Nur ein relativ schmaler Streifen Küstenlandschaft umgibt La Réunion. Kaum genügend Platz für die Städte, rasch wird es hügelig und die Straßen steigen steil an. Die Vororte kleben wie kleine Insekten an den Hängen und am Abend funkeln die beleuchteten Wohnhäuser wie ein Schwarm Glühwürmchen, der über der Stadt schwirrt. Die Berge dahinter sind von der Küste aus meist nur schemenhaft und wolkenbedeckt zu erkennen. Aber hier warten die eigentlichen Highlights von La Réunion.
Im bergigen Inneren der Insel gibt es drei Talkessel. Der von Mafate ist nur zu Fuß oder mit dem Helikopter zu erreichen und scheidet für uns damit aus. Wir machen uns erst mal auf zum Cirque de Cilaos. Hierher führt die „Straße der 400 Kurven“ und diese Zahl ist sicherlich nicht übertrieben. Fast senkrecht türmen sich die üppig grünen Berge vor uns auf, Wasserfälle stürzen ins Tal hinunter und die Straße windet sich mal rechts, mal links und oft so steil, dass nur der erste Gang hilft. Furchtbar sei es, auf La Réunion zu fahren, diese engen Kurven, ungeduldige Einheimische, tiefe Gräben am Straßenrand, schreiben die Reiseführer. Aber wahrscheinlich sind wir mittlerweile abgehärtet, es fährt sich erstaunlich gut und auf deutschen Straßen geht es wesentlich ungeduldiger zu. Kein Grund also, die spektakulären Blicke, die sich nach jeder Kurve auf’s Neue bieten, auszulassen.
Wir haben ein kleines Häuschen in einem abgelegenen Dorf am Rande des Talkessels in Palmiste Rouge gemietet. Es regnet als wir ankommen, aber das scheint hier normal zu sein. Ohne Schirm gehen wir ab sofort nicht mehr aus dem Haus und Wolken werden unsere ständigen Begleiter der nächsten Tage. Es gibt tolle Wanderwege auf La Réunion, so grün, so viele Wasserfälle, so viele Überraschungen, wenn sich die Wolken plötzlich verziehen und den Blick auf Gipfel und Täler freigeben.
Für viele Wanderabenteuer muss man sehr fit und sehr trittsicher sein – und zumindest ich bin das nicht. Noch nie bin ich gerne von Stein zu Stein über Flüsse gesprungen oder endlos bergauf gestiegen. Ich bin eine Flachländerin, das ist sogar genetisch bewiesen. Anders die Réunionaisen. Über die Insel rennen ist hier Nationalsport. Beim Grand Raid spurten sie jedes Jahr 165 Kilometer bergauf bergab quer durch die Insel, fast 10.000 Höhenmeter überwindend. Der Beste in unter 15 Stunden, aber zu den Top 100 gehört man auch mit 50 Stunden. Diagonale des Fous, Diagonale der Verrückten, nennt man den Lauf auch, an dem 1350 Einwohner von La Réunion und 1000 von außerhalb teilnehmen. Und weil dafür natürlich auch trainiert werden muss, überholen uns immer mal wieder Sprinter, die über die Flüsse springen als wärs nix. Mein Neid ist ihnen sicher. Wir jedenfalls wandeln auf einigermaßen ebenen Strecken und drehen halt wieder um, wenn’s zu steil oder zu nass wird.
Etwas gefälliger kommt dann der Cirque de Salazie daher, wo man ebenfalls sehr schön wandern kann, dessen Attraktion aber auch die hübschen kreolischen Dörfer mit ihren bunten Holzhäusern sind. Hell-Bourg ist ein solches Exemplar, es wird auch als das schönste Dorf Frankreichs bezeichnet. Die Grand Nation ist ja mit etlichen hübschen Städtchen gesegnet, ob Hell-Bourg da jetzt so ganz besonders raussticht, glaube ich zwar nicht, aber der Ort mit seinen schönen Häusern und umgeben von riesigen Wasserfällen ist durchaus eine Reise wert.
Das hätte dann alles sehr harmonisch sein können, wenn booking.com ein wenig verlässlicher wäre. In der absoluten Einsamkeit haben wir ein Häuschen gebucht, die Anfahrt ist anstrengend, Google kennt nicht immer einen gut befahrbaren Weg, aber gen späteren Nachmittag schaffen wir es dann. Voller Vorfreude auf ein kühles Bier, ein selbstgekochtes Abendessen und eine Waschmaschine kommen wir an. Doch was sind das für Handtücher auf unserer Veranda? Unsere schöne kleine Villa ist bereits belegt. Und zwar eindeutig durch einen Fehler von booking.com. Nachdem wir zwei mal aus der Hotline fliegen, bietet man uns eine Unterkunft, für die wir etwa zwei Stunden fahren müssten als Alternative an. Die wahrscheinlich vor allem deswegen noch zu haben ist, weil sie mit „Sehr schlecht“ bewertet ist. Mehr Unterstützung gibt’s nicht von dem Reiseportal, das in den vergangenen 100 Tagen recht gut an uns verdient haben dürfte. Auf die Schnelle und in der beginnenden Dämmerung finden wir ein Zimmer, zu dem wir dann etwa eine Stunde unterwegs sind – über dustere, enge, kurvige Straßen. Nie im Leben wären wir freiwillig in der Dunkelheit durch diese Berge gefahren. booking.com interessiert so was aber nicht, maximal zahlen sie uns ein paar Euro die Nacht, wenn es etwas teurer wird, aber bitte nicht zu teuer. Und eine Entschädigung für Ärger, Angst und Aufwand? Doch nicht bei booking.com. Die streichen zwar gerne eine ordentliche Provision pro Buchung ein, aber wenn sie ihre Kunden in Schwierigkeiten bringen, dann herrscht ganz schnell das große Schweigen am Ende der Hotline. Nun denn, wir sind um eine Erfahrung reicher.
Was jetzt noch fehlt ist der Grund für all diese Berge und Täler – der Vulkan Piton des Neiges. Im Regen und Nebel fahren wir die Straße hinauf, die Wolken verschwinden und ein tiefblauer Himmel bietet unglaubliche Aussichten auf die Gipfel. Hier lässt es sich unproblematisch lange am Kraterrand laufen, mit immer schöneren Aussichten und steigender Begeisterung. Eine Landschaft wie aus Jurassic Park, diese glücklichen Réunionaisen!
Und dann nehmen wir den direkten Kraterbereich in Angriff. Der Vulkan gehört zu den aktivsten weltweit, etwa ein mal pro Jahr bricht er aus, aber gerade ist er ruhig. Über eine Mad-Max-ähnliche Piste gelangt man an den Rand des Kraters, von dem aus mehrere Wanderungen möglich sind. Nach einem ersten Versuch, auf einsamen Wegen am Kraterrand entlang zu laufen, entscheiden wir uns für die weniger einsame Variante: den Abstieg über eine lange Treppe hinunter in den weitläufigen Kessel. Bei strahlendem Sonnenschein kommen wir unten an, in der Ferne sehen wir aber schon die Wolkenwand, die sich rasch nähert. Innerhalb kurzer Zeit sind wir in Dunst eingehüllt und ich fühle mich doch sehr an den Nebel des Grauens in „The Fog“ erinnert. Die Wolken ziehen so schnell weiter, wie sie gekommen sind, wir leben noch und machen uns an den nicht ganz unanstrengenden Aufstieg zurück zum Parkplatz.
Für uns war der Vulkan ein harmloses touristisches Abenteuer. Was der Feuerberg anrichtet, kann man eindrucksvoll im kleinen Örtchen Sainte-Rose besichtigen, der 1977 vom Lavastrom verschüttet wurde. Die Kirche, die aus dem Lavafeld freigeschaufelt wurde, trägt heute den Namen Notre-Dame-des-Laves.
Und das war es jetzt schon mit Frankreichs kleinem Paradies im Indischen Ozean. Ausgerechnet am Tag des Generalstreiks gegen die Rentenreform machen wir uns auf zurück nach Europa. in La Réunion sind sie zum Glück viel zu entspannt, um die Flugzeuge ins Mutterland nicht abheben zu lassen. Ob es von Paris aus für uns dann weitergeht, das wird sich zeigen. Jedenfalls war La Réunion eine tolle Entdeckung, exotisch und doch so vertraut, so anders als Mauritius und mit den schönsten Wolken der Welt!