Ein sehr netter Ort, dieses Savannaketh. Eigentlich ohne Attraktionen, aber mit Atmosphäre und sogar einer gewissen touristischen Infrastruktur. Die Leute sind freundlich, die Kinder begeistert und die eigentliche Attraktion ist, durch die Straßen des verschlafenen Ortes zu schlendern, die netten Menschen zu grüßen und sich vom Charme des verfallenden Mixes aus Architekturstilen der 30er bis 70er Jahre gefangen nehmen zu lassen.
Irgendjemand hat hier touristische Ambitionen, denn es gibt eine Menge gut gemachter Broschüren und Wegweiser. Ich lande gleich am ersten Abend im Dreh- und Angelpunkt der paar Ausländer in Savannakhet – Lin’s Café, in einem netten 50er-Jahre Gebäude mit wirklich gutem Essen, das Pesto aus Thai-Basilikum ist traumhaft.
Ich miete mir am nächsten Tag ein Fahrrad und folge der Route durch „historic downtown“. Der Stolz des Ortes sind die französischen Kolonialbauten, die in den 30er-Jahren entstanden sind. Ich radle parallel zum Mekong zum Krankenhaus von Savannakhet, die historischen Gebäude hier seien gut erhalten und man dürfe überall herumlaufen, „but don’t disturb the patients“. Die Bauten sind weniger beeindruckend, der kurze Einblick in die laotische Krankenversorgung schon. Vor den kleinen Kliniktrakten lagern die Angehörigen, die sich mit Matten und Matratzen auf eine längere Aufenthaltsdauer eingestellt zu haben scheinen. Die kurzen Blicke in die Gebäude lassen bei mir den Wunsch aufkommen, in Laos nicht ernsthaft krank zu werden. Kein guter Ort für eine Besichtigungstour, nur die träge Krankenhauskatze darf auf’s Photo und dann geht es weiter. Das Haus des französischen Gouverneurs liegt versteckt auf einem Hotelgelände und ist dem Verfall Preis gegeben. Die Tür steht offen, keiner da, also werfe ich einen Blick ins Innere. Zwischen Schutt und Müll leuchtet mir dann ein Überbleibsel aus sozialistischer Zeit entgegen – eine Kämpfertruppe, die sogar in diesem Ambiente noch engagiert wirkt. In diesem Stil geht es weiter, verfallende und renovierte, aber ungenutzte Kolonialgebäude, stilechte 50er-Jahre Bauten und bröckelnde Sozialismusarchitektur. Ein sehr morbider Charme, der Ort wäre die perfekte Kulisse für ein melancholisches Endzeitdrama.
Zurück in Lin’s Café entdecke ich den Aushang von einem Privatkino. „The Bored Room“ bietet an Wochenenden englische Filme – heute läuft „La La Land“ – und kühles Bier, das wäre doch was. Vorher – ich gebe es zu – bestelle ich mir im Paradies der asiatischen Küche eine Pizza und plötzlich spricht mich Annabelle an, eine nette und etwas ungewöhnliche Australierin, die hier am Lehrerseminar arbeitet. Nach kurzer Zeit stellt sich heraus, dass sie auch zum Kinoabend will, also setze ich mich zu ihr und ihren Freundinnen, die hier gemeinnützige Projekte finanziell beraten. Sie erzählen lachend, dass die Summen mit denen sie dabei umgehen, immer wieder für Verwirrung sorgen. Eine Millionen Kip sind etwa 110 Euro, bei ihnen geht es aber gerne auch mal um sehr viel mehr, fängt die Billionen oder die Milliarde bei hundert oder tausend Millionen an und verrück besser nicht die Kommata…
Wir radeln dann zusammen zum Kino, das vom Kanadier Dave betrieben wird. Eigentlich ist es sein Wohnzimmer, in das er vor einer Leinwand ein paar Sofas und Sessel aufgestellt hat. Weil es abends so gar nichts zu tun gibt in diesem Ort, kam er auf die Idee, ab und an Filme zu zeigen. Und das ist eine tolle Idee, mit einem kühlen Bier in der Hand merke ich zwar, dass mein Englisch immer noch nicht gut genug ist, um den Film wirklich zu begreifen, habe aber trotzdem meinen Spaß. Für Bier und Film zahle ich später 2,50 Euro und werde am nächsten Morgen wiederkommen – Dave vermietet auch stabil aussehende Mountainbikes und hat eine weitere Broschüre für mich.
Also wird auch am nächsten Tag geradelt und erst mal verirre ich mich gründlichst. Das liegt aber weniger an Dave’s guter Beschreibung als mehr daran, dass ich kurz noch in die Wäscherei gefahren bin und dann vollkommen die Orientierung verloren habe. Nach langer Kurverei durch die Stadt finde ich endlich die Ausfallstraße zum Bungva See. Anfangs ist die Straße gut befestigt und wird von fast schon noblen Häusern gesäumt. An einem großen Denkmal, von dem aus mir eine Gruppe Kinder begeistert „Sabaidee“ – Hallo – zuruft, ist es dann aber vorbei, die Straße ist zwar noch geteert, aber übersät mit Schlaglöchern. Gut, dass ich mir kein Mofa gemietet habe, mit dem stabilen Mountainbike muss man sich zwar konzentrieren, kommt aber gut voran. Hinter einem kleinen Dorf taucht dann der See auf – was für eine Idylle! Wasserbüffel grasen am Ufer und gehen auch mal baden, zwei Männer steuern ein Floß über das Wasser, eine Frau steht mittendrin und fischt irgendwas. Der See speist die umliegenden Reisfelder, die in der Sonne in allen Grüntönen glitzern. Weiter hinten sehe ich kleine Hütten im See, sind das Dörfer? Beim Näherkommen wird klar, dass es Restaurants sind, wirklich schön gemacht, entweder auf Pfählen oder auf dem See schwimmend speist man im eigenen Bungalow auf dem Wasser. Alles könnte die perfekte Idylle sein – wenn die Laoten nicht große Fans sehr lauter Musik wären. Jedes Restaurant wird von riesigen Boxen mit laotischer Schlagermusik beschallt, die auch in den letzten kleinen Bungalow dringt. Ich überlege kurz, entscheide mich dann aber doch für ein Mittagessen an diesem ungewöhnlichen Ort. Die Speisekarte hat Bilder, ich deute auf etwas, dass nicht nach Fleisch aussieht und bekomme kurze Zeit später in meinem privaten Seespeisezimmer gebratenes Gemüse mit Tintenfisch serviert, scharf und sehr lecker. Dieser Ort wäre aber auch zu perfekt, wenn es jetzt noch ruhig wäre.
Aber ich habe nicht mal die Hälfte der Tour geschafft, also weiter. Es war kühl und bedeckt in den letzten Tagen, aber jetzt brennt die Sonne herunter und ich habe weder an eine Kopfbedeckung noch an Sonnencreme gedacht. Und auf Dave’s Rat, mir vielleicht eine Atemschutzmaske zu kaufen, weil der Weg sehr staubig ist, habe ich auch nicht gehört. Noch ist der Weg sehr hübsch, manchmal kreuzen Ziegen oder eine kleine Kuhherde die Straße, rechts und links führen Trampelpfade ins Gebüsch. Ich denke daran, dass ich hier einen neuen Begriff gelernt habe – UXO für unexploded ordnance, also Blindgänger – und verzichte darauf, meiner Neugier nachzugeben und einen Blick in die Wäldchen zu werfen. Ich erreiche den Tempel, der als nächste Station in der Karte eingezeichnet ist. Ein sehr heiliger Ort für die Laoten, Knochen von Buddha sollen hier begraben sein und immer wieder umrunden Menschen andächtig die Stupa. Schön ist dieser Ort aber nicht, meine Beine fangen an zu schmerzen, also weiter. Auf der langen Straße verpasse ich den Abzweig zum Wald, in dem es einen weiteren See geben soll. Als ich an der Kreuzung zur Hauptstraße merke, dass ich zu weit gefahren bin, habe ich keine Lust, noch mal umzukehren. Und dieser letzte Teil der Fahrt ist dann nicht mehr sehr angenehm, heiß, staubig, viele Laster, immer mal wieder Steigungen und ein Schild – Savannaketh 11 Kilometer. Uh, so weit noch? Vor meinem inneren Auge taucht ein großer Schokoladenkuchen und ein Eiskaffee auf und als ich irgendwann tatsächlich wieder vor Lin’s Cafe stehe, mit rotem Gesicht und staubbedeckt, gibt es zwar keinen Schokokuchen, sondern nur ein Muffin, aber der Eiskaffee ist noch besser als in meiner Vorstellung. Der Hintern schmerzt, die Beine sowieso, jetzt eine Massage… Ein Blick ins Internet und ich finde tatsächlich eine Adresse in der Nähe, schwinge mich also nochmals aufs Radl und liege ein paar Minuten später schon auf einer Matratze und werde durchbewegt. Thailand ist nah, also ist es keine echte Wohlfühlmassage, aber danach geht es mir hervorragend. Ein kurzer Abstecher auf den abendlichen Essensmarkt, schnell noch die Wäsche abgeholt und Dave das Fahrrad zurückgebracht. Heute Abend läuft wieder ein Film, wie wär’s? fragt er mich und ich schüttle den Kopf – ich will heute ganz früh schlafen gehen. Ab ins Bett in Savannaketh!