So viel zu sehen!

Ich kann es gar nicht glauben, dass ich erst vor sechs Tagen in Hermannstadt zu meinem kleinem Roadtrip gestartet bin. Hier gibt es so viel zu sehen, so viel zu erleben, das bringt mein Zeitgefühl ordentlich durcheinander.

Mein Polo wird überholt

Am Flughafen von Hermannstadt stelle ich erst mal fest, dass man Bestätigungsmails vielleicht doch mal zu Ende lesen sollte. Die Mietwagenfirma hat keinen Schalter im Flughafen, sie hatten um Mitteilung gebeten, wann ich denn lande, um mich abzuholen. Ich hingegen hatte nur gesagt, dass ich das Auto um 12 abhole. Aber, ein kurzes Telefonat und kaum fünf Minuten später steht mein nagelneuer weißer Polo vor der Tür, für den ich inklusive Premiumversicherung keine 10 Euro am Tag zahle. Ich habe doch tatsächlich erst mal Schwierigkeiten, die richtige Straßenseite für meine Fahrt zu wählen. Doch zu lange in linksfahrenden Ländern unterwegs gewesen. Und einmal säuft er mir fast ab, weil ich vergessen habe, die Kupplung zu treten. Mein erstes Schaltgetriebe seit fast zwei Jahren. Aber schnell ist alles gut, die Straße ist sehr viel besser als gedacht und so zuckle ich meinem ersten Ziel, dem Dörfchen „Cristian“ entgegen. Dort soll es viele Störche geben sagt der Reiseführer und ich fluche ein wenig, als ich in den Ort fahre. Die Dorfstraße zieht sich, eine etwas präzisere Beschreibung, wo denn jetzt die Störche sind, wäre doch angebracht gewesen, fluche ich ein wenig, aber da sehe ich sie schon. Eigentlich auf jedem Strommast der Hauptstraße hat sich eine Storchenfamilie ein Nest gebaut, dutzende sind es. Ich staune und muss gleich darauf auf die Bremse treten, vor mir fährt doch tatsächlich ein Pferdewagen. Ich dachte, das würde man nur noch irgendwo in der tiefsten Pampa erleben, ich bin vielleicht eine Viertelstunde vom Flughafen entfernt, aber nein: dort am Marktplatz stehen auch zwei Pferdefuhrwerke, traurig dreinschauende dürre Pferdchen vor einfachen Wagen mit Gummirädern. Also Obacht, hinter jeder Ecke kann ein Kutsche auftauchen.

Ich laufe die einsame Dorfstraße ein Stück hinauf und kann es gar nicht so recht fassen, wie sehr sich die Lebensverhältnisse innerhalb von ein paar Kilometern ändern können. Außer den Störchen gibt es noch eine Kirchenburg in Cristian, eine jener wehrhaften Dorfanlagen, die ich mir zuhauf anschauen möchte. Diese ist allerdings verschlossen, neben der Post sei der Schlüssel zu finden, aber ich bin wählerisch: sieben Kirchenburgen in Siebenbürgen gehören zum Weltkulturerbe und die will ich sehen. Also weiter nach Calnic, deutsch Kelling und hinein in meine erstes Kirchenburgerlebnis. Die Anlage stammt aus dem 13. Jahrhundert, so alt, so gut erhalten und so tauglich für Burgfräulein-Phantasien. Und ganz reizend dekoriert, überall Blumenkübel, in Mauerlücken stehen Kerzen, das sieht im Dunkeln bestimmt toll aus, und im Haupthaus findet sich eine Ausstellung von Alltagsgegenständen, Geschirr, Kleidung, Musikinstrumente, Teppiche. Kirchenburgen dienten den Dorfbewohnern zur Verteidigung gegen die Türken oder die Tataren, in den Wehrmauern und im zentralen Turm ließ es sich wohnen und in der kleinen Kirche in der Mitte auch im Kriegsfall beten.

Einen tollen Blick hat man bestimmt vom Glockenturm und so steige ich eine sehr steile und etwas klapprige Treppe (oder ist es bereits eine Leiter?) hinauf. An deren Ende ist es eng und dunkel, eine Drehung, dann führt eine weitere, noch steilere und sehr klapprige Treppe, nein, diesmal ist es eine Leiter, weiter hinauf und das letzte Stück ist so heftig, dass ich mir überlegen, den Aufstieg in der Finsternis abzubrechen. Aber endlich komme ich oben an, die drei Glocken sind imposant und der Blick in die Landschaft auch. Was mich aber besonders beeindruckt, ist das Dörfchen direkt gegenüber, das ich von hier oben ganz heimlich beobachten kann. Frauen sind dabei, auf der unbefestigten Dorfstraße Teppiche zu waschen, wieder ein Pferdekarren und viele staubige Kinder. Ich steige wieder runter von meinem Turm und gehe kurz hinüber. Sehr einfache Häuser, ob die überhaupt fließendes Wasser haben? Die Erwachsenen schauen mich misstrauisch an, ein Mädchen redet auf mich ein, streckt mit die offene Hand hin, sie will Geld. Ich lache, sie versucht es weiter, aber merkt dann, dass es nichts wird. So richtig wohl fühle ich mich nicht, es hat ja auch was voyeuristisches. Also zurück zum Auto und weiter Richtung Alba Iulia.

Große Erwartungen habe ich an den Ort eigentlich nicht, es soll eine Festung geben, gut, die kann man sich ja mal anschauen. Meine kleine blitzesaubere Pension mit dem, wie sich am nächsten Tag herausstellt, weltbesten Frühstück, liegt außerhalb der Altstadt. Nach der Ankunft spaziere ich los durch gesichtlose Hauptverkehrsstraßen, ob da überhaupt noch was Interessantes kommt?

Oh ja! Alba Iulia ist ein historisches Disneyland im allerbesten Sinne. Die sternförmige
Festungsmauer ist komplett erhalten, durch beeindruckende Tore betritt man die Altstadt und wird sofort in die Geschichte geworfen. Über zehn Jahre hinweg restauriert hat man alles getan, um den Besuchern einen Eindruck von den unterschiedlichen Epochen der Stadt zu geben. Und hier hat sich einiges abgespielt. Die Römer waren da, ihre einstige Hauptstraße ist markiert und auf einer Tafel nachgestellt. Die Habsburger haben im 17. Jahrhundert die Festung errichtet. In der Kathedrale St. Michael liegen wichtige ungarische Könige begraben, weswegen man in der Kirche mehr ungarisch als rumänisch hört. In der orthodoxen Dreifaltigkeitskathedrale von 1922 wurde rumänische Geschichte geschrieben, sie wurde anlässlich der Krönung des Königs errichtet, nachdem sich Siebenbürgen entschlossen hatte, Teil Großrumäniens zu werden. Originalgetreue Figuren aus Metall säumen die Straße, mal ein Gardeoffizier mit Bajonett, mal eine elegante Dame des 19. Jahrhunderts. So viel Geschichte auf so engem Raum. Und Alba Iulia feiert, was jetzt genau der Anlass ist, finde ich nicht raus, aber diverse Buden säumen die Hauptstraße und den Burggraben, Tonnen von Fleisch werden auf riesigen Grills gebrutzelt, für mich gibt es leckere ungarische Langos, außerdem scheinen die Studenten der Universität, die sich in der Festung befindet, gerade ihr Examen zu feiern, überall fröhliche Gesichter unter Doktorhüten und stolze Eltern. Die ganze Altstadt ist ein riesiges freundliches Fest, da hab ich echt Glück.

Täglich wird hier eine Wachablösung in historischen Kostümen zelebriert und weil jetzt Fest ist, gibt es eine ganz besondere Show. Soldaten marschieren auf, Pferde ziehen Kanonen herbei, ein kirchlicher Würdenträger schüttelt dem Bürgermeister die Hand, Kanonenschüsse werden abgegeben – und dann haben sie ihre Stadt angezündet. Alles folgt noch begeistert der historischen Inszenierung, da kommt ein Polizeiwagen herbeigefahren, zwei Polizisten mit Feuerlöschern stürzen heraus und löschen einen Teil der grasbewachsenen Stadtmauer. Ging alles gut, aber ein wenig grinsen musste ich schon.

  

Am Abend gibt es dann auf dem zentralen Platz der Altstadt ein großes Konzert, Delia ist der Topact, ich google sie kurz, sie war in der Jury von „Rumänien sucht den Superstar“. Das darf ich mir natürlich nicht entgehen lassen 🙂 Ein DJ tritt auf, die Stimmung ist sehr ausgelassen, jung und alt haben Spaß und dann kommt Dorian Popa, ein muskelbeladener Strahlemann mit zwei Cheerleadern als Begleitung. Nach zehn Minuten beschließe ich dann, auf Delia zu verzichten.

Mein nächstes Ziel ist Turda, nur etwa anderthalb Stunden von Alba Iulia entfernt, aber auf dem Weg gibt es ein schönes Kloster und ein historisches Städtchen in beeindruckender Landschaft, also mache ich mich früh auf den Weg.

Das Kloster Ramet ist gut besucht von rumänischen Touristen, eine hübsche Anlage vor schöner Landschaft, aber die historische Bedeutung wird mir erst klar, als ich das kleine Museum betrete. Für 20 Cent Eintritt kann man sich ein paar fast achtlos an die Wand gelehnte Ikonen anschauen, davor ein Zettel mit der Aufschrift „1763“. Ich lese dann, dass die unscheinbare kleine Kirche, die bis heute genutzt wird, aus dem 13. Jahrhundert stammt. Das ist irgendwie Rumänien, uralte Kultur, phantastisch erhalten und fast selbstverständlich noch in Benutzung.

Ich fahre weiter nach Rimetea, durch eine hügelige Landschaft mit bunten Frühsommerwiesen. Der Ort trägt wie viele hier mehrere Namen, deutsch Eisenmarkt und ungarisch Torocko. Die reizenden weiß-blauen Häuser wurden von Siebenbürger Sachsen erbaut, das Dorf ist aber vor allem von Ungarn besiedelt. Die umliegenden Berge laden zum Wandern ein und das hat Rimetea genutzt – das Dorf ist voll von Touristen. Ich mache einen kurzen Rundgang, es ist wirklich nett hier, aber einfach ein bisschen zu busy.

Ich übernachte in der Nähe von Turda, um am nächsten Morgen früh zu der Attraktion im Städtchen zu starten: der Saline. Ich bin um 9 da und sehe bereits, dass das hier was großes sein muss: zwei riesige Parkplätze, diverse Buden, die gerade öffnen. Ich genehmige mir noch einen schnellen Kaffee und starte dann in mein unterirdisches Abenteuer.

Wie soll ich es beschreiben? Ist ja immer schwierig mit den Superlativen. Ich glaube, es ist das surrealste Erlebnis meines Lebens. Als Kind bekam ich von meinen Verwandten aus der DDR ein Buch geschenkt, „Die sieben unterirdischen Könige“ von Alexander Wolkow. Und genau da bin ich jetzt gelandet. Und ich bin einhundert Meter unter der Erde Riesenrad gefahren.

Nach einer langen Treppe hinunter gelangt man auf eine Balustrade, die den Blick auf die riesige Höhle freigibt. Merkwürdige Geräusche dringen von unten herauf, als würde dort noch mit Hammern gearbeitet werden. Man kann dann entweder mit einem Fahrstuhl oder über glitischige Treppen ganz nach unten gelangen. Und dort tut sich dann eine Art Vergnügungspark auf. Die Geräusche, die ich oben hörte, stammen von einer Kegelbahn, es gibt Minigolf, eine Tischtennis- und Billiard-Anlage und eben dieses Riesenrad. Vollkommen irre. Es geht sogar noch tiefer, von oben blicke ich auf eine erleuchtete Anlage, die aus Star Trek stammen könnte, eine Insel in einem unterirdischen See, auf dem man Ruderboot fahren kann. Wer denkt sich so was aus? Eine Mischung aus Science Fiction, Harry Potter und Metropolis. Ein wirklich irres Erlebnis.

Zum Glück war ich so früh da. Die Menschen strömen herein und nach zwei Stunden mache ich mich auf den Rückweg an die Oberfläche. Wow, das war wirklich etwas ganz besonderes.

Weiter nach Cluj, zu deutsch Klausenburg, immerhin Rumäniens zweitgrößte Stadt, studentisch geprägt, nette Kneipen, aber eine Nacht hier reicht mir. Ich gerate in einen orthodoxen Freiluftgottesdienst, ist ja immerhin Pfingsten, und kriege wieder eine Eindruck von der tiefen Religiosität der Rumänen.

Ich habe beschlossen, in die Bukowina zu fahren und mir die Moldauklöster anzuschauen. Viereinhalb Stunden Fahrt von Cluj, das krieg ich hin. Aber es ist stressig. Sehr stressig. Denn die Rumänen sind furchtbare Autofahrer. PS-Machos. „Very angry drivers“ sagt mir später ein nettes Pärchen aus Bukarest. Auf den Landstraßen, die immer wieder durch Dörfer führen, sind deutsche Nobelkarossen in der Mehrzahl. Audi, Mercedes und vor allem BMW. Ich wollte ja eigentlich Vorurteile abbauen in Rumänien, aber mein Vorurteil gegen die Fahrer letztgenannter Marke hat sich hier absolut bestätigt.

Ich halte mich ja nicht nur an die Geschwindigkeitsbegrenzung, weil ich in einem fremden Land bin. In Dörfern wohnen Menschen und wenn es noch nicht mal Bürgersteige gibt, dann laufen sie halt auf der Straße, mit Kind und Kegel. Und es gibt Pferdefuhrwerke, die Straßen sind nicht immer in bestem Zustand und 50 ist jetzt auch nicht wirklich ein Kriechtempo. Aber immer klebt irgendeiner an meiner Stoßstange. Überholt dann halsbrecherisch. Hat auch nicht verstanden, dass das Überholen nicht nur deswegen möglich ist, weil das Straßenschild gerade das Überholverbot aufgehoben hat. Es gibt auch noch Gegenverkehr, Mensch! Nicht schön, das Fahren in Rumänien. Denen sollte man keine deutschen Autos verkaufen oder wenn dann maximal VW-Polos.

Dann fängt es auch noch an zu regnen, ich bin im Gebirge und die Straße ist sofort halb unter Wasser. Das scheint sie aber noch anzuspornen, hui, was macht das Spaß, wenn die Wasserfontänen hochspritzen. Ich bin wirklich froh als ich endlich in meiner Pension in der absoluten Idylle ankomme. Ein holpriger unbefestigter Weg führt mich zu einem freundlichen Haus mit einer noch freundlicheren Wirtin, die mit erst mal einen Schnaps einschenkt – den kann ich jetzt brauchen. Ein sehr hübsches Zimmer mit Blick in die Dorfidylle, ein Pferd wiehert, die Vögel zwitschern – alles wieder gut.

Und dann die Moldauklöster. So langsam gehen mir ja die Worte aus. Berühmt durch ihre Außenbemalungen, natürlich auch Weltkulturerbe, und das alles in der lieblichen Landschaft der Bukowina, die Dörfer voller bunter Lebkuchenhäuser. Ich lasse jetzt vorallem mal die Bilder sprechen.

 

 

 

Ach, und dann wohnen hinter dem Haus auch noch sechs knuddlige Welpen, die sofort mein Herz erobern. Man kann so nett mit ihnen spielen, später schlafen dann drei auf meinem Schoß ein, während zwei an meinen Zehen knabbern und einer gegen mein T-Shirt kämpft. So gerne würde ich sie alle mitnehmen, aber sie haben es schön hier und die Wirtin meint es gut mit ihnen.

Morgen geht es wieder weiter. Was wird jetzt noch alles kommen? So langsam brauche ich eine Pause vom Erleben. Dieses Rumänien ist ein echtes Wunder. Wenn sie doch nur anständig Auto fahren würden…

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