Tag der deutschen Einheit

Nicht mehr unterwegs sein zu können, ist ein Zustand, an den ich mich wohl oder übel langsam gewöhnen muss. Reisen hat mich immer fasziniert und ich denke, das wird auch immer so sein. Deswegen hilft es doch sehr, die Kraft nicht ständig im buddhistischen Hier und Jetzt zu suchen, sondern auch mal künftige Reisen zu planen oder in die Reisevergangenheit abzutauchen. Gestern war so ein Abend, ich wollte den Computer ein bisschen aufräumen und blieb bei den Photos hängen. Gleich mehrere Stunden. Ging ja auch gut, denn es war der Abend vor dem Feiertag. Es waren sehr schöne Bilder dabei, von Indien, Israel und Indonesien, aber just am Vorabend des Tages der Deutschen Einheit faszinierten mich die Bilder meiner Expeditionen nach Ostdeutschland am meisten.

In den letzten Tagen haben wir viel diskutiert, über die Ursachen und Folgen des Ergebnisses der Bundestagswahlen. Für viele schien es sehr einfach: der Osten ist schuld. Und ganz besonders Sachsen. Höhnisch scheinen viele auf die demokratieunfähigen Hinterwäldler im Osten zu blicken, erst bauen wir denen die Autobahnen und dann das. Aber dann denke ich an den Wahlabend zurück, an die Karte der Bundesländer, in denen die AfD einen überdurchschnittlich hohen Wähleranteil hatte. Und neben den neuen Bundesländern waren auch Bayern und Baden-Württemberg dunkel eingefärbt. In Pforzheim und Heilbronn hat die AfD über 16 % erreicht. In Baden-Württemberg mit seiner boomenden Wirtschaft.

Die neuen Bundesländer waren viele Jahre für mich ein absolut unbekanntes Terrain, exotischer als vieles andere. Ich bin ein typisches Kind des Kalten Krieges, mit der Mauer aufgewachsen, wir hatten Verwandte „drüben“ und deren Not war für meinen konservativen Vater immer der wohltuende Beweis dafür, wie gut der Westen und wie schlecht der Osten war. Wochen vor Weihnachten trug ich die Zonenpakete zur Post, bestückt mit Kaffee, Eierlikör und Feinstrumpfhosen. Am Weihnachtstag musste man früh aufstehen, um das Telefonat nach Plauen anzumelden und es kam dann meistens, wenn die Vorbescherungshektik am größten war. Nie hätte ich gedacht, dass es irgendwann mal anders werden würde mit diesen zwei Deutschlands. Magdeburg, Haldensleben oder Kleinpörthen, die Orte der Kindheit meiner Mutter, schienen unerreichbar wie auf einem fernen Planeten, denn wegen der Flucht meiner Großeltern Anfang der 50er Jahre durften wir alle nicht in die DDR reisen.

Als ich 1989 in Göttingen studierte, überschlugen sich die Ereignisse. Es war ein Samstag und ich hatte ein Wochenendseminar, das früh anfing. Als ich nachmittags auf die am morgen noch leere Straße kam, parkten überall Trabis. Unter jeden Scheibenwischer hatte jemand eine Rose oder eine Tafel Schokolade geklemmt. Als wir nach dem Seminar ein Bier trinken gingen, saß am Nachbartisch eine Familie aus dem Osten, der Mann hatte sich aus Pappe einen Button gebastelt, auf dem „Neues Forum“ stand. Wir blickten sie an wie Außerirdische. Weihnachten 1989 wurde dann die Grenze auch für uns geöffnet. Mein Vater und ich hatten mit meiner Großmutter in Ratzeburg gefeiert, am späteren Abend machten wir uns auf, wir wollten einfach mal rüber. Ratzeburg war immer Zonenrandgebiet gewesen, die Welt hatte immer dicht hinter der Stadt aufgehört,  und plötzlich konnten wir die Straße weiter fahren. An den Bäumen hingen Plakate „Willkommen Bundis“ und im ersten Ort im Osten winkten uns am Feuerwehrhaus Leute raus, drückten uns ein Bier und eine Bratwurst in die Hand, aber bei den wortkargen Mecklenburgern kam dann doch wenig Stimmung auf.

In den nächsten Jahren gab’s ein paar kurze Trips in den Osten, ein Vorstellungsgespräch in Cottbus, ein Ausflug nach Eisenach und Weimar, das war’s eigentlich schon. Erst die Ahnenforschung führte mich so richtig in die neuen Bundesländer. Die Familie meines Vaters kommt geschlossen aus Pommern, zehn Kilometer rund um Schivelbein, dem heutigen Swidwin. Was ich nie gedacht hätte: auch mütterlicherseits bin ich eine pure Ostpflanze. Mein Opa wuchs im Drei-Länder-Eck Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen auf, seine Vorfahren kommen aus Sachsen und Brandenburg, wahrscheinlich waren einige Sorben unter ihnen. Die Wurzeln meiner Oma liegen in Sachsen-Anhalt und Thüringen. Erstaunt stellte ich fest, dass ich der ersten Generation angehöre, die im Westen geboren wurde.

Und dann  bin ich hingefahren. Zuerst nach Kleinpörthen, wo ich das Grab meines Ururgroßvaters fand, ein winziges Dorf in einer hoffnungslosen Gegend. Ich blieb ein paar Tage in der Kreisstadt Zeitz, ein typisches Oststädtchen, viele historische Gebäude sehr schön renoviert, vieles aber auch noch verfallen, in der Fußgängerzone halten sich maximal zwei Discounter und über dem ganzen Ort liegt eine merkwürdige Mischung aus Nostalgie und Resignation. Geburtsurkunde um -urkunde führt mich weiter an Orte, die ich sonst nie im Leben besucht hätte: das untergegangene Wuitz, ein Opfer des Tagebaus und Geburtsort meines Opas, das schöne Altenburg und die pittoresken sächsischen Städtchen, in denen meine Vorfahren dem Bierbrauen frönten. In Hohenstein-Ernstthal lebten sowohl Karl May als auch meine Urururgroßmutter, sie wurde in der Kirche getauft, in der er geheiratet hat. Die

Ein Haus in Brandenburg für 34.000 €…

Landschaft ist toll, das Essen lecker. Ich machte einen kurzen Abstecher nach Leipzig und hier wehte ein anderer Wind. Der Geist des Widerstands scheint hier immer noch lebendig, ganz besonders in der Nikolaikirche. Über das schöne Torgau gelangte ich nach Brandenburg. In Tröbitz lebten meine Vorfahren über einige Generationen hinweg, der pittoreske alte Ortskern steht noch, die Plattenbauten am Rande des Ortes sind furchtbar. Hier über Land zu fahren bedeutet eine Reise durch Geisterstädte. Die Dörfer sind wie ausgestorben, fast jeder Laden ist geschlossen und zu verpachten, wer hier ausharrt, muss entweder besonders heimatverbunden oder chancenlos sein. In jedem der kleinen Orte, die ich aus alten Geburts- oder Sterbeurkunden meiner Ahnen kenne, schloss ich kurz die Augen und stellte mir vor, wie ihr Leben wohl gewesen sein mag, im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Arm waren sie alle, die meisten kleine Bauern, ein paar Lehrer, so wie mein Ururgroßvater Moritz Noack, der seine Heimat Tröbitz gen Kleinpörthen verließ und dort über 40 Jahre lang ein geachteter, aber auch gefürchteter Dorfschullehrer war. Die Chronistin von Kleinpörthen, die mich auf dem Friedhof ansprach – „Wir haben hier nicht so viele Autos aus dem Westen“ – hat es mir erzählt.

Der Tag der deutschen Einheit, das ist ja eigentlich mein Aufhänger. Ich bin froh, dass es diese Einheit gibt, Ich finde es nach wie vor unfassbar, hinter Hof oder Gudow oder Helmstedt einfach über die ehemalige Grenze fahren zu können. Im Einheitsprozess sind Fehler gemacht worden, ganz schwerwiegende Fehler. Die Dollarzeichen hatten alle in den Augen, in West wie Ost, und darüber hat man die Menschen vergessen. Wer über den Osten schimpft, sollte ihn sich erst mal anschauen. Mal ganz kurz die Hoffnungslosigkeit erahnen. Und überlegen, wie wir das jetzt nachholen können, was damals versäumt wurde. Nicht als Besserwessi, der dem Osten mal erzählen muss, wie das eigentlich funktioniert mit der Moral. Denn warum sollen  25 % in Sachsen so exorbitant anders sein als 16% in Heilbronn? Fehlgeleitete Menschen gibt es überall, das ist kein spezifisches West- oder Ostproblem. Als Globonautin und Mensch mit Wurzeln im Osten kann ich nur sagen: ich bin froh und sehr dankbar, dass es diese Grenze nicht mehr gibt.

Phase 2

Tja, Ihr Lieben, lange hab ich nichts von mir hören lassen. Schwierig war es immer mal wieder, aber ich hatte ja schon geahnt, dass es nicht so einfach bleiben wird, wie es am Anfang noch schien. Ich habe realisiert, dass das hier doch etwas Längeres wird. Der Alltag drängt sich massiv in den Vordergrund. Es gibt sie wieder, die Abende, an denen ich tumb aufs Sofa sinke und gerade noch aufnahmefähig für „Shopping Queen“ bin. Die Power, die ich mir für meine wöchentlichen freien Tage wünsche, muss am Freitag erst mal mühsam gesammelt werden und mein Mittagskino wechselte drei Wochen lang nicht das Programm 🙂 Meine Stimmung schwankt, manchmal ganz erheblich, und ich merke, dass ich schon wieder anfange, mich über Kleinigkeiten aufzuregen. Die Wohnungssuche war nicht ganz einfach und ich will endlich wieder an meine seit zwei Jahren eingelagerten Sachen ran.

Und dann sind da Tage wie heute. Ich sitze auf dem Dach der Stadtbibliothek, die Herbstsonne scheint warm und – ich habe gerade einen Mietvertrag unterschrieben! Noch ein Monat Untermiete bei Eric und dann zieh ich in mein kleines Reich über den Dächern des Stuttgarter Ostens, Park und Mineralbad direkt vor der Nase und der vierte Stock ohne Aufzug wird meiner eingerosteten Fitness gut tun. Der rücke ich tatsächlich schon jetzt zu Leibe, denn auch das war eine Auswirkung der Reise: ich habe viel mitgenommen und auch ein wenig zurück gelassen. Mitgenommen aus fast jedem bereisten Land ein Kilo Körpergewicht und der Welt dafür einen Zentimeter Körpergröße gelassen. Ein Geben und Nehmen halt, aber ganz schlecht für den Body Mass Index. Und weil’s dazu auch noch im Rücken und den Knien zwickt, kehre ich reumütig zurück zu Kieser, die mich vor ein paar Jahren schon mal fit gemacht haben, und siehe da, der Trainer begrüßt mich mit Namen, er ist mit mir gealtert, aber wir beschließen, dass es mein Photo von damals für den Mitgliedsausweis noch tut 🙂
Reisen bedeutet eben auch, dass man die positive Routine aufgibt. Alle Vorsätze, regelmäßig laufen zu gehen, hat der Monsun mit sich getragen und die paar Yoga-Einlagen auf Bali reichen halt auch nicht für zwei Jahre.

Jetzt wo der Herbst kommt, wir schon ein paar Mal die Heizung angeschmissen haben und ekliger Regen fällt, der Hamburg alle Ehre machen würde, wird es verdammt gemütlich, so auf dem kuschligen Sofa mit Strickzeug oder einem guten Buch. Das selbstgekochte Essen schmeckt auf Dauer dann doch besser als australische Pizza oder rumänisches Fettgebackenes. Zuhause sein hat eindeutig auch seine Vorteile.

Das wichtigste ist für mich, mich nicht komplett vom Alltag überrollen zu lassen. Die reduzierte Arbeitszeit ist da eine große Hilfe. Aber ich muss es mir immer wieder bewusst machen, kleine Fluchten, wie hierher aufs Dach der Bibliothek, einplanen und ganz viel denken an die wunderbare Zeit, die ich erlebt habe. Klappt eigentlich meistens ganz gut.

Nun bin ich also wieder endgültig zurück in Deutschland, kein Besuch für ein paar Tage, nein, die nächsten Jahre werden hier stattfinden. Nach zwei Jahren Deutschland-Abstinenz suche ich immer wieder nach wesentlichen Veränderungen. Meine Informationsquelle war fast ausschließlich das Internet während dieser Zeit und was habe ich nicht alles erwartet. Ein vollkommen verändertes Land, vor allem nach der Flüchtlingskrise. Und was finde ich vor? Alles beim Alten. Nix hat sich verändert und wenn, dann nach meinem Empfinden nicht zum Schlechten.

Ändern kann sich das allerdings am Sonntag. Wenn die AfD drittstärkste Kraft wird oder auch nur knapp über die Fünf-Prozent-Hürde hüpft. Das ist eine Entwicklung, die mir wirklich Angst macht. Bedroht fühle ich mich nicht von Ausländern – hätte ich Angst vor ihnen, wären die letzten zwei Jahre ganz schön stressig gewesen. Bedroht fühle ich mich durch nationalistische Töne, Intoleranz, Populismus. Für mich stand nach den amerikanischen Wahlen schnell fest, dass mir gerade sehr wenig der Sinn danach steht, in den nächsten Jahren in die USA zu reisen. Das Trumpsche Gedankengut, über das wir hier den Kopf schütteln, könnte aber schon ab nächster Woche in unser Parlament Einzug halten. Germany first, Schließung der Grenzen, 12-jährige ins Gefängnis, keine Beweise für den Klimawandel – wozu das führt, kann man ja gerade täglich auf der anderen Seite des Atlantiks beobachten.

Ich denke zurück an die Reise, an Kanada mit seiner beeindruckenden Willkommenskultur, Australien und Neuseeland, voll mit europäischen Wirtschaftsflüchtlingen des 19. und 20. Jahrhunderts, Malaysia mit dem bunten Völkermix. Alles Länder, denen es relativ gut geht. Ich denke an die Erinnerungsorte, die sich mir hier in Stuttgart bieten: der indische Supermarkt um die Ecke, der sich ein wenig wie Sri Lanka oder Mauritius anfühlt, Erics türkische Wasserpfeifenhöhle, die auch in Istanbul stehen könnte, die beiden fröhlichen Afrikanerinnen, die abends unsere Büros putzen. Ich denke an die westlichen Touristen, die in Phnom Penh mit kleinen Jungen in schmierigen Häusern verschwanden. Idioten gibt es überall, bei uns genauso wie anderswo. Natürlich will ich, dass Menschen dafür bestraft werden, in Deutschland, in Kambodscha und sonst wo auf der Welt. Unser Rechtssystem gibt das aber her, dafür brauchen wir keine Populisten.

Mir haben viele Menschen gesagt, sie würden mich beneiden um unsere große Reise. Reisen scheint fast jeder toll zu finden. Wohl nicht nur wegen der Naturwunder. Es sind doch in erster Linie die Menschen und ihre Kultur, die uns in fernen Ländern faszinieren. Aber bitte nicht hier vor unserer Haustür? Wollen wir auf diese ganze Vielfalt, die uns die Welt quasi nach Hause bringt, verzichten, weil wir meinen, wir könnten in unserem Wohlstand nicht abgeben? Meine Erfahrung im Prozess des Wiederankommens ist, dass Deutschland ein bisschen mehr Lebendigkeit ganz gut vertragen kann.

Alles so Gedanken, die mir durch den Kopf gehen. Ankommen heißt auch, sich auseinander zu setzen. Ich hoffe wirklich, dass das morgen gut geht.

Angekommen!?

Nach Jahren der Abstinenz habe ich am 1. August wieder angefangen zu arbeiten und entgegen aller Befürchtungen hat es gar nicht weh getan. Eigentlich lief es am Anfang sogar erstaunlich leicht. Nette Kollegen und meine viel größere Gelassenheit haben den Einstieg deutlich erleichtert. Das Büro kann ich in lockeren acht Minuten mit dem Fahrrad erreichen, ein Blumensträußchen schmückte mein hübsches Arbeitszimmer, die ersten Arbeitstage gingen vorbei wie im Flug, jeden Mittag mit anderen aktuellen oder früheren Kollegen unterwegs.

Klingt zu sehr nach Happy End der Reise? Richtig, denn ganz so einfach ist es dann doch nicht.

Aber trotzdem zunächst die positiven Seiten. Fast ein wenig nach dem Motto „Ist der Ruf erst ruiniert….“ genieße ich eine Aufgabe ohne Führungsverantwortung und zum ersten Mal in meinem Berufsleben mit Teilzeit. Dreieinhalb Tage die Woche gehöre ich dem Job und dreieinhalb Tage mir – und die Arbeitstage begrenzen sich im Gegensatz zu früher tatsächlich auf die Tageszeit. Am ersten „freien“ Freitag beschleicht mich zwar kurz das Gefühl des Schwänzens, aber nein, so wird es jetzt regelmäßig sein. Die Krönung sind die Donnerstag-Mittags-Kinovorstellungen. Während die Stadt schafft, sitze ich mit ein paar versprengten Rentnern und einem Becher Kaffee im fast leeren Kinosaal und reise im „Stern von Indien“ in die Gründungszeit von Indien und Pakistan oder im „Tulpenfieber“ ins Amsterdam des 17. Jahrhunderts. Eigentlich ist das Wetter zu gut, um den frühen Nachmittag im Dunkeln zu verbringen, aber dieses Gefühl, zu normalen Arbeitszeiten im Kino zu sitzen, lässt mich jeden verpassten Sonnenstrahl vergessen.

Und dann die Treffen mit vielen lieben Menschen, die unsere Reise um die Welt verfolgt haben. Die Welt hat sich auch hier weitergedreht, keine Frage, aber es gibt kaum ein Fremdeln, fast so als wäre ich gar nicht lange weggewesen.

Und die ganzen Alltagsdinge, auf die ich lange verzichten musste. Geruhsames Kochen, mit einem guten Hörspiel und einem Gläschen Wein als Aperitif, ein gemütlicher Abend mit Strickzeug vor der Glotze, selten habe ich es so genossen wie jetzt. Sogar ein Wohnungsputz scheint gar nicht mehr so unangenehm wie früher. Meine sportlichen Vorhaben laufen langsam an, eine neue Joggingstrecke ist gefunden und sogar schon zweimal absolviert. Endlich wieder Yoga bei Christine und sogar ein Meditationsworkshop am Wochenende. Viel wollte ich mir nicht vornehmen für die Zeit nach der Reise, im Gute-Vorsätze-und-tausend-Pläne-Schmieden war ich früher Weltmeisterin und deswegen auch permanent mit einem schlechten Gewissen ausgestattet. Jetzt plane ich wenig und kriege trotzdem einiges gebacken.

Aber, ich deutete es schon an, nicht alles ist rosarot. Natürlich vermisse ich das Reisen, wäre ja auch komisch wenn nicht. Keine Woche zurück stand mein neues Reiseziel schon fest, auch wenn ich nicht weiß, wann genau ich es realisieren werde. Mit der Fremdbestimmung, die ich auf Reisen so gar nie spürte, komme ich noch zurecht. Aber meine Neugier ist nicht immer leicht zu bändigen. Eine neue Stadt entdecken, eine exotische Kultur kennenlernen, mit dem Auto durch eine unbekannte Landschaft fahren, einfach den Kopf frei haben, neue Erfahrungen machen, neue Geschmäcker testen, all das macht gerade eine Pause. So schön es ist, die alten Plätze neu zu entdecken oder einfach so zu genießen, wie ich sie immer schon genossen habe – irgendwas fehlt.

Ganz spannend ist es, eigentlich vertraute Situationen als Beobachterin zu erleben. Denn so fühle ich mich noch ein wenig, eine Besucherin, die sich alles erst mal aus der Distanz anschaut. Die lockere Sommeratmosphäre, die noch über der Stadt liegt, und die Menschen zum Genuss verleitet. Die verkleideten Typen, die morgens in die Bürogebäude eilen. Die Gockelei einiger vorwiegend männlicher Kollegen, wenn es um Macht und Profilierung geht. Früher war ich mittendrin, jetzt stehe ich staunend daneben.
Frustration, Demotivation, Ungerechtigkeit – ist es jetzt Zufall, dass ich gerade auf so viele Menschen treffe, die beruflich unglücklich sind oder sind das wohlmöglich mittlerweile keine Ausnahmen mehr? Oder eigne ich mich gerade besonders dafür, mir die Sorgen und Nöte anderer anzuhören?
Und auch meine eigenen Dämonen holen mich immer mal wieder ein, es ist ein Kampf und es wird immer einer sein, aber ich hoffe, ich habe gelernt, sie frühzeitig zu erkennen und dann möglichst schnell zu verscheuchen. Einen wunderbaren Gedanken zu denken, fällt mir nach den zwei Jahren nicht allzu schwer.

Alles in allem überwiegen die positiven Aspekte des Ankommens. Die Welt ist keine andere geworden, nur weil ich sie umrundet habe. Aber ich glaube, ich habe mich ein wenig verändert. Ist es mir früher eigentlich so oft passiert, dass ich mit der Bäckereiverkäuferin neben Geld und Brezeln auch ein paar freundliche Worte wechsele? Dass mir Menschen zulächeln? Nicht unbedingt von selber, sondern weil ich sie angelächelt habe?
Doch ist alles vielleicht deswegen unerwartet einfach, weil ich eigentlich noch gar nicht begriffen habe, dass ich jetzt dauerhaft wieder hier bin? Nicht in einer Woche meinen Rucksack packe und wieder weiter ziehe? Kann man erst nach viel längerer Zeit wirklich beurteilen, ob man wieder angekommen ist? Noch viele Fragezeichen, die ich nach und nach abarbeiten will.

Aber bei einem bin ich mir wirklich sicher:
die Entscheidung für die Reise war die beste meines Lebens. Die Erinnerungen kann mir maximal ein nachlassendes Gedächtnis nehmen und dafür habe ich ja diesen Blog 🙂 Immer wieder blitzen Bilder auf: der frühmorgendliche Strand von Casuarina an der wilden Küste Darwins. Der erste Blick auf den Grand Canyon. Die Delphine vor Pamilacan auf den Philippinen. Die staubigen Straßen und freundlichen Menschen von Bhaktapur in Nepal. Das leuchtende Türkis des Meeres vor Rodrigues.
Es ist nicht vorbei. Die Reise geht weiter. Es muss nicht immer Mauritius oder Nepal sein, auch der Biergarten auf der Karlshöhe oder der Rosensteinpark bieten genügend Platz für Glücksgefühle. Manchmal muss ich noch nicht mal meine Wohnung verlassen, weil schon das Stöbern in alten Kirchenbüchern im Internet eine faszinierende Reise in die Vergangenheit meiner Ahnen beginnen lässt. Aber, ich weiß auch, dass ich irgendwann wieder aufbrechen werde, wenn sich die Gelegenheit bietet. Wenn sie nächsten Monat kommen sollte, diese Gelegenheit, werde ich genauso bereit sein wie in einem oder in zehn Jahren. Einmal an der Welt geschnuppert lässt sie einen nicht mehr los!

Heute mal sehr persönlich

Meine erste Reise nach der Weltreise ist eine in die Vergangenheit. Und weil das öffentliche Schreiben in den letzte zwei Jahren ein wichtiger Weg war, Emotionen zu teilen, tue ich es auch jetzt. Wer nichts damit anfangen kann, möge es mir nachsehen.

Ich habe heute Morgen Gewissheit darüber erhalten, dass ein guter Freund gestorben ist. Wir haben uns seit vielen Jahren nicht mehr gesprochen, nicht, weil wir den Kontakt haben einschlafen lassen, sondern weil Michael einen radikalen Schnitt gemacht hatte. Und das betraf nicht nur mich, sondern viele Leute aus der Studienzeit.

Michael war der Erste, den ich zu Beginn meines Studiums in Tübingen kennenlernte. Wir trafen uns in der Osianderschen Buchhandlung und suchten das gleiche Lehrbuch. Sein breiter oberschwäbischer Dialekt war eine echte kulturelle Herausforderung für mich, aber wir verstanden uns auf Anhieb. Er war ein sehr besonderer Mensch, wer ihn kannte, wird jetzt wahrscheinlich denke, oh ja, das war er wirklich, und hoffentlich lächeln. Originell, intelligent, intellektuell, aber mit großer Lust am Trivialen, mal charmant, mal schrecklich sarkastisch. Er hat sich tief in mein Hirn eingegraben und obwohl ich es nicht ändern konnte, dass er den Kontakt abbrach, habe ich die ganzen Jahre über versucht, seinen weiteren Lebensweg zu verfolgen. Und vielleicht den richtigen Moment abzupassen, ihn doch zu einem gemeinsamen Bier zu überreden. Google und die sozialen Medien machen’s möglich, er twitterte eifrig und ich wurde nur kurz stutzig, als er letztes Jahr schrieb, seine Zeit sei von nun an befristet, ein oder zwei Jahre vielleicht. Michael halt, mit seinem schrägen Humor, dachte ich mir. Dann aber las ich, dass seine Anwaltszulassung erloschen ist und findig wie mich die Ahnenforschung gemacht hat, rief ich heute bei der Anwaltskammer an. Ja, die Zulassung sei erloschen und es gebe da eine Fußnote „verstorben“.

Ich hatte bisher Glück in meinem Freundeskreis, die meisten erfreuen sich bester Gesundheit und das bleibt hoffentlich noch ganz lange so. Bei der Organisation des Klassentreffens unseres Abiturjahrgangs war ich darauf gefasst, auf Todesmeldungen zu stoßen, aber toi toi toi, we are all still alive. Mein früherer WG-Kumpane Christoph und der Mann einer guten Freundin waren bisher die einzigen, die viel zu früh starben.

Michael ist der erste enge Freund, den ich endgültig verloren habe. Und den ganzen Tag kommen mir diese Erinnerungen in den Sinn. Die Sommerabende auf dem Tübinger Marktplatz. Die langen Telefonate, Schnuppelchen, mir ist so langweilig, hat er sie meistens begonnen. Das musst du dir anhören, sagte er, und legte Edie Brickell auf, Circles. Mindestens fünf mal hintereinander.

And being alone is the best way to be
When I’m by myself it’s the best way to be
When I’m all alone it’s the best way to be
When I’m by myself, nobody else can say goodbye

Freundlich könnte ich sagen, dass ich es sehr bedauere, dass er den Kontakt abgebrochen hat. Dass er über alle meine Kontaktversuche, zuletzt eine Mail aus Costa Rica im letzten Jahr, hinweg gegangen ist. Aber ich bin heute nicht freundlich. Michael, Du Depp, ich bin wütend. Du hast im letzten Jahr ein Zitat von Thomas Bernhard getwittert: „Wo sind alle diese Menschen, mit welchen ich damals vor dreißig Jahren, Kontakt gehabt habe? fragte er sich.“
Wir waren immer da. Und wir hätten uns so sehr gefreut.

Michael, wir haben in Deiner Tradition ein Weizen auf Dich getrunken. Mach’s gut.

Ciao Welt

Jetzt ist sie vorbei, die große Reise, aber wir haben ihr einen schönen, emotionalen und auch sehr leckeren Abschluss gegeben. Denn was eignet sich besser für Dolce Vita, Amore und Buona Cucina als die Toskana?

Schuld an der Wahl dieses letzten Reiseziels und der Globonauten-Reunion sind Petra und Ecki, die letztes Wochenende in einem alten Kloster in der Nähe von Pisa geheiratet haben. Ein wunderschöner Ort, eine wunderschöne Braut, eine wunderschöne Zeremonie – von der ersten Sekunde an flossen bei mir die Tränen….

Aber der Reihe nach. Erst kam Pisa mit einem der herzlichsten Vermieter unserer gesamten Reise und dem wahrscheinlich besten Frühstück. Und das in Italien, dem Land der So-gut-wie-gar-nicht-Frühstücker. Der Eigentümer fährt alles auf, was er an der toskanischen Küche liebt und dreht morgens eine große Runde durch die Stadt, um die besten Leckereien in den besten Läden zu ergattern. Und freut sich, wenn man seine Leidenschaft ein wenig teilt. Die Brigidini, süße Waffelchips mit Anisgeschmack, knusperte ich zu seiner Freude mit Begeisterung und am nächsten Morgen schenkte er mir einen ganzen Karton davon.

Pisa stand nie ganz oben auf meiner Liste der Orte, die ich unbedingt besuchen möchte. Den Schiefen Turm sah ich vor Jahren aus dem Zug auf der Durchfahrt und vom Bahnhof aus wirkte es als stünde er in einem Industriegebiet. Um so überraschter waren wir bei unserem Spaziergang am Abend der Ankunft – der Turm ist Teil einer großen sakralen Anlage, tagsüber brechend voll mit seltsam verrenkten Touristen, die für Photos posieren – seht, ich stütze den Turm. Ganz lustig zu beobachten. Rund um die Piazza dei Miracoli tobt das italienische Leben in den Straßenrestaurants. Unsere Befürchtungen, um halb zehn abends nichts mehr zu essen zu kriegen, zerstreuen sich schnell und bald sitzen wir bei toskanischem Wein und Pizza und sind in Italien!

Pisa ist eine Studentenstadt und auch abseits
des Schiefen Turms absolut sehenswert. Wir bummeln durch die Straßen der Altstadt bis zum Arno, machen einen Abstecher auf die andere Flussseite, ein Gläschen Wein hier, ein Gelato da und am Nachmittag dann die Bauten auf der Piazza dei Miracoli von innen. Der Dom, die riesige Taufkirche und die Friedhofsanlage Camposanto Monumentale, da wirkt der Schiefe Turm nur wie ein kleines Anhängsel. Die ganze Pracht der italienischen Baukunst, obwohl fast die selbe Epoche doch ein unglaublicher Gegensatz zu den mittelalterlichen Bauten Siebenbürgens.

     

Am nächsten Tag erobern wir einen schnittigen roten Lancia und starten Richtung Castelnuovo di Garfagnana, wo wir die nächsten zehn Tage in einer kleinen toskanischen Villa verbringen wollen. Mal wieder eine Buchung über AirBnB, aber wohl auch die letzte. Die Villa ist schön, liebevoll eingerichtet, ein toller Garten und sehr nette Vermieter – aber leider auch unmittelbar an der Dorf-Autostrada. Direkt vor dem Haus donnert unablässig der Verkehr, einen Bürgersteig gibt es nicht und nach zwei Tagen beschließen wir, dass wir hier nicht bleiben wollen. Die Vermieterin ist absolut kulant, erstattet uns den vollen Betrag für die noch ausstehenden Nächte, bietet uns sogar ihre Hilfe bei der Suche nach etwas Neuem an, eine sehr positive Erfahrung. Nur AirBnb besteht darauf, die Servicegebühr für alle Nächte zu behalten, nun denn. Kehre ich doch lieber wieder zu booking.com zurück und finde ein Häuschen in einem Bergdorf, keine große Straße in der Nähe und eine der Kritiken moniert, es sei zu ruhig. Da wollen wir hin!

Aber zuvor steht noch Lucca auf dem Programm, natürlich auch wegen seiner einzigartigen Altstadt, den vielen Kirchen, den schönen Plätzen. Aber vorallem wegen – hüstel – Robbie Williams! Das Summer Festival ist im Gange, Robbie eine der Attraktionen und ich wollte ihn schon immer mal live sehen. Oh, und es war toll! Mitten in der Altstadt auf einem kleinen Platz, zum Bühnengelände gehören auch die umliegenden kleinen Restaurants und Cafés. Italienisch entspannt wird schon um fünf geöffnet, damit ausreichend Zeit für Pizza, Pasta und ein Gläschen Wein bleibt. Eine Familienveranstaltung, alle Altersklassen vertreten, aber echtes Verständnis für die Vorgruppe Erasure bringt nur unsere Generation auf. In Glitzerleggings und mit tuntigem Gehabe lassen sie die Achtziger wieder auferstehen und auch wenn ich nie Fan war, es ist lustig. Und dann kommt er, Meister Robbie, im Herrenrock und etwas fülliger, aber ich las im Internet, er leide unter einer schrecklichen Krankheit: nächtliche Hungerattacken. Oh Robbie, I perfectly understand! Er ist einfach ein großartiger Entertainer, wir singen, swingen, hüpfen, reißen die Arme hoch und haben viel Spaß. 

Der Umzug ins Bergdorf hat sich absolut gelohnt. Hoch oben in einer ehemaligen Maronenbrennerei verteilt sich unser Apartment auf vier Stockwerke, jede Etage gerade groß genug für ein Zimmer, toll renoviert und eingerichtet, ja! Der Nachbar scheint so begeistert von diesem gelungenen Restaurierungsprojekt, dass er es wohl nachmachen will – kaum haben wir es uns gemütlich gemacht, beginnt er nebenan zu hämmern und zu sägen. Wir gucken uns an – nein, wir bleiben jetzt hier, nachts ist es ja ruhig, eigentlich sogar so still, dass einem fast etwas fehlt. Und die Vermieter sind reizend, sie haben uns zur Begrüßung mit herrlichen Cantucci ausgestattet, nicht das bockelharte Zeugs, das man bei uns zu kaufen bekommt, und getunkt in Vin Santo ist es einfach perfekt. So schlemmen, spazieren und bummeln wir uns durch die nächsten Tage, ein Hoch auf die italienische Küche! In diesem Land könnte ich nie Vegetarierin bleiben, der köstliche Schinken und das weltbeste Carpaccio im Vecchio Olivo in Montecarlo, so gut, dass wir am nächsten Tag gleich noch mal hinfahren, um es zu genießen. Die Toskana wird ihrem Ruf absolut gerecht, ein Genießerparadies mit idyllischen Dörfern, freundlichen, entspannten Menschen, Bilderbuch-Olivenhainen und duftenden Nadelwäldern.

Und ein toller Platz für eine Hochzeit. Im „Il Convento“ haben Martina und Marcel ein kleines Paradies geschaffen, kein Hotel, sondern ein Tagungszentrum, aber weil sich Petra und Ecki hier kennen und lieben gelernt haben, dürfen sie auch hier feiern. Was für ein schöner Ort! Das alte Nonnenkloster ist ein sehr spezieller Platz, nicht nur traumhaft gelegen, sondern irgendwie auch mit guten Schwingungen ausgestattet. Wir sitzen an langen Holztischen auf der Terrasse, unterhalten uns mit interessanten Menschen und sind sehr gespannt, was der Hochzeitstag bringen wird. Und der startet mit einer Zeremonie, die perfekter kaum hätte sein können. Unter freiem blauen Himmel, in der Ruine der Klosterkapelle, kleiner Chor mit Gitarren- und Querflötenbegleitung, eine sehr persönliche Traurede und eine wunderschöne Braut. Und ich habe kein Taschentuch dabei…. Das Kaffeetrinken mit selbstimportierten Freiburger Käsekuchen findet auf einer duftigen Bergwiese mit grandiosem Blick statt, am Abend sitzen wir an langen Tischen auf der Klosterterrasse – alles wie im Bilderbuch. Danke, Petra und Ecki, und alles alles Gute für euch!

Was für ein Abschluss für die Reise! Und die ist am Montag dann wirklich zu Ende. Langes Warten in Pisa auf den Abflug nach Wien und beim Zwischenstopp dort sauge ich für ein vorerst letztes Mal die internationale Atmosphäre ein. Und was wäre, wenn wir jetzt einfach ein Stückchen weiter liefen und den Flug nach sagen wir mal Melbourne nehmen würden?

Am späten Abend schweben wir dann langsam gen Stuttgarter Boden. Gleich sind wir da, wir sehen schon das Neckartal unter uns, gleich bin ich zurück. Da heulen plötzlich die Motoren des Flugzeugs auf und wir steigen steil nach oben. Ich schaue auf Eric, der versucht, cool zu bleiben, mich packt die Furcht, aber irgendwie auch das Gefühl „wenn wir jetzt abstürzen, haben wir wenigstens unseren Lebenstraum verwirklicht.“ Der Pilot meldet sich und berichtet von einem Vogelschaden des Flugzeugs vor uns, die Landebahn müsse gereinigt werden, deswegen hätte er durchstarten müssen. Er klingt so entspannt, dass ich es auch wieder werde. Aber irgendwie doch wie ein allerletztes Aufbäumen gegen das Ende der Reise. In jedem Fall aber ein Ausklang mit Adrenalinschock.

Ja, das war sie, meine Weltreise. Es ist zu früh für ein Resümmee. Und ich will es jetzt auch gar nicht, weil ich noch gar nicht bereit bin, das Ende dieses Lebensabschnitts zu akzeptieren. Was schrieb mir mein Pfälzer Freund? „Die große Reise des Lebens beginnt mit jedem neuen Tag.“ Vielen Dank, lieber Andreas. Vielleicht ist das mein neues Ziel. Jeden Tag meines Lebens als Beginn einer wunderbaren Reise begreifen zu können. Also, meine Lieben, es geht weiter!

 

Why I love Romania!

Vor zwei Wochen habe ich Rumänien „La revedere“ gesagt. Eine kleine Rundfahrt zum Abbau meiner Vorurteile hatte ich geplant, fünf Wochen sind es geworden und ich habe längst nicht alles gesehen, was mich interessiert hätte. Eine Riesenüberraschung, dieses Rumänien und ein toller Abschluss meiner Alleinreise um die Welt.

Und weil es dazu ein Land ist, das so gut von Deutschland aus zu erreichen ist, fasse ich doch mal zusammen und mache hoffentlich dem einen oder der anderen ein wenig Lust auf ein faszinierendes Urlaubsziel ganz in unserer Nähe.

Vorneweg – Rumänien, das Land der Diebe und Betrüger? Nein, ganz bestimmt nicht. Im Gegenteil – ich habe mich immer, überall und zu jeder Tageszeit absolut sicher gefühlt, bin nicht beschissen worden und an meinem letzten Tag mit dem ehrlichsten Taxifahrer der gesamten Reise zum Flughafen gefahren. In jahrelang antrainierter Misstrauenshaltung fragte ich ihn, wie viel er für die Fahrt aus der Innenstadt zum Flughafen berechnen würde. Er schaute mich vollkommen verständnislos an, zeigte auf den Taxameter und am Flughafen angekommen zahlte ich genau den günstigen Preis, den das Gerät anzeigte, ohne ominösen Zuschlag für besonders dichten Verkehr oder was auch immer.
Wenn Gefahren drohen, dann eher im Straßenverkehr. Aber hat man sich erst mal an die Überholerei gewöhnt und seinen Blick für Schlaglöcher geschärft, kommt man gut durch.
Also – insgesamt alles sicherlich nicht problematischer als Italien oder die Theo in Stuttgart Samstag nachts 🙂

Um also zum ausschließlich Positiven zurückzukehren: Hier meine Top-Gründe für einen Abstecher nach Rumänien

1. Eine Reise durch die Zeit
Kurz einen Trip ins Spätmittelalter? Mal ganz nah ran an ein Gemälde von Albrecht Dürer? Wer Geschichte zum Anfassen erleben möchte, ist in kaum einem Land so gut aufgehoben wie in Rumänien. Die Museen verzichten auf aufwändige Sicherungstechnik und erlauben einen sehr direkten Eindruck der Kunstwerke. Historische Bauwerke kann man fast ungestört erkunden und sich wie im 13. Jahrhundert fühlen. Besonders faszinierend ist es, einen Einblick in eine uralte deutsche Kultur zu bekommen, leider dem Untergang geweiht, aber an vielen Stellen noch sehr sichtbar.Von den Kirchenburgen habe ich schon mehrfach geschwärmt und kann es jedem nur wärmstens ans Herz legen, diese phantastischen Orte einmal zu besuchen. Mich haben Biertan nördlich von Hermannstadt und nördlich von Kronstadt Tartlau und Honigstadt am meisten begeistert. Man kann hier viele Stunden verbringen, bei mir waren es teilweise sogar Tage, in jedem Fall sollte man ausreichend Zeit mitbringen, die Bauwerke auf sich wirken zu lassen und ganz tief einzutauchen in diese phantastisch erhaltenen Bauwerke.

2. Die große Land-Idylle
Kurz mal von der Hauptstraße abgebogen und schon ist man mittendrin in der wunderbaren Landidylle rumänischer Dörfer, Wiesen und Wälder. Heuwagen, die von rotgeschmückten Pferden gezogen werden, Ziegenherden auf der Straße, Eben noch im touristisch überlaufenen Bran beginnt ein paar Kilometer weiter die Bergbauernidylle. Ein paar Kilometer von Biertan entfernt in einen Feldweg abgebogen und man ist mittendrin in einer duftigen Sommerwiese, neugierig beäugt von einem großen Grashüpfer.
Das Leben ist sicherlich nicht ganz einfach für die Menschen auf dem Land und die Bewirtschaftung der Felder sicherlich harte Arbeit, aber für den Großstadtmenschen (und nicht nur für den mitteleuropäischen, wie mir das freundliche Pärchen aus Bukarest bestätigte) ist es das Paradies. Wenn sich einem dann noch ein paar schnurrende Katzenkinder auf den Schoß legen, ist das Idyll perfekt.

3. Die tollen Unterkünfte und Kneipen mit fairen Preisen
Erschwingliche Übernachtungen in uralten Gemäuern, toll restauriert und mit allen Annehmlichkeiten? Was in Deutschland ein riesiges Loch in die Reisekasse reißen würde, findet man in Rumänien in großer Zahl. Ich hatte Glück und konnte kurzfristig ein paar dieser Juwele ergattern, so wie das Casa Veche in Kronstadt oder Siebenbürgische Klassik in Hermannstadt. Mit eine bisschen mehr Vorplanung stehen einem Anwesen wie die des Grafen Kalnoky oder ähnliche zur Verfügung. Aber auch die ganz normalen Unterkünfte sind immer blitzsauber und häufig ganz besonders: ganz besonders freundlich wie das Complex Turistic Potocina, ganz besonders gelegen oder mit einem ganz besonderen Preis-Leistungsverhältnis. Manchmal auch mit allem gleichzeitig.
Und dann die Kneipen und Cafés. Aus vielen Ländern und auch aus Deutschland kennt man es ja: je besser die Lage, desto unverschämter die Preise in Restaurants. Nicht so hier. Das Bier kostet in Premiumlage auf den schönen Plätzen in Hermannstadt genauso viel wie in der Spelunke um die Ecke, mit 1,50 € ist man dabei. Und es ist überhaupt kein Problem, in einem Restaurant mit traumhaftem Blick nur ein Bier und nichts zu Essen zu bestellen. Viele Kneipen bieten sogar nur Getränke an und man kann unbehelligt Stunden sitzen bleiben und die Aussicht genießen.

Leider leider leider gibt es in Rumänien aber auch einen Wermutstropfen. Kulinarisch ist es nach meiner Erfahrung keine große Offenbarung. Ich habe immer mal wieder sehr gut gegessen. Aber meistens ist das Essen fettig und nicht sonderlich raffiniert gewürzt. Pizza und Pasta bekommt man überall, aber die Nudeln sind häufig in Sahne ertränkt und die Pizzen recht geschmacksneutral. Immer wieder wird man bei der Pizzabestellung gefragt, ob man noch irgendeine Soße dazu bestellen möchte, hm. Bestellt wird nach dem Baukastenprinzip, man wählt eine Hauptzutat und dazu dann Beilagen und Soßen. Die Knoblauchsoße hat es in sich und würde jeden Vampir vertreiben, wenn es denn welche gäbe hier. Polenta ist ein Klassiker, aber das mag ich schon in Italien nicht so richtig und hier ist sie häufig mit Sahne und Käse verfettet und eben schlecht gewürzt. Was wirklich lecker ist, sind die Würste. Ich wollte kein Fleisch mehr essen, aber nach einer Menge laschen Nudeln wollte ich endlich mal etwas mit Geschmack. Und siehe da, die waren wirklich gut. Geräuchert und gegrillt, durchaus fein. Besser sind die Süßspeisen. Die kleine Bäckerei gegenüber meiner Unterkunft in Hermannstadt verkauft Cremsnit – eine siebenbürgische Spezialität. Eine sicherlich nicht fettfreie Creme aus Milch, Eiern und ich fürchte viel Butter auf einem Blätterteigboden, eine Cremeschnitte halt. Doch, die ist gut.
Hervorragend sind die Rohzutaten. Der Markt in Hermannstadt quillt über vor Obst und Gemüse, die Aprikosen sind phantastisch, die Kirschen superlecker und die Tomaten erst! Am Honigstand teste ich mich durch die verschiedenen Sorten und entschied mich dann für einen Tannenhonig. Der ist jetzt wirklich außergewöhnlich. Aber, liebe Rumänen, nur wegen des Essens würde ich leider nicht her kommen.

In Rumänien scheinen sich die Kulturen zu vermischen. Römer und Russen, Deutsche und Ungarn – viele haben ihre Spuren hinterlassen. Deswegen hier meine TOP 4 der Dinge, die mir als typisch rumänisch aufgefallen sind:

1. Immer gut angezogen
Die meisten Rumänen sehen selbst auf dem Weg zum Bäcker wie aus dem Ei gepellt aus. Ich habe mich mit meiner sehr begrenzten Reisegarderobe immer etwas schäbig gefühlt.

2. Immer was zu Trinken in der Nähe
In Rumänien sitzt man nie auf dem Trockenen. Viele Lebensmittelläden, besonders die auf dem Land, haben Tische und Stühle vor ihren Geschäften. Drinnen für wenig Geld etwas zu trinken zu kaufen und draußen dann in Ruhe zu genießen, kein Problem. Und dann die Kaffeeautomaten. An jeder Ecke kann man sich einen Kaffee zapfen, qualitativ gar nicht schlecht, man ist immer versorgt. An vielen Orten wären Cafés echte Goldgruben – nahe großer Kirchenburgen oder in der Saline von Turda. Aber – man stellt einen Kaffeeautomaten auf, häufig noch eine Sitzgelegenheit daneben und der Tourist ist dann für 30 Cent versorgt und glücklich.

3. Einkaufen immer leicht gemacht
Was für Öffnungszeiten! Sieben Tage die Woche, keine Mittagspausen und manchmal sogar rund um die Uhr. Und dazu Restaurants, die erst dann schließen, wenn der letzte Gast das Glas geleert hat. Versorgungsengpässe muss man nicht befürchten in Rumänien.
Und dann ein Einkaufssystem, auf das man neidisch sein kann. Viele Waren kann man lose kaufen. In den großen Supermärkten gibt es lange Reihen mit Nudel-, Getreide- und Süßgkeitenspendern. Also kein Problem, nur 75 Gramm Fusilli zu kaufen, In großen Gefriertruhen gibt es kleine Mengen tiefgefrorenen Gemüses oder Obst kaufen, sehr praktisch. Die Supermärkte sind überwiegend in deutscher Hand, Lidli und Kaufland, ab und an auch Penny oder Carrefour dominieren den Markt. Aber zumindest Carrefour zieht mit beim bedarfsgerechten Einzeleinkauf.
Gar kein Problem ist Internet. Wifi gibt es überall, schnell und solide. Für 5 Euro kriegt man in den Handyläden in Windeseile so viele monatliche Gigabyte, dass man sie kaum verbrauchen kann. Die Netzabdeckung ist gut, ich hatte selten Probleme.
Und trotzdem scheint Deutschland für Rumänen das Produkt-Paradies zu sein. Viele Läden werben damit, deutsche Produkte anzubieten, Möbelläden scheinen nur dann überlebensfähig zu sein, wenn sie „German Quality“ anbieten. Ob IKEA hier eine Chance hat?

4. Immerfröhliche Kinder
Ein Abend auf dem Großen Ring in Hermannstadt macht vor allem deswegen so viel Spaß, weil die Kinder so unfassbaren Spaß an dem Wasserspiel dort zu haben, Aus zehn Löchern im Boden schießen in unregelmäßigen Abständen Wasserfontänen nach oben und ich habe noch nie so ein Gejauchze erlebt. Ich beobachte einen etwa dreijährigen Jungen, pitschnass tobt er durch’s Wasser, lacht jedesmal aufs Neue los, wenn die Fontänen starten, wenn Pause ist, legt er sich auf den Boden, planscht auf dem nassen Platz und kann einfach nicht genug kriegen. Richtig warm ist es eigentlich nicht mehr und das Wasser bestimmt auch eher kühl, aber er liebt es. Die Rumänen selber gehen sehr locker mit ihren Kindern um, abends um 11 haben alle noch die Youngsters dabei, sehr südländisch halt, und keine besorgten Eltern verbieten ihrem nassen Nachwuchs den Spaß. Überall sieht man große und liebevoll gestaltete Spielplätze und eigentlich jedes Hotel hat eine Spielecke für Kinder. Die meisten Kinder erlebe ich als sehr angenehm, offen und eben sehr fröhlich.
Touristisch gesehen ist Rumänien ein ideales Reiseziel für Familien mit Kindern. Wenn ich mich hier schon in Ritterburgenphantasien verliere, wie muss das erst auf Kinder wirken. Also, liebe Freunde mit Kindern, wie wärs mal mit Rumänien als Reiseziel?

Vieles würde mir noch einfallen, vieles habe ich sicherlich vergessen, ist ja jetzt auch schon ein bisschen her. Aber alles in allem: Rumänien war ein Highlight meiner Reise. So viel oh und ah, so viele besondere Momente, so viel Einzigartiges. Hin da, kann ich nur sagen!!!

Dracula und wilde Tiere

Hier soll er also her kommen, der Fürst der Finsternis. Aus dem dunklen Transylvanien,in dem leicht tumbe Hinterwäldler ihrem Aberglauben frönen, so dachte sich das Bram Stoker Anfang des 20. Jahrhunderts. Der Ire Stoker war selber nie in Rumänien, dafür hat er zumindest die Landschaftsbeschreibungen gut hinbekommen. Dracula selber oder sein Schloss entspringen ausschließlich der Phantasie des Autors und taugen daher eigentlich nicht für Pilgerstätten.

Bram Stokers Buch soll nach der Bibel das meist gelesene Buch der Welt sein – nur in Rumänien erschien es erst nach 1989 und war bis dahin dort vollkommen unbekannt. Die ersten ausländischen Vampirtouristen kamen Mitte der 60er Jahre und trafen auf erstaunte Rumänen. Es dauerte einige Jahre, bis man auf die touristische Steilvorlage einstieg und dann doch noch ein mögliches historisches  Vorbild fand: Fürst Vlad III. Draculea, auch genannt Vlad der Pfähler.

Und so gibt es für Dracula-Fans zwei Sorten von Zielen: die, an denen Vlad III. lebte und solchen, die den von Stoker beschriebenen Orten ähnlich sehen. Und eigentlich vermischt sich mittlerweile alles.

Der Hauptanziehungspunkt ist das Schloss Bran südwestlich von Brasov. Dieser Ort wurde von der Regierung einfach mal als Dracula-Schloss präsentiert als sich die Fragen der Vampirtouristen häuften. Und die waren so begeistert von dem Ort, dass sie gerne glaubten, dieser sei das Vorbild für den Dracula-Wohnsitz gewesen.

Mittlerweile ist Bran eine der Hauptattraktionen in Rumänien, was nicht nur eine Flut von Reisebussen und -gruppen, sondern auch Dracula-Schnickschnack aller Art und unverschämte Preise bedeutet. Für das Vierfache normaler Eintrittspreise schiebt man sich durchs volle Schloss, das allerdings wirklich nicht nur eindrucksvoll gelegen, sondern auch sehr schön restauriert ist. Eigentlich ist es zu hübsch für den dunklen Ort, den Stoker beschreibt, aber glauben kann man durchaus, dass sich hier wunderliche Dinge zugetragen haben.

Wenn ich schon auf dem klassischen Touripfad wandele, dann richtig, denke ich mir und buche ein Zimmer mit Blick auf’s Schloss. Die Aussicht ist famos und als sich dann auch noch ein heftiges Gewitter nähert, wäre es fast etwas gruselig, wenn da nicht die Massen von Menschen und Souvenirständen wären. Ich denke an die Kirchenburgen oder die Deutschordens-Ritterburg Rasnov, die ich am Tag zuvor besichtigt habe und bin rückwirkend sehr dankbar, dass ich diese Orte fast für mich alleine hatte.

   

Ich habe mich durch die 500 Seiten Dracula gequält, nur Anfang und Ende spielen in Rumänien, der Rest in England, wo sich der Fürst der Finsternis eine Weile durchbeißen muss (got it? durchbeißen? lustig?). Die Dialoge ziehen sich ziemlich und der Gruselfaktor hält sich in Grenzen – wahrscheinlich weil man die Geschichte ja sowieso kennt. Zu Beginn reist Jonathan Harker über Budapest nach Klausenburg, da habe ich auch eine Nacht verbracht. Dann fährt er einen ganzen Tag mit dem Bummelzug bis Bistritz. Das sind etwas über 100 km und viel schneller fahren die Züge heute auch nicht. Für die Strecke Hermannstadt – Kronstadt, etwa 150 km, war ich mit dem Zug jedenfalls vier Stunden unterwegs. Nach Bistritz hab ich es nicht geschafft, da trennten sich also Jonathan Harkers Wege und meine. Dafür hab ich mir aber Draculas Geburtsort angeschaut.

Das angebliche Geburtshaus

Auf meiner Rundfahrt durch Rumänien habe ich in Sighisoara, deutsch Schäßburg, Station gemacht und da war nun tatsächlich Vlad der Pfähler zugange. Zumindest wurde er hier  1431 geboren, keiner weiß genau wo, aber ein Haus hat sich einfach mal zum Dracula-Geburtshaus ernannt. Hier gibt es auch das vermeintliche Geburtszimmer zu besichtigen, das spare ich mir. Vlad selber ist per Büste neben der großen Kirche von Schäßburg verewigt. Als Fürst der Walachei ließ er gerne mal seine Feinde auf Pfähle aufspießen, war damit aber wohl kaum grausamer als andere Herrscher dieser Zeit, das Quälen war damals gängige Politik. In der Zitadelle von Schäßburg kommt dieser ganz sanfte Grusel schon eher zum Tragen, insbesondere am Abend, wenn die Tagestouristen weitergefahren und die Altstadtgassen stimmungsvoll beleuchtet sind. Natürlich wird auch hier versucht, Dracula zu vermarkten, aber auf eine deutlich unaufdringlichere Weise und mit einem Augenzwinkern. Im „Scary Burger“ auf der Burgmauer genehmige ich mir einen leckeren Käsekuchen, der mit blutroter Erdbeersoße beträufelt ist und mein Besuch auf dem dortigen Friedhof hat absolut nichts mit Vampiren, sondern lediglich mit meinem Interesse für die deutsche Vergangenheit der Stadt zu tun.

 

So richtig wollen die Rumänen nicht mitziehen mit dem Dracula-Kult. Wahrscheinlich ist es ihnen einfach zu blöd, dass ihr schönes Land hauptsächlich mit einem Blutsauger assoziiert wird. Ab und an finden sich kleine Remineszenzen, wie in der Gothic-Ausstellung im Keller des Bruckenthal-Museums in Hermannstadt – allerdings mit der klaren Ansage, dass es sich hierbei um romantisierende Fiktion handelt. Gut so, dass sie nicht drauf einsteigen. Entsprechende historische Orte hätten sie genügend und ich stelle mir mit Grauen vor, was ein findiger Dracula-Tourismusmanager hier alles verhunzen könnte.

Fährt man nur wenige Kilometer aus Bran heraus, beginnt die absolute Idylle, hübsche Bauerndörfer an steilen grünen Hängen und Wälder, aus denen Hänsel und Gretel hervorspringen könnten. Ich steige aus und laufe ein wenig an einem Bach entlang. Vollkommene Einsamkeit, wie idyllisch. Dann kommt mir aber wieder Bram Stokers Roman in den Kopf, Wölfe spielen hier ja eine große Rolle, aber noch mehr denke ich jetzt an die Bären, die in der Region Brasov heimisch sind. Ich würde ja zu gerne mal welche sehen, aber vielleicht doch eher nicht allein in freier Wildbahn, also Rückmarsch zum Auto.

Ich habe gelesen, dass es im Nachbarort ein Bärenprojekt gibt und da fahre ich hin. Libearty ist einer der Plätze, die einen erst traurig machen, dann aber sehr glücklich zurücklassen. Bären geht es nicht sonderlich gut in Rumänien, Tanzbären sind das Stichwort und das Halten von Bären in viel zu kleinen Käfigen zur Belustigung von Restaurantbesuchern schien zumindest früher gängig zu sein. In Zarnesti ist ein kleines Paradies für diese Tiere entstanden, die man nicht mehr auswildern kann. Eine Privatinitiative hat hier auf über 70 Hektar eine neue Heimat für die Bären geschaffen. Das ist kein Zoo, erläutert das Schild am Eingang, deswegen ist das Reservat auch nur drei Stunden am Tag geöffnet und kann nur unter mit einer Führung betreten werden. Die Geschichten gequälter Tiere sind furchtbar und nicht alle haben sich ganz erholt. Ein kleiner Bär liegt dicht am Zaun und lutscht lautstark an seiner Pfote. Das macht er, weil er zu früh von seiner Mutter getrennt wurde, er imitiert das Nuckeln. Ein anderer Bär fängt sofort wenn er Menschen sieht an, sich im Kreis zu drehen – Folge seines Tanzbärendaseins. Die meisten Tiere jedoch scheinen ihr neues Leben sehr zu genießen. Es ist ein warmer Tag, auf dem Gelände wurden mehrere Teiche und kleine Seen angelegt und laden zum großen Bärenbaden ein. Durch das hohe Gras tollt eine kleine Gruppe und verschwindet dann im Wald, großes Bärenglück. Ein toller Ort und wer einmal in der Gegend ist sollte es auf keinen Fall versäumen, bei Libearty vorbei zu schauen!

Meine Zeit in Rumänien geht langsam zu Ende. Das Donaudelta schaue ich mir ein anderes Mal an, es ist doch komplizierter als ich dachte, dorthin zu kommen. Ich nehme mir lieber noch mal Zeit für zwei ganz außergewöhnliche Kirchenburgen in Tartlau und Honigberg nördlich von Brasov. Anders als die Kirchenburgen zuvor waren dies richtige Wohnanlagen mit Zimmern in der Wehrmauer. In Friedenszeiten dienten sie Lagerzwecken, rückten die Türken näher, zog die Dorfbevölkerung ein und verteidigte die Burg standhaft. In Tartlau gibt es über 100 dieser Zimmer, feinsäuberlich durchnummeriert und über Holzleitern und -stege zu erreichen. Das ist schon sehr beeindruckend, aber ganz besonders ist, dass noch der gesamte Wehrgang unter dem Dach der Mauer erhalten. ist Und zack geht sie wieder los, die Zeitreise. Hier oben im Halbdunkel auf dem sandigen Boden zu laufen, die Muster, die das Sonnenlicht durch die Schießscharten auf die Wand zeichnet, die gedämpften Stimmen der Leute im Innenhof, da ist man schon ganz schnell zurück im 14. Jahrhundert, als diese Anlage gebaut wurde. Ziemlich magisch hier oben!

Der Wehrgang in Honigberg ist nicht komplett erhalten und auch die Zahl der Wohnungen innerhalb der Burgmauern ist deutliche geringer als in Tartlau, dafür haben sie aber eine ganz reizende Kirche, in der gedämpfte Orgelmusik vom Band noch mehr Atmosphäre schafft. Was gleich auffällt ist, dass ein Teil des Kirchengestühls aus rohen Balken ohne Lehne besteht. Das sind die Sitze der Frauen, unverschämt, denke ich mir, lese dann aber, dass es sich mit den riesigen Rückenschleifen der tradtionellen Trachten so viel bequemer sitzen lässt. Na gut…. Auch diese Kirche ist wie in Brasov mit vielen orientalischen Teppichen geschmückt. Richtig gemütlich hier. Ich besteige zum letzten Mal einen uralten Kirchturm. Das ist wahrscheinlich die nicht ganz befriedigte Grusellust, wieder sind die Treppenstufen extrem holprig, wackelig und fast im Dunkeln. Aber ich muss da rauf! Ich stolpere ein wenig durch das Dachgestühl, tauche unter den drei großen Glocken hinweg und mache mich dann langsam auf den Rückweg. BUMMMM! Gut, dass ich mich mit beiden Händen am Geländer festgehalten habe, eine der Glocken schlägt die Viertelstunde und ich erschrecke mich furchtbar. Ok, genug des Adrenalin-Kicks, jetzt reicht es mit Dracula, alten Gemäuern und wilden Tieren. Ich fahre zurück nach Hermannstadt und mache mir noch eine ruhige Woche in Straßencafés und auf den schönen Plätzen der Stadt.

Und da bin ich nun, genieße das südländische Flair im Wiener Ambiente und bereite mich so ganz langsam auf meine Rückkehr nach Deutschland vor. Noch genau ein Monat, dann ist sie vorbei, meine große Reise. Die vielen Gedanken, die mir dazu durch den Kopf schießen, muss ich noch ordnen. Aber bei einem bin ich mir schon mal sicher: auch Rumänien war ein Highlight der Reise.

In Wurmloch durch die Zeit

Dass es so viel zu sehen geben würde in Rumänien, hatte ich nicht erwartet. Zwei Wochen mit dem treuen Polo, der tapfer jedem Feldweg und jeder holprigen ungeteerten Straße getrotzt hat, sind jetzt vorbei. Von den rund 150 Kirchenburgen habe ich vielleicht gerade mal zehn angeschaut und jede war auf ihre Art phantastisch. In Biertan habe ich sogar zwei Nächte verbracht, weil ich mich an der riesigen auf einem Hügel gelegenen Kirchenburg und dem wunderschönen Blick über den kleinen Ort nicht sattsehen konnte. Die Anlage ist über 600 Jahre alt, in einem der Türme befinden sich Fresken aus dem 14. Jahrhundert, bis auf ein rostiges Gitter sind sie in keiner Weise geschützt und es wird ein rumänisches Rätsel bleiben, warum trotzdem alles so gut erhalten bleibt. In der Kirche befindet sich eine Tür aus dem Jahr 1515, das filigrane Schloss hat einen komplizierten Mechanismus mit 19 Riegeln und die Tür ist weit gereist: sie wurde auf der Weltausstellung 1889 in Paris präsentiert und ich stelle mir vor, wie Gustave Eiffel oder Gottlieb Daimler sie bestaunt haben mögen.

Rund um Biertan läuft die Heuernte und hochbeladene Pferdewagen bummeln durch die Dorfstraßen. Das ist alles so unfassbar idyllisch, die große Burg, die historischen Häuser, die alten Männer, die vor der Dorfkneipe sitzen. Das ist der Zauber Rumäniens, wer sich in alte Zeiten zurückversetzen möchte, der ist hier genau an der richtigen Stelle. Ich fühle mich unweigerlich an meine Kindheit erinnert und starre verzückt auf die zwei Männer, die mit langen Heugabeln einen Karren beladen, während das rotgeschmückte Pferd davor hingebungsvoll grast. Aber Moment mal, ich bin weder auf dem Land aufgewachsen noch glaube ich, dass in den 60ern in Stuttgart oder Hamburg noch Pferdekarren zum Einsatz kamen. Woran meine ich denn, mich hier zu erinnern? Ich glaube, es sind eher die Bücher meiner Kindheit, die hier wiederauferstehen. Könnte Försters Pucki nicht jeden Moment um die Ecke kommen? Lasse und Bosse aus Bullerbü oben auf dem Heuwagen mitfahren? Krabat aus der Mühle hervorlugen?
Am Abend sitzt eine rumäniendeutsche Familie am Tisch neben mir. Sie müssten so zwischen 40 und 50 sein, haben ihren Sohn dabei, der vielleicht 10 Jahre alt ist. Der Mann telefoniert mit seiner Mutter in Deutschland und berichtet davon, dass sie am Tag zuvor ihr altes Haus bei Wurmloch besucht, es aber in schlechtem Zustand vorgefunden haben. Irgendwann verfällt er in den siebenbürger Dialekt, sehr melodisch, fast französisch.
Am nächsten Tag besuche ich die Kirchenburg in Wurmloch, hatte der Mann gestern nicht auch von diesem Ort gesprochen? Wurmloch erinnert mich ja eher an Raumschiff Voyager und es passiert auch ähnliches: ich mache eine kleine Zeitreise, wieder mal. Als ich mich die ausgetretenen Steinstufen des Kirchturms hinauf taste, im Dachgebälk herum wandere bin ich wie so oft hier fassungslos. Die Kirche stammt aus dem 14. Jahrhundert. Mehr als 600 Jahre, in denen sich wahrscheinlich so gut wie nichts verändert hat. Wer hier schon alles rumgeklettert ist. Und ich mittendrin. Wahnsinn.
Ein „Sommersachse“ hat mir die Kirche aufgeschlossen, er ist 1989 von hier nach Paderborn ausgewandert, verbringt jedes Jahr einen Sommermonat in Wurmloch und kümmert sich dann um die Kirchenburg. Als wir in der Kirche stehen berichtet er, dass am Vormittag eine Familie da war, sich die Gesangsbücher genommen hat und vor dem Altar ein paar Lieder gesungen hat. Ein kleiner Junge sei dabei gewesen und sie seien sehr ergriffen gewesen. Die Familie vom Vortag.
Mich berührt das sehr. Ich frage den alten Mann, wie er mit dem Verlust der Heimat klar kommt, er winkt ab, er sei ja jedes Jahr wieder hier. Als er mir dann aber in dem kleinen Museum die Bilder der Dorffeste zeigt, scheint er sentimentaler zu werden. Den Ort kann er jedes Jahr besuchen, die Kultur ist aber untergegangen. Ob er gerne nach Deutschland gegangen sei, frage ich ihn, und er sagt „was hätte ich tun sollen, es waren ja schon fast alle weg.“
Die Siebenbürger Sachsen lebten 600 Jahre lang in Rumänien. Durch strikte Abgrenzung schafften sie es, ihre Kultur zu erhalten. Schon komisch, in Deutschland wird Integration um jeden Preise gepredigt, gleichzeitig haben sich Deutsche in vielen Ländern zwar vielleicht politisch und sozial integriert, sprachlich-kulturell aber ihre Eigenständigkeit bewahrt. Mit Verzückung schauen wir auf die Amish in den USA oder kleine Schwarzwalddörfchen in Venezuela, aber wehe jemand kommt auf die Idee, in Deutschland eine Moschee errichten zu wollen.
Der rumänische Staat war lange Zeit sehr tolerant, räumte den Deutschen diverse Privilegien ein, so durfte in den Schulen in deutsch unterrichtet werden. In der Hitler-Zeit bekannten sich viele aktiv zum Nationalsozialismus, freiwillig oder unfreiwillig, und nach dem zweiten Weltkrieg folgte die Strafe auf dem Fuße. Enteignungen und Deportationen fanden statt, fast 100.000 Rumäniendeutsche wurden in sowjetische Arbeitslager verschleppt und kehrten teilweise erst nach Jahren wieder zurück. Unter Ceaucescu litten sie als „deutsche Verräter“ besonders. Und dann kam der Diktator auf die Idee mit dem Menschenhandel. Über die genauen Summen wird spekuliert, bis zu 8000 DM sollen es pro Person gewesen sein. Der Diktator lästerte: „Erdöl, Deutsche und Juden sind Rumäniens wichtigste Exportartikel“, denn auch Israel zahlte für Ausreisegenehmigungen. In vielen Fällen ging es schlichtweg um Familienzusammenführung, denn viele Rumäniendeutsche hielten sich nach Kriegsende in Deutschland auf – als ehemalige Soldaten, Flüchtlinge oder Zwangsarbeiter, die von der Sowjetunion nicht nach Rumänien, sondern nach Deutschland zurückgeschickt wurden. Nach der Revolution 1989 gab es dann kein Halten mehr bei den restlichen Sachsen, der Großteil wanderte nach Deutschland aus. So wenig sie sich über Jahrhunderte in Rumänien integriert hatten, so schnell ging es dann in Deutschland.
Die Rumänen jedenfalls scheinen kein Problem mit der deutschen Vergangenheit vieler Orte zu haben, die Ortsschilder tragen häufig zwei oder gar drei Namen, rumänisch, deutsch und ungarisch. Die deutschen Gymnasien in Hermannstadt, Mediasch oder Kronstadt gelten als Eliteschulen und die sächsischen Kirchenburgen werden gerne auch von staunenden rumänischen Touristen besucht. Rumänien gilt als Beispiel für Toleranz gegenüber Minderheiten, 18 Ethnien sind als Minderheiten anerkannt, jede hat einen Sitz im Parlament und gesetzlich verankerte Rechte. Ob das im Alltag immer so ideal klappt, wie es sich in der Theorie anhört, bezweifle ich. Die ungarische Wirtin in Turda sagte zu mir, sie habe kaum Kontakt zu Rumänen, „they don’t like us“. Den Umgang mit den Roma kann ich schlecht beurteilen – mir ist so gar nicht klar, wer dazu gehört. Sind es die prächtig bunt gekleideten Frauen mit den langen Röcken und die Männer mit den großen schwarzen Hüten, die so sehr mein romantisches Bild von „Zigeunern“ bedienen? Und die sehr freundlich reagieren, wenn man ihnen zulächelt. Oder sind es die Bettler, die man selten, aber doch immer mal wieder sieht und die mich sehr an manche Szene in deutschen Fußgängerzonen erinnern? Mal sehen, ob ich das noch herausfinden werde.

Nach so viel Gekraxel in uralten Kirchtürmen beschließe ich jedenfalls, ein paar Tage stationär zu bleiben. In Hermannstadt trenne ich mich von dem braven Polo und setze mich in die Bahn Richtung Brasov, zu deutsch Kronstadt. Die Fahrt ist gemächlich, dreieinhalb Stunden für 160 Kilometer und dann stehe ich am Bahnhof von Brasov. Der Bus in die Stadt ist schon da, ich springe hinein und frage den Fahrer nach einem Ticket. Er deutet in Richtung eines Automaten und ich versuche ihm klar zu machen, er möge doch bitte auf mich warten und nicht mit meinem Koffer wegfahren. Macht er und er hilft mir sogar dabei, mein Ticket zu entwerten. So, jetzt kann nichts mehr schiefgehen, oder? Der Bus hat sich gefüllt und ist losgefahren, da steht plötzlich ein kleine energische Frau vor mir: Kartenkontrolle. Ich krame, wo hab ich dieses Ticket bloß hingetan? Nach einigem Suchen finde ich es endlich. Sie schüttelt den Kopf, nein, das sei ein falsches Ticket. Ich sage zu ihr auf englisch, der Busfahrer habe das aber akzeptiert, sie bleibt hartnäckig, es sei das falsche, und fängt schon an, die Straftickets aufzublättern. 50 Lei seien fällig. Ich deute erneut auf den Busfahrer, ihr Kollege spricht bereits mit ihm und berichtet ihr dann, dass der meine Geschichte bestätigt hat. Ist ihr egal, falsches Ticket, jetzt mal her mit den 50 Lei. Da hat sie aber nicht mit den anderen Passagieren, fast alles Frauen, gerechnet. Es bricht eine heftige Diskussion los, alle gemeinsam und gegen die Kontrolleuse. Eine junge Mutter vor mir übersetzt immer mal wieder für mich. Ich hätte ein Ticket für einen anderen Bus gelöst, das sei sogar teurer als das eigentlich Benötigte, ich solle mir keine Sorgen machen, das würden sie schon hinkriegen. Richtig Stimmung im Bus! Und tatsächlich, an der nächsten Haltestelle klappt die Kontroll-Lady ihr Büchlein zu, schnaubt kurz und steigt aus. Ich bedanke mich beim ganzen Bus, alle scheinen beglückt, sich durchgesetzt zu haben und ich steige beschwingt an der nächsten Station aus. Merci Brasov!
Noch ein paar hundert Meter, dann stehe ich vor meiner Unterkunft und bald auch drin. WOW! Mein Apartment befindet sich in einem Haus aus dem 18. Jahrhundert, riesig, super renoviert, mit uraltem Boden und Holztüren, stilvoll dekoriert, eine große Terrasse und eine eigene Kanone. Braucht man hier wahrscheinlich, denn Brasov wird regelmäßig von Bären heimgesucht. Wer jemals nach Brasov kommt und sich wie im Märchen fühlen möchte: ab ins Casa Veche!
Überhaupt ist Brasov der Ort, in dem man sich ständig in andere Welten versetzen kann. Sei es in den mittelalterlichen Gassen der Altstadt, in der großartigen Schwarzen Kirche mit ihren wunderschönen Zunftgestühlen und orientalischen Teppichen oder den vielen originellen Kneipen und Restaurants der Stadt. Im grandiosen „Festival 39“ fühlt man sich in die zwanziger Jahre zurückversetzt, im „Dr. Jekelius Pharmacy Café“ sitzt man in einer alten Apotheke und schlürft den Saft aus Labor-Messbechern. Ein kleiner Herbsteinbruch mitten im Sommer sorgt dafür, dass ich ausreichend Gelegenheit habe, stundenlang hier herumzusitzen, denn es regnet zwei Tage lang durch bei Temperaturen unter 15 Grad. Wenn schon schlechtes Wetter, dann lässt es sich hier noch am besten aushalten.
Ein sehr sehr schöner Ort, dieses Kronstadt. Dass es nach den vielen tollen Städten noch mal eine Steigerung geben würde, habe ich nicht erwartet. Auch wenn es die Heimatstadt von Peter Maffay ist :- Aber bald ist Schluss mit der Pracht. Denn ganz langsam muss ich mich mal um Dracula kümmern…..

Idyllisches und nicht so Idyllisches

Ich habe mich von den schönen Moldauklöstern verabschiedet und bin weiter Richtung Süden gefahren. Weil man für 400 km hier gerne einen ganzen Tag benötigt, suche ich nach einem Zwischenstopp auf dem Weg nach Schäßburg und Piatra Neamt ist etwa die Hälfte. Kein schöner Ort, aber in der Nähe befindet sich eine beeindruckende Schlucht und von hier sind es später nur noch etwa 200 Kilometer bis zu meinem nächsten Ziel. Im Internet finde ich eine Pension mit sehr guter Bewertung und da buche ich mich ein. Es regnet in Strömen als ich in Piatra Neamt ankomme. Die Pension hat keine Adresse, sondern nur GPS-Koordinaten, am einfachsten soll ich anrufen, wenn ich in der Stadt sei. Das mache ich und Claudiu lotst mich auf einen Parkplatz an der Schnellstraße, wo mich seine Frau Ana-Maria erwartet. Es schüttet, ich folge ihrem Auto und nach einem kurzen Stück auf der Schnellstraße biegt sie auf einen unbefestigten Weg ab, links und rechts nur Wiesen, wir flutschen von einem Schlammloch ins andere, aber irgendwann taucht die Pension auf. Im Haus duftet es nach Erdbeermamelade, freundliche Menschen begrüßen mich, Ana-Maria düst davon, sie muss noch arbeiten.
Das Zimmer ist goldig, mit viel Liebe dekoriert, ich falle auf’s Bett und verlasse es für den Rest des Abends nicht mehr. Durch’s Fenster blicke ich auf einen grünen Hügel, am nächsten Tag weiden dort Schafe, Idylle pur.
Am Morgen gibt es ein leckeres Frühstück im Wohnzimmer, eine junge Familie aus Moldawien sitzt am Nebentisch, wir kommen ins Gespräch. Alex erzählt wundersame Geschichten, Moldawien sei ein großer Weinproduzent und Nahe der Hauptstadt Chisinau gäbe es den größten Weinkeller der Welt. In Moldawien? Hm. Ich google das Ganze dann später und lese erstaunt über die Millionen Liter Wein, die dort lagern, einschließlich der Weinsammlung von Hermann Göring.

Ana-Maria hat mir ein paar Klöster und die Bicaz-Schlucht empfohlen, also mache ich mich auf den Weg. Kaum zu glauben, dass es gestern noch in Strömen geregnet hat und richtig kalt war. Im Kloster Bistrita bestaune ich wieder einmal uralte, bestens erhaltene Gemäuer. 1498 steht auf der Tafel am Turm, Wahnsinn.
Die Schlucht ist weiter weg als gedacht, der Weg dorthin aber sehr hübsch. In einem besonders idyllischen Tal taucht ein monströses Ungetüm aus sozialistischen Zeiten auf, eine gigantische Betonfabrik. Beim Näherkommen leuchtet mir ein Schild von Heidelbergzement entgegen. Kapitalismus meets Kommunismus. Es sei eigentlich ein Glück, sagt mir Claudiu später, seit die Fabrik westlich betrieben würde, seien endlich Filter eingebaut worden und das gesamte Tal nicht mehr mit einer weißlichen Betonschicht bedeckt.
Die Schlucht kündigt sich durch hölzerne Verkaufsbuden an, ein rauschender Gebirgsbach fließt neben der Straße und die Berge rücken rechts und links immer näher. Hui, echt beeindruckend, aber man muss auch höllisch aufpassen. Schulklassen und Touristen, die im Gänsemarsch am Straßenrand laufen und auf der Straße fiese Schlaglöcher. Woran erkennt man einen nüchternen westeuropäischen Autofahrer? Er fährt schön geradeaus. Und einen betrunkenen? Er fährt Schlangenlinien. Bei den Rumänen ist es genau umgekehrt, nüchtern schlängeln sie sich um die Schlaglöcher, betrunken brettern sie drüber hinweg, spotten Ana-Maria und Claudiu später.
Ich lese standesgemäß gerade Dracula von Bram Stoker, der berichtete schon 1897, dass „die Straßen in den Karpaten einer alten Tradition entsprechend nicht in allzugroßer Ordnung gehalten werden. Von alters her lassen die Hospodare nichts daran ausbessern, um nicht bei den Türken den Glauben zu erwecken, man wolle Truppen gegen sie marschieren lassen.“ Nein, den Eindruck vermittelt diese Straße wirklich nicht.
Nachmittags kehre ich in die Pension zurück und unterhalte mich lange mit Ana-Maria und Claudiu, die sehr gut englisch sprechen. Sie sind Ende 30, haben beide einen Universitätsabschluss und Fulltime-Jobs. Mit der Pension haben sie sich einen Traum erfüllt. „My father always wanted to have a lake“, erzählt Ana-Maria, also kaufte er ein Stück Land mitten im Nirgendwo und hat dort mittlerweile sogar zwei Seen angelegt. Und dann kam die Idee auf, eine kleine Pension neben den See zu stellen, in ein Gebiet ohne Straße oder Strom. Ana-Maria beantragte Fördergelder der EU, war damit erfolgreich und heute steht hier einer der freundlichsten Orte, die ich in Rumänien kennengelernt habe.

Sie erzählen von ihren Erinnerungen an die Ceaucescu-Zeit, wie ihre Eltern sich zuhause nur ängstlich wispernd über das Regime unterhielten und Rationierungen aller Art an der Tagesordnung waren. Dass sie großes Mitleid mit den Menschen in Nordkorea haben, deren verordnete Begeisterung ihnen seltsam vertraut vorkommt.
Herrje, ich weiß nichts über die rumänische Geschichte. Dunkel erinnere ich mich an die Bilder des hingerichteten Diktators Ende der 80er, die ich so gar nicht einzuordnen wusste. Claudiu berichtet, dass es Rumänien bis Ende der 60er Jahre eigentlich gut ging, Ceaucescu ein durchaus auch im Westen beliebter Politiker war, bis er Nordkorea besuchte, dort Geschmack am Personenkult fand und vollkommen verändert zurück kam. Und tatsächlich, die Bundesrepublik hatte Ceaucescu 1971 sogar mit einem hohen Orden geehrt, bevor er vollkommen abdrehte und sich zum Ziel setzte, den „neuen Menschen“ zu schaffen. Der Versuch der Reduzierung der Auslandsverschuldung hatte verheerende Folgen für die Versorgungslage der Bevölkerung. Als „Genie der Karpaten“ ließ er sich bezeichnen, wenn es nicht so dramatisch für die Bevölkerung gewesen wäre, könnte man eigentlich darüber lachen.
Wieder mal bin ich äußerst dankbar dafür, dass meine Großeltern – teils eher unfreiwillig durch Vertreibung, teils bewusst durch Flucht – dafür gesorgt haben, dass ihre Kinder und Enkel im Westen aufwuchsen.

Am Abend führt uns Alex dann in die moldawische Weinkultur ein. Er kredenzt einen edlen Sekt und einen Rotwein, beides wirklich lecker, aber mit ordentlichem Alkoholgehalt. Ich finde es spannend, etwas aus diesem mir vollkommen unbekannten Land zu hören. Sie sprechen dort vorwiegend rumänisch, das ist meine erste Überraschung. Es gibt sogar Bestreungen der Vereinigung von Moldawien mit Rumänien, hatte mir Claudiu am Nachmittag erzählt und eher etwas skeptisch nach meinen Erfahrungen mit der deutschen Wiedervereinigung gefragt. Rumänien sei arm, Moldawien aber erst recht.
Alex berichtet, dass Moldawien im großen Stil billige Äpfel aus Polen gekauft hat, diese als moldawisch umettikettiert und teuer nach Russland verkauft habe, weil dort die moldawischen Äpfel als besonders gut gelten. So seien die moldawischen Apfelexport-Zahlen weit höher als die gesamte Inlandsproduktion. Er findet das vollkommen in Ordnung, zumal es die Russen trifft und grinst: „We are poor, we need the money.“ Claudiu ergänzt, auf diese Art sei Rumänien auch schon mal zum Bananenexporteur geworden.
Ana-Maria und Claudiu betonen, dass sie wie viele Rumänen ihr Land lieben. Zwar liege sehr viel im Argen, aber sie würden es mit Humor nehmen. Arm aber sexy halt. Nur die Korruption und eine Regierung, die nichts dagegen unternimmt, seien die großen Probleme. Doch langsam regt sich Widerstand im Volk. Anfang des Jahres versuchte die Regierung ein Gesetz zu verabschieden, dass die Strafbarkeit von Korruption einschränken sollte. In Deutschland fast unbemerkt kam es zu Massenprotesten der Bevölkerung, die erfolgreich waren.
Warum ist die EU hier eigentlich so untätig, frage ich mich. Gibt es da nicht den Vertrag von Lissabon, der Rechtsstaatlichkeit als einen der obersten gemeinsame Werte festlegt? Doch wie fast immer, solange die wirtschaftlichen Interessen gewahrt bleiben, scheint der Rest fast egal zu sein.

Irgendwann falle ich dann müde ins Bett. Am nächsten Tag will ich weiter nach Schäßburg. Es war schön hier. Ich habe viel erfahren, die schöne Landschaft genossen und mich wie bei Freunden gefühlt. Wer das in Rumänien auch mal möchte, dem lege ich das „Potocina“ sehr ans Herz.

So viel zu sehen!

Ich kann es gar nicht glauben, dass ich erst vor sechs Tagen in Hermannstadt zu meinem kleinem Roadtrip gestartet bin. Hier gibt es so viel zu sehen, so viel zu erleben, das bringt mein Zeitgefühl ordentlich durcheinander.

Mein Polo wird überholt

Am Flughafen von Hermannstadt stelle ich erst mal fest, dass man Bestätigungsmails vielleicht doch mal zu Ende lesen sollte. Die Mietwagenfirma hat keinen Schalter im Flughafen, sie hatten um Mitteilung gebeten, wann ich denn lande, um mich abzuholen. Ich hingegen hatte nur gesagt, dass ich das Auto um 12 abhole. Aber, ein kurzes Telefonat und kaum fünf Minuten später steht mein nagelneuer weißer Polo vor der Tür, für den ich inklusive Premiumversicherung keine 10 Euro am Tag zahle. Ich habe doch tatsächlich erst mal Schwierigkeiten, die richtige Straßenseite für meine Fahrt zu wählen. Doch zu lange in linksfahrenden Ländern unterwegs gewesen. Und einmal säuft er mir fast ab, weil ich vergessen habe, die Kupplung zu treten. Mein erstes Schaltgetriebe seit fast zwei Jahren. Aber schnell ist alles gut, die Straße ist sehr viel besser als gedacht und so zuckle ich meinem ersten Ziel, dem Dörfchen „Cristian“ entgegen. Dort soll es viele Störche geben sagt der Reiseführer und ich fluche ein wenig, als ich in den Ort fahre. Die Dorfstraße zieht sich, eine etwas präzisere Beschreibung, wo denn jetzt die Störche sind, wäre doch angebracht gewesen, fluche ich ein wenig, aber da sehe ich sie schon. Eigentlich auf jedem Strommast der Hauptstraße hat sich eine Storchenfamilie ein Nest gebaut, dutzende sind es. Ich staune und muss gleich darauf auf die Bremse treten, vor mir fährt doch tatsächlich ein Pferdewagen. Ich dachte, das würde man nur noch irgendwo in der tiefsten Pampa erleben, ich bin vielleicht eine Viertelstunde vom Flughafen entfernt, aber nein: dort am Marktplatz stehen auch zwei Pferdefuhrwerke, traurig dreinschauende dürre Pferdchen vor einfachen Wagen mit Gummirädern. Also Obacht, hinter jeder Ecke kann ein Kutsche auftauchen.

Ich laufe die einsame Dorfstraße ein Stück hinauf und kann es gar nicht so recht fassen, wie sehr sich die Lebensverhältnisse innerhalb von ein paar Kilometern ändern können. Außer den Störchen gibt es noch eine Kirchenburg in Cristian, eine jener wehrhaften Dorfanlagen, die ich mir zuhauf anschauen möchte. Diese ist allerdings verschlossen, neben der Post sei der Schlüssel zu finden, aber ich bin wählerisch: sieben Kirchenburgen in Siebenbürgen gehören zum Weltkulturerbe und die will ich sehen. Also weiter nach Calnic, deutsch Kelling und hinein in meine erstes Kirchenburgerlebnis. Die Anlage stammt aus dem 13. Jahrhundert, so alt, so gut erhalten und so tauglich für Burgfräulein-Phantasien. Und ganz reizend dekoriert, überall Blumenkübel, in Mauerlücken stehen Kerzen, das sieht im Dunkeln bestimmt toll aus, und im Haupthaus findet sich eine Ausstellung von Alltagsgegenständen, Geschirr, Kleidung, Musikinstrumente, Teppiche. Kirchenburgen dienten den Dorfbewohnern zur Verteidigung gegen die Türken oder die Tataren, in den Wehrmauern und im zentralen Turm ließ es sich wohnen und in der kleinen Kirche in der Mitte auch im Kriegsfall beten.

Einen tollen Blick hat man bestimmt vom Glockenturm und so steige ich eine sehr steile und etwas klapprige Treppe (oder ist es bereits eine Leiter?) hinauf. An deren Ende ist es eng und dunkel, eine Drehung, dann führt eine weitere, noch steilere und sehr klapprige Treppe, nein, diesmal ist es eine Leiter, weiter hinauf und das letzte Stück ist so heftig, dass ich mir überlegen, den Aufstieg in der Finsternis abzubrechen. Aber endlich komme ich oben an, die drei Glocken sind imposant und der Blick in die Landschaft auch. Was mich aber besonders beeindruckt, ist das Dörfchen direkt gegenüber, das ich von hier oben ganz heimlich beobachten kann. Frauen sind dabei, auf der unbefestigten Dorfstraße Teppiche zu waschen, wieder ein Pferdekarren und viele staubige Kinder. Ich steige wieder runter von meinem Turm und gehe kurz hinüber. Sehr einfache Häuser, ob die überhaupt fließendes Wasser haben? Die Erwachsenen schauen mich misstrauisch an, ein Mädchen redet auf mich ein, streckt mit die offene Hand hin, sie will Geld. Ich lache, sie versucht es weiter, aber merkt dann, dass es nichts wird. So richtig wohl fühle ich mich nicht, es hat ja auch was voyeuristisches. Also zurück zum Auto und weiter Richtung Alba Iulia.

Große Erwartungen habe ich an den Ort eigentlich nicht, es soll eine Festung geben, gut, die kann man sich ja mal anschauen. Meine kleine blitzesaubere Pension mit dem, wie sich am nächsten Tag herausstellt, weltbesten Frühstück, liegt außerhalb der Altstadt. Nach der Ankunft spaziere ich los durch gesichtlose Hauptverkehrsstraßen, ob da überhaupt noch was Interessantes kommt?

Oh ja! Alba Iulia ist ein historisches Disneyland im allerbesten Sinne. Die sternförmige
Festungsmauer ist komplett erhalten, durch beeindruckende Tore betritt man die Altstadt und wird sofort in die Geschichte geworfen. Über zehn Jahre hinweg restauriert hat man alles getan, um den Besuchern einen Eindruck von den unterschiedlichen Epochen der Stadt zu geben. Und hier hat sich einiges abgespielt. Die Römer waren da, ihre einstige Hauptstraße ist markiert und auf einer Tafel nachgestellt. Die Habsburger haben im 17. Jahrhundert die Festung errichtet. In der Kathedrale St. Michael liegen wichtige ungarische Könige begraben, weswegen man in der Kirche mehr ungarisch als rumänisch hört. In der orthodoxen Dreifaltigkeitskathedrale von 1922 wurde rumänische Geschichte geschrieben, sie wurde anlässlich der Krönung des Königs errichtet, nachdem sich Siebenbürgen entschlossen hatte, Teil Großrumäniens zu werden. Originalgetreue Figuren aus Metall säumen die Straße, mal ein Gardeoffizier mit Bajonett, mal eine elegante Dame des 19. Jahrhunderts. So viel Geschichte auf so engem Raum. Und Alba Iulia feiert, was jetzt genau der Anlass ist, finde ich nicht raus, aber diverse Buden säumen die Hauptstraße und den Burggraben, Tonnen von Fleisch werden auf riesigen Grills gebrutzelt, für mich gibt es leckere ungarische Langos, außerdem scheinen die Studenten der Universität, die sich in der Festung befindet, gerade ihr Examen zu feiern, überall fröhliche Gesichter unter Doktorhüten und stolze Eltern. Die ganze Altstadt ist ein riesiges freundliches Fest, da hab ich echt Glück.

Täglich wird hier eine Wachablösung in historischen Kostümen zelebriert und weil jetzt Fest ist, gibt es eine ganz besondere Show. Soldaten marschieren auf, Pferde ziehen Kanonen herbei, ein kirchlicher Würdenträger schüttelt dem Bürgermeister die Hand, Kanonenschüsse werden abgegeben – und dann haben sie ihre Stadt angezündet. Alles folgt noch begeistert der historischen Inszenierung, da kommt ein Polizeiwagen herbeigefahren, zwei Polizisten mit Feuerlöschern stürzen heraus und löschen einen Teil der grasbewachsenen Stadtmauer. Ging alles gut, aber ein wenig grinsen musste ich schon.

  

Am Abend gibt es dann auf dem zentralen Platz der Altstadt ein großes Konzert, Delia ist der Topact, ich google sie kurz, sie war in der Jury von „Rumänien sucht den Superstar“. Das darf ich mir natürlich nicht entgehen lassen 🙂 Ein DJ tritt auf, die Stimmung ist sehr ausgelassen, jung und alt haben Spaß und dann kommt Dorian Popa, ein muskelbeladener Strahlemann mit zwei Cheerleadern als Begleitung. Nach zehn Minuten beschließe ich dann, auf Delia zu verzichten.

Mein nächstes Ziel ist Turda, nur etwa anderthalb Stunden von Alba Iulia entfernt, aber auf dem Weg gibt es ein schönes Kloster und ein historisches Städtchen in beeindruckender Landschaft, also mache ich mich früh auf den Weg.

Das Kloster Ramet ist gut besucht von rumänischen Touristen, eine hübsche Anlage vor schöner Landschaft, aber die historische Bedeutung wird mir erst klar, als ich das kleine Museum betrete. Für 20 Cent Eintritt kann man sich ein paar fast achtlos an die Wand gelehnte Ikonen anschauen, davor ein Zettel mit der Aufschrift „1763“. Ich lese dann, dass die unscheinbare kleine Kirche, die bis heute genutzt wird, aus dem 13. Jahrhundert stammt. Das ist irgendwie Rumänien, uralte Kultur, phantastisch erhalten und fast selbstverständlich noch in Benutzung.

Ich fahre weiter nach Rimetea, durch eine hügelige Landschaft mit bunten Frühsommerwiesen. Der Ort trägt wie viele hier mehrere Namen, deutsch Eisenmarkt und ungarisch Torocko. Die reizenden weiß-blauen Häuser wurden von Siebenbürger Sachsen erbaut, das Dorf ist aber vor allem von Ungarn besiedelt. Die umliegenden Berge laden zum Wandern ein und das hat Rimetea genutzt – das Dorf ist voll von Touristen. Ich mache einen kurzen Rundgang, es ist wirklich nett hier, aber einfach ein bisschen zu busy.

Ich übernachte in der Nähe von Turda, um am nächsten Morgen früh zu der Attraktion im Städtchen zu starten: der Saline. Ich bin um 9 da und sehe bereits, dass das hier was großes sein muss: zwei riesige Parkplätze, diverse Buden, die gerade öffnen. Ich genehmige mir noch einen schnellen Kaffee und starte dann in mein unterirdisches Abenteuer.

Wie soll ich es beschreiben? Ist ja immer schwierig mit den Superlativen. Ich glaube, es ist das surrealste Erlebnis meines Lebens. Als Kind bekam ich von meinen Verwandten aus der DDR ein Buch geschenkt, „Die sieben unterirdischen Könige“ von Alexander Wolkow. Und genau da bin ich jetzt gelandet. Und ich bin einhundert Meter unter der Erde Riesenrad gefahren.

Nach einer langen Treppe hinunter gelangt man auf eine Balustrade, die den Blick auf die riesige Höhle freigibt. Merkwürdige Geräusche dringen von unten herauf, als würde dort noch mit Hammern gearbeitet werden. Man kann dann entweder mit einem Fahrstuhl oder über glitischige Treppen ganz nach unten gelangen. Und dort tut sich dann eine Art Vergnügungspark auf. Die Geräusche, die ich oben hörte, stammen von einer Kegelbahn, es gibt Minigolf, eine Tischtennis- und Billiard-Anlage und eben dieses Riesenrad. Vollkommen irre. Es geht sogar noch tiefer, von oben blicke ich auf eine erleuchtete Anlage, die aus Star Trek stammen könnte, eine Insel in einem unterirdischen See, auf dem man Ruderboot fahren kann. Wer denkt sich so was aus? Eine Mischung aus Science Fiction, Harry Potter und Metropolis. Ein wirklich irres Erlebnis.

Zum Glück war ich so früh da. Die Menschen strömen herein und nach zwei Stunden mache ich mich auf den Rückweg an die Oberfläche. Wow, das war wirklich etwas ganz besonderes.

Weiter nach Cluj, zu deutsch Klausenburg, immerhin Rumäniens zweitgrößte Stadt, studentisch geprägt, nette Kneipen, aber eine Nacht hier reicht mir. Ich gerate in einen orthodoxen Freiluftgottesdienst, ist ja immerhin Pfingsten, und kriege wieder eine Eindruck von der tiefen Religiosität der Rumänen.

Ich habe beschlossen, in die Bukowina zu fahren und mir die Moldauklöster anzuschauen. Viereinhalb Stunden Fahrt von Cluj, das krieg ich hin. Aber es ist stressig. Sehr stressig. Denn die Rumänen sind furchtbare Autofahrer. PS-Machos. „Very angry drivers“ sagt mir später ein nettes Pärchen aus Bukarest. Auf den Landstraßen, die immer wieder durch Dörfer führen, sind deutsche Nobelkarossen in der Mehrzahl. Audi, Mercedes und vor allem BMW. Ich wollte ja eigentlich Vorurteile abbauen in Rumänien, aber mein Vorurteil gegen die Fahrer letztgenannter Marke hat sich hier absolut bestätigt.

Ich halte mich ja nicht nur an die Geschwindigkeitsbegrenzung, weil ich in einem fremden Land bin. In Dörfern wohnen Menschen und wenn es noch nicht mal Bürgersteige gibt, dann laufen sie halt auf der Straße, mit Kind und Kegel. Und es gibt Pferdefuhrwerke, die Straßen sind nicht immer in bestem Zustand und 50 ist jetzt auch nicht wirklich ein Kriechtempo. Aber immer klebt irgendeiner an meiner Stoßstange. Überholt dann halsbrecherisch. Hat auch nicht verstanden, dass das Überholen nicht nur deswegen möglich ist, weil das Straßenschild gerade das Überholverbot aufgehoben hat. Es gibt auch noch Gegenverkehr, Mensch! Nicht schön, das Fahren in Rumänien. Denen sollte man keine deutschen Autos verkaufen oder wenn dann maximal VW-Polos.

Dann fängt es auch noch an zu regnen, ich bin im Gebirge und die Straße ist sofort halb unter Wasser. Das scheint sie aber noch anzuspornen, hui, was macht das Spaß, wenn die Wasserfontänen hochspritzen. Ich bin wirklich froh als ich endlich in meiner Pension in der absoluten Idylle ankomme. Ein holpriger unbefestigter Weg führt mich zu einem freundlichen Haus mit einer noch freundlicheren Wirtin, die mit erst mal einen Schnaps einschenkt – den kann ich jetzt brauchen. Ein sehr hübsches Zimmer mit Blick in die Dorfidylle, ein Pferd wiehert, die Vögel zwitschern – alles wieder gut.

Und dann die Moldauklöster. So langsam gehen mir ja die Worte aus. Berühmt durch ihre Außenbemalungen, natürlich auch Weltkulturerbe, und das alles in der lieblichen Landschaft der Bukowina, die Dörfer voller bunter Lebkuchenhäuser. Ich lasse jetzt vorallem mal die Bilder sprechen.

 

 

 

Ach, und dann wohnen hinter dem Haus auch noch sechs knuddlige Welpen, die sofort mein Herz erobern. Man kann so nett mit ihnen spielen, später schlafen dann drei auf meinem Schoß ein, während zwei an meinen Zehen knabbern und einer gegen mein T-Shirt kämpft. So gerne würde ich sie alle mitnehmen, aber sie haben es schön hier und die Wirtin meint es gut mit ihnen.

Morgen geht es wieder weiter. Was wird jetzt noch alles kommen? So langsam brauche ich eine Pause vom Erleben. Dieses Rumänien ist ein echtes Wunder. Wenn sie doch nur anständig Auto fahren würden…