Wir wollten die gemeinsamen Tage in Myanmar geruhsam gestalten, da waren wir uns einig. Für Eric das letzte Luftholen vor dem Wiedereinstieg ins Berufsleben, für mich, weil ich’s gar nicht mehr anders gewohnt bin 🙂 Yangon, Bagan, Mandalay, vielleicht noch ein Strand, das war der Plan, aber wer braucht schon einen See, auf dem die Fischer mit einem Bein rudern? Dachten wir. Dann war aber das Angebot an Weiterflügen von Bagan doch etwas eingeschränkt und so entschieden wir uns für den Flughafen Heho, einen kleinen Ort in der Nähe des Inle-See, und Nyaung Shwe als Ausgangsbasis für die Seeerkundungen. Nach sechs Tagen hier können wir mal wieder sagen: alles richtig gemacht. Nyaung Shwe ist ein überschaubarer, freundlicher Ort mit gutem Essen und hervorragenden Massagen, es liegt zwar nicht direkt am See, aber an einem Zubringerfluss und hat genau die Gemächlichkeit, die wir gesucht haben.
Wir mieten uns Fahrräder und radeln durch kleine Dörfer ans nordwestliche Seeufer. Viel Wasser sieht man zunächst nicht, es scheint, als ob rund um den See viel Schilf wächst. Unsere Wirtin hat uns empfohlen, irgendwann ein Boot anzuheuern, das uns und die Fahrräder auf die andere Uferseite bringt und das machen wir dann auch gegen Mittag. Das schmale Holzboot knattert zunächst durch eine Art von Kanäle, links und rechts viel Grün und uns wird langsam klar, dass es sich hier nicht um Schilf oder grüne Inselchen handelt, sondern schwimmende Gärten. Manchmal ist es doch ganz sinnvoll, ein wenig im Reiseführer zu lesen und so erfahren wir, dass der See berühmt für diese Anbauform ist. Auf einem Gemisch aus Wasserhyazinthen und Erde sehen wir vor allem, wo die leckeren Tomaten wachsen. Plötzlich öffnet sich der Kanal dann auf den offenen See. Und wir sehen, dass die berühmte Rudertechnik kein touristisches Spektakel, sondern die normale Fortbewegungsart der Fischer darstellt. Was für ein Anblick, der glitzernde See, die Fischerkähne, in der Entfernung ganze Dörfer auf Pfahlbauten, drumherum die grünen Gärten und in der Entfernung die Shan-Berge. Unser Bootsmann lässt uns an einem langen Holzsteg raus, wir schwingen uns wieder aufs Radl und fahren auf der Ostseite Richtung Nyaung Shwe zurück. Mittlerweile ist es Nachmittag und unsere Wirtin erwähnte ein Weingut, das sich wunderbar für den Sonnenuntergang eignen würde. Wein in Myanmar? Nach etwa zehn Kilometern sehen wir ein Schild, das nach rechts weist „Red Mountain Winery“. Wir folgen dem Pfad und stehen plötzlich mitten in den Weinbergen. Bei mir entsteht ein Bild vor meinem inneren Auge: ein eiskalter Riesling und dazu eine Käseplatte. Ach, ein bisschen vermisse ich Europa schon… Der Weg steigt an, wir sehen ein Haus, zu dem eine Treppe führt. Das muss sie sein, die Winery. Oben angekommen fühle ich mich kurz wie im Schwärzloch in Tübingen: auf Holzbänken und an Holztischen sitzen vorwiegend westliche Touristen, alle mit einem Glas Wein in der Hand, die Sonne produziert mittlerweile ein goldenes Spätnachmittagslicht, das die Weinreben und den See in der Ferne in Orangetöne taucht. Wir ergattern eine Bank ganz vorne, der Kellner bringt die Karte, wir bestellen Sauvignon Blanc und – ich kann es nicht fassen – sie haben eine Käseplatte! Die wird gleich zu einer der besten werden, die ich je gegessen habe, nach langem Käseentzug lasse ich den sicherlich objektiv nur mittelmäßigen Cheddar und Blauschimmelkäse im Mund zergehen als sei es feinster Roquefort und Gruyere. Der Wein hat eine ziemlich schwefelige Note, aber hier ist alles perfekt. Die Sonne versinkt hinter den Shan-Bergen, wir genehmigen uns noch einen Shiraz und treten äußerst beschwingt den Rückweg an.
Nach diesem ersten Vorgeschmack auf den See mieten wir uns einen Kapitän für einen ganzen Tag und starten früh am Morgen. Wir tuckern begleitet von Möwen über den Fluss, es ist ganz schön frisch und wir frösteln im Fahrtwind. Als wir an einer Werkstatt für Silberschmuck ausgeladen werden, sind wir zunächst etwas skeptisch: haben wir eine Kaffeefahrt gebucht? Aber dieser Besuch und die folgenden in einer Weberei, bei Zigarrendrehern und einem Schmied lassen uns staunen über die Ursprünglichkeit des Kunsthandwerks, für das
die Seeregion berühmt ist. Unglaublich die Herstellung von Stoffen aus Lotus – die Stengel werden auseinander gebrochen, im Inneren befinden sich feinste Faser, die unendlich aufwändig zu einem Faden verdreht werden. Keiner drängt uns, etwas zu kaufen, die Menschen präsentieren stolz die alten Techniken, die hoffentlich noch lange erhalten bleiben.
Im See gibt es mehrere Dörfer, Holzbauten auf Pfählen, eigentlich wunderbar idyllische Orte, wenn da nicht die knatternden Boote wären. Gut, wir sitzen selber in einem, aber der größte Teil scheint noch dem Transport von Waren und Passagieren zu dienen. Wir sind kurz froh, dass wir uns nicht in einem der recht exklusiven Hotels im See eingemietet haben – der Lärmpegel ist extrem hoch. Zwei leckere Seefische wandern am Mittag in unsere Bäuche und weiter geht die Fahrt vorbei an Häusern und Gärten, winkenden Kindern und freundlichen Fischern. Eine große Pagode mitten im See zieht die Gläubigen an und obwohl durchaus einige Touristen unterwegs sind, scheint alles noch fest in der Hand der Intha, der „Leute des Sees“, zu sein.
Nach fast einer Woche in Nyaung Shwe haben wir uns fast schön häuslich eingerichtet. In unserem absoluten Lieblingsrestaurant Sin Yaw werden wir wie alte Stammgäste begrüßt, gleiches gilt für die Damen vom Massagesalon. Heute müssen wir Abschied nehmen. So gut, dass wir hier waren. So ein See kann schon etwas ganz besonderes sein.