Seit 10 Tagen sind wir zurück und wir fremdeln nach wie vor. Treffen mit lieben Freundinnen und Freunden machen es kurzzeitig besser, Begegnungen mit Finanzamt und anderen Behörden schlagartig schlechter. Langsam taste ich mich heran die Heimat und ein sehr gutes Rezept ist es, meine Lieblingsorte aufzusuchen.
Da wäre zunächst einmal Tübingen. Sowieso schon äußerst pittoresk und allein deswegen immer eine Reise wert, ist die Stadt äußerst zurückhaltend in punkto Veränderungen und so der perfekte Ort, um in Erinnerungen zu schwelgen. Tanja teilt sie mit mir und so machen wir uns auf zu einem wunderbaren Spaziergang durch die Altstadt. Jetzt bin ich zwar anderthalbmal um die Welt gereist, was ich aber noch nie ausprobiert habe, ist eine Frozen-Yoghurt-Bar, immer verwirrt von diversen Toppings, Soßen und Geschmäckern. Tanja assistiert und das Ergebnis muss natürlich sofort photographisch festgehalten werden. Das Wetter ist klasse, die Neckarfront idyllisch wie eh und je und wie auf Bestellung kommt noch ein Stocherkahn vorbeigefahren.
An jeder Ecke wartet eine Erinnerung – das In-Café auf dem Marktplatz, das früher das Café Pfuderer beherbergte, in dem ich mit weißer Bluse, schwarzem Faltenrock und weißer Spitzenschürze bedient habe. Immer noch den alten Namen behalten hat die Marktschenke, wo mein Kommilitone Thomas am Zapfhahn stand – seines Zeichens heute Professor in Heidelberg. Das „Prinz Karl“ war unsere Mensa, damals eine echte Bruchbude in einem uralten Innenstadthaus, aber es war meist leerer als die Zentralmensa und im ersten Stock konnte man so gemütlich Kaffee trinken. Das Innenstadthaus ist heute zwar immer noch uralt, aber keine Bruchbude mehr, ein Schild informiert, dass hier Alois Alzheimer als Student wohnte und die Mensa drinnen ist ultramodern. Das „X“ gibt es auch noch, der Schnellimbiss in der Altstadt, wo man sich abends ein Bier und eine Currywurst holte, um die halbe Nacht auf dem Marktplatz zu sitzen und immer jemanden traf, den man kannte. Mir fällt ein, dass ich damals anfänglich mit ganz ähnlichen Problemen zu kämpfen hatte wie heute – es war 1987 und ich kam aus Israel zurück, wild entschlossen, meine Zukunft jetzt in Angriff zu nehmen und was Vernünftiges zu studieren, aber voller Sehnsucht nach dem Leben im Kibbutz. Anfänglich fühlte ich mich unglaublich einsam – in Israel hatten wir mindestens zu zweit in einem Zimmer gewohnt, das Essen gab’s im Dining Room gemeinsam mit hunderten Kibbutzniks und wann immer man Lust auf ein nettes Gespräch hatte – auf der Wiese vor meinem Zimmer saß immer jemand. Das Fremdeln in Tübingen legte sich aber schnell – nach einer Woche kannte ich schon eine erkleckliche Zahl von Leuten und alles war gut.
Tanja und ich beenden den Stadtrundgang mit einem Kaffee vor der Stiftskirche, auch dort schießen mir wieder Bilder durch den Kopf vom 1.Mai-Singen der Verbindungen – die Gegendemonstration war eine Pflichtveranstaltung. Ob’s das heute überhaupt noch gibt?
Zum Schluss dann noch ein Abstecher in Südstadt, wo Eric und Tanja gewohnt haben. Das Haus, ein privates Studentenwohnheim, gibt’s noch, es hat zwar ein Vordach und neue Fenster bekommen, aber ansonsten hat sich hier kaum was verändert. Um die Ecke, an der Steinlach, präsentiert mir Tanja einen ihrer Lieblingsorte – hier möchte sie wohnen. Da würd ich glatt mit einziehen – also, hat da jemand ein günstiges Haus zu verkaufen? Wir warten auch noch ein paar Jahre.
In Stuttgart schaut der Sommer jetzt auch regelmäßiger vorbei und so setze ich mich auf’s Fahrrad, um dem Stuttgarter Westen zu entfliehen. Ist zwar der In-Stadtteil mit lauter hippen Kneipen, aber ich werde dort nicht warm. Mein Lieblingsstadtteil ist Stuttgart-Ost, noch ein bunter Mix aus unterschiedlichen Nationalitäten, Familien und Singles, Anthroposophen und weniger Intellektuellen, aber die Gentrifizierung fängt schon an. Meine alten Strecken funktionieren nicht mehr wie gewohnt, Stuttgart 21 hat den mittleren Schlossgarten in Schutt und Asche gelegt, Stadtbahnhaltestellen, Durch- und Übergänge sind in riesigen Gruben verschwunden und nur das Planetarium bietet dem Milliardenloch die Stirn. Weiter hinten im Rosensteinpark scheint die Welt noch in Ordnung zu sein. Meine frühere Joggingstrecke war und ist ein Lieblingsort, vorbei am Rosengarten und Schlösschen, immer an der Wilhelma entlang, wo Eisbären und Kamele gleichgültig herüberblicken und dann links durch die Wiesen. Das Gras steht hoch, die Wildblumen blühen, als Futterwiesen für die Wilhelma ist alles ganz naturbelassen und man könnte fast vergessen, dass oberhalb am Löwentor der Verkehr vorbeidonnert und unten die Stadt tobt. Doch nur einmal zur Seite geschaut ist man zurück in der Realität. Der amputierte Holzsteg über den Neckar erinnert daran, dass Cannstatt für Fußgänger und Radfahrer hier vom Park aus abgeschnitten ist. Wohin man sich wendet, überall begegnen einem die Wunden der Stadt und eine Heilung scheint in weiter Ferne. Nun ja, an mir lag’s nicht…
Doch, ich bin ja auch Neuerungen durchaus aufgeschlossen und so komme ich zu einem weiteren Lieblingsort – der Dachterrasse der neuen Stadtbibliothek. Von hier hat man einen wunderbaren Rundumblick über die Stadt und kann die Sonne genießen. Im vergangenen Jahr war ich häufig hier, meist mit einem Buch aus der Bibliothek unter mir oder einmal auch zur Sonnenfinsternis. Tatsächlich ein gut gelungener Ort, sowohl die Bücherei als auch diese schöne Terrasse. Von außen vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig, zumindest tagsüber, wenn die graue Fassade dem Spitznamen Bücherknast alle Ehre macht. Nachts, wenn das Gebäude blau angestrahlt wird, ist es aber durchaus ein Highlight. Dass sich zwischen Banken und Einkaufszentren tatsächlich ein Ort für die Allgemeinheit durchsetzen konnte, ist erstaunlich.
Und gestern war ich dann endlich an einem ganz wichtigen Lieblingsort: der Yogaschule von Christine. Ich habe auf der Reise ja einige Yoga-Stunden absolviert, in der Altstadt von Chiang Mai, Open Air mit Blick auf tropische Vegetation in Costa Rica, aber nichts war so gut wie Christines Yoga. Also, ist ja alles doch nicht so schlecht in Good old Germany.