… sagte man mir bevor ich hier her kam. Drei Tage, das reiche für die Insel. Maximal.
Eigentlich sollte man andere tatsächlich davon abhalten, hierher zu kommen – es ist nämlich ohne Übertreibung einer der schönsten Orte der Welt! Und das auch, weil der Massentourismus die Insel glücklicherweise noch nicht gefunden hat und sie hoffentlich auch nie finden wird.
Anderthalb Stunden Flug von Mauritius entfernt ist hier alles anders: die Menschen, die Vegetation, das Tempo. Hier dominieren die Kreolen, 97% der knapp 40.000 Einwohner sind Katholiken und alles fühlt sich viel mehr nach Afrika an. Industrie gibt es keine in Rodrigues, man versorgt sich aus dem eigenen Garten, Fischfang und ein wenig Tourismus sind die Haupteinnahmequellen. Rodrigues gehört zwar zu Mauritius, ist aber autonom. Eine Regionalversammlung lenkt die Geschicke der Insel und das tun sie sehr behutsam. Umweltschutz wird groß geschrieben, schon im Flugzeug wird darauf hingewiesen, das Plastiktüten verboten seien, auf einem der Berge drehen sich Windräder.
Meine Vermieterin hat einen Fahrer geschickt, mit einem geländetauglichen Pickup kurven wir in einer halben Stunde einmal quer durch die Insel – hoch und runter schlängelt sich die Straße durch kleine Ortschaften. Es ist sieben Uhr abends und Rodrigues scheint schon ins Bett gegangen zu sein. Der Fahrer lässt sich über Mauritius aus – alles viel zu hektisch dort. Das höre ich in den nächsten Tagen eigentlich ständig, die Menschen genießen die Abgelegenheit und Ruhe. Man kennt sich auf Rodrigues, es muss immer Zeit sein für ein kleines Schwätzchen und die Menschen lieben ihre Insel.
In meinem Guesthouse erwarten mich meine Wirtin Guilmette und zwei junge Hebammen aus Lyon, die zur Zeit in Mayotte leben und einen Kurzurlaub eingeschoben haben. Mit Erstaunen höre ich, dass Mayotte – zwischen Madagaskar und dem afrikanischen Festland gelegen – zur EU gehört. Anders als La Reunion aber scheint das französische Mutterland die Insel vergessen zu haben. Beatrice und Johanna erzählen von hoher Kriminalität, großer Wasserknappheit und einem dramatischen Problem mit Flüchtlingen von den nahen Komoren. An den folgenden Abenden berichten sie dann aber auch von einer atemberaubenden Unterwasserwelt, Delfinschwärmen und regelmäßigen Walsichtungen.
Im Guesthouse, das gerade mal drei blitzsaubere Zimmer hat, trifft man sich abends zum Ti Punch, einem starken Gemisch aus Zitrone, braunem Zucker und Rum. Danach wird gemeinsam gegessen und was Guilmette so auftischt ist köstlich. Fast alles kommt aus ihrem eigenen Garten und der Fisch aus der nahegelegenen Bucht – so lecker…
Das Guesthouse liegt direkt an der Straße – uh, denke ich am Anfang, merke dann aber, dass hier tagsüber alle Viertelstunde mal ein Auto vorbeikommt und ansonsten eher die Ziegen die Fahrbahn bevölkern – wie eigentlich überall auf Rodrigues. Nachts hört man ausschließlich das Rauschen des Meeres und ab und an das Quieken der Fledermäuse.
Wie nah ich am Strand bin, merke ich erst am nächsten Morgen. Direkt hinter dem gegenübergelegenen Nadelwald ist eine wunderbare Bucht. Und daneben noch eine. Und dann noch eine. Es hört nicht auf. Bunte Fischerboote dümpeln in der Lagune, die Strände sind menschenleer, ab und an schaut eine Kuh oder eine Ziege vorbei, in der Ferne brechen sich die Wellen am Riff – Wahnsinn.
Aber die Küste kann auch wilder sein. Ich wandere Richtung Süden zu weiteren einsamen Traumbuchten. Hier ist die Lagune schmaler, so dass die Wellen mit Wucht auf das vulkanische Gestein donnern und wunderbare Orte erschaffen haben. Ich sitze Stunden da, schaue auf’s Meer und kann die Schönheit der Natur nicht fassen.
Am Samstag ist Markt in Port Mathurin, mit etwa 6500 Einwohnern der größte Ort von Rodrigues. Ich setze mich in den Bus und tuckere entspannt der Hauptstadt entgegen. Trotz früher Stunde ist der Bus gut besetzt und angekommen in Port Mathurin wird mir dann auch klar, worum es hier geht. Natürlich gibt es Obst und Gemüse zu kaufen, aber die Hauptsache scheint zu sein, sich zu treffen. An den Marktständen geht gar nicht viel über die Theke, dafür wird überall ein Schwätzchen gehalten. Ich streife durch die Souvenirläden, es gibt einige davon, auch wenn ich meist die einzige Kundin bin. In einem Laden komme ich mit dem betagten Besitzer ins Gespräch, er ist vor 10 Jahren von Mauritius hierher geflüchtet, Herzinfarkt, Krebs, er wollte Ruhe. Seit er hier sei, ginge es ihm hervorragend, sagt er, und fragt mich, ob ich etwas Zeit hätte. Klar, habe ich und er greift zum Telefon. Er habe einen guten Freund hier, Hans-Otto aus Deutschland, der würde sich bestimmt sehr freuen, mal ein Schwätzchen auf deutsch zu halten. Er reicht mir den Hörer und ich plaudere eine Weile mit Hans-Otto, der unverkennbar aus Bremen kommt und gerade seinen 80. Geburtstag auf der Insel gefeiert hat. Auch er schwärmt von der Gelassenheit und Freundlichkeit der Menschen und ja, so kurz ich hier bin, ich kann es sehr gut verstehen.
Meine Wirtin Guilmette meint nach zwei Tagen, jetzt sollte ich doch mal etwas mehr von der Insel sehen und organisiert als erstes einen
Bootsausflug zur nahegelegenen Ile aux Cocos. Einen schönen Strand und ein paar Seevögel gäbe es da – auch wieder so eine maßlose
Untertreibung. Wir fahren über eine Stunde durch die seichte Lagune und müssen dann noch mal ein ziemliches Stück durch das flache Wasser waten. Schon dabei wird klar – die Insel gehört den Seeschwalben und die sind vollkommen furchtlos. Die Begegnung mit den Vögeln ist für mich so einmalig und wunderbar, dass ich darüber sogar das Baden vergesse. Nur ein, zwei Meter über oder neben mir fliegen sie, schneeweiße Feenseeschwalben mit schwarzen Augen und Schnäbeln. Elegant-graue Noddiseeschwalben zeigen ihre Flugkünste und das alles vor türkisfarbenem Wasser und dem strahlenden Blau des Himmels. Ich bin wie verzaubert, ein wirklich einmaliges Erlebnis.
Und dann kommen mir meine balinesischen Mopederfahrungen wieder zugute. Guilmette hat einen weißen Scooter für mich organisiert und ihre Tourenvorschläge führen mich zu weiteren traumhaften Orten. Das Fahren ist sehr angenehm – die Straßen sind komplett leer und wenn mal ein Auto vorbeikommt grüßt man sich freundlich. Die Höchstgeschwindigkeit auf Rodrigues ist 50 – und schneller geht es eigentlich auch nicht bei den vielen Kurven und dem bergigen Gelände.
Ich fahre zunächst durchs Inland, hügelig, mal grün, mal eher karg, viele Gemüsegärten und sehr viele Schafe und Ziegen. Dann biege ich ab in Richtung Küstenstraße und es geht erst mal steil bergab. Und plötzlich strahlen mir leuchtende Farben entgegen, ein unglaubliches Türkis, tiefes blau, intensives flaschengrün, immer changierend im Wechsel von Sonne und Wolken und ich kann es nicht fassen. Ich halte an, laufe über eine Wiese, an Kühen vorbei, die der Anblick vollkommen kalt lässt, und stehe staunend vor dieser unfassbaren Schönheit. Kein Photo kann das strahlende Leuchten des Meeres wiedergeben und ich bin tatsächlich so ergriffen, dass ein paar Tränen kullern.
Ich fahre den Berg hinunter bis zur Küste und sehe ganz in der Ferne die bunten Segel der Kitesurfer. Richtig, das hatte ich gelesen, Mouruk ist ein Mekka der Kitesurfer-Szene. Die bunten Drachen am strahlend blauen Himmel, auch wieder so ein Gänsehautmoment.
Weiter geht es zum Francois Leguat Schildkrötenreservat. Schon in Mauritius gab es diese tollen Projekte, die sich bemühen, die ursprüngliche Fauna und Flora der Insel wiederherzustellen. Rodrigues war vor Ankunft der Siedler von tausenden Riesenschildkröten besiedelt, die die menschliche Gegenwart nicht lange überlebt haben. Die damalige Art ist ausgestorben und Ziel des Projektes ist, ähnliche Arten wieder anzusiedeln. Und das ist ihnen zumindest im Park phantastisch gelungen. Hunderte von Aldabra-Riesenschildkröten leben in einer Schlucht, die dreimal am Tag besucht werden darf. Und worauf sind die großen Tiere besonders scharf? Streicheleinheiten! Von allen Seiten eilen sie in erstaunlichem Tempo heran und verlangen, am Hals gekrault zu werden. Was für ein Erlebnis! Ich gebe alles, so viele wie mögliche faltige kühle Hälse zu tätscheln. Bei einigen Tieren bleibe ich länger – dieser weise Schildkrötenblick ist wirklich berührend und irgendwann müssen sie auch für ein paar Selfies herhalten. Aug in Aug, Nas an Nas mit einer Riesenschildkröte, wer hätte das gedacht?
Zurück geht es immer an der Küste entlang, die Ausblicke sind atemberaubend, der Fahrtwind superangenehm, was für ein Erlebnis. Guilmette hat heute draußen gedeckt, wir essen Tintenfischcurry unterm Sternenhimmel und die Welt ist in Ordnung.
Hätte ich den Rückflug nicht schon gebucht, ich würde noch ein paar Wochen hier bleiben. Was für ein wunderschöner Ort, was für herzliche Menschen. Hoffentlich bleibt das Gerücht, hier gäbe es nichts zu tun, noch ganz lange bestehen!
P.S. Wer Lust bekommen hat auf das wunderbare Rodrigues, dem lege ich Guilmettes Guesthouse „Le Macoua“ in Pointe Coton sehr ans Herz. Ihr erreicht sie unter lemacoua@gmail.com. Ich habe mich selten so wohl und willkommen gefühlt wie dort!