Im Flugzeug deutet es sich schon an – es wird anders werden. Die Stewardessen haben ihre Not, die nepalesischen Fluggäste im Zaum zu halten. Kaum hat sich das Flugzeug Richtung Rollbahn in Bewegung gesetzt, steht ein Mann auf und will auf die Toilette. Fünf Stunden später landen wir etwas ruppig auf dem Flughafen von Kathmandu. Es ist halb elf abends, in Bangkok ist es viertel vor zwölf. Eine Zeitverschiebung im Viertelstundentakt hatten wir auch noch nicht. Wir sind auf alles gefasst, ein Visum haben wir noch nicht und im Internet war von langen Schlangen vor den Schaltern die Rede. Um so erstaunter sind wir als uns in der Ankunftshalle ein Mann an einen Automaten heran winkt, unsere Pässe dort einscannt, uns bittet, ein paar wenige Angaben einzutippen und uns für ein Photo in Position zu bringen. Dann ab zum Zahlschalter, 40 Dollar pro Person, dann zur eigentlichen Einreise und nach zehn Minuten sind wir drin in Nepal. Auf das Gepäck müssen wir unwesentlich länger warten und vor dem Flughafengebäude erwartet uns schon der Fahrer unseres Guesthouse. Das nächtliche Kathmandu ist vor allem dunkel, Straßenbeleuchtung gibt es kaum und nur wenige fahrende Autos – dafür um so mehr wartende. Eigentlich sieht es aus, als würden die Fahrzeuge am Straßenrand parken, unser Fahrer sagt uns aber, dass das die Warteschlange für die Tankstellen seien. Die Grenze nach Indien ist seit Monaten blockiert, durch einen Generalstreik einer ethnischen Minderheit, die sich durch die Verfassungsreform benachteiligt sieht, oder durch Indien selber, so ganz sicher ist das nicht. Und da alle Benzinlieferungen über den Landweg aus Indien ins Land kommen, ist eine strikte Benzinrationierung die Folge. Drei Liter pro Fahrzeug alle elf Tage, sagt uns der Fahrer, und hierfür ist ein Vielfaches des normalen Preises und eine extrem lange Wartezeit erforderlich. Dass die Blockade auch die Versorgung mit Gas beeinträchtigt, merken wir später in unserem wunderschönen Guesthouse. Warmes Wasser nur morgens und abends zwischen sieben und neun, „due to the gas crisis“.
Ach, unser Guesthouse. Der Fahrer parkte auf dunkler Straße neben einem Haus, das in Folge des Erdbebens mit Holzlatten abgestützt ist. Er führte uns zu einem verschlossenen Holztor, dass von zwei großen steinernen Löwen eingerahmt wurde. Was für ein Eingang zu einem Hotel, dachte ich. Er musste zunächst per Telefon jemanden herbeirufen, der das Tor aufschloss. Dahinter aber befand sich ein Platz, umgeben von schmalen mehrstöckigen Häusern, in der Mitte kleine Stupas, Buddhafiguren und allerlei anderes. Wir liefen über den dunklen Platz zu unserem Guesthouse in einem wunderbaren historischen Gebäude. Verschlafen grüßte uns der Rezeptionist, schlug vor, dass wir die Formalitäten am Morgen erledigen könnten und führte uns über eine schmale Holztreppe in den ersten Stock zu unserem Zimmer. Holzfußboden, dunkle Holzdecke, Backsteinwände, ein Traum! Und blitzesauber. Zwei Fenster auf den Platz raus sorgen für Überblick und er zeigte uns eine Art Steppdecke, die man vor die Fenster hängen kann. Nicht damit die Kälte draußen bleibt, sondern zur Schallisolation. Lärm können wir uns hier gar nicht vorstellen, es ist so still wie schon lange nicht mehr. Wir sinken ins Bett, kriechen unter die warme Decke und sind sofort eingeschlafen. Etwa um fünf Uhr morgens verstehen wir dann, warum es diese Steppdecken gibt: der Tag wird mit einer religiösen Zeremonie im wahrsten Sinne des Wortes eingeläutet, eine große Glocke wird geschlagen, die Hunde fangen an zu heulen, jemand bläst ein Horn, Gesänge setzen ein. Gut, die Glocke ist laut und durchdringend, sie verstummt zum Glück nach etwa fünf Minuten. Wir drehen uns um und lassen uns von den Gesängen in den Schaf wiegen.
Drei Stunden später beginnt der Tag mit einer heißen Dusche und einem wunderbaren Frühstück auf der Dachterasse. Ein warmer Haferflockenbrei ganz nach meinem Geschmack, Toast und Ei, gute Grundlage für einen aufregenden Tag. Recht bald treten wir durch das Tor auf die Straße und beginnen unsere Wanderung durch die Stadt. Was wir denn heute machen wollen, fragte uns der freundliche Rezeptionist. Einfach mal schauen, antworteten wir.
Was für eine Stadt! Es gibt sie doch, die Zeitmaschine. Hohe Häuser, enge Gassen, buntgekleidete Frauen, kleine Läden, über allem der Duft von Räucherstäbchen. An jeder Ecke ein kleiner Tempel, immer wieder tritt man durch Tore in große Innenhöfe oder Plätze wie der, an dem unser Guesthouse liegt. Das Leben scheint gemächlich, Menschen sitzen zusammen, Kinder spielen drumrum, die Händler kommen in die Innenhöfe, auf Fahrrädern präsentieren sie ihre Waren, Wäsche wird gewaschen, an großen Zisternen Wasser geholt und es wird viel gebaut. Viele Häuser werden noch abgestützt, bei einigen stehen noch Grundmauer, andere sind ganz verschwunden. Bauen ist hier absolute Handarbeit, die Backsteine scheinen selbst fabriziert, es wird mit Hacken und Schaufeln gearbeitet, Bagger oder gar Kräne sieht man nicht. Wahrscheinlich haben wir Glück, dass der Verkehr durch die Blockade reduziert ist, trotzdem hupt es überall um uns herum. Durch unsere Indienaufenthalte sind wir ja einiges gewohnt und bewegen uns mit Gelassenheit über die chaotische Hauptstraße. Die Luft ist staubig, viele Menschen verwenden Schutzmasken und auch uns juckt der Dreck in Nase und Hals. Ansonsten liegt zwar viel Müll herum, aber uns scheint es deutlich sauberer als Indien, Kühe gehören hier nicht zum Straßenbild und entsprechend auch nicht ihre Ausscheidungen und die Kloakendüfte, die sogar in Thailand immer wieder durch die Straßen waberten, riechen wir hier nicht.
Wir finden einen Buchladen und kaufen uns einen Reiseführer, ein klein bisschen Orientierung ist dann doch nicht schlecht. In einem Café genießen wir unseren ersten Gewürztee und am Mittag in einem Restaurant nahe des zentralen Durbar, einem der drei Königsplätze in der Stadt, die ersten Momos. Die gefüllten Teigtaschen kennen wir schon aus Indien, diese sind voller knackigem Gemüse und mit einer köstlich-scharfen Linsensoße.
Eigentlich möchte man sich stundenlang auf einen der Plätze setzen und nur Menschen und Szenerien betrachten. Aber: warum eigentlich nicht? Erschlafft von den vielen Eindrücken beschließen wir heute, es sehr gemütlich angehen zu lassen und genau das zu tun. Also, weitere Berichte werden folgen!