Krakau ist schon lange kein Geheimtipp mehr. Der zentrale Platz Rynek mit den Tuchmacherhallen, der Marienkirche und dem hoch aufragenden Rathausturm ist auch bei schlechtem Wetter gepackt voll von Menschen. Die Straßencafés, die den riesigen Platz säumen, sind zu jeder Tageszeit gut besetzt, eine Menge trinkfreudiger Engländer fangen schon früh am Tag an, das günstige und gute polnische Bier zu genießen und dazu kommen noch jede Menge ausländische Studenten. Außerdem scheint gerade die perfekte Zeit für Schulausflüge aller Art zu sein. Allein ist man hier nirgendwo.
Dieses internationale Flair spiegelt sich auch in der Restaurant-Szene wieder. An jeder Ecke ein italienisches Restaurant, Asiaten und natürlich die unvermeidlichen Trendrestaurants der hippen Stadtjugend. Vegetarisch oder gar vegan zu essen, wäre hier für mich überhaupt kein Problem. Aber ich will gerade nicht….
Denn hier gibt es schließlich und in erster Linie polnische Küche. Und die dreht sich fast ausschließlich um Fleisch. Und füllt neben dem Magen auch die Seele. Denn die polnische Küche ist eine absolute Heimwehküche. Soulfood vom feinsten.
Leber mit Apfel, Zwiebel und Kartoffelbrei ist die Offenbarung des ersten Abends in einem kleinen Restaurant mit rotkarierten Tischdecken und einem Ambiente wie in Omas Küche. Man bestellt am Tresen und räumt sein Geschirr selber ab, das verstärkt den familiären Eindruck. 20 Zloty, keine 5 Euro, zahle ich für das köstliche Lieblingsgericht meiner Kindheit. Inklusive „Kompot“, Saft von eingelegtem Obst, hier ein Standardgetränk.
Am nächsten Tag traue ich mich an Bigos, den Albtraum eines jeden konsequenten Vegetariers, was ich offensichtlich seit Überschreiten der Grenze nicht mehr bin. Ein Eintopf aus Speck, Rinder- und Schweinefleisch mit Weißkohl, Sauerkraut und geräucherten Würstchen, dazu wieder Kartoffelbrei. Oh, welch Hochgenuss! Weißkohl und Sauerkraut, das mag ich doch eigentlich gar nicht, aber ich muss meine Geschmacksvorlieben offensichtlich noch mal überprüfen. So aromatisch, so perfekt gewürzt, der Wirt guckt etwas irritiert, als ich nach dem ersten Löffel ein lautes „Mmmmh“ von mir gebe.
In Polen wird viel Suppe gegessen und weil ich mich ja einmal am Tag dem Kartoffelbrei- und Megafleisch-Genuss hingebe, versuche ich es mittags mal mit einer Kartoffelsuppe in einem Traditionslokal, das schon seit über hundert Jahren die hungrigen Mägen füllt. Der Teller ist randvoll und die Suppe strotzt vor Fleisch, Speck, Pilzen und Kartoffeln. Der Versuch einer kleinen Mahlzeit schlägt also fehl, pappsatt, aber glücklich mache ich mich auf die Suche nach einem gemütlichen Café. Dort preisen sie ihre heiße Schokolade an, der Reiseführer schwärmt auch davon, ein Tässchen kann ja nicht schaden. Was ich dann bekomme, ist eine kleine Mahlzeit für sich. Aber es hat mich ja niemand gezwungen, die große Tasse zu nehmen. Und noch extra Sahne dazu zu bestellen. Jedenfalls ist es unglaublich köstlich, dickflüssige Schokolade, viel geschmeidiger als das puddingartige Zeugs in Madrid, ein ganz feiner Geschmack und danach ist mir furchtbar schlecht. Aber es war so gut…
Eigentlich wollte ich heute nichts mehr essen, aber gen Abend stellt sich dann doch noch Appetit ein. Genau richtig für eine weitere polnische Erfindung: Zapiekanki, mit Käse überbackene Pilzbaguettes, die man in besonders großer Auswahl gleich bei mir um die Ecke an einem überdimensionierten Kiosk bekommt. Etwa 10 Stände bieten ihre Kreationen an, und man kann noch lauter Extrabeläge dazu ordern. Ich bleibe beim Klassiker mit Schnittlauch, ein riesiges Baguette mit sahnigen Pilzen und viel Käse für 8 Zloty.
Auffällig ist, dass die Liebe für die heimische Küche generationsübergreifend zu sein scheint. In den einfachen Restaurants mit deftiger polnischer Küche speisen hippe Youngster, Geschäftsleute, alte Menschen. Auch auf dem Platz um den großen Kiosk mit den Pilzbaguettes scheint sich ein Querschnitt der polnischen Gesellschaft wiederzufinden. In den gemütlichen Cafés ist kein Durchschnittspublikum auszumachen, immer findet man alt und jung. Das war uns schon in anderen Ländern, allen voran Australien, aufgefallen, in Deutschland scheinen sich die Generationen kulinarisch viel weniger zu mischen.
Noch nicht erwähnt habe ich die ebenfalls superköstlichen Pierogi, gefüllte Teigtaschen mit Hackfleisch, Kraut oder Kartoffeln. Gekocht oder gebraten ein Genuss, ich ertränke sie an einem Buffet noch in cremiger Pilzsauce, passt wunderbar. Pilze müssen in Polen sowieso sein, ob in der Suppe, auf dem Baguette oder eben als Sauce.
Und dann die Kuchen. Selten habe ich so guten Apfelkuchen gegessen und zum Glück kommen sie hier nicht auf die Idee, die Köstlichkeit durch Rosinen zu ruinieren. Dafür lieber ein wenig dicke Vanillesahne, das passt doch viel besser. Was mich wirklich sehr wundert ist, dass die meisten Polen und vor allem Polinnen durchaus schlank sind. Auch die, die sich in den Restaurants der deftigen Küche mit ihren ordentlichen Portionen hingeben. Aber wahrscheinlich essen die nur ein mal am Tag. Und verzichten auf die wunderbare heiße Schokolade. Ich jedenfalls werde übermorgen weiterrollen. Zwar ist mittlerweile sogar das Wetter gut geworden, aber meine Hosen spannen und ich habe genügend Tiere für die nächsten zwei Jahre verspeist. Ethisch vollkommen verwerflich, aber soo lecker….
Und mein Fazit: Krakau ist eine tolle Stadt, die alle Sinne anspricht und sehr berührt. Aber: Krakau ist furchtbar voll und wirkt dadurch touristischer als es eigentlich ist. Die Reise lohnt sich, man muss sich aber auf die Massen einstellen. Einer der Gründe, warum ich es gelassen habe, einen Abstecher nach Auschwitz zu machen, so sehr es mich interessiert hätte. Makabre Plakate preisen den Besuch zum Schnäppchenpreis an, das muss ich nicht haben.
Ich habe lange nicht alles gesehen in dieser schönen Stadt. Die Wawelsburg kam viel zu kurz, da Vincis Dame mit dem Hermelin habe ich verpasst und keinen Ausflug in die Vororte gemacht. Sollte sich der Krakau-Hype irgendwann mal legen (und wer weiß, vielleicht machen auch wir es den Engländern nach dem Brexit etwas ungemütlicher mit Billig-Saufreisen auf den Kontinent…), komme ich in jedem Fall wieder her. Oder wenn ich Heimweh nach dieser unglaublich leckeren Leber im Kuchnia Domowa bekomme….
Nicht dass ihr glaubt, ich wäre einen ganzen Monat in Krakau gewesen. Mich hat es wieder nach Hause gezogen und ich habe zwei Heimatwochen eingelegt. Und dabei etwas für mich Komisches erlebt: ich war erschöpft vom Reisen. Nicht das Genervtsein, mich um ein Hotel für den nächsten Tag oder eine Zugverbindung kümmern zu müssen. Sondern eine echte Unlust, wieder aufzubrechen. Sogar eine Unlust, weiter über meine Reise zu berichten.
Dann bleib doch einfach da, sagte Eric. Aber zu wissen, dass ich nur noch ein paar Wochen habe, bevor mir die Arbeit Grenzen setzen wird, hat mich doch wieder fort getrieben. In ein sehr schönes Städtchen. Aber davon später. Ihr könnt ja schon mal raten, wo ich gerade bin 🙂