Naumburg und die karibischen Helferlein

Nein, wir haben Europa immer noch nicht verlassen. Noch nicht mal Deutschland. Aber wenigstens Westdeutschland. Denn wir sind auf dem Weg nach Leipzig und haben einen Stopp in Naumburg eingelegt. Der Sommereinbruch im frühen April beschert uns einen lauen Abend in der komplett erhaltenen und weitgehend perfekt restaurierten Altstadt. Auf dem großen Marktplatz leuchten die bunten Bürgerhäuser mit dem blauen Himmel um die Wette, wir lassen uns das erste Eis der Saison schmecken und genießen in einem kleinen Biergarten ein leckeres Köstritzer Pils und Thüringer Bratwurst – also eigentlich ein Ort zum Wohlfühlen. Aber irgendwas passt nicht. Die Frühlingstemperaturen scheinen bei den vornehmlich jungen Männern die Hormone in Wallung gebracht zu haben und das können sie nur unter Zuhilfenahme ihrer Fahrzeuge verarbeiten – schwere Maschine dröhnen durch die Straßen,  Motoren heulen auf und mit jedem weiteren wrumm aus den Auspuffen scheint die Männlichkeit ihrer Besitzer noch ein paar Zentimeter zu wachsen. Diese Poserei nervt in jeder Stadt, aber vor der Kulisse prächtiger Bürgerhäuser, gemütlicher Cafés und stylischer Weinbars scheint sie besonders absurd. Als würden die Stadt und ihre Bewohner – zumindest die hörbaren – einfach nicht zusammen zu passen. Nun denn, unsere freundliche Pension liegt in einer Sackgasse und wir schlafen ganz himmlisch.

Die Hauptattraktion der Stadt folgt am nächsten Tag – der Naumburger Dom. Weltkulturerbe ist er vor fünf Jahren geworden, eine fast unendliche Geschichte der Antragstellung ging dem voraus und wäre da nicht dieser winzige Karibikstaat gewesen, wer weiß, ob es überhaupt geklappt hätte. Ernsthaft geplant war die Antragstellung seit 1998, 2014 wurde der erste Antrag eingereicht, 2015 abgelehnt, noch mal eingereicht, wieder abgelehnt und als die Hoffnung schon fast erloschen war, kam St. Kitts und Nevis. Die zwei karibischen Inseln mit gerade mal 40.000 Einwohnern hatten einen Änderungsantrag für Naumburg eingebracht, der dann tatsächlich angenommen wurde und endlich war es passiert – der Dom darf sich seit 2018 Weltkulturerbestätte nennen. Und klar durfte eine Delegation aus St. Kitts und Nevis zur Eröffnungssause kommen. Lästereien musste sich Naumburg eine ganze Weile gefallen lassen wegen der karibischen Schützenhilfe, aber egal – der Dom ist grandios und mit oder ohne Titel eine Reise wert.

Berühmt ist er vor allem wegen seiner Stifterfiguren im westlichen Chor – allen voran Ekkehard und und die schöne Uta. Sie wirken ganz modern und sie sind ein Meisterwerk, so wie der ganze Dom. Bildhauerkunst und Architektur verschmelzen, unglaublich, was ein unbekannter Naumburger Baumeister vor hunderten von Jahren geschaffen hat.

 

Was mich aber besonders beeindruckt hat, ist die moderne Kunst, die in das mittelalterliche Bauwerk wie selbstverständlich integriert wurde. Und das schon zu DDR-Zeiten. Ich bin kein großer Fan zeitgenössischer christlicher Kunst und da kommt es meinem Geschmack sehr zugute, dass der Naumburger Dom nicht mehr der Kirche gehört, sondern einer weltlichen Stiftung. Denn die scheinen sehr viel offener mit verschiedenen künstlerischen Ansätzen umzugehen. Für uns folgen zwei äußerst interessante und unterhaltsame Stunden, die wir dann aber wegen der Kälte im Dom – draußen sonnige 25, drinnen frische 10 Grad – beenden.

Da ist zum Beispiel die Glaskunst. Im Naumburger Dom beeindrucken einerseits die über 800 Jahre alten Kirchenfenster im Westchor, andererseits aber auch die in den 2000ern gestalteten Fenster in den Kapellen. In der Elisabethenkapelle taucht man ein in tiefes Rot. Ein bisschen sozialistisch wirken sowohl Motiv als auch Farbe, die sich der Leipziger Maler Neo Rauch ausgesucht hat, aber die Stimmung ist einzigartig.

 

So richtig Spaß machen die Werke des Bildhauers Heinrich Apel. In der Krypta halten eine Engelin und ein huttragender Prophet die Leuchter, die Handläufe rechts und links des Ostchors sind bezaubernd. Bronzene Figuren versuchen auf dem schmalen Pfad ins Paradies den Aufstieg weg vom Teufel, vom armen Sisyphos wissen wir, dass er es mit seinem Felsbrocken nicht schaffen wird, ein vorwitziger Seiteneinsteiger versucht eine Abkürzung, Adam und Eva sind bereits da. Auf der rechten Seite führen kleine Fußabdrücke zu Franz von Assisi, der zu den Vögel, die sich auf dem Handlauf tummeln, predigt.

Beim Altar im Westchor kommen sich Mittelalter und Moderne am nächsten – die Seitenflügel sind die Originale von Lucas Cranach, das zerstörte Mittelteil wurde vom Leipziger Maler Michael Triegel neu gestaltet. Da trifft dann Baseballcap auf Rauscheengel, wie ich das inhaltlich finde, ist egal, denn es ist einfach sehr gut gemacht und eine mutige Entscheidung – Cranach und Triegel ergänzen sich perfekt, das moderne Werk hebt sich auf den ersten Blick überhaupt nicht ab von seinen fünfhundert Jahre älteren Partnern und strahlt mit ihnen um die Wette. Fast hätte die Aufstellung des Altars den mühsam errungenen Welterbetitel wieder verschwinden lassen, aber die Domstiftung hat sich vorerst durchgesetzt – obwohl der Altar den Blick auf die Stifterfiguren ablenkt, steht er da jetzt. Ganz vorbei ist der Streit mit der UNESCO noch nicht, der Entzug des Titels könnte immer noch drohen. Vielleicht fragt ihr einfach mal in der Karibik nach, wie sich das Dilemma lösen lässt.

 

 

 

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