon in Kuching buchen und eine Genehmigung einholen. Er kam zurück und sagte ja, ihr könnt noch bleiben, und ich war im siebten Himmel.
Jahre später waren wir mit Patenkind Anna Lena dort und so anstrengend es auch für sie war, ich glaube, sie fand es toll. Anekdötchen: wir saßen beim Frühstück im Freiluftrestaurant und hatten uns als Goodie Schokoaufstrich aus Kuching mitgebracht. Wir waren noch beim ersten Kaffee als es Zack machte, ein behaarter Arm griff zu und weg war unser Nutella. Es war ein Makake gewesen, der sich in Sichtweite von uns hungrigen Eigentümern in einem Busch niederließ, das Glas professionell aufschraubte und Finger für Finger den Inhalt leerte – wir schwören, er hat uns dabei angegrinst.
Eine der Attraktionen Sarawaks sind die Langhäuser der Iban, Gemeinschaftshäuser, in denen ganze Dorfgemeinschaften leben. Und so touristisch unentwickelt Sarawak damals war, Hilton konnte mit einer Attraktion aufwarten: einem luxuriösen Langhaus mitten im Dschungel. Das Batang Ai Hilton haben wir uns nach einigem Überlegen und Rechnen geleistet – und es war sein Geld wert. Auch weil wir fast allein dort waren. Und wir einen Ausflug in ein echtes Langhaus machen durften, zu den wild tätowierten Iban, die uns stolz ihre Schrumpfköpfe präsentierten.
Mit einem breiten Lächeln denke ich an Mukah zurück, einem kleinen Städtchen der Melanau etwa 400 km östlich von Kuching. Wir wollten mehr sehen von Sarawak, hatten eine weitere Reise dorthin geplant, ich lag krank im Bett in Stuttgart und fing an zu googeln. Wieder gesund buchte ich den Flug in der Mini-Maschine und kontaktierte das Kulturzentrum „Lamin Dana“, in dem man auch übernachten kann: http://www.lamindana.com/index.php Der Flug von Kuching aus in diesem winzigen Flugzeug über den Urwald, durch den sich breite Flüsse schlängelten, die herzliche Begrüßung, das Haus am Wasser, von dessen Terrasse aus man stundenlang dem Leben am Fluss und den Flößern zugucken konnte – Erinnerung, in denen ich gerne versinke. Das Highlight war ein Ausflug mit dem Kayak entlang des Flusses, die freundlichen Menschen, die am und vom Wasser leben, uns scheu, erstaunt oder herzlich zuwinkten, eine wunderbare Erfahrung.
So viel gibt es zu erleben in diesem tollen Land und vieles haben wir noch gar nicht gesehen. Bis Sabah, dem östlichen malaiischen Bundesstaat auf Borneo haben wir es nicht geschafft, und so wirklich viel von Sarawak auch nicht gesehen. Einen ganz guten Eindruck haben wir von Festlandmalaysia, das ist allerdings viele Jahre her. Sicherlich hat sich in allen Orten unglaublich viel getan. Aber das klassische Touristenziel in Südostasien ist Malaysia immer noch nicht. Der Titel der Tourismuskampagne war damals „Malaysia truly Asia“. Und der Spruch passt wirklich fast genauso gut wie „Incredible India“.
Also, wenn wir uns dann alle wieder auf den Weg machen können, vielleicht auch mal über Malaysia nachdenken. Wer sich durch Asien schlemmen möchte, zur Not das Frühstück auch mal mit Makaken teilt, einen bunten Völkermix erleben will und vor allem auf unvergessliche Naturerlebnisse aus ist, der ist hier genau richtig!
Fast zehn Jahre ist es her, dass wir uns für Sri Lanka als Reiseziel entschieden hatten. Lang her und deswegen trügt mich meine Erinnerung wahrscheinlich, aber ich meine, einer der Gründe für unsere Entscheidung war, dass wir zu spät für Indien dran waren. Sri Lanka konnte man damals noch ohne Visum bereisen, was heute nicht mehr der Fall ist. Aber immer noch ist es deutlich einfacher und schneller, eine Einreisegenehmigung für das frühere Ceylon zu erhalten als für den riesigen Nachbarn.
Also Sri Lanka, die Träne Indiens. Der Name hat ausschließlich etwas mit der Form der Insel zu tun, die an der Südspitze des Subkontinents im indischen Ozean alles andere als Traurigkeit bietet. Und das trotz über 25 Jahre Bürgerkrieg, der damals gerade zu Ende gegangen war, und dem Tsunami von 2004. Besser nicht in den tamilischen Norden fahren, das war die einzige Einschränkung, an die wir uns halten wollten, und so ging es im September 2010 von Frankfurt nach Colombo.
Viele Touristen kriegen die Hauptstadt Sri Lankas gar nicht zu sehen, weil sie gleich an die Badeorte weiterreisen und viel verpassen tun sie dabei nicht unbedingt. Aber: in der ansonsten weitgehend attraktionslosen Hauptstadt begegnete uns gleich der erste koloniale Traum. Und weitere sollten folgen…. Einen entspannten Sun Downer auf der Veranda mit Blick über den indischen Ozean im Galle Face Hotel, eine leckere erste Begegnung mit der ceylonesischen Küche im Curry Leaf Restaurant – der Urlaub konnte kommen.
Nach den ersten nachgerade luxuriösen Tagen waren wir bereit für’s Abenteuer und wollten das Hochland Sri Lankas erobern. Mit dem Zug ging es in eine Stadt mit dem köstlichen Namen Kandy. Bezeichnenderweise wird hier ein Zahn Buddhas im „Temple of the sacred tooth relic“ verehrt, er ging aber weder dort verloren noch war Zucker dafür ursächlich. Die Fahrt in einem rumpligen, in die Jahre gekommenen Zug durch die zunehmend grünere Landschaft hinauf ins Hochland, durch Dschungel und Teeplantagen war spektakulär. So richtig in Erinnerung blieb sie mir aber, weil die Zugtüren die ganze Zeit über geöffnet waren und man sich gemütlich auf den Ausstiegsstufen niederlassen und sich den Fahrtwind um die Nase wehen lassen konnte. Echte Hochgeschwindigkeiten werden hier nicht erreicht und wir waren halt auch noch zehn Jahre jünger 🙂
Sri Lanka hat eine eigene Elefantenart, bedroht wie so viele, aber im Pinnewala Elefanten Waisenhaus wird ihnen ein wenig geholfen. Verwaiste und verletzte Elefanten werden hier aufgepäppelt und bescheren den Touristen einige wunderbare Momente, wenn sie sie beim großen Elefantenbaden beobachten dürfen. Für uns war es der allererste Kontakt aus unmittelbarer Nähe, damals noch mit einer überschaubaren Zahl von Mittouristen. Die Einrichtung ist wohl mittlerweile umstritten, wir haben es vor 10 Jahren als recht positiv empfunden.
Was Sri Lanka besonders faszinierend macht ist die tiefe Spiritualität der Menschen. Die Tempel sind fast immer voll, Feiertag hin oder her. Die Menschen sehen indisch aus, die Zeremonien sind buddhistisch, es ist immer eine ganz besondere, lebendige Atmosphäre, bei der Feuer in Form von hunderten Öllämpchen und Rauch eine große Rolle spielen.
Und einen ganz besonderen Einblick in das religiöse Leben bekommt man im „Cultural Triangle“, dessen Eckpunkte die heiligen Städte Kandy, Anuradhapura und Polonnaruwa bilden. Es gibt so unglaublich viel zu sehen in diesem Gebiet, hier lohnt eine organisierte Tour oder ein eigener Fahrer. Wir entschieden uns für letzteres und bekamen in den folgenden Tagen Dagobas satt. Dagoba ist die singhalesische Version der Stupa, buddhistische Bauwerke, riesige Halbkugeln mit charakteristischer Spitze, die wie eine Antenne in eine andere Welt wirkt. Das Bauwerk selber dient maximal der Aufbewahrung von Reliquien, wirklich begehbar sind sie nicht. Trotzdem sind sie riesig, perfekt halbrund geformt und umgeben von lebendigem religiösen Leben.
So indisch Sri Lanka auf den ersten Blick wirkt, drei Viertel der Bevölkerung sind Buddhisten, die bunten hinduistischen Tempel und prachtvollen Saris der Frauen findet man maximal im tamilischen Norden – und da gehen wir ja nicht hin. Der Felsentempel in Dambulla ist mir in besonderer Erinnerung geblieben, in fünf prachtvoll bemalten Höhlen finden sich mehr als 150 Buddha-Statuen, ein Weltkulturerbe mit einer ganz besonders schönen Stimmung in der Kühle und dem Halbdunkel.
Aukana mit den riesigen stehenden Buddhas, zu deren Füßen religiöse Zeremonien abgehalten werden, ist ein weiteres Highlight der Tour. Es ist schade, es ist zu lange her als dass ich mich noch daran erinnern kann, wie es genau auf uns gewirkt hat. Aber die Bilder, die ich wirklich schon ewig nicht mehr angeschaut habe, zaubern mir immer mal wieder ein Lächeln auf die Lippen. Woran ich mich noch sehr gut erinnern kann ist der extrem schweißtreibende Aufstieg auf die Felsenfestung Sigiriya, ein weiteres Weltkulturerbe. Steilste Stufen führten uns und viele viele Pilger hinauf auf den 200m steil aufragenden Monolithen.
Es war heiß und ich meine mich zu erinnern, dass wir jeder nur eine Flasche Wasser dabei hatten, im Vertrauen darauf, dass es oben schon was gäbe. Nö…. Aber: überlebt und die Blicke waren toll!
Es gibt so unglaublich viele beeindruckende historische Stätten, aber ganz ehrlich: irgendwann waren wir kultursatt. Und reif für die schöne Natur und eine weitere weltberühmte Spezialität Sri Lankas: Tee. Ella, auf tausend Meter Höhe gelegen ist der perfekte Ort für beides. Wir hatten ein schönes Guesthouse mit spektakulärem Blick gefunden, genossen das im Vergleich zum heißen Flachland fast schon kühle Bergklima, wanderten durch Teeplantagen und in Ermangelung von Wegen und – ganz wie die Einheimischen – auf den Bahngleisen. Belohnt wurden wir mit perfekten Blicken in das weite Grün und der Begleitung durch einen sehr freundlichen Hund. Beim After-Hike-Drink in einem Café im Nirgendwo fragten wir uns, wo wir unseren treuen Kameraden denn jetzt lassen sollten, aber am letzten Abzweig vor unserem Guesthouse drehte er ab und ward nie mehr gesehen.
Als Insel im Traumozean hat Sri Lanka natürlich auch Unmengen von Stränden zu bieten, es war Urlaub und natürlich wollten wir auch Sand und Meer. Wir fanden ihn, den Traumstrand, den wir fast für uns allein hatten, im Süden der Insel. Am Marakolliya Beach verbrachten wir ein paar entspannte Tage. Aber ganz ehrlich, wer klassischen Strandurlaub möchte, dem würden wir Sri Lanka nicht unbedingt empfehlen. Ein Land, in dem das Badevergnügen der Einheimischen darin besteht, in voller Bekleidung maximal hüfttief in der Brandung zu stehen, stellt einen zu heftigen Gegensatz zu den westlichen Badenixen und -wassermännern dar. Der Strand ist häufig schmal und aus heutiger Sicht – wir waren mittlerweile noch zwei mal für Ayurvedakuren dort – haben die vielen vielen Hotels dem Paradiesfeeling den Garaus gemacht. Umso glücklicher sind wir, dass wir damals diesen Strand mit dem schönen Licht gefunden haben.
Ich schrieb am Anfang von den kolonialen Träumen und die sind wirklich ein Grund, nach Sri Lanka zu reisen. Die vielen schönen Gebäude, die Portugiesen waren hier, die Holländer und natürlich die Briten. Und wenigstens haben sie schöne Architektur hinterlassen, die ihre tropische Patina bekommen hat und häufig spektakulär restauriert wurde. Den morbiden Charme alter Zeiten haben wir im Nooit Gedacht in Unawatuna genossen, das Fort von Galle ist ein kleines Gesamtkunstwerk und dort haben wir unser koloniales Paradies gefunden: das Galle Fort Hotel werden wir wohl nie vergessen. Wir wollten uns zum Schluss noch etwas leisten, haben schwäbisch hin und her überlegt und uns dann doch in das nicht ganz günstige, aber noch verschmerzbar teure Hotel eingemietet. Und dann hatten sie sich verbucht. Unser Zimmer – und das war bereits ein Traum – stand nur für eine statt drei Nächten zur Verfügung. Und deswegen wurden wir upgegradet – in eine riesige Suite, die wir gar nicht mehr verlassen wollten, weil sie einfach so so schön war. In jeder Ecke gab es etwas zu entdecken, überall antike Stücke, so platziert als habe sich der Besitzer nur kurz mal an den schönen Pool verabschiedet. Ich glaube, sie haben sich selber gefreut darüber wie wir uns gefreut haben.
Ja, und noch eine wunderbare Erinnerung war der Kochkurs, den wir in Unawatuna gemacht haben. Inklusive Marktbesuch, wo es nicht immer unblutig zuging. Aber die ceylonesische Küche ist so ganz besonders, mit dem typischen Geschmack von Curryblättern und ganz eigenen Currymischungen. Kottu Roti, zerhäckselte Pfannkuchen mit Fleisch oder Gemüse, ist mein ganz großer Favorit. Lohnt sich wirklich sehr, mal in die Sri Lankische Küche reinzuschmecken, aber Achtung: kann höllisch scharf sein!
So, Ihr Lieben, vielleicht konnten wir Euch etwas Lust auf Sri Lanka machen. Was wir damals nicht erlebt haben, war Ayurveda, aber das haben wir später nachgeholt. Ich war 2016 im Lawrence Hill Paradise in Hikkaduwa, unter deutscher Leitung und hier wird Ayurveda sehr professionell betrieben. Eric war letztes Jahr ziemlich angetan vom Pure Nature Ayurveda House in der Nähe von Bentota. Nicht ganz so streng, unter österreichischer Leitung, sehr herzlich. Er schrieb mir damals, es sei eher so Kaffeehaus-Ayurveda 🙂 Ich fürchte, beide Häuser werden gerade wirtschaftlich sehr unsicheren Zeiten entgegenblicken, vielleicht habt ihr in besseren Zeiten mal Lust, euch da zu erholen.
Und wer noch mehr träumen möchte von Sri Lanka (und auch anderen Ländern), dem empfehle ich sehr die Vlogs von Allison und Eric von The Endless Adventure. Sie posten aktuell ihre Videos von Sri Lanka, die sie im Februar gefilmt haben. https://www.youtube.com/watch?v=YmAAz3s8A8c
So Ihr Lieben, jetzt hoffe ich, ich konnte euch kurz entführen in ein wunderbares Land. Mich jedenfalls hat das Sichten von Erics schönen Bildern und das Durchblättern unseres abgegriffenen „Lonely Planet“ wieder zurückversetzt in die schöne Zeit. Und auch wenn wir alle noch etwas länger aussetzen müssen mit der Reiserei – irgendwann geht’s wieder los und bis dahin wühle ich weiter in alten Bildern und meinem Bücherregal mit den Reiseführern. Ist noch genügend Material da 🙂
Und schon war’s das wieder mit Wroclaw. Unglaublich, wie schnell neun Tage vorbeigehen. Das Wetter meint es heute etwas besser und so genieße ich den letzten Abend, wie der erste begann: auf dem Marktplatz mit einem Bier.
Wroclaw ist eine Reise wert, auf jeden Fall. Und zwei oder drei Tage sind zu wenig für diese spannende Stadt. Nicht nur bei gutem Wetter kann man es hier mindestens eine Woche gut aushalten und jeden Tag aufregende Dinge erleben. Wohnt man in oder nahe der Altstadt braucht man kein Auto, auch Tagesausflüge gehen gut mit der Bahn. So wie meiner nach Swidnica, dem früheren Schneidwitz. Etwa eine Stunde dauert die Fahrt, das Ticket ist günstig, die Züge modern und pünktlich. Auch in Swidnica findet sich ein hübscher Marktplatz mit bunten Häusern, die eigentliche Attraktion ist aber die Friedenskirche, mal wieder ein Weltkulturerbe. Im Jahr 1657 erbaut vermutet man hinter der Fachwerkkonstruktion nicht unbedingt eine Kirche. Und das ist gewollt, sie wurde nämlich in Folge des Westfälischen Friedens erbaut. Die dortige Vereinbarung für Schlesien ließ drei evangelische Kirchen im ganzen Land zu. Aber unter Bedingungen: nicht aussehen wie eine Kirche, auf möglichst schwierigem Grund bauen, mit möglichst ungeeigneten Materialien und in maximal einem Jahr. Sie haben’s geschafft, sogar in nur zehn Monaten, kein Nagel hält die Kirche zusammen und ihr Inneres ist prachtvoll. Wär das nicht ein Modell für die marode deutsche Bahn? Nur drei Großprojekte und maximal ein Jahr? Das mit dem möglichst schwierigen Grund halten sie in Stuttgart ja schon ein. Wir hätten einige Probleme weniger…
Wer es je nach Swidnica schaffen sollte: unbedingt dem Café Baroc am Eingang zum Kirchengelände einen Besuch abstatten, so historisch bekommt man seinen Kaffee selten serviert.
An einem strahlenden Morgen bekomme ich endlich die Gelegenheit, mir die Altstadt von Wroclaw mal von oben anzuschauen. Rauf auf den Turm der Elisabethkirche ist zwar schweißtreibend, aber das Panorama wirklich schön. Nur abwärts ist schrecklich, die enge gewundene Treppe mit stetem Gegenverkehr macht keinen Spaß, aber runter muss ich ja irgendwie. Viel angenehmer ist da die Aussichtsplattform der Universität. Auch von hier hat man einen schönen Blick, vielleicht nicht ganz so weit, dafür über gut ausgebaute, breite Treppen erreichbar. Die Uni ist eine Sehenswürdigkeit für sich, Breslau war eine europaweit anerkannte Hochschule und nach 1945 wurde hier quasi die Lemberger Professorenschaft angesiedelt. Die prunkvollen Säle waren schwer zerstört und wurden teilweise erst vor einigen Jahren rekonstruiert. Eine altehrwürdige Institution, die viel auf ihre Traditionen zu halten scheint. Das merkt man schon an der langen Galerie der Rektoren, alle im hermelinbesetzten Umhang mit Zepter. Nur ganz zum Schluss ein Outlaw: Prof. Pacholski, Rektor von 2005-2008, hat sich hemdsärmelig porträtieren lassen. Den roten Umhang locker über den Arm geworfen, sticht er aus der ehrwürdigen Reihe heraus. Ich glaub, mit dem hätte ich gerne zusammengearbeitet 🙂
Und wenn wir schon bei den Outlaws sind, jetzt endlich zu den Zwergen. Wieviele über das Stadtgebiet verteilt sind, weiß wohl niemand genau, die Angaben schwanken zwischen 150 und 600. Ursprünglich waren sie ein Symbol der „Orangen Alternative“, einer Spaß-Guerilla zu Zeiten des Kriegsrechts, und ich finde, das passt so gut zu den Polen: verschmitzter Protest. Mittlerweile schmücken sich viele Geschäfte mit den kleinen Gnomen, häufig passend zum Gewerbe und immer aufwändig gearbeitet sind sie zum Liebling der Touristen geworden. Für einen Urlaub mit Kindern ist die Zwergensuche sicherlich ein Highlight. Es gibt sie ganz klassisch weintrinkend vor dem Rathauskeller, aber auch sehr modern mit Laptop. Vor dem Geldautomaten stehen sie und kontrollieren die Abhebungen mit dem Rechenschieber, räkeln sich im Bett vor dem Art Hotel oder diskutieren Baupläne vor dem Architektenbüro. Jedenfalls zaubern sie einem immer ein Lächeln auf’s Gesicht.
So vieles könnte ich noch berichten von dieser schönen Stadt. Vom Lampenanzünder, der im schwarzen Umhang jeden Abend seine Runde über die Dominsel dreht. Von den modernen Shoppingcentern, die durchaus Spaß machen an einem verregneten Nachmittag. Von der fabelhaften, gut gelaunten polnisch-italienischen Frisörcrew von Fabryka No1, die mich vorhin verschönerte und sich über ihr Werk fast noch mehr gefreut hat als ich. Von der Markthalle, in der sie Steinpilze für 10 Euro das Kilo verkaufen. Den hübschen Parks und und und. Also, bevor es Wroclaw ergeht wie dem überfüllten Krakau oder Prag: herkommen und genießen!!!
Es war eine gute Entscheidung, Wroclaw neun Tage zu geben. Es gibt so viel zu sehen und zu erleben, was laut Reiseführer auch in einem verlängerten Wochenende zu schaffen wäre, aber seit unserer großen Reise begreife ich das als den wahren Luxus: viel Zeit, um die Atmosphäre aufzunehmen. Und so steuere ich pro Tag maximal zwei Sehenswürdig-keiten an. Mal das Nationalmuseum, das nicht nur einen guten Überblick über die polnische und schlesische Kunst gibt, sondern auch in einem sehr stimmungsvollen Gebäude untergebracht ist. Dann den Scheitniger Park mit der Jahrhunderthalle, die Werkbundsiedlung, den jüdischen Friedhof oder einen abgedrehten Wasserturm.
Da bleibt zwischendrin genügend Zeit für das, was mir beim Reisen mindestens genauso wichtig ist wie die Sehenswürdigkeiten: das Essen. Schon in Krakau hatte ichmich an der polnischen Küche glücklich gegessen. Hier kommen neben der klassischen polnischen auch noch die schlesische und Lemberger Küche hinzu. Ente gehört dazu, Piroggen und die vielen Süßspeisen, die ich als Souvenir auf meinen Hüften mit nach Hause tragen werde. Den ersten Abend – dem wohl ersten und letzten, an dem es warm genug war, draußen zu sitzen – beginne ich mit Entenschlegel, schlesischen Klößen und der obligatorischen roten Bete auf dem Rynek. Dazu ein leckeres Bier, das ich am nächsten Tag aber so deutlich spüre, dass ich ab jetzt alkoholfrei weitermache. Schlesische Klöße sind Kartoffelklöße, klein und mit einem Schlitz, damit sie ganz viel Soße transportieren können. Das ist doch schon mal ein Start. Die Breslauer Studentenkultur treibt mich am Morgen in ein Frühstückskaffee, gesunde Smoothies und Bowls und viel pastellige Gemütlichkeit. Das nette Mädel am Tresen erklärt mir die Kreationen, Mangoporridge hätten sie und ich kann noch verschiedene Toppings wählen. Oh, das hört sich gut an! Sie empfiehlt Erdnussbutter und Schokolade – das verstehen die Polen also unter gesund. Wir einigen uns dann auf Erdbeeren, Chia und Cashew und es ist köstlich. Sehr populär sind Buffetrestaurants, in denen man das Essen nach Gewicht zahlt. So wie in der Mensa gegenüber der Universitätsbauten, sehr leckeres Essen mit Exklusivblick auf die barocke Pracht. Einmal quer durch die polnische Hausmannsküche kann man sich an diesen Buffets essen, Qualität und Geschmack stimmen und man muss sich nicht mit Speisekarten herumschlagen, die man nicht versteht. Obwohl, einiges scheint eingepolnischt und zwar auf sehr nette Weise. Ich entdecke in einer Bäckerei Torty, geröstetes Brot läuft hier unter Tosty und lustig sind auch Burgery, Wursty und Hotdogi. Warum das Hotdogi wohl kein y bekommt, sondern nur ein schnödes i? Aber am meisten gefällt mir eine Entdeckung aus dem Supermarkt, Fleischbällchen heißen hier Klopsy.
Aber weiter mit den Dingen, die unaussprechlich lecker sind. Zapiekanka zum Beispiel, überbackene Baguettes, meist mit sahniger Pilzbeteiligung, eine Riesenportion für einen Euro, da ist man satt bis zum Abend. Wofür man unbedingt Platz lassen sollte sind die köstlichen Krapfen, Paczki, so viel fluffiger als unsere pappigen Berliner und mit herrlichsten Füllungen. Kinder Bueno ist mein absoluter Favorit, für einen Euro kriegt mein ein ofenwarmes Riesenexemplar, das sehr glücklich macht. Tartar ist eine gesamtpolnische Leckerei, die in der Vorsalmonellen-Zeit bei uns ab und an als Sonntagabendbrot auf den Tisch kam. Sollte das rohe Fleisch und Ei irgendwelche Würmer in mir zum Leben bringen, hat es sich wenigstens gelohnt. Lody, polnisches Eis, darf ich nicht vergessen. Eigentlich nicht die Temperatur dafür, aber Eisdielen sind hier allgegenwärtig und an Kreationen wie Schokolade mit Pflaume oder Peanutbutter kann ich einfach nicht vorbei gehen. Und dann das, was sie als heiße Schokolade und nie ohne Sahne verkaufen. Unschaffbar eigentlich. Schmeckt wie eine Tafel feinster Schokolade, die man in Sahne aufgelöst hat, und weil’s dann kalorienmäßig grad egal ist, kommt noch Schlagsahne obendrauf. Ich hätte mir den Rest, den ich übrig lassen musste, weil mein Magen wirklich rebellierte, am liebsten einpacken lassen. Eigentlich wäre danach ein Wodka fällig gewesen, hier günstig und in unzähligen Geschmacksrichtungen erhältlich, aber ich lass das mit dem Alkohol ja gerade und Wodka steht auf meiner Hitliste sowieso ziemlich weit hinten.
Damit aber nicht der Eindruck entsteht, ich würde nur und ausschließlich essen, noch ein paar Worte über die Avantgarde-Architektur in Breslau. Highlight ist hier die Jahrhunderthalle aus dem Jahr 1913, mittlerweile Weltkulturerbe. Leider leider wird sie derzeit restauriert und der gigantische freitragende Kuppelbau kann nur von außen besichtigt werden. Auch der Vier-Kuppel-Pavillon daneben gehört zum Weltkulturerbe und beherbergt heute eine Kunstausstellung. Nach einemschönen Spaziergang durch den Scheitniger Park komme ich zum Gelände der WuWA, der „Wohnen und Werkraum-Ausstellung“ aus dem Jahr 1929. Ähnlich der Weißenhofsiedlung in Stuttgart tobten sich die Architekten hier aus und das Ergebnis wirkt heute noch modern. Zwischen Park und Moderne kann man Stunden verbringen, perfekt für einen kalten, aber strahlenden Sonntag. Diesen Teil Wroclaws sollte man sich trotz der pittoresken Altstadt auf keinen Fall entgehen lassen.
Aber es gibt noch so viel mehr. Eine Kirche, die nicht wie eine aussehen darf, strahlende Panoramen und natürlich die vielen kleinen Zwerge, die sich an den Ecken der Stadt herumdrücken. Davon später mehr.
Ein zweiter großer Urlaub in diesem Jahr sollte es werden, aber mit ein bisschen mehr innerer Einkehr. Nach dem großartigen Usbekistan wollte ich mich eigentlich auf die große Ahnenreise machen, nach Pommern und an die polnische Ostseeküste. Das Auto war gebucht, ein Zwischenstopp zur Apfelernte bei Coco in MeckPomm verabredet und dann schlug das zu, was man formal einen Trauerfall im engsten Familienkreis nennt. Mitten aus dem vollen Leben heraus und vollkommen unerwartet. Und nicht die Generation vor uns, Eltern oder alte Menschen, die schon lange leiden, bei denen man von einer Erlösung oder einem langen Leben spricht. Es betrifft nicht meine, sondern Erics Familie und damit ja eigentlich doch meine, aber einen Namen und Verwandtschaftsgrad zu nennen, steht nur Eric zu.
Die Trauer ist eine Seite, die Fassungslosigkeit eine andere und bei allem schwingen die Gedanken mit, die ich mir über mein eigenes Leben mache. Wenn es mich treffen würde, könnte ich auf ein erfülltes Leben zurückblicken? Was habe ich erreicht, was hinterlasse ich, was bleibt von mir? Alles Gedanken, mit denen ich nicht an einer herbstlich-grauen Ostseeküste allein sein möchte. Also rein ins Leben und nach einer gar nicht so einfachen Suche (Algarve? Kapverden? Südtirol?) habe ich mich für eine Städtereise entschieden. Und weil ich Polen sowieso auf dem Plan hatte und Essen und Trinken bekanntlich ja Leib und Seele zusammenhält, bin ich jetzt in Wroclaw angekommen. Breslau, sagte ich der netten Dame beim Einchecken, die den Namen so gar nicht aussprechen konnte, und sie grinste und meinte „Das ist besser.“. Aber wie in Rumänien auch, wo Orte wie Sibiu oder Brasov ohne jedes revisionistische Geschmäckle Hermannstadt und Kronstadt genannt werden dürfen, scheinen sie hier kein Problem mit dem deutschen Namen der Stadt zu haben.
So richtig Glück mit dem Wetter hatte ich bisher nicht in Polen. Vor zwei Jahren in Krakau war es kalt und hier regnet und windet es. Vielleicht sollte ich es doch mal mit den Sommermonaten versuchen 🙂 Die Nässe treibt mich einerseits in die wunderschönen Cafes der Stadt und von denen gibt es einige. Und dann ins Stadtmuseum, damit müsste man eigentlich anfangen, um die Stadt ein wenig zu verstehen. 1000 Jahre Stadtgeschichte, eine polnische Gründung, mit wechselvollen Zugehörigkeiten, mal zu Böhmen, mal zum habsburgischen, preußischen oder deutschen Reich und jetzt eben wieder zu Polen. In der Altstadt Breslaus wird man an jeder Ecke auf die
deutsche Vergangenheit der Stadt gestoßen, Bauweise, Inschriften, die Galerie berühmter Schlesier im alten Rathaus, die fast nur deutsche Namen umfasst. Ein ganz merkwürdiges Gefühl, das ich schon von meinem Besuch im pommerschen Schivelbein, dem heutigen Swidwin, kenne. Eine deutsche Kulisse, der die Polen das Leben einhauchen. Aber man stolpert auch stetig über den Namen einer weiteren Stadt, die in der heutigen Ukraine liegt und in die ich auch gerne gefahren wäre: Lemberg oder ukrainisch Lwiw. Denn nachdem die Deutschen aus Breslau flüchten mussten, kamen die Vertriebenen aus Lemberg und ließen sich hier nieder. Und bauten das Desaster, das die Deutschen ihnen hinterlassen hatten, liebevoll wieder auf.
Breslau steht für eine der sinnlosesten Zerstörungen des zweiten Weltkriegs. Für die Sicherung der „Festung Breslau“ in einem schon verlorenen Krieg wurden Menschen und Gebäude, der Geist einer ganzen Stadt, geopfert. Neben den mir bisher bekannten Nazi-Verbrechern hat sich Gauleiter Karl Hanke hier als Oberidiot hervorgetan, der „Henker von Breslau“. Nach hunderten Bürgern schnell noch mal den Bürgermeister von Breslau umgebracht, weil der das Leben der Verbliebenen retten und die Stadt übergeben wollte. Und sich dann selber aus dem Staub machen. Nachdem der Herr Gauleiter im Januar 1945 tausende von Frauen und Kinder in die Winterhölle „evakuierte“, die viele nicht überlebten.
Die Stadt ist wieder auferstanden und heute eine der wohlhabendsten in Polen. Die Uni mit ihren vielen Erasmusstudenten lässt sie jung und international erscheinen, aber in der Altstadt fallen auch viele recht alte Touristen auf und man spürt sofort – hier war einmal ihre Heimat. Der Marktplatz Rynek ist das Herz der Altstadt, bunte Bürgerhäuser rundum mit gemütlichen, untouristisch günstigen Restaurants, das backsteinerne alte Rathaus neben dem neugotischen neuen Rathaus in der Mitte, ein lebendiges Zentrum. An der Ecke zum Salzmarkt mit seinen Blumenständen scheint sich eine Bank mit einem Neubau versündigt zu haben. Wenn man näher kommt, wird aber klar, dass es sich um die schon früh sehr moderne Seite Breslaus handelt – Bauhaus. Avantgardebauten gibt es noch einige hier, aber die erkunde ich später. Zuerst muss ich die alten Gebäude genießen, die beeindruckenden Backsteinkirchen, die Passagen und Gässchen, die verborgenen Innenhöfe und Gärten. Historisches Islandhopping, denn die Innenstadt liegt auf mehreren Inseln in der Oder.
Und dann diese tollen Cafes! Überall findet sich ein gemütliches Eckchen für einen leckeren Kaffee oder „Herbata“, Kräutertee. Traditionell polnisches Essen neben hippen Sushi-, Burger- und Pokebars, alles recht günstig und sehr lecker. Die Straßen rund um den Marktplatz sind fast alle autofrei, E-Roller kurven natürlich auch hier schon und das Angebot der Geschäfte kennt man leider aus deutschen und wahrscheinlich fast allen europäischen Innenstädten. Aber das Bummeln macht hier mehr Spaß, weil man überall Neues entdeckt. Zum Beispiel viele wundersame Zwerge, denen ich demnächst einen ganzen Tag widmen möchte.
Mein erstes Fazit: ein toller Ort für eine tolle Städtereise! Wroclaw berührt und begeistert. Im Sommer wahrscheinlich noch mehr als jetzt im kühlen Herbst, aber der sorgt dann für Genuss in den Museen und Cafes. Also eigentlich doch was für jede Jahreszeit!
Und ganz zum Schluss gönnen wir uns noch ein schönes Hotel in Taschkent. Soll ja auch ein bisschen Erholung sein. Das Ichan Qala gehört zu den ersten Häusern am Platz, für unsere Verhältnisse immer noch recht erschwinglich, und hier bekommen wir einen sehr interessanten Einblick in das Leben der usbekischen Oberschicht.
Erst sind wir vom Zimmer etwas enttäuscht, ganz schön geschmacklos für unsere Verhältnisse, mit usbekisch hartem Bett und einem lilafarbenen Sofa, das jeder Beschreibung trotzt. Aber alles in allem recht angenehm. Das Hotel hat zwei Pools und das ist jetzt wirklich ein echter Luxus im heißen Taschkent. Den großen Innenpool haben wir ganz für uns alleine. Aber wer kam eigentlich auf die Idee, ihn mit einem Hai zu dekorieren? Am schönen Außenpool hämmert den ganzen Tag und Abend Discomusik. In großen aufblasbaren Plastikschwänen kann man sich übers Wasser treiben lassen und die Parade der Mädels der usbekischen High Society beobachten. Sehr russisch wirkt das alles auf uns. Designer-Bikinis, Designer-Lippen und Designer-Busen, Schwimmen nur mit überdimensionaler Sonnenbrille und am Beckenrand gelangweilt auf dem Handy rumtippen. Hier wird jedes Klischee bedient. Das Frühstück wird von Live-Musik begleitet, ein Geiger und so etwas wie eine Zither, was sich zunächst nach usbekischen Volksweisen anhört, entpuppt sich dann doch als eine Interpretation der internationalen Charts.Bräute in opulenten Hochzeitskleidern lassen sich im Eingangsbereich fotografieren. Unser Wirt in Buchara hatte uns erzählt, dass er zwei Jahre in Dubai arbeiten musste, um sich seine Hochzeit leisten zu können, das sei die Party des Lebens und unter 500 Gästen müsste man gar nicht erst anfangen zu feiern.
Vor dem Hotel parken große deutsche Autos, die ersten, die wir hier sehen. Und dann wir mit Birkenstocks und schon etwas ausgeleierten Hosen. Na ja, sie finden ja alle Deutschland so toll 🙂 Ich schmeiße mich auf einen goldenen Schwan, in meinem Adidas-Badeanzug , blicke durch meine Tchibo-Sonnenbrille und versuche, mich kurz wie eine Oligarchin zu fühlen. Macht Spaß!
Heute wollen wir gar nicht raus aus dem Hotel, die Sehenswürdigkeiten Taschkents haben wir besucht und erst spät treibt uns der Hunger in eine coole Burgerbar. Ich bekomme einen pinkfarbenen, Erics Burger sieht relativ normal aus, aber sie haben uns schwarze Latexhandschuhe dazu gelegt und die brauchen wir. Sehr saftig, diese Burger, und eine ziemliche Schweinerei, aber das scheint gerade echt in zu sein. Nicht ganz einer Oligarchin würdig, aber hip und ein lustiges Ende unseres Luxustages.
Unsere Reise nach Usbekistan ist zu Ende. Beim Zwischenstopp auf dem Istanbuler Flughafen ist Zeit für ein Resümee. Toll war’s. So viele neue Eindrücke. So anders als erwartet. So viel Schönheit. So nette Menschen. So entspannt. Und so viel einfacher als wohl noch vor einem Jahr. Usbekistan will den Tourismus und die Menschen, auch die in Uniformen, wollen endlich so nett sein dürfen, wie sie eigentlich sind.
Was hat Dir am besten gefallen, fragt mich Eric. Samarkand, antworte ich spontan. Doch dann fällt mir auch Chiwa ein und das Teehaus in Buchara und der Keramikmeister im Fergana-Tal, die hinreißenden Kinder und die leckeren Somsas. Aber eigentlich sind es die Farben, diese strahlenden Blau-, Grün- und Türkistöne, die Usbekistan so besonders machen. Ich bin froh, dass wir uns so viel Zeit für den Registan in Samarkand oder die Türme in Chiwa genommen haben, dass wir versucht haben, uns an der Schönheit sattzusehen. Hat natürlich nicht geklappt, aber die Blicke haben sich schon sehr fest eingeprägt. Und es ist die Freundlichkeit der Menschen, die entspannte Lebensart, die das Land zu einem Erlebnis machen. Einmal in die Kissen eines Tapchans geworfen, hat man wenig Lust, diesen gemütlichen Ort wieder zu verlassen.
In jedem Fall war Usbekistan eine ganz neue Erfahrung, die schon wieder so viel Lust aufs Weiterreisen macht, dass mich der große Globonauten-kater zu überfallen droht. Es gibt so viele unglaubliche Orte auf dieser Welt und ich möchte sie am liebsten alle sehen.
Ein bisschen Abenteuer muss ja sein. Das Reisen auf der klassischen Seidenstraßenroute ist angenehm, die Abfolge der Orte vorgezeichnet und die touristische Infrastruktur gut. Wir haben noch eine knappe Woche Zeit und es gibt zwei Optionen, um von der Route abzuweichen: entweder in den Süden nach Termez an die afghanische Grenze. Das wäre für Eric natürlich toll, ein kurzer Blick hinüber ins Vaterland. Oder in den Osten ins Fergana-Tal. Termez ist der heißeste Ort Usbekistans und der Transport beschwerlich. Ins Fergana-Tal gibt es einen Direktzug von Samarkand aus, da fällt die Entscheidung dann leicht. Also besteigen wir am Morgen einen Wagen, der mich ziemlich an unsere Klassenreise in die Sowjetunion im Sommer 1983 erinnert. Ein Großraum-Schlafwagen, in offenen Abteilen jeweils zwei Liegen unten und oben. Uns gehören zwei untere, aber eine etwas mürrisch blickende Usbekin ignoriert uns, sie hat oben geschlafen und will jetzt unten frühstücken. Wir sitzen etwas unschlüssig auf unserer einen Liege, da entschließt sie sich, ihre Morgentoilette zu erledigen und verschwindet um die Ecke. Und gleichzeitig biegt der Schaffner um selbige, wir fragen ihn per Google Translate ganz unschuldig, wo Nummer 33 und 35 sei, da schreitet er zur Tat und bereitet uns zwei Schlaflager mit blütenweißer Bettwäsche. Als die Matrone frisch gewaschen zurück kommt, liege ich schon im Bettchen und sie muss nach oben klettern. Der Wagen ist insgesamt nicht in allerbestem Zustand, was uns nicht unbedingt stören würde. Schade ist nur, dass die Fenster so verdreckt sind, dass wir die dahinterliegende Landschaft nur erahnen können. Aber es wäre ja auch zu perfekt, gemütlich liegend dahinzuschaukeln und vom Bett aus die grandiose Bergwelt betrachten zu können. Neun Stunden dauert die Fahrt, das reicht für ein ganzes Buch und kurze Schlummer. Als wir um halb fünf in Kokand ankommen, fühlen wir uns fast ein bisschen erholt.
Unser Hotel ist ziemlich neu und entspricht wohl dem, was sich der moderne Usbeke unter einer gehobenen Unterkunft vorstellt. Viel glänzender Marmorfußboden, Tapeten mit europäischen Wahrzeichen, glanzfurnierte Möbel, aber so richtig wohl fühle ich mich nicht. Der Restauranttipp des Rezeptionisten scheitert daran, dass wir kein Wort auf der Karte verstehen und uns Goggle Translate wieder mal im Stich lässt. Also gehen wir weiter und hoffen auf ein Restaurant in der Stadtmitte. Auf dem Weg dorthin fühlen wir uns ein wenig in den Wilden Westen versetzt – Autos jagen mit quietschenden Reifen durch die Straßen, Gehupe, ein Wagen überholt einen anderen und bremst diesen aus, bis beide zum Stillstand kommen. Die Fahrer springen raus, schreien sich an – hui, hier weht ein anderer Wind als im beschaulichen Samarkand. Das wilde Fergana-Tal ist für seine eigensinnigen Einwohner bekannt, wahrscheinlich alles Nachfahren von verwegenen Steppenreitern. Die Innenstadt hat das ein oder andere hübsche Haus zu bieten, aber so richtig einladend ist das alles nicht und zu essen gibt es auch kaum was. Am Ende werden es Hamburger. Oh je, was wollen wir hier?
Der nächste Tag wird dann schon etwas netter,
Kokand hat einen Khanspalast, der bestimmt einmal ganz grandios sein wird, wenn die Restaurierungsarbeiten abgeschlossen sind, aber wir sind gerade dankbar für alles. Dahinter finden wir ein Restaurant mit englischer Speisekarte und das mittelmäßige Geschnetzelte mundet uns plötzlich ganz hervorragend, so erleichtert sind wir, dass wir die nächsten Tage nicht von Fast Food leben müssen. Wir schlendern weiter und kommen zu einem kleinen Mausoleum auf einem Friedhof, das ein Treffpunkt des Viertels zu sein scheint. Im Eingangsbereich haben sich zwei Frauen niedergelassen, die Massagen und Behandlungen mit einem Kräuterstempel anbieten. Auf zwei Bänken sitzen Männer, die nicht nur Wasser verkaufen, sondern auch Segenssprüche verteilen. Wir nehmen unter einem schattigen Baum Platz und beobachten die Menschen. Eine Frau mit ihren Kindern kommt auf uns zu und möchte ein Photo mit uns, kriegt sie natürlich gerne. Sehr schön hier.
Und dann kippt die Stimmung vollends. So sehr zum positiven, dass wir am Ende mit großem Bedauern Abschied von Kokand nehmen werden.
Zunächst ist da unser Fahrer. Den hat uns das zunehmend sympathischere, leicht verpeilte Hotel organisiert. Er bringt uns zu den Attraktionen des Fergana-Tals, den Kunsthandwerkstätten. Er spricht nur russisch, wir können nichts außer da, njet, spasiba und pajalsta. Aber den Rest kriegt Google hin und wir haben viel Spaß, auch wenn das Gesagte nicht immer in sinnvolle Sätze übersetzt wird. Zuerst besichtigen wir die Seidenfabrik Yodgorlik. Unglaublich, wie traditionell hier noch produziert wird. Wir sehen die großen Kessel, in denen die Kokons gekocht werden. Die Seidenraupen, die eher wie fette Käfer aussehen, werden dabei gemeuchelt und der Konkon etwas entwirrt. Dann werde die superfeinen Fäden gesponnen, gefärbt, verwoben oder zu feinen Seidenteppichen verknüpft. Eine sehr freundliche Atmosphäre liegt über den Produktionshäusern, die Arbeiterinnen grüßen sehr freundlich und scheinen durchaus Spaß bei ihrer filigranen Arbeit zu haben.
Das mit der Keramikwerkstatt wird schwierig, bedeutet uns unser Fahrer, überall wird gebaut, und die Straße des größten Meisters ist gesperrt. Wir sind etwas enttäuscht, haben aber die Seidenfabrik und die gute Stimmung im Auto genossen, dann ist es nicht so schlimm. Da macht der Fahrer doch noch einen Anlauf, fährt auf eine Straßensperre zu und fängt an, mit dem Polizisten zu diskutieren. Und diskutiert. Und zeigt auf uns. Und diskutiert weiter. Irgendwann öffnet der Polizist genervt die Sperre und lässt uns passieren. Nur uns, nicht die zehn anderen Autos, die ebenfalls den Durchbruch versucht haben. Ha, gewonnen! Wir halten bei der Werkstatt von Meister Rustam Usmanov und betreten den Innenhof seines Hauses. Bereits die Herstellung einer Schale auf einer Töpferscheibe ist faszinierend, die größte Kunst besteht aber in der filigranen Bemalung. In einem weiteren Innenhof sitzen ein Mann und eine Frau über eine lange Reihe von Kacheln gebeugt. Ruhig und konzentriert malen sie die Muster nach, die zuvor mittels einer Schablone markiert wurden. Der Mann erklärt uns den Prozess in sehr gutem Englisch, sie produzieren gerade ein Küchenfries für ein Haus in Taschkent, mit feinen Pinseln, ruhiger Hand und gelassener Stimmung arbeiten sie mehrere Monate an diesem Kunstwerk. Alle Menschen, die uns in dieser Meisterwerkstatt begegnen, wirken sehr distinguiert und passen zu den wunderschönen Mustern, die sie produzieren. Wir sind begeistert von Atmosphäre und prächtiger Keramik. Mehrere Schälchen und Schalen wandern zum Abschluss in unser Gepäck und wir bedanken uns nochmals bei unserem Fahrer, dass er uns den Weg zum Meister freigekämpft hat.
Am späten Nachmittag kehren wir zurück nach Kokand und werden im Hotel herzlich begrüßt. Wir sollen doch bitte zum Abendessen im Hotel bleiben, der Chef habe Essen bestellt und wolle alle Gäste zum gemeinsamen Mahl einladen. Ok, das machen wir gerne. Später sitzen wir mit einer Gruppe Chinesen im Speisesaal, die Konversation kommt nicht so richtig in Gang, obwohl sie alle bis auf ein älteres Paar gut Englisch sprechen. Unsere Fragen werden knapp beantwortet und dann wieder ins Handy gestarrt. Da kommt der ältere Herr am Tisch auf uns zu und hält uns sein Handy hin. Er liebe Deutschland, er sei schon vier mal dort gewesen, das erste Mal Ende der 90er Jahre dienstlich, jetzt sei er pensioniert. Dann zeigt er uns Bilder von mehr Orten in Deutschland als wir je bereist haben und stellt uns pantomimisch seine Erlebnisse beim Biertrinken dar. Was er beruflich denn gemacht habe, fragen wir ihn per Google, und er antwortet, er sei Richter gewesen und habe sich Gefängnisse in Deutschland angeschaut. Die seien wie Hotels, fand er. So ein freundlicher, lustiger und wissbegieriger Herr, jetzt hoffen wir mal, seine Erkenntnisse haben in seinem Berufsumfeld in China für positive Entwicklungen gesorgt. Das Hotelpersonal setzt sich mit an den Tisch, die Stimmung ist gut, Fotos werden gemacht und Kontakte über Whatsapp vereinbart. Ja wer hätte das gedacht, dass es hier noch richtig lustig wird?
Am Morgen holt uns unser Fahrer wieder ab. Das Hotelpersonal ist gekommen, um uns zu verabschieden. Wir bekommen kleine Geschenke und sie winken uns nach als wir uns auf den Weg nach Taschkent machen. Diesmal sehen wir die Berge und türkisgrünen Seen in ihrer ganzen Pracht. Als wir uns der Großstadt nähern, werden wir fast ein wenig wehmütig. Ausgelassen hupend verabschiedet sich unser Fahrer von uns. War doch eine ganz besondere Erfahrung, dieses Fergana-Tal.