Es fängt spannend an. Ich hätte auch eine Zubringerflug nach Frankfurt nehmen können, aber man ist ja klimabewusst und mit der Bahn dauert es nur etwas mehr als eine Stunde. Normalerweise, aber was ist schon normal bei der Bahn.
In Stuttgart hat der Zug bereits 15 Minuten Verspätung. Tiere im Gleis, ah ja. Aber das hab ich eingeplant, auf die Pünktlichkeit der Deutschen Bahn verlasse ich mich schon seit Jahren und meistens zu Recht nicht mehr. Hauptsache, ich sitze irgendwann drin. Die Türen schließen, dann die Durchsage: Der Lokführer hat ein Problem mit den Bremsen entdeckt, er muss eine Bremsprobe machen. Im Stehen, hüstel? Braucht fünf Minuten, kein Problem, bin immer noch gut in der Zeit. Dauert dann zwar 10 Minuten, aber scheint erfolgreich zu sein. Wir kriechen aus dem Bahnhof. Und zwar genau bis zum Nordbahnhof. Dann stehen wir wieder. Person im Tunnel. Jetzt werde ich langsam nervös. Mein Puffer ist anderthalb Stunden lang, davon hat die Bahn ein Drittel aufgebraucht. Nach weiteren 10 Minuten trifft die Bundespolizei ein. Sie suchen die Person im Gleis. Seien nur wenige Kilometer, die sie absuchen müssen, berichtet der Schaffner. Aber dem scheint’s langsam auch peinlich zu sein.
10 Minuten später meldet sich der Lokführer. Die Person sei immer noch im Tunnel, selbstmordgefährdet. Das Schlimme ist, dass man der Bahn ja mittlerweile zutraut, dass das nur eine vorgeschobene Geschichte ist. Erst vor ein paar Wochen erlebten wir mal wieder, wie genau es die Bahn mit der Wahrheit nimmt. Am frühen Morgen fielen Steinquader aus der Fassade des Stuttgarter Bahnhofs. Keine Steinchen, sondern große Brocken. Auf einer Länge von drei Metern, aus dem obersten Stock. Blubb, einfach so. Wäre es Tag und der Bahnhofsvorplatz wie üblich voller Menschen gewesen, es hätte Tote geben können. Die Bahn gibt bekannt, sie seien nicht Schuld gewesen, in den Büros hinter dem neu entstandenen Loch hätten sie nix gebaut. Drei Tage und mehrere Expertisen später fällt ihnen ein, dass sie da doch gebaut haben. Und einen Tag später geben sie kleinlaut zu, dass sie eine tragende Wand entfernt haben. Das bestgeplante Bahnprojekt aller Zeiten, hatten sie verkündet. Möchte ja nicht wissen, was mit den mittelgut geplanten passiert…..
Und dann rollt er. Eine Stunde beträgt jetzt die Verspätung, zwei Drittel meines Puffers. Ohne besondere zusätzliche Gründe kommen noch mal 10 Minuten dazu und so wird’s dann nichts mit einem gemütlichen Kaffee am Flughafen und dem Aufsaugen lang nicht gehabter Reisestimmung. Aber egal, irgendwann sitze ich im Flugzeug und jetzt kann nichts mehr schiefgehen.
Warum eigentlich Malta? Ohne Corona wäre ich hier nicht gelandet. Nach zwei tollen Polenreisen war der Hunger nach etwas Exotik, nach ein wenig Abwechslung von mitteleuropäisch Bekanntem ganz spürbar vorhanden. Am liebsten natürlich ganz weit weg. Aber so weit ist es noch nicht. In Europa also entweder ganz in den Norden, Finnland stand recht weit oben in meiner Liste, oder in die Wärme. Und als ich dann las, dass Malta mit 90% Impfrate ein sympathischer Coronastreber ist, war die Entscheidung gefallen.
Nachdem Malta im Sommer erklärt hatte, dass sie Herdenimmunität erreicht haben, kam das Partyvolk und die Inzidenzen schnellten nach oben. Darauf wurde schnell reagiert: nur noch mit Impfung oder 14-tägiger Quarantäne lassen sie Touristen rein. Das hat das Paar mittleren Alters, die neben mir am Gesundheitscheck-Schalter stehen, wohl nicht gelesen. 1680 Euro für 14 Tage Quarantänehotel oder sofortige Rückreise, teilt ihnen der Grenzbeamte mit, und die beiden sind ganz furchtbar schockiert. Ich auch, wie kann man nur so naiv sein?
Die Malteser nehmen es weiter noch sehr Ernst mit Corona, Maskenpflicht im Bus und in Läden und die Leute halten sich dran. Coronaleugner haben’s hier schwer und das macht mir die Inseln dann gleich noch sympathischer.
In einer knappen Stunde bin ich per Bus mit einem Umstieg in Cospicua, einer der „Three Cities“ gegenüber von Valletta. Mit dem Taxi wäre es eine Viertelstunde gewesen, aber das ist ja langweilig 🙂 Weit kann es nicht sein bis zu meiner Unterkunft, aber Google Maps ist etwas irritiert ob der vielen kleinen Strässchen. In den winzigen Gassen verirre ich mich prompt, irgendwann winkt mir jemand vom Dach eines der historischen Häuschen zu: Daniel, mein Vermieter. In den liebevoll restaurierten „Città Cospicua Suites“ gehört mir die oberste kleine Wohnung. Gar nicht so wichtig, dass sie blitzesauber und gut gekühlt ist, der ganz besondere Charme ist der kleine Balkon, von dem aus man das Leben in der Gasse beobachten kann. Autos passen hier zum Glück nicht durch, so ist Platz für Menschen. Die alte Dame gegenüber, die von einer Nachbarin jeden Morgen mit frischen Brötchen beliefert wird, die sie in einem kleinen Körbchen an einem Seil hinauf in ihre Wohnung zieht. Der Mann auf dem Nachbardach, der nach seinen Brieftauben schaut. Die Katzen, die durch die Gasse streifen. Und der Straßenkehrer, der nach ihnen sauber macht. So viel Atmosphäre in so historischem Ambiente. Und so richtig entdeckt hat der Tourismus das noch nicht.
Ich streife durch die kleinen Gassen, die Leute sitzen vor ihren Häusern und grüßen freundlich, hinter jeder Ecke wartet eine weitere Bilderbuchansicht. Ich steige hinunter zum Hafen, es ist mittlerweile dunkel, in der Bucht schaukeln kleine Boote und riesige Jachten, in der Ferne strahlt Valletta – das ist fast unwirklich schön.
Die Three Cities bestehen aus „meinem“ Cospicua, Vittoriosa und Senglea. Und damit es nicht zu einfach wird, haben sie noch ältere Namen, Bormla, Birgu und Isla, die man sich merken sollte. Denn obwohl die Umbenennung im 16. Jahrhundert erfolgte, heißt vieles und vor allem die Busstationen immer noch so.
Meinen ersten Abend verbringe ich mit einem Cisk, dem maltesischen Bier, auf einem Platz nahe meiner schönen Wohnung. Ein echter Nachbarschaftstreff! Um eine Art Kiosk herum sind Tische aufgestellt, jeder Vorbeikommende wird begrüßt und die Zahl der Flaschen auf manchen Tischen lässt vermuten, dass der eine oder die andere hier schon einen fröhlichen Tag verbracht hat. Die Stimmung ist entspannt und familiär, ein guter Einstieg.
Den Morgen beginne ich auf meinem Balkon, mit einem Kaffee schaue ich Cospicua beim Aufwachen zu. Die Sonne treibt mich von meinem Logenplatz dann runter auf die Straße. Hier braucht man keine Straßenkarten und keinen Reiseführer, einfach drauf los, die Bucht sorgt schon für Orientierung. Und die „Three Cities“ sind nicht größer als drei Dörfer, nach Vittoriosa laufe ich fünf Minuten und nach Senglea auf der anderen Seite der Bucht kaum länger. Ich steuere das große Fort an, das ich gestern Abend schon gesehen habe, und tauche in der Mittagshitze in die kühlen Räume ein. Perfekte Entscheidung, wie sich dann rausstellt. Das Fort St. Angelo ist das Zentrum maltesischer Geschichte, wer hier saß, beherrschte den „Grand Harbour“ und damit auch das Land. Die erste Festung wurde von den Phoeniziern in der Spätantike erbaut, dann kamen die Ritter des Johanniterordens, später die Engländer. Der großen Belagerung im Jahr 1565 hielt man hier Stand, wehrte die Osmanen ab und trotzte den Bombenangriffen der Deutschen. Die Festung beherbergt ein sehr empfehlenswertes Museum, das sehr anschaulich einen Überblick über die unglaubliche Geschichte Maltas gibt. Und zudem phantastische Blicke auf das tiefblaue Mittelmeer, den Großen Hafen und Valletta auf der gegenüberliegenden Seite der Bucht bietet. Sehr wenige Touristen und das ein oder andere schattige Plätzchen lassen mich hier einige Stunden verbringen und ich kann es für den Auftakt einer Malta-Reise wärmstens empfehlen.
Zwei weitere Museen sollte man in den Three Cities unbedingt besucht haben. Zunächst den Palast des Inquisitors, der 1574 auf die Insel geschickt wurde, um die etwas aus dem Ruder gelaufenen Ritter zu bändigen. Prachtvolle Gemächer, ein friedlicher Innenhof mit Granatapfelbäumen, düstere Zellen und kurze Videos, in denen Schauspieler das Schicksal der Opfer darstellen, lassen einen tief eintauchen in die Welt der Ritter, der einfachen Bürger und der römischen Kirchenmacht.
Und dann noch das Museum „Malta at War“ an der Stadtmauer von Vittoriosa. Wieder mal ist es mir fast peinlich, wie wenig ich immer noch darüber weiß, was Deutschland im Zweiten Weltkrieg alles angerichtet hat. Aber dazu später mehr.
Eine Reise nach Malta in den Three Cities zu beginnen, scheint mir eine sehr gute Entscheidung gewesen zu sein. Abseits der Touristenströme gibt es hier die wunderbare Gelegenheit, sofort in die maltesische Lebensweise einzutauchen, einen Überblick über die spannende Geschichte der Inseln und gigantische Aussichten auf die schönen Städte vor einer herrlichen Mittelmeerkulisse zu bekommen. Der große Charme der Three Cities sind ihre kleinen Gassen, die Sandsteinhäuser mit den geschlossenen Holzbalkons, die knallbunten Eingangstore mit metallenen Türklopfern. Hier ließen sich die Johanniterritter nieder, lange bevor Valletta gegründet wurde, und viele der Herbergen der Ritter sind noch heute erhalten.
Wer sich für einen solchen Einstieg entscheidet, dem kann ich die „Città Cospicua Suites“, eine „Cassata Anchovy“-Pastete im Café Birgi am Hafen, die Museen und viel Muße für einen Bummel durch die Gassen empfehlen. Und wenn ihr dann zufällig auf das „Ghost House“ in der Il-Kwartier 15 stoßt, rein da. Oder besser runter in die authentische Souterrain-Wohnung, die so wirkt, als seien die Bewohner nur grade kurz zum Einkaufen weg. Für 50 Cent Eintritt gibt’s zudem ein bisschen Gruselfeeling obendrauf. Und zum Entspannen dann die herrlichen Aussichtspunkte an den Safe Haven Gardens in Senglea, an der Birgu Waterfront oder der Vittoriosa Yacht Marina.
Hier könnte man einen ganzen Urlaub verbringen, aber ich will auch noch anderen Städten eine Chance geben. Deswegen Tschüß schönes Cospicua und hallo freundliches Mosta!
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