Meine erste Reise nach der Weltreise ist eine in die Vergangenheit. Und weil das öffentliche Schreiben in den letzte zwei Jahren ein wichtiger Weg war, Emotionen zu teilen, tue ich es auch jetzt. Wer nichts damit anfangen kann, möge es mir nachsehen.
Ich habe heute Morgen Gewissheit darüber erhalten, dass ein guter Freund gestorben ist. Wir haben uns seit vielen Jahren nicht mehr gesprochen, nicht, weil wir den Kontakt haben einschlafen lassen, sondern weil Michael einen radikalen Schnitt gemacht hatte. Und das betraf nicht nur mich, sondern viele Leute aus der Studienzeit.
Michael war der Erste, den ich zu Beginn meines Studiums in Tübingen kennenlernte. Wir trafen uns in der Osianderschen Buchhandlung und suchten das gleiche Lehrbuch. Sein breiter oberschwäbischer Dialekt war eine echte kulturelle Herausforderung für mich, aber wir verstanden uns auf Anhieb. Er war ein sehr besonderer Mensch, wer ihn kannte, wird jetzt wahrscheinlich denke, oh ja, das war er wirklich, und hoffentlich lächeln. Originell, intelligent, intellektuell, aber mit großer Lust am Trivialen, mal charmant, mal schrecklich sarkastisch. Er hat sich tief in mein Hirn eingegraben und obwohl ich es nicht ändern konnte, dass er den Kontakt abbrach, habe ich die ganzen Jahre über versucht, seinen weiteren Lebensweg zu verfolgen. Und vielleicht den richtigen Moment abzupassen, ihn doch zu einem gemeinsamen Bier zu überreden. Google und die sozialen Medien machen’s möglich, er twitterte eifrig und ich wurde nur kurz stutzig, als er letztes Jahr schrieb, seine Zeit sei von nun an befristet, ein oder zwei Jahre vielleicht. Michael halt, mit seinem schrägen Humor, dachte ich mir. Dann aber las ich, dass seine Anwaltszulassung erloschen ist und findig wie mich die Ahnenforschung gemacht hat, rief ich heute bei der Anwaltskammer an. Ja, die Zulassung sei erloschen und es gebe da eine Fußnote „verstorben“.
Ich hatte bisher Glück in meinem Freundeskreis, die meisten erfreuen sich bester Gesundheit und das bleibt hoffentlich noch ganz lange so. Bei der Organisation des Klassentreffens unseres Abiturjahrgangs war ich darauf gefasst, auf Todesmeldungen zu stoßen, aber toi toi toi, we are all still alive. Mein früherer WG-Kumpane Christoph und der Mann einer guten Freundin waren bisher die einzigen, die viel zu früh starben.
Michael ist der erste enge Freund, den ich endgültig verloren habe. Und den ganzen Tag kommen mir diese Erinnerungen in den Sinn. Die Sommerabende auf dem Tübinger Marktplatz. Die langen Telefonate, Schnuppelchen, mir ist so langweilig, hat er sie meistens begonnen. Das musst du dir anhören, sagte er, und legte Edie Brickell auf, Circles. Mindestens fünf mal hintereinander.
And being alone is the best way to be
When I’m by myself it’s the best way to be
When I’m all alone it’s the best way to be
When I’m by myself, nobody else can say goodbye
Freundlich könnte ich sagen, dass ich es sehr bedauere, dass er den Kontakt abgebrochen hat. Dass er über alle meine Kontaktversuche, zuletzt eine Mail aus Costa Rica im letzten Jahr, hinweg gegangen ist. Aber ich bin heute nicht freundlich. Michael, Du Depp, ich bin wütend. Du hast im letzten Jahr ein Zitat von Thomas Bernhard getwittert: „Wo sind alle diese Menschen, mit welchen ich damals vor dreißig Jahren, Kontakt gehabt habe? fragte er sich.“
Wir waren immer da. Und wir hätten uns so sehr gefreut.
Michael, wir haben in Deiner Tradition ein Weizen auf Dich getrunken. Mach’s gut.
Ach Julia, es tut mir leid, ich weiß genau, wie Du Dich fühlst, so abgeschnitten und machtlos…Liebe Grüße, Katharina