Im Jahr 1995 wurden die Alt- und die Neustadt on Edinburgh zum Weltkulturerbe erklärt. Bei der Altstadt mit der Burg und den düsteren Bauten auf der Royal Mile kann man dies auf einen Blick nachvollziehen – die Einzigartigkeit der Neustadt erschließt sich erst, wenn man durch die breit angelegten Straßen fährt oder am allerbesten wahrscheinlich aus der Luft: es ist ein Ensemble, das gar nicht so sehr ein einzelnes Gebäude in den Vordergrund stellt, sondern in seiner Gesamtheit wegweisend für die Architektur der damaligen Zeit war.
In den dunklen Gassen der Altstadt kann man sich gut vorstellen, dass die Bewohner irgendwann die Nase voll hatten – im wahren Sinne des Wortes. „Gardyloo“ vom französischen „Gardez l’eau“ tönte es abends nach 10 durch die engen Straßen, bevor sich der Inhalt der Nachttöpfe von den Balkonen auf die Straßen entleerte. Übrigens ist das auch der Ursprung des im britischen gebräuchlichen Wörtchens Loo für Toilette. Dass sich die Menschen bessere Wohnverhältnisse wünschten, ist nachvollziehbar und so wurde zwischen 1767 und 1850 die Newtown errichtet, die als Meisterwerk der Städteplanung angesehen wurde. Breite Straßen, viele Grünflächen, prächtige Plätze – vieles ist heute genauso erhalten und man kann sich gut vorstellen, dass es eine Freude gewesen sein muss, der stinkigen Enge der Altstadt zu entkommen und hier ins vornehme Leben einzutauchen.
Ganz besonders anschaulich wird dies im Georgian House, einem original erhaltenen Prachtbau am Charlotte Square, das dank des Scottish National Trust auch innen epochengetreu ausgestattet wurde. Auf vier Stockwerken fühlt man sich wie im „Haus am Eaton Place“, von den vornehmen Räumen der Herrschaft bis hinunter in die Küche und die Schlafräume der Diener. Ein gut gemachter Film führt zunächst in die Lebensweise der ersten Eigentümer Anfang des 19. Jahrhunderts ein und der spätere Gang durch die einzelnen Räume ist auch angesichts der sehr bemühten Volontäre, die allesamt ihr reguläres Arbeitsleben bereits hinter sich gelassen haben dürften, ein großes Vergnügen. Das Leben sowohl der feinen Herrschaften als auch der Bediensteten wird sehr plastisch und wären die Stühle im Haus allesamt nicht mit Disteln bestückt, damit die historischen Stoffe unter der Last müder Besucher nicht leiden, man könnte Stunden hier verbringen und sich in die damalige Zeit zurückversetzen. Obwohl – einen Zufluchtsort haben sie uns gegönnt: unterm Dach gibt es ein Spielzimmer für Kinder und Erwachsene, wobei ich nur letztere dort sah. Und die hatten allesamt großen Spaß daran, kurz in die historischen Kostüme zu schlüpfen, wenn auch meistens recht verstohlen.
Am nächsten Tag scheint die Sonne schon früh und ich will endlich meinen Plan umsetzen und eine etwas längere Fahrradtour machen. Die Brücken über den Firth of Forth habe ich bis jetzt immer nur aus der Ferne betrachtet, aber jetzt muss ich auch mal hin. South Queensferry heißt der Stadtteil, der noch zu Edinburgh gehört, also kann es ja so weit nicht sein. Ist es aber, um es vorweg zu nehmen. Zumindest mit dem Fahrrad.
Als erstes passiere ich Cramond, wo ich schon mal war und es nicht auf die Insel geschafft hatte, weil die Flut kurz bevor stand. Als ich dort ankomme, ist die Ebbe auf ihrem Höhepunkt, einige Leute sind unterwegs zur Insel und dann sollte ich doch auch die Gelegenheit nutzen. Wunderbare Ausblicke sind die Belohnung für die kurze Wanderung und ich bin wirklich froh, dass ich diesen Ausflug noch eingeschoben habe.
Und dann weiter Richtung Queensferry. Die Strecke zieht sich. Die letzten vier Kilometer sind furchtbar anstrengend und wenig schön, bergauf, bergab neben der Schnellstraße, puh… Der Ort selber ist ganz goldig, aber die Attraktion sind die Brücken. Die rote Eisenbahnbrücke, die Forth Bridge, war bei ihrer Eröffnung 1890 die größte ihrer Bauart und wurde doch tatsächlich als achtes Weltwunder bezeichnet. Und seit 2015 ist sie Weltkulturerbe. Und sie hält. Anders als die zweite große Brücke in Queensferry, die Forth Road Bridge aus den 60ern. Die ist mittlerweile so marode, dass sie immer wieder für längere Zeit gesperrt werden muss und derzeit eine Ausweichbrücke gebaut wird. Trotzdem – die beiden Brücken sind äußerst beeindruckend und man kann bestimmt auch auf die andere Seite radeln, aber mir steht noch ein langer Rückweg bevor und den trete ich lieber mal an. Zum Glück findet sich noch eine anderer Fahrradweg, zunächst immer am Ufer entlang und dann durch das Anwesen Dalmeny des Earl of Roseberry. Und der hat einiges richtig gemacht, nicht nur sein wunderbares Haus inmitten eines Golfplatzes mit Blick auf den Firth of Forth, sondern auch seine ausgedehnten Ländereien, auf denen mir Schafe und Fasanen begegnen, zeugen davon. Der Weg ist wunderschön, aber auch lang und irgendwann taucht endlich mein Tesco auf, in dem ich mich mit der ein oder anderen Süßigkeit eindecke und dann nur noch ins Bett fallen will. Ganz schön anstrengend, diese Weltwunder.