Die Republik Malta besteht aus insgesamt drei bewohnten Inseln, wobei es auf Comino, der kleinsten, gerade mal drei dauerhafte Einwohner sein sollen. Auf Gozo nördlich von Malta ticken die Uhren anders, lese ich, es sei ländlich, wenig Verkehr und sehr geruhsam. Also hin da!
Mit dem Bus zur Anlegestelle in Cirkewwa dauert es eine Dreiviertelstunde, die Fähre wartet schon und nach einer knappen halben Stunde komme ich in Mgarr, dem Hafen von Gozo, an. Auch dort wartet schon der Bus, klappt ja alles wie geschmiert. Aber dann kommen mir kurz Zweifel am ländlichen Idyll. Der Bus steht im Stau, schleichend geht es voran, kurz vor der Hauptstadt Victoria kriecht er nur noch, Autos über Autos. Auch durch Victoria selber quält sich der Verkehr. Ich steige erst mal aus und genehmige mir eine Steak and Ale-Pie. Was das wohl wird?
Das Paradies, ich nehme es schon mal vorweg. Ich habe mir ein kleines Häuschen gemietet, mitten in der Altstadt von Gharb im Norden von Gozo. Quaint and quirky little farmhouse – uriges und schrulliges kleines Farmhaus – ist es beschrieben, und für die nächsten sechs Tage wird es meine kleine Oase. Hanne, die deutsche Vermieterin, treffe ich an der Kirche von Gharb, sie führt mich in eine kleine Gasse, zweimal um die Ecke und da, ganz am Ende, ein türkisfarbenes Holztor. Wir treten in einen kleinen schattigen Hof, unter einer üppigen Bougainvillea ein türkisfarbener Tisch mit Stühlen. Links geht es hinein ins Haus, Küche und Wohnzimmer, rechts führt eine Treppe nach oben, zwei Schlafzimmer und ein Bad. Alles wirkt so, als seien die Bewohner gerade nur mal zum einkaufen gefahren und so ist es auch fast: die Besitzerin wohnte bis vor kurzem noch hier, lebt jetzt aber wieder in Deutschland. Nichts wirkt neu und steril, das Bad ist in die Jahre gekommen, Vintage kann man eigentlich zu allem sagen, aber gerade dieses unperfekte macht es für mich perfekt!
Die nächsten Tage vergehen nach dem gleichen Muster: früh aufwachen, ein Kaffee auf dem oberen Balkon, Frühstück im Innenhof, lesen und schreiben, bis die Sonne den Schatten verdrängt und dann mal los. Ich wandere gen Norden, gen Westen und Osten. Die kleinen Straßen sind so gut wie leer, die terrassenförmig angelegten Felder karg und trocken, der Sandstein formt wellenartige Skulpturen, überbordende Kakteen voller Kaktusfeigen und sattgrüne Kapernsträucher bilden die einzigen Farbtupfer in der steinigen Landschaft. Aber auch das ist perfekt.
Und dann die Küste. Riesige Klippen und tiefblaues Wasser. An einigen Stellen begegnet man den motorisierten Touristen, kleine Mietwagen, Motorräder und diese unsäglichen Quads, auf denen sich die Mitglieder der Spaßgesellschaft stark und cool fühlen, obwohl sie einfach nur so aussehen, als würden sie mit einem Rasenmäher durch die Landschaft pflügen. Was ihnen in jedem Fall entgeht, sind die kleinen Wanderwege rechts und links der Touri-Spots. Ganz schnell ist man wieder allein mit der grandiosen Natur, dem wilden Meer und den gigantischen Aussichten.
Das Laufen ist nicht ganz ohne, Schatten gibt es kaum, es geht über Stock und über viel Stein, den Weg kann man nicht immer erkennen. Überall stehen die kleinen Verschläge der Vogeljäger – und häufig lugt eine Flinte heraus. Die vielen Patronenhülsen auf dem Boden zeigen mir, dass sie es Ernst meinen, aber zum Glück ist meine Ähnlichkeit mit einer Turteltaube nicht so ausgeprägt.
Der Beitritt Maltas zur EU hätte ein Segen für Zug- und einheimische Vögel sein können. Die bis dahin erlaubte Jagd wurde offiziell illegal, aber die Lust am Vogelmord hält sich leider hartnäckig. Durch Ausnahmegenehmigungen unter Hinweis auf die Tradition macht sich der Staat mitschuldig. Meine Wirtin in Mosta hatte sehr schmerzhaft das Gesicht verzogen, als ich sie nach der vielen Munition auf dem Boden fragte. „It’s horrible“, klagte sie. Es habe sogar schon eine Volksabstimmung dazu gegeben, die sehr knapp verloren wurde. Ein Schatten über dem Paradies.
An diesen wildromantischen Küsten, dem tiefblauen Meer, den freundlich grüßenden Bauern kann man sich gar nicht vorstellen, dass die Menschen hier nicht im Einklang mit der Natur leben wollen. Gozos Landschaft gerade hier im Norden ist so schön, mein Dorf Gharb so perfekt idyllisch, mein kleines Häuschen wird jetzt regelmäßig auch noch von einer schmusigen Katze besucht, die morgens von der Mauer des Nachbarhauses zu mir hinunterspringt – besser geht es eigentlich nicht. Dann noch diese unfassbar leckeren Ravioli mit Kaninchenfüllung in Salbeibutter im Il-Kunvent, die nur durch gelegentliches Läuten der Dorfkirche unterbrochene absolute Stille nachts – hier könnte ich sehr lange bleiben. Ich kürze meine Valletta-Pläne und verlängere wenigstens für eine weitere Nacht. Meine Vermieterin Hanne setzt noch einen obendrauf – wir düsen in ihrem Cabriolet über die Insel, essen Spaghetti mit Meeresfrüchten am Hafen, laufen entlang der Südküste. Sie will nie mehr weg hier, lebt jetzt seit vier Jahren in Gozo – und macht mich wirklich nachdenklich, ob das nicht eine Überlegung wert wäre.
Gharb ist ein wundersamer Ort, nicht nur wunderschön, sondern auch Heimat von Wundern. Die Wallfahrtskirche Ta Pinu, gegenüber von Gharb, zeugt davon. Riesig, wie so viele Kirchen in Malta und Gozo. Auf dem Weg dorthin laufe ich an einem kleinen Museum vorbei, dem Wohnhaus von Karmni Grima. Ich vermute ein klassisches Heimatmuseum, aber Karmni ist der Grund für die 1932 geweihte Basilika. 1882 vernahm sie die Stimme der Mutter Gottes aus der Kapelle, die damals dort stand. Ihr Wohnhaus zeigt nicht nur ein typisches gozitanisches Farmhaus, sondern macht auch die besondere Verehrung, die Karmni bis heute auf der ganzen Insel erfährt, deutlich. 95% der Malteser sind katholisch, die Religion ist ein ganz essentieller Bestandteil des Alltagslebens und die große Zuneigung, mit der die freundliche Museumsbetreuerin von Karmni spricht, ist schon sehr berührend.
Die Basilika selber ist vor allem groß. In einem Nebenraum findet sich eine Sammlung von Danksagungen an den Wänden, Menschen haben Gipsbeine, Motorradhelme, Kinderkleidung geschickt und über die damit verbundenen Wohltaten berichtet – das Bein heilte, der Kopf blieb beim Motorradunfall ganz, das Kind wuchs zum gesunden Jugendlichen heran.
Und zu Herzen geht mir auch, wie sehr die Dorfbewohner ihren früheren Nachbarn Frenc verehren. Eine Statue am Dorfplatz und ein winziges Museum an der Hauptstraße erinnern an den Mann mit dem lieben Grinsen. Der einfache Bauer , der Ende der 1960er Jahre starb, kurierte seine Mitbürger mit selbstgemachten Salben und geistigem Beistand. Gutes Karma in Gharb!
Vor einem Besuch in Victoria, der autoumbrausten Hauptstadt, schrecke ich noch etwas zurück. Aber nach sechs Tagen Landleben bin ich bereit, mal wieder etwas Trubel zu ertragen. Und miete mich in der Altstadt ein, in einem ganz reizenden kleinen Bed and Breakfast. Hier kommen die Autos nicht hin und ich bin in fünf Minuten an der riesigen Zitadelle, die über der Stadt thront. Wie schön, dass ich die Zeit habe, die Gassen und Mauern der Zitadelle bei Tag und auch nach Sonnenuntergang zu erkunden. Wieder so ein absolutes Gesamtkunstwerk, stimmungsvoll, mit Blicken über die ganze Insel bis hin nach Malta.
Einen Besuch wert ist die Kathedrale Mariä Himmelfahrt in der Zitadelle. Auf den maltesischen Inseln kommt man um den Katholizismus nicht drumrum, die Menschen sind sehr gläubig und die täglichen Andachten gut besucht. Die reich verzierten Kirchen sind ein schöner Ort der Einkehr, kühl und still im mediterranen Touristengewusel und die Verehrung, die die Menschen ihrer Religion entgegen bringen, ist hier besonders spürbar. Was ich allerdings nie so richtig verstehen werde, ist die Lust am Morbiden, die gerade katholische Kirchen zelebrieren. Aus der Ferne scheinbar eine ruhende Heilige, wird es bei näherem Hinsehen immer gruseliger: die Dame zeigt ihr knöchernes Innenleben.
Zur Stärkung kann man dann direkt in der Zitadelle bei Ta’Rikardu einkehren und den leckeren selbstgemachte Ziegenkäse genießen. Man darf sich nicht abschrecken lassen vom Dauerstau auf Victorias Hauptstraße, ein paar Schritte weiter, und man ist wieder mittendrin im entspannten gozitanischen Leben.
Und dann ist sie vorbei, meine schöne Woche auf Gozo. Für den Rückweg wähle ich den neuen Katamaran „Gozo Fast Ferry“, der mich in einer dreiviertel Stunde direkt nach Valletta trägt. Als wir in den Grand Harbour einfahren, weicht der Abschiedsschmerz der Vorfreude. Valletta, ich komme!