Hands off Diego Garcia

Die Cyclongefahr für Mauritius scheint gebannt – Enawo ist weiter Richtung Westen abgedriftet und hier regnet es lediglich ein bisschen mehr als sonst. Für Madagaskar ist die Gefahr allerdings noch lange nicht vorbei und ich hoffe das Beste.

Bei der Beobachtung des Cyclon auf den Wetterseiten im Internet wurde mir erst klar, wie groß die Republik Mauritius eigentlich ist. Nicht nur die Hauptinsel und das 600 km östlich gelegene Rodrigues (mit einem Abstecher dorthin liebäugle ich noch) gehören dazu, sondern zum Beispiel auch die 1000 km nördlich gelegenen Agalega-Inseln. Und fragt man einen Mauritier, wird er immer auch die Chagos-Inseln und besonders Diego Garcia nennen. Die Amerikaner würden die Insel nicht zurückgeben, sagte mir meine Vermieterin in der letzten Unterkunft. Dann sah ich in Mahébourg ein Wandgemälde, „Hands off Diego Garcia“ und „Retour Nou Diego Garcia“ steht darauf und ich fing an, im Internet zu lesen.

Die Amis haben in dieser Sache zwar eine Menge Dreck am Stecken, aber es sind vor allem die Briten, die sich hier mit einer unfassbaren Aneinanderreihung übelster Taschenspielertricks seit Jahrzehnten über alles hinwegsetzen, was man von einem Rechtsstaat eigentlich so erwartet.

Ausgangspunkt des Ganzen war, dass die Amis einen militärischen Stützpunkt im Indischen Ozean wollten und die Briten baten, ihnen einen zu verschaffen. Anfang der 60er Jahre verhandelte man bereits darüber, Mauritius in die Unabhängigkeit zu entlassen, da gründeten die Briten flugs noch BIOT, das British Indian Ocean Territory und gliederten die Chagos-Inseln, die zuvor zu Mauritius gehörten, ein. Und behaupteten dann noch, die Inseln seien unbewohnt, dabei lebten auf Diego Garcia seit Generationen etwa 1200 Menschen. Und dann ging’s los mit den Unglaublichkeiten: man stellte die Lebensmittellieferungen auf die Insel ein, verwehrte verreisten Insulanern die Rückkehr und wer dann immer noch da war, dem zeigte man, was passieren würde. Die Briten vergasten vor den Augen der Insulaner alle Haushunde auf der Insel und 1971 wurden die letzten Menschen, die trotzdem geblieben waren, deportiert. Ohne echte Unterstützung fristen sie bis heute in Slums auf Mauritius oder den Seychellen, seit einigen Jahren auch in England (denn wenigstens entschied ein Gericht, dass sie britische Staatsangehörige seien) ein tristes Leben. Viele starben und sterben immer noch an „Sagren“, einem kreolischen Begriff, der so viel wie tiefe Trauer bedeutet.

Die Briten verpachteten die Insel dann an die Amerikaner, die dort eine riesige Militärbasis mit über 3000 Soldaten entstehen ließen, von der aus Angriffe im Golfkrieg und auf Afghanistan geflogen wurden. Und auf der sie ein 2003 enttarntes Geheimgefängnis a la Guantanamo betrieben. Der Pachtvertrag lief Ende letzten Jahres aus, die Insulaner hofften erneut, aber es gibt eine Verlängerungsoption für weitere 20 Jahre.

Wandgemälde in Mahébourg

Die Chagossianer kämpfen mit allen rechtsstaatlichen Mittel, um in ihre Heimat zurückkehren zu können. Im Zuge von Gerichtsprozessen tauchten Unterlagen der britischen Regierung mit heftigsten rassistischen Formulierungen – die Einwohner wurden als Tarzans und in Anspielung auf Robinson Crusoe „Freitags“ bezeichnet, so sieht das Empire also seine Bürger. Britische Gerichte haben festgestellt, dass die Vertreibung illegal war, den Chagossianern ein Recht auf Rückkehr zugesprochen, aber kaum war das geschehen, griff die britische Politik in die Trickkiste: Gutachten, wonach die Ansiedlung entweder unmöglich oder zu teuer sei, ein spezielles Dekret der Queen, das die Gerichtsentscheidung aussetzte und zuletzt die Krönung der Bauernschläue: die Insel wurde 2010 zum Marineschutzgebiet erklärt, kein Fischfang, keine Siedler. Das deckte dann glücklicherweise Wikileaks auf, es gibt eindeutigen Schriftverkehr, dass dieser Schritt nur zum Ziel hatte, die Inselbewohner an der Rückkehr zu hindern. 2015 erklärte ein Gericht die Einrichtung des Marineschutzgebietes für illegal, aber was kümmert’s die Briten. Im November letzten Jahres erklärten sie erneut, dass sie eine Rückkehr der Chagossianer nicht zulassen würden.

Mauritius startet jetzt einen neuen Anlauf, die Angelegenheit vor ein internationales Gericht zu bringen. Das scheint den Briten so gefährlich, dass Boris Johnson kürzlich Indien bat, auf Mauritius einzuwirken. Man betrachte das Vorhaben, den Internationalen Gerichtshof anzurufen, als eine „unangemessene Inanspruchnahme des Gerichts“ und dies würde „einen unwillkommenen Präzedenzfall für andere bilaterale Diskussionen“ darstellen.

David gegen Goliath, die Wucht zweier Weltmächte gegen 1200 Menschen und jetzt auch Mauritius. Ich finde so etwas immer zum Verzweifeln, der Rechtsstaat ist hier keinen Pfifferling wert, Briten und Amerikaner führen sich schlimmer auf als die damaligen Kolonialmächte. Die Insulaner, die sich an alle internationalen Spielregeln halten, deren Kampfmittel gewaltlose Demonstrationen und Gerichtsprozesse sind, Mauritius, das nicht mal über ein Militär verfügt, und dagegen dann die Briten und Amerikaner, die einfach alles ignorieren, was ihnen nicht in den Kram passt. Ist ja nicht ganz überraschend, hier aber so unerträglich offensichtlich. Ich drücke Mauritius die Daumen, bringt es vor ein internationales Gericht und macht es so öffentlich wie möglich. Den Briten und Amerikanern wird zwar immer etwas einfallen, um hier nicht nachgeben zu müssen, aber man sollte es ihnen wenigstens nicht allzu leicht machen.

P.S.: Wen das Ganze interessiert, dem empfehle ich sehr die preisgekrönte Dokumentation „Stealing a Nation“ auf Youtube: https://www.youtube.com/watch?v=0zhGvId4fcc

Update: Falls Ihr das Anliegen der Chagossianer unterstützen möchtet: Ich habe bei der UK Chagos Support Association nachgefragt und die haben mich auf diese Petition verwiesen: https://www.change.org/p/boris-johnson-mp-allow-and-support-the-chagossian-people-to-return-to-their-homeland

 

 

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