Da mögen die Sonne noch so strahlen, die bunten Fische im Roten Meer noch so locken – die eigentliche Attraktion des Landes ist seine Geschichte. Eine uralte, fast schon mystische Kultur, die grandiosen Überbleibsel der Pharaonenzeit – das ist der eigentliche Grund, warum ich das Land unbedingt sehen wollte. Ein guter Start für unsere Reise in die ferne Vergangenheit ist Luxor, wo einst das antike Theben lag und die Pharaonen lange Zeit ihren Regierungssitz hatten.
Wir haben einiges befürchtet, Touristenmassen, aufdringliche Bakschisch-Jäger, Kitsch und Beschiss an jeder Ecke. Und von allem gibt es zwar etwas, aber wir haben schon Schlimmeres erlebt. Luxor ist in allererster Linie toll und ein absolutes Traumziel!
Das antike Theben unterteilte sich in die Stadt der Lebenden östlich des Nils und die Stadt der Toten im Westen. Wir wohnen am Westufer, heutzutage überaus lebendig und durch den Fluss vom modernen Luxor getrennt. Ein Ort mit fast dörflicher Gemütlichkeit, spektakulärem Blick auf die Silhouette der Stadt und praktisch gelegen für einen Besuch der weltberühmten Begräbnisstätten im Tal der Könige. Mit der großen Fähre kann man für 20 Cent nach Luxor übersetzen, für das zehnfache bekommt man einen privaten Bootstrip hinüber. Und diese Edelversion muss man bis zur öffentlichen Fähre beständig abwehren, mal mehr, mal weniger penetrant. Aber die Ägypter haben Humor, lachen durchaus über ihre eigene Beharrlichkeit und scheinen es insgeheim ganz ok zu finden, wenn man sich gegen die touristischen Angebote entscheidet.
Unser erster Weg führt uns hinüber zu den Lebenden. Vom Fährterminal ist es kein Problem, in eines der vielen Sammeltaxis zu springen und zu einem Highlight zu fahren: die Tempelanlage von Karnak ist die größte Ägyptens. Auch wenn sich die Touristengruppen hier stapeln: der Magie von Karnak tut das kaum einen Abbruch.
Eine Allee ungewöhnlicher Sphinxen führt zum Tempel des Amun-Re. Verehrt wurde der König der Götter in seiner Urversion als Widder, also tragen auch seine Sphinxen Widderköpfe. Der Erhabenheit des größten Tempels Ägyptens können auch die photographierenden Massen wenig anhaben. Alles wirkt klein gegen diese vor viertausend Jahren begonnene Grandiosität. In der steinernen Säulenhalle kann man sich fast alleine fühlen, umgeben von goldenem Licht und kopfschüttelnd ob der Genialität der antiken Baumeister. Die Instagram-Generation wallt mit flatternden Gewändern durch die Gänge, bittet schon mal bestimmt um einen freien Hintergrund, denn nichts geht über die Illusion einer einsamen Erstentdeckung.
Die Straße der Sphinxen verbindet die Tempelanlagen von Karnak und Luxor. Zunächst die Widderköpfigen, später dann Sphinxen mit menschlichen Häuptern säumen die erst 2021 komplett freigelegte Straße. Uns treibt der Hunger auf einen Abstecher ins neuere Luxor. Im Oasis Palace Restaurant tauchen wir ins Ägypten der 20er Jahre ab und genießen die kleine Zeitreise zwischen antiken Möbeln und alten Bildern so lange, dass uns am Luxortempel bereits die Abenddämmerung erreicht. Aber wahrscheinlich ist die Anlage in der stimmungsvollen Beleuchtung noch schöner und beeindruckender als am Tag. Mauern, Säulen und Statuen werfen geheimnisvolle Schatten, die eingemeißelten Hieroglyphen haben eine besondere Tiefe und die Massen sind immer noch nicht müde geworden, sich die Pracht anzuschauen.
So viele Reisebusse, so viele Sprachen, so viele mal mehr, mal weniger interessierte Menschen. Eine Reisegruppe haben wir schon am Mittag in Karnak gesehen, sie sind originalgetreu im Stil der 20er gekleidet, die Herren im leichten Sommeranzug, die Damen in Kleidern mit tiefer Taille und Sonnenschirmchen. Jetzt in der Dämmerung in Luxor haben sie Abendgala angelegt und versammeln sich zum gemeinsamen Bild vor dem Eingang zum Tempel. Tolle Idee und jeder scheint mitzuspielen. Sicherlich sind sie im „Winter Palace“, dem historischen Kolonialhotel nebenan, abgestiegen und zelebrieren ihre Liebe zur Zeitreise.
Wir tuckern auf unsere Seite des Nil zurück, gönnen uns noch eine köstliche Suppe am Nilufer mit Blick auf das abendliche Luxor und fallen danach ins Bett.
Am nächsten Tag schwingen wir uns aufs Fahrrad und kurven durch das Straßenchaos in Richtung Wüste. Radeln klappt hier erstaunlich gut, die Gegend ist flach und der Fahrtwind angenehm. Zuckerrohrfelder, Eselkarren, dörfliche Idylle am Rande der Großstadt. Unglaublich ist, wie begeistert man auf dem Weg besonders von Kindern gegrüßt wird. Luxor ist das Top-Touristenziel in Ägypten, aber offensichtlich bekommen die Bewohner von den vielen Besuchern nur sehr wenig mit – raus aus dem Hotel, rein in den Touribus, raus für einen schnellen Tempelbesuch und wieder zurück ins klimagekühlte Fahrzeug.
Unser erster Stopp sind die Memnonkolosse. Fast 20 Meter hoch thronen die 3600 Jahre alten und mittlerweile gesichtlosen Statuen neben der modernen Hauptstraße. Beide wurden ursprünglich aus einem einzigen Stein gehauen – und zwar in Kairo, 700 Kilometer entfernt. Auf ca. 700 Tonnen wird das Gewicht jedes einzelnen Kolosses geschätzt, schon diese Transportleistung ist unfassbar.
Richtiggehend modern wirkt unser nächstes Ziel: der Totentempel der Hatschepsut, der sich an die Felsen des beginnenden Gebirges schmiegt und dessen jahrtausendealte Architektur fast modern wirkt. Das hat er mit der Frau gemein, zu deren Ehren er errichtet wurde: Hatschepsut war die erste Pharaonin. Ganz stand sie nicht zu ihrer Weiblichkeit und entwickelte sich über die Jahre zu „Pharao Maatkare“ – „genderqueer“ augenzwinkert der Reiseführer. Der Tempel erlangte 1997 traurige Berühmtheit, als hier 62 Menschen, überwiegend Touristen, grausam von islamistischen Terroristen ermordet wurden. Um unsere Sicherheit haben wir uns bisher keine Sorgen gemacht, Polizei und Militär sind präsent und je besser das Hotel, desto intensiver wird unser vorfahrendes Taxi gefilzt. Aber natürlich, ein Restrisiko bleibt.
Wir radeln weiter zu einem weniger besuchten Tempel, der uns aber ganz in seinen Bann zieht: der Tempel des Habu. Kaum Touristen, in einer dörflichen Umgebung, warmes Abendlicht, entspannte Atmosphäre. Das gegenüberliegende Restaurant Maratonga ist ein guter Ort für eine Pause und ein freundliches Gespräch – die Eigentümerin ist in Lüneburg geboren, hat auch mal in Balingen gelebt und ist sehr kommunikativ.
Kann’s noch besser werden? Ja klar! Der nächste Tag gehört dem Tal der Könige. Nicht unanstrengend ist die leicht ansteigende Straße durch die Wüste, rechts und links von hohen Felsen gesäumt. Aber jeder Schweißtropfen lohnt sich für das, was weiter hinten im Tal auf uns wartet. Unscheinbare Öffnungen entlang der Felsen, erstaunlich wenige Menschen ziehen von Eingang zu Eingang. Drei Gräber sind im Ticket enthalten, wir folgen den Empfehlungen aus dem Reiseführer und treten ein in die letzten Ruhestätten der Pharaonen. Die Pracht der uralten Dekorationen ist atemberaubend. Die Wände der langen Gänge sind über und über mit Hieroglyphen und leuchtenden Darstellungen der dies- und jenseitigen Welt verziert. Mal führt der Weg kerzengerade und fast eben zur Grabkammer, mal windet er sich oder klettert mehrere Stufen hinab. Aber immer ist es absolut grandios. So wunderbar, so filigran, wie war das vor mehr als 3000 Jahren nur möglich? Wir kosten vor allem das Doppelgrab von Ramses dem 5. und 6. aus. Das muss extra gezahlt werden, was viele Reisegruppen fernhält. Hier gehören die Pharaonen uns!
Fast ganz allein ist man dann bei den Gräbern der Noblen. Keine Herrscher liegen hier begraben, sondern überwiegend Beamte – so ist’s richtig 🙂 Auch hier finden sich wunderbare Wandbemalungen, nur zeigen diese vorwiegend Alltagsszenen. Viel dreht sich um gutes Essen, Brot, Geflügel, Früchte, Fisch – schien ganz abwechslungsreich zugegangen zu sein im alten Ägypten. Am meisten beeindruckt das Grab des Sennefer, des Bürgermeisters von Theben – am Ende einer sehr steilen, dusteren Treppe in die Tiefe wartet eine Überraschung – grandiose Deckenbemalungen, wie wir sie in keinem anderen der Gräber gesehen haben.
Es hätte noch so viel zu sehen gehabt, in Luxor. Aber unser Anspruch ist gar nicht, alles zu besuchen. Lieber leisten wir uns den Luxus, die Schönheit mit viel Zeit und Muße zu genießen, ruhig mal eine Stunde in einem der Gräber zu verweilen und nicht dem Ehrgeiz zu erliegen, möglichst viele Sehenswürdigkeiten abzuhaken. Und den Luxus, die unfassbaren Schönheiten ohne Guide einfach nur zu genießen. Dritte oder 12. Dynastie, das ist mir ehrlich gesagt erst mal egal. Hintergrundwissen kann ich mir zuhause anlesen. Denn irgendwie habe ich das Gefühl, dass das nicht mein letzter Besuch war, in diesem grandiosen Ägypten.