Die Frage, wie wir nach Polen kommen, hatte uns Corona beantwortet. Fliegen ging nicht, viele Stunden im Zug schien keine gute Idee, also haben wir uns für’s Auto entschieden. Flexibel, virengesichert und ganz nach dem Motto „Der Weg ist das Ziel“ haben wir nicht nur Polens Norden bereist, sondern auch an Deutschlands östlicher Grenze erstaunliche Entdeckungen gemacht.
Da war auf dem Weg nach Polen zunächst Görlitz. Kein echter Geheimtipp mehr und eigentlich nicht geeignet für nur einen Nachmittag. Das größte zusammenhängende Denkmalgebiet Deutschlands, das hätten wir ernster nehmen sollen. Eine Besichtigung von Görlitz ist ein Spaziergang durch fast tausend Jahre Architekturgeschichte mit über 4000 Kultur- und Baudenkmalen. Wir besichtigen die Pfarrkirche St. Peter und Paul, schlendern vom Unter- zum Obermarkt und weiter zum Marienplatz, wo uns das Görlitzer Warenhaus von 1913 leider nur von außen beeindruckt. Die Stadt ist nicht nur für ihre Geschichte, sondern auch als Filmstadt berühmt geworden und das Foyer des Jugendstil-Gebäudes bildete das „Grand Budapest Hotel“. Ich fand den Film ja nicht so dolle, aber die Bilder haben mich damals fasziniert. Noch eine Tasse Kaffee und ein kurzer Spaziergang über die Neißebrücke hinüber nach Polen, dann geht es schon weiter.
Also wieder rauf mit Görlitz auf unsere Bucket List, für die Stadt sollte man mindestens zwei volle Tage, besser mehr, einplanen und einen guten Architekturführer mitbringen. Wer einen kurzen Ausflug über die polnische Grenze machen und ganz ganz ganz hervorragend essen möchte, dem sei der Palac Lagow oder Schloss Leopoldshain empfohlen. Nicht so sehr zum Wohnen, es ist leider nur von außen fürstlich und zudem direkt an der Autobahn gelegen. Aber das ist sofort vergessen, wenn das Essen serviert wird: zart gebratene Entenleber mit crunchig-buttrigem Grünkohl, saftiges Schweinefilet mit samtigem Rote-Betepürree und schlesischen Knödeln, danach ein Abenteuerteller voll leckerstem Dessert mit dem weltbesten Crumble – es war unser Auftakt zu vielen polnischen Köstlichkeiten.
Bereits auf dem Rückweg nach Deutschland erfüllte ich mir einen langgehegten Wunsch: ein Ausflug nach Eisenhüttenstadt. Wieso denn das bitte, fragt ihr euch vielleicht. Wenn ihr im trüben Herbst ein wenig lächeln wollt, dann schaut euch auf YouTube ein altes Video aus der David-Letterman-Show „Tom Hanks on German Autobahn“ an. Tom Hanks berichtet hier sehr witzig von seinen Erlebnissen auf der deutschen Autobahn und ab 5:50 min über Eisenhüttenstadt. Und seither will ich da hin.
Eisenhüttenstadt wurde Anfang der 50er Jahre als sozialistische Wohnstadt für ein Eisenhüttenkombinat errichtet und sollte das Modell einer arbeiterfreundlichen Siedlung mit Komplettversorgung sein. Wohnungen, Freizeiteinrichtungen, Einkaufen, Schulen, Krankenhaus – alles in unmittelbarer Nähe. Etwas Graues und Karges hatte ich mir vorgestellt, eher menschenfeindlich, so ein bisschen wie eine kommunistische Gropiusstadt, in der man maximal Werbung für „Plaste und Elaste aus Schkopau“ erwarten kann. Den Eindruck erweckt ja auch die Schilderung von Tom Hanks. Und dann ist es ganz anders.
Die riesige Siedlung ist in vier Bereiche unterteilt, die auch heute noch Komplex Nr.1 bis Nr. 4 heißen. Sie überrascht aber als erstes durch die vielen Grünflächen und die Weitläufigkeit. Vier Stockwerke sind das Maximum und auch wenn man sich die heute bunten Fassaden in tristem DDR-Grau vorstellt, sind sie immer noch interessant und voller Details. In den Erdgeschossen Raum für Läden, eine riesige Gaststätte und große grüne Innenhöfe mit vielen Bänken. Wenn ich das mit Stuttgart-Freiberg, Hamburg-Mümmelmannsberg oder den vielen Plattenhaussiedlungen im Osten vergleiche, dann ist es kein Vergleich. Hier scheint der Sozialismus seinen Arbeitern doch glatt mal was Gutes getan zu haben. Schade nur, dass die Stadt diese Perle so wenig vermarktet, trotz Steilvorlage durch Tom Hanks. Aber wenigstens haben sie eine hilfreiche Broschüre für einen Rundgang erstellt, die wir sehr empfehlen.
Weiter südlich, wieder direkt an der Grenze zu Polen gelegen, trifft man im verschlafenen deutschen Städtchen Bad Muskau oder Łęknica auf polnischer Seite auf ein veritables Weltkulturerbe. Der Muskauer Park des Fürsten Pückler ist ein klassischer Landschaftsgarten, in dem es sich rechts und links der Neiße schön flanieren lässt. Über die vielen Brücken kann man Europa voll und ganz auskosten, kurz rüber nach Polen, dann wieder zurück nach Deutschland. Der Park ist auf der polnischen Seite größtenteils verwildert, auf der deutschen trotz heftiger Zerstörungen im und nach dem Krieg jedoch sehr gut restauriert. So große Botanikfans sind wir eigentlich nicht, was uns aber total begeistert und was man auf gar keinen Fall bei einem Besuch auslassen sollte, ist die Ausstellung im restaurierten Schloss über den ziemlich durchgeknallten Fürsten. Als wahrer Globonaut bereiste er die ganze Welt, lebte als Dandy in London oder Wien, reiste durch den Orient, schreckte auch nicht davor zurück, sich auf einem Sklavenmarkt im Sudan eine Reisebegleiterin zu kaufen, schrieb unzählige Reiseberichte und legte nebenbei noch den Park in Bad Muskau an. Wir haben einige sehr vergnügliche Stunden in dem toll gestalteten Museum verbracht und den Park danach in einem ganz anderen Licht gesehen.
Und ganz zum Schluss dann noch eine weitere große Überraschung: Bautzen. Knast, Senf und Rechtsradikale, das war das, was ich mit der Stadt bisher verbunden habe. Schau mal, die vielen Türme, sagte Eric auf der Hinfahrt nach Polen, als wir Dresden hinter uns gelassen hatten. Und dann die Autobahnausfahrt Bautzen. Kann nicht sein, dachte ich, und googelte. Doch, das ist Bautzen. Also musste auf der Rückfahrt ein Stopp her. Ein Spaziergang durch die restaurierte mittelalterliche Altstadt mit ihren vielen Türmen, die „Alte Wasserkunst“ an der Spree, die vielen Kneipen und Restaurants – ein Ausflug lohnt sich! Bautzen oder Budyšin ist die Hauptstadt der Sorben, die Straßenschilder sind zweisprachig und überall trifft man auf sorbische Kulturstätten. Und weil ich selber eine kleine Teil-Sorbin bin – mein Urgroßvater Gustav Noack hatte sorbische Wurzeln – finde ich es hier besonders interessant. Wieder mal viel zu wenig Zeit für viel zu viel spannende Stadt! Wie schon so häufig stelle ich fest: Im Osten warten noch so viele Überraschungen, die ich unbedingt entdecken will!
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