Uff, das ist grad noch mal gut gegangen. Für uns und für Mauritius. Der Übeltäter, der uns bedrohte, heißt Freddy und ist ein ausgewachsener Zyklon.
Ich hätte ja eigentlich ein klein wenig sensibilisiert sein müssen. In Darwin geriet ich rund um Weihnachten 2016 mitten in die Zyklonsaison, im folgenden April war sie bei meinem ersten Mauritius-Besuch noch nicht vorbei. Beides mal hatte ich Glück, aber gepustet hatte es schon heftig. Und jetzt ist Februar, zwar sieben Jahre später, aber mein Gedächtnis offensichtlich kurzlebig.
Wenigstens beobachten wir Freddy schon, als er noch weit weg über dem indischen Ozean seine Kreise zieht. Und wir lernen, dass wir uns im „Kegel der Ungewissheit“ befinden. Dieser für uns ganz neue Zustand beschreibt das Gebiet, in dem’s gefährlich werden kann, aber nicht muss. Mauritius liegt zwar am unteren Rand, aber immerhin noch drin, in diesem Kegel. Hui.
Entstanden ist Freddy Ende Januar vor Nordaustralien und seither donnert er Richtung Afrika. Dass ein Zyklon den gesamten indischen Ozean überquert, ist erst vier Mal passiert. Zeit und Strecke genug, um zu einem wahren Monstersturm heranzuwachsen. Mauritius ist zwar winderprobt, aber der letzte wirklich üble Zyklon zog vor fast 20 Jahren über die Inseln. Von Tag zu Tag wächst die Sorge, dass Freddy in seine Fußstapfen treten könnte.
Wir haben uns deshalb für eine stabile Ferienwohnung entschieden – übrigens die allerallerschönste, in der ich je gewohnt habe. Wenn schon Untergang, dann wenigstens stilvoll. Von unserem großen Outdoorwohnzimmer blicken wir direkt auf’s Meer. Damit die coole Möblierung bei starkem Regen nicht nass wird, kann man unseren Terrassentraum mit einem großen Rolladen verschließen. Und hier wird mein englischer Wortschatz um den Begriff „Cyclone Bars“ erweitert, mit denen man den Rolladen mit langen Metallstangen so verstärkt, dass ihn auch starker Wind nicht in die Knie zwingt. Unser Vermieter Maurice rückt gleich mit Verstärkung an, um sie anzubringen. Er würde das zum ersten Mal machen, wäre bisher einfach noch nie notwendig gewesen.
Der freundliche Wachmann klärt uns dann über die Warnstufen auf – 1 und 2 noch ganz ok, ab 3 in der Wohnung bleiben und bei 4 das Bett nicht verlassen. Angekündigt ist jetzt Stufe 3. Dann gehen wir doch besser noch mal einkaufen. Auf die Idee kamen andere allerdings auch. Auf dem Parkplatz des großen Supermarktes ist die Hölle los, drinnen um so mehr, superlange Schlangen vor den Kassen. Aber das ist Mauritius. Die Entspanntheit, Freundlichkeit und Fairness verlieren die Menschen auch beim Warten nicht – geschlagene anderthalb Stunden standen wir und alle anderen an, aber niemand verlor die Fassung oder versuchte sich vorzudrängeln. Trotz des Andrangs waren die Supermarkt-Regale erstaunlich gut gefüllt. Nur bei den überlebenswichtigen Pains au chocolat entstand ein Engpass. Aber zu denen hatten wir zum Glück gleich am Anfang gegriffen 🙂 Panic Buying stand am nächsten Tag in der Zeitung. Die netteste Panik, die ich je erlebt habe und weit entfernt von den Kämpfen an leeren Klopapierregalen in deutschen Supermärkten.
Und dann geht’s los mit Freddy. Als wir am Montagmorgen aufwachen, weht schon eine steife Brise. Aber nicht steif genug, um nicht runter zum Strand zu gehen und einen Blick zu werfen auf das wilde Meer. Wo an den Tagen zuvor ein paar unschuldige Wellen so weit entfernt brachen, dass sie gar nicht erst in Strandnähe gelangten, brodelt und tost es jetzt. Drei- und vierreihig türmen sich die Wellen hintereinander auf, erst dunkelflaschengrün und dann in hellem Türkis brechend. Jedem Surfer würde es in den Fußsohlen jucken, eigentlich eine Pracht und zum Glück noch in der Ferne. Aber es bläst weiter, die Gischt sprüht Richtung Land, der Himmel wird dunkler und die Sturmböen heftiger.
Wo vorhin noch Strand war, schwappt jetzt Wasser. Unsere Häuser stehen immer noch zwei Meter über dem Strand und unsere Wohnung liegt sowieso nach hinten versetzt und im ersten Stock, aber jetzt gehen wir doch lieber. Freddys Weg können wir live im Internet verfolgen und weit weg ist er nicht mehr. Also rein in unser Urlaubsparadies, rauf auf’s Sofa, während der Sturm am großen Rolladen zerrt und die Cyclone Bars ächzend Widerstand leisten. In Florida habe ich vor vielen Jahren mal einen Wirbelsturm erlebt, dann die tropischen Regenstürme in Darwin und ich geb’s zu, bei Sturmflut sind mein Vater und ich früher durchaus gerne an den Hamburger Hafen gefahren. Aber ein echter Zyklon, davon war ich bisher weit entfernt.
Regen prasselt, der Wind heult in allen Tonlagen, das Meer donnert, das wird doch hoffentlich alles halten? So spannend ich das alles bisher fand – ein bisschen unwohl wird mir schon. Wenn jetzt doch der Rolladen oder ein Fenster zu Bruch geht? Das Meer bis ans Haus schwappt? Der Strom ausfällt? Die Straßen unpassierbar werden? Oder gar Menschen zu Schaden kommen?
Am frühen Abend ist dann klar: Freddy ist weitergezogen, ohne sich an Land zu trauen. Jetzt muss erst mal Réunion bangen und dann vor allem Madagaskar – die trifft es immer. Ein paar überflutete Straßen, überschwemmte Hotelanlagen und umgeknickte Bäume – nichts, was nicht schon am nächsten Vormittag wieder aufgeräumt ist. Wird noch etwas dauern, bis sich das Wetter endgültig beruhigt, aber passieren kann jetzt nichts mehr. Die Erleichterung merkt man allen an. Und ich nehme mir jetzt fest vor, die Zyklonsaison künftig bei der Reiseplanung zu berücksichtigen. Hätte ja auch ganz anders ausgehen können.
Nachtrag:
Freddy hat sich erst am 15. März aufgelöst. Kein Zyklon vor ihm hat länger gewütet. Madagaskar, Mozambique und Malawi wurden gleich zwei mal heimgesucht. 500 Tote und Zehntausende Obdachlose. Wir haben wirklich Glück gehabt.