Ich bin geimpft. Wow! Es ist weniger die eigene Sicherheit, die mich in Euphorie versetzt, sondern die Gewissheit, dass ich für andere keine große Gefahr mehr darstelle. Und ein Signal, dass es jetzt wirklich bergauf geht.
Ich kann nicht sagen, dass ich in den letzten anderthalb Jahren gelitten habe. Eine Wohnung mit schönem Arbeitszimmer, die Möglichkeit zu Homeoffice, ein sicherer Job, keine zu beschulenden Kinder, ich weiß schon, dass ich da sehr privilegiert war. Aber dieses Gefühl der Freiheit, das mir vor allem das Reisen vermittelt, wurde schon arg strapaziert.
Seit Monaten hatte ich mir vorgenommen, dass mich meine erste Reise nach Hamburg führen wird. Wäre auch ungeimpft möglich gewesen, aber mich interessieren ja nicht nur die wunderbare Stadt, sondern vor allem die lieben Menschen in der Heimat. Zugfahren ist nachgerade günstig in Corona-Zeiten, ein erste Klasse -Ticket für unter 100 Euro, das ist ein Schnäppchen. Also auf in den schönen Norden.
Das Programm ist straff: fünf Treffen gilt es in zweieinhalb Tagen zu absolvieren, aber ich bin ja so ausgehungert nach schönen Gesprächen und lieben Menschen. Noch am Ankunftsabend feiern wir Kathas Geburtstag. Und am nächsten Tag dann ab in die Stadt. Das Wetter unterstützt mich wo es nur kann: wir starten in Klein Borstel im Hamburger Grau, der Himmel reißt rasch auf, schon an den Alsterarkaden strahlt die Sonne und später an der Elbe wird es perfekt. Am Elbstrand bei Övelgönne scheint Corona dann wirklich nur noch eine gespenstische Erinnerung zu sein. Bei frühlingshaften Temperaturen sitzen die Leute im Sand, in der Elbperle ergattern wir den letzten freien Tisch und dann endlich das, wonach mir seit einem halben Jahr gelüstet: ein frisch gezapftes Bier! Ok, es ist ein Astra, immer noch ein Wunder, wie die einstige Billigplörre den Aufschwung zum Kultbier geschafft hat, aber der Name passt ganz wunderbar zur Pandemie-Überwindung. Geschmeckt hat es tatsächlich auch. Gute Gespräche, Sonne im Gesicht und zum Schluss zieht dann noch ein riesiges Containerschiff fast schon majestätisch an uns vorbei – perfekt!
Am nächsten Tag ein Spaziergang auf den Spuren meiner Jugend: ich laufe meinen alten Schulweg. Das Haus, in dem ich aufwuchs, wurde abgerissen nachdem wir 1985 dort ausgezogen sind, und der etwas protzige Neubau, der mittlerweile auch schon keiner mehr ist, quetscht sich wie ein Fremdkörper auf das für ihn zu kleine Grundstück. Aber wahrscheinlich bin ich die Einzige, der das auffällt.
Der Hamburger Norden ist einfach schön, gewachsene Wohngebiete mit traditionellen Häusern, die ein oder andere klassische Kaffeemühle findet sich noch und ich bedauere wirklich sehr, dass wir damals nicht zugeschlagen und unser Haus einfach gekauft haben. Na ja, mein Leben wäre anders verlaufen, wenn ich hier geblieben wäre und vielleicht würde ich die Schönheit gar nicht genießen, sondern das Gefühl haben, hier steckengeblieben zu sein. Wer weiß.
Jedenfalls legt meine Freundin Kati noch mal eins oben drauf: ein wunderbarer Spaziergang durch grüne Parks hin zu meinem alten Reitstall, der heute ein Umweltzentrum geworden ist. Ich erkenne die einst baufällige Scheune und das Herrenhaus nur mit Mühe, toll haben sie das gemacht. Kurz mal die Augen geschlossen und die Bilder von Klein-Julia in ihrer Trainingshose und den Gummistiefeln tauchen auf. Ich war nie eine begeisterte Reiterin und die Pferdemädels waren mir eigentlich suspekt.
Nach einem letzten Abend mit Coco steige ich am nächsten Tag in den Zug und kriege beim Blick von den Elbbrücken auf Hamburg feuchte Augen. Toll war’s!
So sehr ich Hamburg liebe – die Nähe zu Frankreich ist ein großes Plus des Südwestens. Und kaum verzichten die Franzosen für Geimpfte auf einen PCR-Test für die Einreise, sitze ich auch schon im TGV Richtung Straßburg. Ein sehr internationales Publikum an Bord, Amerikaner, Chinesen, Reisen scheint hier fast wieder normal. Der Zug überquert den Rhein, da ertönt Musik aus den Lautsprechern – ist es die Nationalhymne? – und der Schaffner heißt uns willkommen in Frankreich. Er freue sich so, dass wir da seien. Diese kleine Zeremonie kenne ich aus Prä-Covid-Zeiten nicht, ein Zeichen der Erleichterung, dass Europa wieder grenzenlos ist.
Aber irgendjemand wird doch meinen Impfpass sehen wollen. Der Schaffner, eine Kontrolle auf dem Bahnhof, oder? Nein, nichts da. In Straßburg angekommen marschiere ich unbehelligt Richtung Stadt. Ans Masketragen halten sich allerdings alle und das ziemlich strikt, draußen wie drinnen, überall. Bei diesem herrlichen Frühsommerwetter nicht ganz angenehm, aber wat mutt, dat mutt. Vor dem wunderbaren Münster eine kleine Schlange, jetzt vielleicht der Impfausweis? Nein, Taschenkontrolle, den Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt 2018 hatte ich schon ganz verdrängt. Aber schwerbewaffnete Polizei an allen Ecken der Innenstadt erinnert mich dann den ganzen Tag daran. Das prächtige Münster wird durch einen riesigen Mond, der im Kirchenschiff zu schweben scheint, noch beeindruckender.
Es wird ein sehr entspannter Tag, Bummeln durch die Gassen der Altstadt, Staunen über das beneidenswerte Angebot auf dem Wochenmarkt, Quiche Lorraine und Schokotörtchen in Straßencafés und ein Großeinkauf in der Pâtisserie Naegel.
Gegen 5 hüpfe ich wieder in den Zug, diesmal ist es ein deutscher ICE, natürlich verspätet. Den Anschluss in Karlsruhe verpasse ich, aber auf die deutsche Bahn ist Verlass: ein sehr verspäteter IC nimmt mich auf und bringt mich zurück. In Stuttgart setze ich endlich die Maske ab, die ich jetzt mit kurzen Essensunterbrechungen 10 Stunden am Stück getragen habe und laufe glücklich nach Hause. Es geht wieder mit dem Reisen, wenn auch nicht lang und ganz weit weg, aber der Anfang ist gemacht. Ein kleiner Vorgeschmack auf nächste Woche, da geht’s los mit beiden Globonauten! Wollte mich nur kurz warmschreiben.