Das hat man davon, wenn man von seinen Plänen abweicht. Die Route 66 sollte es ja eigentlich sein, aber die erste Etappe nach St Louis klang im Reiseführer nicht so spannend. Also einfach mal selber drauf los.
Es ließ sich zuerst gut an, etwa drei Stunden südöstlich von Chicago ist „Amish-Country“ und verzückt vom Film „Der einzige Zeuge“ fuhren wir nach Arthur, Illinois. Schon kurz hinter der Ausfahrt von der Interstate begegneten uns die ersten schwarzen Pferdekutschen. Unglaublich, dass diese Menschen es geschafft haben, ihren Lebensstil über die Jahrhunderte zu retten. Arthur ist eine typisch amerikanische ländliche Kleinstadt rechts und links einer Durchgangsstraße, nichts auffälliges, wären da nicht die Pferdemisthaufen auf den Seitenstreifen. Und man muss nicht lange warten, bis Pferdegetrappel zu hören ist und sich Kutschen nähern. Schwarz und so verschlossen, dass man zunächst keine Menschen darin entdecken kann, aber bei näherem Hinsehen erkennt man Männer mit langen Kinnbärten oder Frauen mit weißen Hauben darin, die einem freundlich, aber etwas verschämt zuwinken.
Wir unternehmen eine kleine Fahrt durch die Maisfelder und kommen an Amish-Häusern vorbei, strahlend weiße Holzhäuser und -scheunen, auf dem grünen Rasen davor spielen Kinder, kleine Mädchen in langen Kleidern, Jungs mit Hosenträgern, es ist eine absolute Idylle. Wir trauen uns nicht, Bilder zu machen, sondern winken nur freundlich zurück. Alles wirkt wie die perfekte heile Welt, ein bisschen wie eine Kreuzung von „Unsere kleine Farm“ und den Waltons. Später lesen wir aber, dass die Gemeinschaft nur auf Grund strenger Regeln die Jahrhunderte überdauert hat, die die Idylle etwas trüben. Trotzdem ein wirklich tolles Erlebnis!
Am nächsten Tag geht es weiter Richtung Memphis. Jetzt sind wir endgültig von unserer Route abgewichen. Auf den Straßenschildern stand irgendwas mit 300 km, das dürfte ja nicht so weit sein und wenn man schon mal in der Nähe ist… Meilen standen da, und offensichtlich eher 390, das macht uns unser neues Navi rasch klar. Über 600 km, hätten wir nicht schon ein Motel gebucht, hätten wir uns vielleicht noch umentschieden. Aber egal, durch Mais- und Baumwollfelder geht es Richtung Süden, irgendwann überqueren wir den Mississippi, der auch die Grenze zwischen Arkansas und Tennessee darstellt und sind in Memphis. Das Hotel ist dank Navi schnell gefunden und nach kurzem Ankommen beschließen wir, in die Stadt zu laufen (was hier niemand, wirklich niemand macht). Menschenleere Straßen, auch wenig Autos, sind wir so weit außerhalb? Und wo ist die Innenstadt? Wir kommen an einem kleinen Häuschen vorbei, Sun Studio steht drauf, erst vermuten wir ein Sonnenstudio, aber das muss was wichtiges sein. Später erst lesen wir, dass es ein ganz berühmtes Aufnahmestudio war, in dem Elvis und viele anderen ihre Platten eingespielt haben. Erics Handy weist uns den Weg, wir müssen eigentlich so gut wie da sein. Immer noch nur wir die leere Stadt. Aber dann sehen wir Menschen, Lichter, hören Musik. Die Beale Street, wir sind ja keine Blues-Kenner, aber hier muss es wohl alles passiert sein, B.B. King und viele andere. Die Straße gleicht einem leeren Rummelplatz, von rechts und links dringt laute Musik aus leeren Kneipen auf den Bürgersteig, fast ein bisschen traurig das Ganze. Ein paar kitschig illuminierte Pferdekutschen, in den man sich für 25 Dollar durch die leere Stadt fahren lassen kann. Wir laufen die Beale Street hoch, immer noch auf der Suche nach der wahren Innenstadt, geben dann aber auf und setzen uns in eine nette Kneipe (nachdem der Türsteher allen Ernstes unsere Ausweise sehen wollte, um zu prüfen, ob wir über 21 sind). Sie haben über 100 Biersorten und ich entscheide mich für ein Chicagoer Bier, weil ich dort keins hatte. Gerade dieses ist aus und ich bin auf die Schnelle etwas ratlos, was ich nehmen soll. Die Kellnerin ist da pragmatisch: ob ich eins mit wenig, mittelviel oder viel Alkohol wolle, sie würde mir dann eins aussuchen. So bestelle ich ein Bier mit mittelviel Alkohol und bekomme später eines, das nach Zitrus- und tropischen Früchten riecht, aber sehr herb schmeckt. Also kein Mixgetränk und wohl auch nicht aromatisiert, sondern mit irgendeinem fruchtigen Hopfen gebraut. Hm, als alte Brauereienkelin kann man mich davon nicht ganz überzeugen. Dann derselbe einsame Spaziergang zurück und das war’s mit Memphis. Tagesaufgabe heute ist, einen anständigen Reiseführer zu kaufen…
Update 02.09.: Liest der Spiegel unseren Blog? Das fruchtige Bier gibt’s auch in Hamburg!
Der Blues ist ja schon durchaus eine traurige Musik.
Und jetzt ist mir auch klar, warum er so sehr mit Memphis verwurzelt ist.
Eine so traurige Stadt, die kann nur solche Musik gebären…
Die Beale Street ist eine Art Rummel mit versprengten Besuchern, in der aus allen Kneipen Musik heraus dröhnt. Es ist fast wie auf dem Volksfest, nur dass dort viel mehr Leute sind.
Es kann auch gar nicht anders sein, als dass Elvis dort so zugenommen hat -das war garantiert Frustspeck…
😉